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Wir sind die Garys



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Manuskript "Ruf" S.10-13

Geschrieben von jacek , in Ruf 11 Mai 2014 · 1.993 Aufrufe
Jacek Klimut, Ruf, SF-Literatur

DeAlberto war hier formal gesehen der Herr des Hauses. Es gehörte zu den Pflichten des Hausherren jeden Gast zu unterhalten.


»Herr Kanzler, erlauben Sie mir eine Frage. Sie haben die Stelle vor vier Wochen übernommen. Was stellt für Sie die größte Herausforderung dar?«


»Probleme«, sagte Der Kanzler ohne Intonation.


Ah, Probleme. Man muss trotzdem höflich blieben. Obwohl der Ansprechpartner nur einsilbig antwortete.


Einsilbig und nicht vollständig verständlich.


»Ich kann mir das gut vorstellen«, nickte der Richter höflich. »Die Ökonomie ist ruiniert, die Kriminalität wächst, die Korruption und die Inflation ließen sich nicht konstant halten. Sie haben viel Arbeit vor sich. Es kommt täglich zu Demonstrationen gegen die Regierung und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.«


Es ist immer wichtig, deinen unmittelbaren Ansprechpartner in der Weise anzusprechen, damit er oder sie fühlt, dass man seine oder ihre Probleme gut versteht. So fühlen sie sich verstanden und gleich besser.


Die Eingangstür wurde schon wieder aufgemacht. Eine Frau trat ein.


Sie war vielleicht ... etwas über zwanzig, mit einen Armani - Anzug bekleidet, dünn, blond und, wie sagt man so schön, langbeinig.


Ihre Beine waren makellos, und perfekt sichtbar.


Abgesehen davon, waren sie natürlich perfekt.


Die Frau trug ein schwarzes Klemmbrett unter dem Arm.


Sie sah sich um, dann ging sie zur Toilette ohne ein Wort zu verlieren. Dort verbrachte sie einige Minuten. Die FSB - Agenten besetzten alle strategischen Ecken der Wohnung und sahen wie Leute aus, die ein wenig Ärger gerne begrüßten würden.


Ihre Gesichter waren nicht rasiert, ihre Kinne irgendwie rechteckig. Ihre Körperstellungen suggerierten, dass eine Prügelei für sie eine Kleinigkeit darstellte.


Das Zusammenschlagen des im Sessel sitzenden ehemaligen Richters kam nur wahrscheinlich nicht infrage, weil der Kanzler blöderweise auch anwesend war.


Die Blondine verließ endlich die Toilette.


»Ich bin Xandra«, verkündete sie selbstsicher. »Mit X. Sie sind DeAlberto. Zweitjüngster Richter in der Geschichte der Stadt. Ein der schlechtesten, ebenfalls.«


Xandra nahm das Klemmbrett in die Hände und erblickte es.


»Sie haben die Stelle des Richters zwei volle Jahre ausgeübt. Danach wurden Sie aufgrund zahlreicher Beschwerden und festgestellter Abweichungen abberufen. Worum hat es sich gehandelt?«


DeAlberto saß nach wie vor im Sessel und beobachtete die junge Dame vorsichtig. Er beeilte sich mit seiner Antwort nicht.


»Die Abberufung wurde aufgrund persönlicher Intervention des Senators Alcatraz aufgehoben, der als Ihr Mentor gilt. Die Stelle des Richters haben Sie ebenfalls von ihm auf dem Silbertablett serviert erhalten.«


DeAlberto machte die Augen zu. Es war nicht nötig, die Dame beobachten zu müssen.


Der Kanzler rauchte ununterbrochen.


»Es ist immer gut einen solchen Mentor zu haben, nicht wahr?«, bemerkte Xandra sarkastisch. »Sie wurden entlassen, in Massenmedien sind Sie als Rhotax bekannt, und Sie haben das Gerichtsverfahren verloren: Vergewaltigung, sexueller Missbrauch. Sie wollten gegen das Urteil keine Berufung einlegen, obwohl Sie juristisch gesehen große Erfolgschance gehabt hätten. Warum?«


Das Sitzen mit geschlossenen Augen und zusammengefalteten Händen hatte einige Vorteile. Vor allem kann man in der Weise stundenlang dasitzen.


Und die Dame musste stehen.


»Dank der Intervention ihres Mentors wurden Sie nicht inhaftiert. Aber Sie sollen siebenhundertundzwanzig Stunden der Sozialarbeit vorrichten. Sie wollten ebenfalls keine Berufung einlegen, obwohl eine solche Strafe rechtlich nicht haltbar ist. Warum wollten Sie das nicht tun?«


Schweigen ist Gold- heißt es im Altgriechischen.


»Sie bekommen von uns einen Vorschlag. Die vorgesehenen Stunden werden Sie als ... nennen wir es: Geschäftsführer-, in der Inquisition verrichten. Details werden wir Ihnen noch zukommen lassen. Haben Sie Fragen?«, fragte die Frau verächtlich.


DeAlberto hatte dies nicht kommentiert.


»Sie sind überraschend schweigsam, für so einen ... nennen wir das unpräzise: Mann, wie Sie. Aber gut. Sie werden auch ...«


»Das reicht«, unterbrach das Gesicht des Kanzlers.


Die Frau verstummte und wandte sich zum Kanzler. DeAlberto machte die Augen auf.


»Ich bleibe allein mit ihm.«


Sowohl die Einheit als auch die Frau verschwanden binnen zehn Sekunden hinter der Eingangstür. Das war sehr effektiv durchgeführt. Beeindruckend, darf man sagen.


Aber eine andere Bezeichnung wäre auch hier angemessen- panikartig.


»Nutzen Sie die Gelegenheit, um zu fragen«, sagte das Gesicht vom Bildschirm. »Später konnte es zu spät sein.«


»Warum haben Sie das getan?«, fragte DeAlberto und unterdrückte mühsam seine Wut. Danach war ihm erst gedämmert, dass die Frage möglicherweise nicht verständlich formuliert gewesen war. Er hatte damit die Vernichtung seiner Familie und seinen katastrophalen Ruf gemeint.


Es war ihm jetzt klar, dass dahinter der Kanzler und sein FSB standen.


»Die FSB geht immer in der Weise vor«, antwortete der Kanzler, der offenbar gut verstand, was gemeint war.


DeAlberto musste dem widerwillig zustimmen. Der FSB - Dienst war erst einige Jahre zuvor gegründet worden. Sie sollte in der damaligen, schweren ökonomisch - sozialen Situation helfen. Und ihre Methoden waren effektiv. Der Chef des FSB, genannt Herr K, führte Pläne der Regierung mit eiserner Hand durch. Kein Mittel war für ihn tabu, solange es sich um die Unterstützung der Angelegenheiten der Regierung handelte- mit einer einzigen Ausnahme.


Die Ausnahme stellte das Töten dar. Der FSB tötete nicht.


Trotz sehr schlechter Publicity und unzähliger Anklagen blieben K und sein FSB - Dienst seiner harten Linie treu.


»Was erwarten Sie von mir?«


Die Ruhe, mit der die Frage gestellt wurde, hatte DeAlberto sehr viel gekostet. Sein Leben war definitiv ruiniert. Seine Familie war weg, die Ehefrau wurde soeben entführt.


Sein Gesicht war in Massenmedien als Rhotax bekannt, der berühmte Frauenhasser.


Ein Suizid wäre eine gute Option. Seit zwei oder mehr Monaten erschien ihm die Option als zunehmend ansprechender.


»Die Inquisition«, antwortete das Gesicht vom Bildschirm.


»Und wer ist der Gegner?«


»Nekros.«


»Wir haben doch das einundzwanzigste Jahrhundert. Es gibt doch keinen Bedarf an Kirchenintegrität oder Bekämpfung von Schismen! Was wollen Sie damit bezwecken?!«


»Multiple Regression zeigt in Ihren Urteilen eine systematische Abweichung in die Richtung des Rechtssystems.«


DeAlberto machte überrascht den Mund auf, glücklicherweise nur gedanklich, es war ihm gelungen, seine Reaktion zu verbergen. Er antwortete vorerst nicht.


Hauptsächlich deswegen, weil er die Nachricht nicht verstanden hatte.


»Ähm ... die Multiple Regression, das ist ein komplexes mathematisches Verfahren«, begann er vorsichtig, nachdem er die Information sorgfältig durchdacht hatte. »Und die Berechnung mithilfe des Verfahrens zeigt ... eine Abweichung in meinen ... beruflichen Urteilen. Stimmt das?«


»Genauer genommen zeigt die Regression das Rechtssystem als den Hauptkoeffizienten in Ihren Urteilen.«


»Das bedeutet, ich orientiere mich in meinen Entscheidungen am Rechtssystem?«, fragte DeAlberto vorsichtig. Mathematik hatte nie zu seinen stärksten Seiten gehört.


»Ja.«


»Andere tun das nicht?«


»Ihre Koeffizienten sind deutlich geringerer«, antwortete der Kanzler rauchend. »Andere haben deutlich mehr diverse Koeffizienten.«


»Das bedeutet ... sie, damit sind meine beruflichen Kollegen gemeint, nehmen andere ... Faktoren in ihren Urteilen als wichtig an, stimmt das?« DeAlberto versuchte, sein geringes Verständnis der komplexen Mathematik ein wenig zu steigern. Das war ein schwieriges Unterfangen.


»Sie sind als Richter eher eindimensional. Andere berücksichtigen viele andere Faktoren.«


DeAlberto dachte über die Information nach. Offenbar hatte der Koeffizient gezeigt, dass seine Entscheidungen durch einen einzigen Faktor begründet wurden. Hauptsächlich. Und die seiner Kollegen eher nicht.


»War das der Grund für meine Entlassung?«


»Nein. Zur Inquisition brauchen wir jemanden, der wie ein Pfeil denkt. Gerade und linear. Und er wird urteilen.«


»Wie der Judge Dredd«, resümierte DeAlberto leise, eher zu sich selbst.


»Nein. Nicht wie die Comicfigur«, korrigierte Der Kanzler, der offenbar wusste, wer Judge Dredd war. »Dredd orientiert sich an eigenen Gesetzen. Sie am Gesetzbuch.«


»Das tat ich«, gab DeAlberto zu. »Ich stimmte zu, manchmal zu stark. Aber was hat das mit der Inquisition zu tun?«


»Sie werden unzählige Feinde haben«, ignorierte Der Kanzler seine Frage.


»Mehr als jetzt? Das ist unwahrscheinlich«, antwortete DeAlberto ironisch.


»Sie werden nur von mir Anweisungen erhalten.«


»Das ist mit dem Gesetzbuch nicht übereinstimmend. Einzelmeinungen sind dem Gesetz nicht vorzuziehen.«


»Und wenn ich sage, dass ich das Recht habe, und alle sich irren?«


»Dann werden Sie mich in einen FSB - Agenten verwandeln.«


»Die Agenten urteilen nicht. Sie handeln.« Der Bildschirm schaltete sich unerwartet ab.


DeAlberto saß überrascht in seinem Sessel weiter. Er wusste nicht, was er weiter machen sollte.


Und der schwarze Bildschirm stand weiter auf dem Sofa und erinnerte daran, dass die ganze Geschichte kein Traum gewesen war.



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Manuskript "Ruf" s.7-10

Geschrieben von jacek , 26 Januar 2014 · 620 Aufrufe
Manuskript, SF-Manuskript und 1 weitere...

DeAlberto seufzte.


Das Ganze war albern.


Vor zwei Wochen war vom Büro des Kanzlers ein offizieller Brief gekommen. Im Brief stand, dass er, DeAlberto, die Arbeitsstelle des Inquisitors künftig übernehmen sollte. Eine angemessene Bezahlung, offene Arbeitszeiten und freie Hand in theoretischer und praktischer Gestaltung der Inquisition wurden ihm versprochen.


Wie reagierte man auf so etwas?


Natürlich hatte es seit Jahrhunderten keine Inquisition mehr gegeben und generell hatte die katholische Kirche in den letzten Jahren immer wieder schwerste Rückschläge erlitten, die vor allem Folge der negativen Public Relation waren.


Der neue Bundeskanzler, den man allgemein Kanzler nannte, war kein Spaßvogel. Sein Vorschlag der Übernahme der Arbeitsstelle des Inquisitors musste denn angemessen betrachtet werden.


Einige Telefonate hatten bestätigt, dass es sich faktisch um einen ernst zu nehmenden Vorschlag handelte. Aus diesem Grund hatte DeAlberto seine kaum vorhandenen finanziellen Ressourcen dramatisch überstrapaziert und ein Buch über Inquisition erworben.


Das Buch lag aktuell auf dem Glastisch, unter dem Lieblingsbecher und es war ein wenig schmutzig, da, was für ein Zufall, der auf ihm stehende Becher ebenfalls schmutzig war.


Das neue subtile Geschenk seiner besseren Hälfte.


Sie wusste ganz genau, dass das ihn ärgern würde.


Also, albern oder nicht, steht das einem Richter zu, sich zu der Arbeit passend zu vorbereiten.


Oder einem ehemaligen Richter.


Also, die Fortsetzung der Erstanalyse.


Das Problem Nummer eins: Solche schweren psychischen Krankheiten kann man sich nicht so einfach zuziehen. Zumindest DeAlberto konnte sich keine passende Methode vorstellen. Abgesehen davon, wenn er so etwas machen würde, würde er sofort in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen und der Job des Inquisitors würde damit verloren gehen.


Problem Nummer zwei: Der fragliche Inquisitor aus dem Buch war nicht imstande logisch zu denken oder zu schlussfolgern. Und Denken und Schlussfolgern stellen die Grundlage für die Existenz in jeder Stadt dar, wo jedermann, der sich Erwachsener nennen möchte, unzählige Alltagsprobleme meistern muss.


Kinder aus der Schule abholen, Auto reparieren lassen, Rechnungen bezahlen, einkaufen, die geheime Liebhaberin versorgen ...


Das Leben des Inquisitors aus dem Buch war deutlich einfacher gewesen.


Problem Nummer drei: Kausale Erklärungen des Inquisitors waren absolut eindimensional: Herr das, Herr jenes, Herr noch etwas anders. DeAlberto konnte so etwas nicht nachahmen. Die Welt war komplex und menschliche Motive waren noch komplexer. Heutzutage geht man davon aus, dass ein Verbrecher zu seinen Täten von seinem unmittelbaren sozialen Milieu motiviert wird und nicht von einem Herrn irgendwo im Himmel.


Das Problem Nummer vier: Wenn irgendwo eine Dame litt, dann wollte DeAlberto sie retten und trösten und nicht wie die Figur aus dem Buch eine Wand subintelligent angrinsen und sich mit einer Kette mit Hacken auspeitschen.


Das Problem Nummer fünf: Wenn er in der Weise essen würde, wie der fragliche Inquisitor aus dem Buch das getan hatte, dann würde er spätestens nach zwei Jahren sterben, und zwar wegen Magengeschwüren oder Leberkollaps. So wäre man sowohl für den Herrn im Himmel als auch für die Menschheit nutzlos.


Und, abgesehen davon, der Job wäre schon wieder verloren.


Das Problem Nummer sechs: Der Inquisitor aus dem Buch hatte blind an den unsichtbaren Herrn geglaubt und der ehemalige Richter tat so etwas nicht. Ketzerei setzte einen Glauben voraus. Im Fall des Inquisitors aus dem Buch war das der Herr im Himmel gewesen, an den der Inquisitor blind geglaubt hatte, oder anders angesprochen die Sonne, an die er geglaubt hatte. Der Kult der Sonne trat in allen Kulturen auf, war so alt wie die Menschheit selbst. Aus dem Grund, dass Menschen alles Mögliche personifizieren, würde die Sonne als ein ‚Vater‘ dargestellt und angebetet. Der Herr im Himmel ... Na klar. Dort waren nur Wolken und die Sonne.


Er hatte uns das Leben geschenkt ... klar. Ohne die Sonne gab es kein Leben.


Also, Fazit, DeAlberto glaubte an die Gewohnheit der Menschheit, die Sonne anzubeten und die Anbetung zu personifizieren.


Und, ein Teil des Problems, nennen wir es ein Subproblem: Eine Inquisition setzte Ketzerei voraus. Aber wer war Ketzer, der von der Inquisition bekämpft werden sollte?


Das Problem Nummer sieben: Der literarische Inquisitor hatte Feinde gehabt. Die Feinde hatten mehr oder weniger die christlichen Dogmen infrage gestellt. Heutzutage stellen alle die katholischen Dogmen infrage und rein theoretisch müssten alle christlichen Länder ausgerottet werden, wenn man versuchen würde, die Ketzer dafür zu bestrafen. Es würde niemand übrig bleiben.


Das Problem Nummer acht: Mit einer solchen Denkweise erwarb man schnell unzählige Feinde. Und wenn man all die Nächte in einer Steinzelle verriegelt festsaß, dann würden das die Feinde früher oder später entdecken und ausnützen. So wäre man schnell tot und damit wieder nutzlos.


Und der Job wäre wieder weg.


Das Problem Nummer neun: In einer kalten Steinzelle Nächte zu verbringen, so was gehörte zu den schlechtesten Ideen. Man bekam im Endeffekt unausweichlich eine Lungenentzündung, starb ebenfalls und war schon wieder nutzlos.


Problem Nummer zehn: ...


Die Eingangstür, obwohl sie versperrt war, wurde hektisch geöffnet und prallte kräftig gegen die Wand.


Einige Menschen traten ungebeten ein. Ihre schweren Schritte hallten laut und metallisch. Sie trugen schwere, schwarze Kampfwesten, moderne Kampfhelme und lange, rabenschwarze, gefährlich aussehende Sturmgewehre mit optischen Sensoren. An ihren Helmen waren kompliziert aussehende Nachtsichtgeräte erkennbar, was DeAlberto als sinnlos empfand, weil es gerade helllichter Tag war.


Sechs von ihnen, alle gleich bewaffnet und angezogen, betraten die Wohnung.


»FSB«, sagte einer von ihnen zu DeAlberto harsch. »Machen Sie keine Dummheiten.«


Sie brauchten nur zehn Sekunden, um seine Ehefrau zu entdecken.


Ein lauter, weiblicher, gut bekannter Schrei erklang in der Luft.


Seine Ehefrau tauchte auf. Sie wurde von zwei FSB - Agenten wie ein gerollter Teppich unter den Armen getragen. Sie versuchte sich zu wehren, aber erfolglos.


Die beiden Agenten verließen mit der Frau die Wohnung im Laufschritt.


Ihr schrillender Schrei war noch einige Sekunden lang im Korridor hörbar.


Danach nicht mehr.


Noch zwei weitere Agenten traten ein. Sie hatten ein Gerät mitgebracht.


Das war ein hochmoderner, großer Bildschirm. Die Agenten stellten den Bildschirm sorglos auf das frei stehende Sofa und sahen sich um.


Der Bildschirm wurde ans Netz angeschlossen und eingeschaltet.


Von Bildschirm strahlte ein gut bekanntes, unbewegliches Gesicht. Viele Falten, unbewegliche Augen und irgendwie ungesund gefaltete Lippen fixierten den ehemaligen Richter auf die aus dem Fernsehen gut bekannte und beunruhigende Weise.


Das Gesicht war gut bekannt.


Der gefürchtete, verhasste, geliebte und gerade gewählte Bundeskanzler.


Niemand nannte ihn in der Weise. Er war einfach als Der Kanzler bekannt.


Der Kanzler fixierte ihn. Seine Augen zwinkerten nicht, seine Haut war unbeweglich, seine Lippen waren irgendwie markant. Man konnte den Blick nicht von seinen krankhaft gefalteten, trockenen Lippen nehmen.


Er war ein wenig übergewichtig.


DeAlberto versuchte sich von seinem Schock zu erholen. Er war immerhin ein Richter gewesen. Einige Verhaltensnormen sollte er doch vertreten.


Der Kanzler taxierte den Richter, ohne ein einziges Wort zu verlieren.


»Ich grüße Sie«, sagte DeAlberto so höflich, wie es nur ging. »Es ist für mich eine große Ehre, Sie persönlich kennenlernen zu dürfen.«


»Gleichfalls.«


Die Stimme des Mannes war wenig aufgeregt und seine schrecklichen Augen waren unvorstellbar, sie waren unmenschlich ruhig.


»Das ist eine große Ehre«, setzte DeAlberto höflich fort. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«


Der Mann im Bildschirm reagierte nicht.


Er steckte sich eine lange Zigarette in den Mund, genoss eine Weile, dann nahm er sie heraus. DeAlberto hatte den Eindruck, dass er einen Film sah, eine Aufzeichnung, die einst aufgenommen, jetzt abgespielt wurde.


Die Zeit verging. Der Kanzler rauchte langsam, seine Augen zwinkerten nicht, die Gesichtsmuskulatur blieb unbeweglich.


Das war unheimlich.



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Manuskript "Ruf" s.2-7

Geschrieben von jacek , in Ruf 18 Dezember 2013 · 662 Aufrufe
Ruf, Leseprobe, Jacek Klimut und 3 weitere...
Unvollkommene dürfen den Willen des Herrn nicht zu verstehen versuchen.

Die kalten Sonnenstrahlen erreichten den bestimmten Punkt auf der gegenüberliegenden Wand. Der Punkt bedeutete etwas, immer: jedes Mal bedeutete er etwas ganz Bestimmtes.

Die Zeit war gekommen.

Wie erwartet, genau in dem Moment ließen sich die schweren und dumpfen Schritte des Paters Frederick hören.

Klapp! Klapp! Klapp!

Seine dumpfen Schritte erklangen aus dem Korridor hinter der gesperrten Eingangstür.

Der Großinquisitor lächelte.

Heute wird doch ein guter Tag sein, obwohl der Tag noch nicht begonnen hat. Das Ausmaß der insgesamt verlorenen Hautteile war zwar nicht beeindruckend gewesen, der Herr war dieses Mal weniger gnädig gewesen, aber ...

Die Schritte hinter der Metalltür klangen langsam und verschwitzt, unsicher und widerwillig. Der Herr hatte dem Großinquisitor sein ausgezeichnetes Gehör geschenkt. Die Schritte des Paters klangen verschwitzt. Dieses Mal.

Der Großinquisitor lächelte.

Der Pater sollte jeden Morgen eine einfache Aufgabe erfüllen den Großinquisitor aus seinem Steinkäfig befreien.

Pater Frederick bewältigte seine Aufgabe entweder schnell oder langsam. Wenn seine Schritte irgendwie schnell klangen, wenn sie hastig und nervös hintereinandergesetzt wurden, wenn sie irgendwie mädchenartig hallten, als ob sie ein übergewichtiges Mädchen setzen würde, dann hatte er nichts zu sagen. Er würde die Barren entriegeln und den Großinquisitor aus seiner Steinzelle befreien.

Nur.

Der Großinquisitor lächelte.

Die zweite Art der Ausführung der Aufgabe war anders: Seine Schritte klangen dumpf, verschwitzt, langsam, unsicher und waren irgendwie ineffektiv und nicht rhythmisch. Danach begann der Pater den Kampf mit dem Balken an der Tür und der Kampf verlief langsam und irgendwie sinnlos, als ob der Pater den Kampf nicht gewinnen wollte, oder sich sehr, sehr bemühte.

Und, als er endlich mit dem Kampf fertig war, machte er die Metalltür auf, zitterte leicht aufgrund der in der Zelle herrschenden Kälte. Sein nasser, verschwitzter Blick richtete sich unausweichlich zum auf dem Steinboden liegenden Instrument und seine Lippen begannen zu zittern.

Und er flüsterte panisch.

»Exzellenz. Die Ketzer haben gestanden«.

Und jetzt war die Zeit gekommen.

Die Schritte des Paters klangen unsicher, dumpf, verschwitzt ... alles wie immer.

Der Großinquisitor lächelte ein wenig breiter.

Der Kampf mit dem Barren wurde ineffektiv durchgeführt und dauerte sehr, sehr lange. Länger als ein üblicher ‚langer Kampf‘, deutlich länger.

Ungewöhnlich lang.

Der Großinquisitor senkte den Kopf reuig vor dem an der Wand hängenden Kreuz.

»Danke, Herr«, flüsterte er unhörbar.

Die Metalltür öffnete sich endlich und der fette Pater trat wie immer irgendwie verschwitzt ein. Seinen Blick richtete sich auf das auf dem Steinboden liegende Instrument.

»Mein Herr, die Ketzer haben gestanden«, flüsterte er panisch.

Der Großinquisitor stand langsam auf, und passte auf, um den Schmerz nicht zu zeigen.

»Die Königin hat ebenfalls die Ketzerei gestanden. Heute Nacht«, fügte Pater hinzu und begann zu zittern. »Sie hat sich lange gewehrt«, flüsterte er. »Sehr lange.«

»Dank sei dem Herrn«, antwortete der Großinquisitor und verließ den Steinkäfig, um den neuen Tag zu begrüßen.



»Schatz! Gib mir etwas Geld«, verlangte eine sehr gut bekannte, erotische Stimme mit einem ganz gut erkennbaren, subtil - ironischen Kontext.

DeAlberto legte das gelesene Buch ‚Inquisitor‘ auf den Tisch und erblickte vorsichtig seine Ehefrau.

Vorsicht war immer geboten, wenn sie sich in der Nähe befand.

Sie war natürlich wunderschön und sie war natürlich nackt, was ihn nervte, weil es DeAlberto nicht vertrug, wenn seine Ehefrau nackt im Wohnzimmer zwecklos umherwanderte.

Vielleicht nicht zwecklos, eher doch zweckmäßig, sie wanderte nämlich nackt umher, um ihn zu ärgern. Und sie trug natürlich sein blaues Lieblingsbadetuch um den Kopf umgewickelt, sein persönliches, blaues Badetuch.

Um ihn zu ärgern, natürlich.

Und sie war erfolgreich.

DeAlberto verspürte, wie die Lust auf eine scharfe Antwort in ihm wuchs.

Ihr nackter Körper stellte sich direkt vor ihn.

»Gib mir etwas Geld«, wiederholte die Dame nachdrücklich.

»Du hast alles ausgegeben«, beantwortete er überlegt. Doch überlegt. Das war ein Erfolg.

»Gib mir aus der Reserve.«

»Ebenfalls ausgegeben. Ich habe dir das gestern bereits gesagt. Und vorgestern. Und vor drei Tagen.«

»Dann gib mir deine Bankomatkarte.«

»Sie wurde gesperrt. Das habe ich dir bereits dreimale gesagt.«

Die nackte Dame fixierte ihn verächtlich.

»Du kannst nichts mit deinem winzigen Schlüsselchen zwischen deinen Beinen erreichen«, stellte sie fest. »Du kannst das auch nicht mehr machen«, die Dame betonte das Wort ‚das‘, um genau zu spezifizieren, was sie gemeint hatte. »Und du bist finanziell bedeutungslos. Ich musste etwas Geld von meiner Freundin Klara borgen, um etwas zum Essen kaufen zu können. Das war erniedrigend. Typisch für dich. Du machst das alles, um mich zu erniedrigen. Du bist ein Sadomaso. Du willst mich nur erniedrigen.«

Richter DeAlberto schwieg und beobachtete die nackte Ehefrau.

Sie bereitete offenbar nächste Sticheleien vor.

»Ich habe eine gute Nachricht für dich, mein Schatz«, flüsterte die Ehefrau zufrieden mit sich selbst. »Bei uns wird jetzt meine Kollegin wohnen. Dank ihr werden wir überhaupt etwas Geld haben. Du bist schuld, deine finanzielle Inkompetenz ist legendär. Und ich muss mich um alles allein kümmern.«

Der ehemalige Richter beobachtete die Ehefrau schweigend.

»Warum schaust du so blöd? Ich habe keine andere Wahl. Wir brauchen Geld und dank deiner Inkompetenz steht uns kein Geld zur Verfügung.«

DeAlberto hatte seine Emotionen erfolgreich unter Kontrolle genommen. Traurige Erfahrungen aus den vergangenen drei oder vier Monaten begannen sich langsam auszuzahlen. Seine Noch-Ehefrau trieb den ‚ewigen Krieg‘ zu Hause ein Tick zu weit.

Und ein Tick zu eintönig. Und dadurch war das Ganze vorhersagbar.

Anderseits gab es nichts, was DeAlberto noch verlieren konnte. Und das stellte den wahren Schwachpunkt in ihrem konstant durchgeführten Vernichtungsplan dar. Sie ging davon aus, dass man den ehemaligen Richter noch ein wenig verletzen konnte.

In Wirklichkeit hatte sie alles Mögliche bereits längst erreicht.

DeAlberto hatte seine langjährige Arbeitsstelle, Geld, seine Reputation, Ehre und teilweise auch seine Familie verloren.

Es gab nichts mehr, was sie ihm noch wegnehmen konnte.

Depressionen, Medikamente oder Alkohol- all das hatte er bereits erlebt.

Jetzt fühlte er sich vollkommen leer. Sie hatte jedoch etwas anders angenommen. Und das war der Makel an ihrem Plan.

»Ich habe gedacht, dass Richter gutes Geld verdienen. Vermutlich hast du mich schon wieder belogen. Du bist und du warst kein Richter. Das wäre ebenfalls typisch für dich. Du bist nicht nur inkompetent, sondern auch verlogen.«

Nach dem Abfeuern des letzten verbalen Pfeiles stellte Maria seinen blauen Lieblingsbecher auf das Buch ‚Inquisitor‘, was DeAlberto natürlich wahnsinnig ärgerte. Der Becher war natürlich schmutzig, was ihn noch mehr verärgerte, und sie entfernte sich erotisch, was ihn natürlich unvorstellbar wütend machte.

Sie bemühte sich, so erotisch wie möglich zu gehen, nur um den hinschauenden Richter noch ein wenig mehr zu ärgern.

Seine finanziellen Ressourcen waren längst mysteriös ausgegeben und infolge dessen waren alle Konten gesperrt. Stattdessen standen in seinem Wohnzimmer viele interessante Päckchen. Die Päckchen häuften sich in allen möglichen Ecken und erweckten den gut bekannten, enigmatischen Eindruck typischer Päckchen aus Onlinegeschäften.

Der Erfahrung letzter Monate nach, war es nicht gescheit der Sache nachzugehen. Es war viel besser die Päckchen in Ruhe zu lassen.

So war es viel besser.

Trotzdem rief die Pflicht. Krieg mit der Frau oder nicht, sollte er lieber mit der Erstanalyse des Buches anfangen. Das Geld wird sich nicht aus dem Nichts auf den gesperrten Konten heraus materialisieren.

DeAlberto seufzte und begab sich lustlos zur Arbeit.

Das bedeutet, er nahm in die Hand einen Notizblock, einen Stift und begann nachzudenken.

Also. Es war einst ein Mann gewesen. Der Mann war, mehr oder weniger, ein Priester gewesen. Eher weniger als mehr. Seine Denkweise war der Denkweise eines Serienkillers ähnlich. Der Serienkiller spezialisierte sich auf die Technik des Folterns. Und der fragliche Serienkiller hatte in den Reihen der katholischen Kirche die Folter durch die Hände Dritter erledigt, sodass er selbst sich nicht anstrengen musste. Er durfte einfach in seiner Steinzelle vor einer Wand stehen und sie blöd angrinsen, während unten, irgendwo im Keller, Frauen grausam gefoltert wurden, was mehr oder weniger eine verzerrte Art von Sexualität implizierte.

Um solche Phänomene zu beschreiben nutzte die Psychiatrie heutzutage einen gut etablierten Begriff: Sexuelle Funktionsstörung.

Das Leben des Mannes war von der Fixierung auf mehrere Sätze abhängig, was einen klinisch relevanten und behandlungsbedürftigen ZWANG implizierte. Vor allem seine mentale Fixierung auf das Wort Schuld implizierte etwas, was die moderne Psychiatrie als SCHULDZWANG bezeichnete. Bekannterweise kam es häufig bei Schulzwangpatienten zu Selbstbestrafung, was der Mann ebenfalls praktiziert hatte, und was in der Psychiatrie gut bekannt und längst beschrieben war, und zum Krankheitsbild sehr gut passte.

Die bestimmte Krankheit war auch behandelbar, nicht unbedingt einfach oder billig, aber letztendlich möglich.

Die Nächste Sache war sein pathologischer Masochismus. Der Inquisitor aus dem Buch hatte Schmerz erleben wollen, hatte Schmerz geliebt, hatte ununterbrochen an Schmerz gedacht und Schmerz hatte sein Leben bestimmt. Er wollte den Schmerz oder einen Schmerz ständig spüren.

Es gibt generell zwei Arten von Masochismus: einen einfachen- und einen pathologischen Masochismus. Ein pathologischer Masochismus ist durch Körperverletzungen und Körperspuren gekennzeichnet. Die Unterscheidung zwischen den beiden Begriffen ist einfach. Ein Sadomaso - Ritual ohne Körperspuren interessierte sozusagen kein Schwein. Natürlich blieben gewisse psychologische Folgen übrig, aber diese sind in der Regel durch gezielte psychologische Interventionen mühelos eliminierbar. Aber ein Sadomasochismus mit Körperspuren muss ernst genommen werden indem Experte der Psychiatrie um Hilfe gebeten werden.

Und der Inquisitor litt unter der zweiten Form. Das wäre ungefähr die vierte schwere, psychische Krankheit, die im Kopf von DeAlberto tobte.

Weiters. Er hatte extrem wenig gegessen und nur Wasser getrunken, was in der Psychiatrie ebenfalls gut unter dem Oberbegriff ANOREXIE bekannt ist, oder allgemeiner als eine ESSSTÖRUNG diagnostizierbar wäre.

Der Inquisitor aus dem Buch hatte sich alle seine psychotischen Zustände mithilfe irgendwelcher Phrasen erklärt, in denen ein mystischer und unbekannter Herr entscheidende eine Rolle spielte. Er hatte den Herrn weder gesehen noch gehört, er hatte niemanden gekannt, der den Herrn persönlich kannte, trotzdem war er felsenfest überzeugt, dass er recht hatte. Und das ist schon wieder in der Psychiatrie bekannt- und zwar als WAHN.

Also, man kann kurz resümieren. Wenn er, ein ehemaliger Richter, aktuell ein Mitglied der riesigen Armee der Arbeitslosen, die Rolle eines Inquisitors bekleiden würde, dann sollte er wissen, wie sich ein Inquisitor ordentlich zu benehmen hat.

Also. Sechs sollte er für sich schwere psychische Krankheiten irgendwie einfangen und ab zur Arbeit. Man sucht irgendwelche Damen über vierzig- schade, die unter dreißig sehen besser aus- und foltert sie.

Natürlich so, damit sie nicht allzu schnell ... sterben würden. Natürlich.

Dazu wäre gewiss eine Technik des Folterns notwendig.

Und noch dazu braucht man irgendwelche Leute, die die schmutzige Arbeit erledigen werden.

Und inzwischen muss man für sich eine Art Steinzelle organisieren, einen Helfer, der die Zelle auf- und zu- machen wird, ein Kreuz auf der Wand, um es subintelligent angrinsen zu können, und schon wird man zum Inquisitor.

Das klingt eigentlich einfach.

DeAlberto griff zum Kaffeebecher und stellte fest, dass dieser leer war - seine bessere Hälfte hatte seinen Kaffee ausgetrunken.

Sie wusste ganz genau, dass ihm das wahnsinnig auf die Nerven gehen würde.


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Ruf (s.1-2)

Geschrieben von jacek , in Ruf 05 Dezember 2013 · 1.287 Aufrufe
jacek klimut, autor, manuskript und 2 weitere...
Fotoquelle: http://www.daz3d.com...quisition-0.jpg


"Ruf"
Jacek Klimut

Der Großinquisitor lächelte.

Ein übelkeitsauslösender Schmerz zerriss seinen Körper. Wellen des Leidens prallten in den ermüdeten Verstand, erzwangen volle Konzentration auf die Qualen, Weinen, flehen, beten ... Gnade!

Der Großinquisitor lächelte.

Typischerweise in solchen Momenten tauchte wie aus dem Nichts die Übelkeit auf. Jedoch hatte der abgemagerte Körper nichts, was er erbrechen konnte. Der Körper des Inquisitors identifizierte die neue Qual und initiierte die passende und bekannte Reaktion.

Gnade ... Gnade ...

Der Großinquisitor lächelte.

Das lief immer so. Das war immer so gewesen.

Gnade!

Die eiskalten Wände seiner privaten Zelle erschienen im Morgengrau leicht bläulich, irgendwie vampirisch, gruselig, unheimlich, wie die Wände eines Sarkophags, der gerade eröffnet wurde, und, was für ein Zufall, der Inhaber war blöderweise nicht da ... Er hatte sich auf eine Jagd begeben und war noch nicht zurückgekehrt.

Noch nicht.

Aber er würde bald kommen, neugierig, wer seinen Restplatz zu beflecken gewagt hat.

Der Großinquisitor lächelte.

Der Herr sieht meine Qualen, beurteilt meine Anstrengungen, erkennt meine Unvollkommenheit, nimmt meine bescheidenen Bemühungen wahr, meine Versuche eines einzigen Blickes des Herrn würdig zu sein.

Der Großinquisitor legte sein Instrument auf dem Boden ab.

Endlich.

Die Gnade.

Das war schon immer das wichtigste Ereignis seines Lebens gewesen, der Moment, da sein persönliches Instrument auf den kalten Steinboden der Zelle abgelegt wurde, der Moment, der das Ende der Qualen verkündete.

Die ersehnte Gnade!

Wie immer in dem bestimmten Moment glitt der erfahrene Blick des Großinquisitors über die auf dem Instrument in regulären Abständen befestigten Hacken. Wie viele neue blutige Hautteile ließen sich heute dort feststellen? Wie viel Haut hatte er dieses Mal geopfert? War das viel oder vielleicht ganz wenig gewesen?

Der Großinquisitor lächelte.

Natürlich gilt das subjektiv empfundene Ausmaß der Qualen als gutes Maß für die Abschätzung des Fortschritts auf dem Weg zur Vollkommenheit. Natürlich.

Aber nichts, absolut nichts war mit dem Verlust der Hautteile vergleichbar. Man sah sofort, ob der Herr heute gnädig oder weniger gnädig gewesen war.

Natürlich, nur ER dürfte den Fortschritt erlauben. Oder eben verweigern.

Unermesslich sind die Wege des Herrn.

Leider. Der Herr war heute weniger gnädig gewesen.

Trotz subjektiv unermesslicher Qualen blieben auf dem Instrument ganz wenige Hautteile. Ein schlechter Tag.

Der Großinquisitor lächelte. Unbekannte sind Wege des Herrn.





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    27 Jan 2014 - 20:32