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Manuskript "Ruf" s.7-10

Geschrieben von jacek , 26 Januar 2014 · 623 Aufrufe

Manuskript SF-Manuskript Jacek Klimut

DeAlberto seufzte.


Das Ganze war albern.


Vor zwei Wochen war vom Büro des Kanzlers ein offizieller Brief gekommen. Im Brief stand, dass er, DeAlberto, die Arbeitsstelle des Inquisitors künftig übernehmen sollte. Eine angemessene Bezahlung, offene Arbeitszeiten und freie Hand in theoretischer und praktischer Gestaltung der Inquisition wurden ihm versprochen.


Wie reagierte man auf so etwas?


Natürlich hatte es seit Jahrhunderten keine Inquisition mehr gegeben und generell hatte die katholische Kirche in den letzten Jahren immer wieder schwerste Rückschläge erlitten, die vor allem Folge der negativen Public Relation waren.


Der neue Bundeskanzler, den man allgemein Kanzler nannte, war kein Spaßvogel. Sein Vorschlag der Übernahme der Arbeitsstelle des Inquisitors musste denn angemessen betrachtet werden.


Einige Telefonate hatten bestätigt, dass es sich faktisch um einen ernst zu nehmenden Vorschlag handelte. Aus diesem Grund hatte DeAlberto seine kaum vorhandenen finanziellen Ressourcen dramatisch überstrapaziert und ein Buch über Inquisition erworben.


Das Buch lag aktuell auf dem Glastisch, unter dem Lieblingsbecher und es war ein wenig schmutzig, da, was für ein Zufall, der auf ihm stehende Becher ebenfalls schmutzig war.


Das neue subtile Geschenk seiner besseren Hälfte.


Sie wusste ganz genau, dass das ihn ärgern würde.


Also, albern oder nicht, steht das einem Richter zu, sich zu der Arbeit passend zu vorbereiten.


Oder einem ehemaligen Richter.


Also, die Fortsetzung der Erstanalyse.


Das Problem Nummer eins: Solche schweren psychischen Krankheiten kann man sich nicht so einfach zuziehen. Zumindest DeAlberto konnte sich keine passende Methode vorstellen. Abgesehen davon, wenn er so etwas machen würde, würde er sofort in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen und der Job des Inquisitors würde damit verloren gehen.


Problem Nummer zwei: Der fragliche Inquisitor aus dem Buch war nicht imstande logisch zu denken oder zu schlussfolgern. Und Denken und Schlussfolgern stellen die Grundlage für die Existenz in jeder Stadt dar, wo jedermann, der sich Erwachsener nennen möchte, unzählige Alltagsprobleme meistern muss.


Kinder aus der Schule abholen, Auto reparieren lassen, Rechnungen bezahlen, einkaufen, die geheime Liebhaberin versorgen ...


Das Leben des Inquisitors aus dem Buch war deutlich einfacher gewesen.


Problem Nummer drei: Kausale Erklärungen des Inquisitors waren absolut eindimensional: Herr das, Herr jenes, Herr noch etwas anders. DeAlberto konnte so etwas nicht nachahmen. Die Welt war komplex und menschliche Motive waren noch komplexer. Heutzutage geht man davon aus, dass ein Verbrecher zu seinen Täten von seinem unmittelbaren sozialen Milieu motiviert wird und nicht von einem Herrn irgendwo im Himmel.


Das Problem Nummer vier: Wenn irgendwo eine Dame litt, dann wollte DeAlberto sie retten und trösten und nicht wie die Figur aus dem Buch eine Wand subintelligent angrinsen und sich mit einer Kette mit Hacken auspeitschen.


Das Problem Nummer fünf: Wenn er in der Weise essen würde, wie der fragliche Inquisitor aus dem Buch das getan hatte, dann würde er spätestens nach zwei Jahren sterben, und zwar wegen Magengeschwüren oder Leberkollaps. So wäre man sowohl für den Herrn im Himmel als auch für die Menschheit nutzlos.


Und, abgesehen davon, der Job wäre schon wieder verloren.


Das Problem Nummer sechs: Der Inquisitor aus dem Buch hatte blind an den unsichtbaren Herrn geglaubt und der ehemalige Richter tat so etwas nicht. Ketzerei setzte einen Glauben voraus. Im Fall des Inquisitors aus dem Buch war das der Herr im Himmel gewesen, an den der Inquisitor blind geglaubt hatte, oder anders angesprochen die Sonne, an die er geglaubt hatte. Der Kult der Sonne trat in allen Kulturen auf, war so alt wie die Menschheit selbst. Aus dem Grund, dass Menschen alles Mögliche personifizieren, würde die Sonne als ein ‚Vater‘ dargestellt und angebetet. Der Herr im Himmel ... Na klar. Dort waren nur Wolken und die Sonne.


Er hatte uns das Leben geschenkt ... klar. Ohne die Sonne gab es kein Leben.


Also, Fazit, DeAlberto glaubte an die Gewohnheit der Menschheit, die Sonne anzubeten und die Anbetung zu personifizieren.


Und, ein Teil des Problems, nennen wir es ein Subproblem: Eine Inquisition setzte Ketzerei voraus. Aber wer war Ketzer, der von der Inquisition bekämpft werden sollte?


Das Problem Nummer sieben: Der literarische Inquisitor hatte Feinde gehabt. Die Feinde hatten mehr oder weniger die christlichen Dogmen infrage gestellt. Heutzutage stellen alle die katholischen Dogmen infrage und rein theoretisch müssten alle christlichen Länder ausgerottet werden, wenn man versuchen würde, die Ketzer dafür zu bestrafen. Es würde niemand übrig bleiben.


Das Problem Nummer acht: Mit einer solchen Denkweise erwarb man schnell unzählige Feinde. Und wenn man all die Nächte in einer Steinzelle verriegelt festsaß, dann würden das die Feinde früher oder später entdecken und ausnützen. So wäre man schnell tot und damit wieder nutzlos.


Und der Job wäre wieder weg.


Das Problem Nummer neun: In einer kalten Steinzelle Nächte zu verbringen, so was gehörte zu den schlechtesten Ideen. Man bekam im Endeffekt unausweichlich eine Lungenentzündung, starb ebenfalls und war schon wieder nutzlos.


Problem Nummer zehn: ...


Die Eingangstür, obwohl sie versperrt war, wurde hektisch geöffnet und prallte kräftig gegen die Wand.


Einige Menschen traten ungebeten ein. Ihre schweren Schritte hallten laut und metallisch. Sie trugen schwere, schwarze Kampfwesten, moderne Kampfhelme und lange, rabenschwarze, gefährlich aussehende Sturmgewehre mit optischen Sensoren. An ihren Helmen waren kompliziert aussehende Nachtsichtgeräte erkennbar, was DeAlberto als sinnlos empfand, weil es gerade helllichter Tag war.


Sechs von ihnen, alle gleich bewaffnet und angezogen, betraten die Wohnung.


»FSB«, sagte einer von ihnen zu DeAlberto harsch. »Machen Sie keine Dummheiten.«


Sie brauchten nur zehn Sekunden, um seine Ehefrau zu entdecken.


Ein lauter, weiblicher, gut bekannter Schrei erklang in der Luft.


Seine Ehefrau tauchte auf. Sie wurde von zwei FSB - Agenten wie ein gerollter Teppich unter den Armen getragen. Sie versuchte sich zu wehren, aber erfolglos.


Die beiden Agenten verließen mit der Frau die Wohnung im Laufschritt.


Ihr schrillender Schrei war noch einige Sekunden lang im Korridor hörbar.


Danach nicht mehr.


Noch zwei weitere Agenten traten ein. Sie hatten ein Gerät mitgebracht.


Das war ein hochmoderner, großer Bildschirm. Die Agenten stellten den Bildschirm sorglos auf das frei stehende Sofa und sahen sich um.


Der Bildschirm wurde ans Netz angeschlossen und eingeschaltet.


Von Bildschirm strahlte ein gut bekanntes, unbewegliches Gesicht. Viele Falten, unbewegliche Augen und irgendwie ungesund gefaltete Lippen fixierten den ehemaligen Richter auf die aus dem Fernsehen gut bekannte und beunruhigende Weise.


Das Gesicht war gut bekannt.


Der gefürchtete, verhasste, geliebte und gerade gewählte Bundeskanzler.


Niemand nannte ihn in der Weise. Er war einfach als Der Kanzler bekannt.


Der Kanzler fixierte ihn. Seine Augen zwinkerten nicht, seine Haut war unbeweglich, seine Lippen waren irgendwie markant. Man konnte den Blick nicht von seinen krankhaft gefalteten, trockenen Lippen nehmen.


Er war ein wenig übergewichtig.


DeAlberto versuchte sich von seinem Schock zu erholen. Er war immerhin ein Richter gewesen. Einige Verhaltensnormen sollte er doch vertreten.


Der Kanzler taxierte den Richter, ohne ein einziges Wort zu verlieren.


»Ich grüße Sie«, sagte DeAlberto so höflich, wie es nur ging. »Es ist für mich eine große Ehre, Sie persönlich kennenlernen zu dürfen.«


»Gleichfalls.«


Die Stimme des Mannes war wenig aufgeregt und seine schrecklichen Augen waren unvorstellbar, sie waren unmenschlich ruhig.


»Das ist eine große Ehre«, setzte DeAlberto höflich fort. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«


Der Mann im Bildschirm reagierte nicht.


Er steckte sich eine lange Zigarette in den Mund, genoss eine Weile, dann nahm er sie heraus. DeAlberto hatte den Eindruck, dass er einen Film sah, eine Aufzeichnung, die einst aufgenommen, jetzt abgespielt wurde.


Die Zeit verging. Der Kanzler rauchte langsam, seine Augen zwinkerten nicht, die Gesichtsmuskulatur blieb unbeweglich.


Das war unheimlich.





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