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Manuskript "Ruf" S.10-13

Geschrieben von jacek , in Ruf 11 Mai 2014 · 1.997 Aufrufe

Jacek Klimut Ruf SF-Literatur

DeAlberto war hier formal gesehen der Herr des Hauses. Es gehörte zu den Pflichten des Hausherren jeden Gast zu unterhalten.


»Herr Kanzler, erlauben Sie mir eine Frage. Sie haben die Stelle vor vier Wochen übernommen. Was stellt für Sie die größte Herausforderung dar?«


»Probleme«, sagte Der Kanzler ohne Intonation.


Ah, Probleme. Man muss trotzdem höflich blieben. Obwohl der Ansprechpartner nur einsilbig antwortete.


Einsilbig und nicht vollständig verständlich.


»Ich kann mir das gut vorstellen«, nickte der Richter höflich. »Die Ökonomie ist ruiniert, die Kriminalität wächst, die Korruption und die Inflation ließen sich nicht konstant halten. Sie haben viel Arbeit vor sich. Es kommt täglich zu Demonstrationen gegen die Regierung und zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.«


Es ist immer wichtig, deinen unmittelbaren Ansprechpartner in der Weise anzusprechen, damit er oder sie fühlt, dass man seine oder ihre Probleme gut versteht. So fühlen sie sich verstanden und gleich besser.


Die Eingangstür wurde schon wieder aufgemacht. Eine Frau trat ein.


Sie war vielleicht ... etwas über zwanzig, mit einen Armani - Anzug bekleidet, dünn, blond und, wie sagt man so schön, langbeinig.


Ihre Beine waren makellos, und perfekt sichtbar.


Abgesehen davon, waren sie natürlich perfekt.


Die Frau trug ein schwarzes Klemmbrett unter dem Arm.


Sie sah sich um, dann ging sie zur Toilette ohne ein Wort zu verlieren. Dort verbrachte sie einige Minuten. Die FSB - Agenten besetzten alle strategischen Ecken der Wohnung und sahen wie Leute aus, die ein wenig Ärger gerne begrüßten würden.


Ihre Gesichter waren nicht rasiert, ihre Kinne irgendwie rechteckig. Ihre Körperstellungen suggerierten, dass eine Prügelei für sie eine Kleinigkeit darstellte.


Das Zusammenschlagen des im Sessel sitzenden ehemaligen Richters kam nur wahrscheinlich nicht infrage, weil der Kanzler blöderweise auch anwesend war.


Die Blondine verließ endlich die Toilette.


»Ich bin Xandra«, verkündete sie selbstsicher. »Mit X. Sie sind DeAlberto. Zweitjüngster Richter in der Geschichte der Stadt. Ein der schlechtesten, ebenfalls.«


Xandra nahm das Klemmbrett in die Hände und erblickte es.


»Sie haben die Stelle des Richters zwei volle Jahre ausgeübt. Danach wurden Sie aufgrund zahlreicher Beschwerden und festgestellter Abweichungen abberufen. Worum hat es sich gehandelt?«


DeAlberto saß nach wie vor im Sessel und beobachtete die junge Dame vorsichtig. Er beeilte sich mit seiner Antwort nicht.


»Die Abberufung wurde aufgrund persönlicher Intervention des Senators Alcatraz aufgehoben, der als Ihr Mentor gilt. Die Stelle des Richters haben Sie ebenfalls von ihm auf dem Silbertablett serviert erhalten.«


DeAlberto machte die Augen zu. Es war nicht nötig, die Dame beobachten zu müssen.


Der Kanzler rauchte ununterbrochen.


»Es ist immer gut einen solchen Mentor zu haben, nicht wahr?«, bemerkte Xandra sarkastisch. »Sie wurden entlassen, in Massenmedien sind Sie als Rhotax bekannt, und Sie haben das Gerichtsverfahren verloren: Vergewaltigung, sexueller Missbrauch. Sie wollten gegen das Urteil keine Berufung einlegen, obwohl Sie juristisch gesehen große Erfolgschance gehabt hätten. Warum?«


Das Sitzen mit geschlossenen Augen und zusammengefalteten Händen hatte einige Vorteile. Vor allem kann man in der Weise stundenlang dasitzen.


Und die Dame musste stehen.


»Dank der Intervention ihres Mentors wurden Sie nicht inhaftiert. Aber Sie sollen siebenhundertundzwanzig Stunden der Sozialarbeit vorrichten. Sie wollten ebenfalls keine Berufung einlegen, obwohl eine solche Strafe rechtlich nicht haltbar ist. Warum wollten Sie das nicht tun?«


Schweigen ist Gold- heißt es im Altgriechischen.


»Sie bekommen von uns einen Vorschlag. Die vorgesehenen Stunden werden Sie als ... nennen wir es: Geschäftsführer-, in der Inquisition verrichten. Details werden wir Ihnen noch zukommen lassen. Haben Sie Fragen?«, fragte die Frau verächtlich.


DeAlberto hatte dies nicht kommentiert.


»Sie sind überraschend schweigsam, für so einen ... nennen wir das unpräzise: Mann, wie Sie. Aber gut. Sie werden auch ...«


»Das reicht«, unterbrach das Gesicht des Kanzlers.


Die Frau verstummte und wandte sich zum Kanzler. DeAlberto machte die Augen auf.


»Ich bleibe allein mit ihm.«


Sowohl die Einheit als auch die Frau verschwanden binnen zehn Sekunden hinter der Eingangstür. Das war sehr effektiv durchgeführt. Beeindruckend, darf man sagen.


Aber eine andere Bezeichnung wäre auch hier angemessen- panikartig.


»Nutzen Sie die Gelegenheit, um zu fragen«, sagte das Gesicht vom Bildschirm. »Später konnte es zu spät sein.«


»Warum haben Sie das getan?«, fragte DeAlberto und unterdrückte mühsam seine Wut. Danach war ihm erst gedämmert, dass die Frage möglicherweise nicht verständlich formuliert gewesen war. Er hatte damit die Vernichtung seiner Familie und seinen katastrophalen Ruf gemeint.


Es war ihm jetzt klar, dass dahinter der Kanzler und sein FSB standen.


»Die FSB geht immer in der Weise vor«, antwortete der Kanzler, der offenbar gut verstand, was gemeint war.


DeAlberto musste dem widerwillig zustimmen. Der FSB - Dienst war erst einige Jahre zuvor gegründet worden. Sie sollte in der damaligen, schweren ökonomisch - sozialen Situation helfen. Und ihre Methoden waren effektiv. Der Chef des FSB, genannt Herr K, führte Pläne der Regierung mit eiserner Hand durch. Kein Mittel war für ihn tabu, solange es sich um die Unterstützung der Angelegenheiten der Regierung handelte- mit einer einzigen Ausnahme.


Die Ausnahme stellte das Töten dar. Der FSB tötete nicht.


Trotz sehr schlechter Publicity und unzähliger Anklagen blieben K und sein FSB - Dienst seiner harten Linie treu.


»Was erwarten Sie von mir?«


Die Ruhe, mit der die Frage gestellt wurde, hatte DeAlberto sehr viel gekostet. Sein Leben war definitiv ruiniert. Seine Familie war weg, die Ehefrau wurde soeben entführt.


Sein Gesicht war in Massenmedien als Rhotax bekannt, der berühmte Frauenhasser.


Ein Suizid wäre eine gute Option. Seit zwei oder mehr Monaten erschien ihm die Option als zunehmend ansprechender.


»Die Inquisition«, antwortete das Gesicht vom Bildschirm.


»Und wer ist der Gegner?«


»Nekros.«


»Wir haben doch das einundzwanzigste Jahrhundert. Es gibt doch keinen Bedarf an Kirchenintegrität oder Bekämpfung von Schismen! Was wollen Sie damit bezwecken?!«


»Multiple Regression zeigt in Ihren Urteilen eine systematische Abweichung in die Richtung des Rechtssystems.«


DeAlberto machte überrascht den Mund auf, glücklicherweise nur gedanklich, es war ihm gelungen, seine Reaktion zu verbergen. Er antwortete vorerst nicht.


Hauptsächlich deswegen, weil er die Nachricht nicht verstanden hatte.


»Ähm ... die Multiple Regression, das ist ein komplexes mathematisches Verfahren«, begann er vorsichtig, nachdem er die Information sorgfältig durchdacht hatte. »Und die Berechnung mithilfe des Verfahrens zeigt ... eine Abweichung in meinen ... beruflichen Urteilen. Stimmt das?«


»Genauer genommen zeigt die Regression das Rechtssystem als den Hauptkoeffizienten in Ihren Urteilen.«


»Das bedeutet, ich orientiere mich in meinen Entscheidungen am Rechtssystem?«, fragte DeAlberto vorsichtig. Mathematik hatte nie zu seinen stärksten Seiten gehört.


»Ja.«


»Andere tun das nicht?«


»Ihre Koeffizienten sind deutlich geringerer«, antwortete der Kanzler rauchend. »Andere haben deutlich mehr diverse Koeffizienten.«


»Das bedeutet ... sie, damit sind meine beruflichen Kollegen gemeint, nehmen andere ... Faktoren in ihren Urteilen als wichtig an, stimmt das?« DeAlberto versuchte, sein geringes Verständnis der komplexen Mathematik ein wenig zu steigern. Das war ein schwieriges Unterfangen.


»Sie sind als Richter eher eindimensional. Andere berücksichtigen viele andere Faktoren.«


DeAlberto dachte über die Information nach. Offenbar hatte der Koeffizient gezeigt, dass seine Entscheidungen durch einen einzigen Faktor begründet wurden. Hauptsächlich. Und die seiner Kollegen eher nicht.


»War das der Grund für meine Entlassung?«


»Nein. Zur Inquisition brauchen wir jemanden, der wie ein Pfeil denkt. Gerade und linear. Und er wird urteilen.«


»Wie der Judge Dredd«, resümierte DeAlberto leise, eher zu sich selbst.


»Nein. Nicht wie die Comicfigur«, korrigierte Der Kanzler, der offenbar wusste, wer Judge Dredd war. »Dredd orientiert sich an eigenen Gesetzen. Sie am Gesetzbuch.«


»Das tat ich«, gab DeAlberto zu. »Ich stimmte zu, manchmal zu stark. Aber was hat das mit der Inquisition zu tun?«


»Sie werden unzählige Feinde haben«, ignorierte Der Kanzler seine Frage.


»Mehr als jetzt? Das ist unwahrscheinlich«, antwortete DeAlberto ironisch.


»Sie werden nur von mir Anweisungen erhalten.«


»Das ist mit dem Gesetzbuch nicht übereinstimmend. Einzelmeinungen sind dem Gesetz nicht vorzuziehen.«


»Und wenn ich sage, dass ich das Recht habe, und alle sich irren?«


»Dann werden Sie mich in einen FSB - Agenten verwandeln.«


»Die Agenten urteilen nicht. Sie handeln.« Der Bildschirm schaltete sich unerwartet ab.


DeAlberto saß überrascht in seinem Sessel weiter. Er wusste nicht, was er weiter machen sollte.


Und der schwarze Bildschirm stand weiter auf dem Sofa und erinnerte daran, dass die ganze Geschichte kein Traum gewesen war.





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