

Armand Baltazar: Timeless: Retter der verlorenen Zeit (Rezension, #57)
Science Fiction Kinderbuch Jugendbuch Comic

Wird hier gerade ein neuer Trend im Jugendbuchbereich gesetzt? Tatsächlich hat der Science-Fiction-Roman von Armand Baltazar (*1967) monumentale Qualität. Über 600 Seiten dick und mit vielen Ideen versehen verbindet er literarische Besonderheiten der Dystopie, des Steampunks und der Zeitreisegeschichte. Baltazar, lange Zeit Art Director bei Pixar, ist sowohl für die erzählte Handlung als auch für die vielen, teilweise sehr phantastischen Zeichnungen verantwortlich.
Im Mittelpunkt des Romans steht der fünfzehnjährige Diego Ribera, der mit seiner Familie in New-Chicago lebt, das einem zeitgeschichtlichen Museums ähnelt: Dampfschiffe fahren durch enge Kanäle, zwischen den aus dem 20. Jahrhundert stammenden Wolkenkratzern stapfen riesige Roboter, die schwere Lasten bewegen, und der Kleidungsstil mancher Leute au der Straße scheint ‚aus der Zeit‘ gefallen zu sein. Im Zuge der sogenannten Zeitkollision, die kurz vor Diegos Geburt nicht nur die Kontinente, sondern auch die Zeitepochen auseinanderriss und neu verband, kam es zu fürchterlichen Konflikten, den sogenannten Chronoskriegen, und schweren Verwüstungen. Die Menschheit ist stark dezimiert. Die Überlebenden – knapp hundert Millionen Menschen – entstammen im Wesentlichen drei zeitlichen Epochen: „Die Menschen aus der zivilisierten Vergangenheit nannte man die Dampfzeitler, die aus der Zukunft waren die Ältesten und die aus der Zeit dazwischen die Mittelzeitler.“ (S. 7)
Auch Diegos Eltern kommen aus unterschiedlichen Epochen – Diegos Mutter Siobhan ist eine aus der Dampfzeit stammende Pilotin, Santiago, ein genialer Robot-Konstrukteur aus der Mittelzeit. Während sich der Großteil der Menschen wie Diegos Familie mit der Vermischung der Zeiten arrangiert hat und ihr Wissen zum Wohle aller nutzt, zielt das Aeternum, eine terroristische Organisation, darauf ab, das Rad der Zeit im wahrsten Sinne des Wortes zurückzudrehen. Dazu entführen sie Diegos Vater und einen Dampfkraft-Experten, der außerdem der Vater von Diegos Mitschülerin Paige ist. Unter Zwang sollen die Techniker mächtige technische Apparate für sie aktivieren, um so die Zeitkollision ungeschehen zu machen.
Zum Glück ist die Situation nicht ganz hoffnungslos. Denn vom Magistrat Neu-Chicagos wird der grimmige Piratenkapitän Boleslavich angeheuert, um die Techniker zu finden und die Entführer auszuschalten. Zufällig geraten Diego, sein Freund Petey und ihre Mitschülerinnen Lucy und Paige auf ihr Schiff, wovon Boleslavich aber wenig begeistert ist. Nach und nach sieht er jedoch, dass seine jungen Passagiere über Talente verfügen, die sie auch in dem unvermeidlichen Kampf mit den Agenten des Aeternums unentbehrlich machen.
"Timeless" hat sichtlich viele Vorbilder. Aus Platzgründen soll hier nur Jules Verne erwähnt werden. Ohne ins Epigonenhafte abzugleiten, erinnert „Timeless“ angenehm an seinen Klassiker „Zwanzig Tausend Meilen unter dem Meer“. Gerade die technischen Apparaturen, aber auch die teilweise mysteriösen Schauplätze werden mit viel Liebe zum Detail vermittelt. Sicherlich ist die Handlung manchmal etwas zu vorhersehbar, auch ist manche Wendung in der Geschichte nicht ganz zielführend. Dennoch kann das Buch unterm Strich auch den erwachsenen Genre-Fan überzeugen, besonders die Zeichnungen der überlebensgroßen Robotern und die liebevollen, retrofuturistischen Stadtkulissen sorgen bereits als bloße Illustrationen der Handlung für einen Wow-Effekt, weil die eigentümliche Atmosphäre der Welt nach dem Zeitbruch so besonders faszinierend zum Ausdruck kommt. Da die Bilder stellenweise aber nicht nur schmückendes Beiwerk sind, sondern ganze Handlungssequenzen in ihrer Bildsprache weitererzählen, gewinnt „Timeless“ mitunter den Charakter eines Comics, was den Schauwert und Lesereiz des Werks noch weiter erhöht, sodass man spätestens dann zum Lesebändchen greift, um einzelne Bilder leichter wiederbetrachten zu können. (bf)
Gesamteindruck: ++++ (4 / 5)
Bibliographische Angaben:
Armand Baltazar: Timeless: Retter der verlorenen Zeit. Bd. 1. Übers. von Tanja Ohlsen. München: cbj, 2017. 624 S. 19,99 EUR.
Bestellungen und Leseprobe (klick!). Bildquelle (klick!)
(Erstveröffentlichung dieser Rezension in: Michael Görden (Hrsg.): Das Science Fiction Jahr 2018. Berlin: Golkonda, 2018, S. 178-180.)