

Artur Rosenstern: Planet Germania
Kollegen Artur Rosenstern
Ich habe Artur Rosenstern vor einigen Jahren durch unsere gemeinsame Arbeit am Buch "Autorenträume" kennen gelernt. Damals steuerte er die Geschichte "Mein Agent" bei, in dem sich ein begeisterter, radebrechender und meist über das Ziel hinausschießender Murat als Literaturagent versucht und dabei seinen schriftstellernden Freund arg in die Bredouille bringt. Nun also gab es für mich ein Wiedersehen mit Murat, das der ersten Begegnung in nichts nachstand.
Der Protagonist des Buches ist Andrej, der aus Kasachstan nach Deutschland kommt und von einem Verwandten den Leitsatz mit auf den Weg bekommt: "Hascht du viele PS, bischt du was, hascht du wenig PS, bischt du nix." Was dieses "Etwas" ist, das er werden will, darüber nachzudenken hat Andrej während des Buches viel Zeit und Gelegenheit. Vor allem will er ein echter Deutscher werden, und zwar ein Wessi, unbedingt. Dazu gehört auch ein Sprachkurs in Hannover, der ihn in die vertrackte deutsche Sprache einführen soll.
Sein alter Schulfreund Murat ist da weniger akribisch. Bis zum Ende des Buches schwatzt er munter drauflos in seinem eigentümlichen Pidgin-Deutsch und versucht bei jeder Gelegenheit, irgendwelche Geschäfte zu machen. Sei Ziel: Millionär werden. Und dann Präsident von Kasachstan.
Andrej ist ein eher nachdenklicher Mensch. Er sinniert über die Tücken der deutschen Sprache, befasst sich mit deutscher Geschichte, Literatur, Philosophie. Von den psychotherapeutischen Sitzungen seines Freundes Murat, den er begleitet, profitiert er wesentlich mehr als der eigentliche Patient Endlich beschließt er, ein Buch über seine Erfahrungen in Deutschland zu schreiben. Unter anderem überlegt er, warum in der Presse immer detailliert die Nationalität genannt werden muss, wenn ein Ausländer eine Straftat begangen hat. Oder er stellt fest, dass Intergration eine Sache auf Gegenseitigkeit ist, und wünscht sich von den Deutschen mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der Einwanderer.
Ganz anders geht Murat das Leben in der neuen Heimat an. Es sind vor allem Murats Business-Eskapaden, die das Buch vorantreiben. Immer wieder lässt er sich auf Rentnerausflügen Dinge wie Rheumadecken zum Sparpreis aufschwatzen, die er dann mit Gewinn weiterverkaufen will (todsicheres Geschäft), oder er steigt als Berater bei einem unabhängigen Finanzoptimierer als Berater ein (Wer mag das in Hannover nur sein?). Sein Versuch, deutschen Sperrmüll nach Königsberg zu transportieren und damit einen Riesengewinn zu machen, geht natürlich gnadenlos schief. Aber Freund Andrej bringt aus der alten Kant-Stadt eine Traumvision mit nach Hause, in der er mit den großen Dichtern und Philosophen Deutschlands zusammentrifft.
Unvergesslicher Höhepunkt des Buches ist die Weihnachtsfeier, zugleich Abschlussfeier des Deutschurses, die von Murat organisiert wird. Murat lädt selbstverständlich den niedersächsischen Ministerpräsidenten ein, spielt selbst den Weihnachtsmann, beschenkt alle Gäste großzügig mit Werbegeschenken seiner Firma, doch dann kommt es zu einem folgenreichen Konflikt zwischen dem russischen und dem deutschen Weihnachtsmann ... (Lieber Artur Rosenstern, bittebitte, sag mir, dass diese Geschichte autobiografisch ist.:-))
"Planet Germania" ist ein Buch, das ernst und augenzwinkernd zugleich vom Fremdsein und Ankommen oder Nicht-ganz-Ankommen erzählt. Ein Buch, das Probleme aufzeigt, aber auch Hoffnung macht. Sowohl aus Andrej als auch aus Murat ist schließlich trotz aller Kapriolen und Katastrophen "Etwas" geworden. Und wenn am Ende einer Einwanderungsgeschichte als (vorläufiges) Fazit ein Buch wie "Planet Germania" herauskommt, dann muss es doch irgendwie möglich sein, in diesen Deutschland anzukommen ...
Fazit: Ein flott geschriebener, abenteuerlicher Bericht über zwei ungleiche Einwanderer und ihre Erlebnisse in Deutschland, über Integration und Fremdsein, Gemeinsames und Trennendes, sehr humorvoll, mit einigen Haken und Ösen zum Dran-Hängenbleiben und Nachdenken. Das Buch lässt sich gut lesen und ist viel zu schnell zu Ende. Gern mehr davon.
Artur Rosenstern: Planet Germania. Über die Chance, fremd zu sein. Erzählung. Hildesheim: Verlag Monika Fuchs, 2015. 180 S., Euro 11,90.
© Petra Hartmann