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Textprobe

Geschrieben von T. Lagemann , 21 Mai 2012 · 2.375 Aufrufe

Hallo zusammen,

das Projekt Oberon hat aus verschiedenen Gründen in den letzten Monaten weitestgehend geruht. Um mir selbst wieder Hunger zu machen auf das Schreiben, hier eine Finger-/Stilübung. Es handelt sich ganz ausdrücklich nicht um einen Teil des Romans, sondern um eine Vorstudie. Sie sollte mir inhaltlich für den eigentlichen Text auf die Sprünge helfen. Und, naja, ich wollte auch den Stil auf Machbarkeit bzw. Lesbarkeit abklopfen. Weiteres demnächst ...


Textprobe (ohne Titel)

Soter stand in der Schlange vor der Essensausgabe. Obwohl es quälend langsam voran ging, murrte niemand. Möglicherweise war das Schlangestehen ein Test. So wie der Geruch. Schweiß war im Camp allgegenwärtig, schwerer, saurer Schweiß. Auch im Speisesaal. Geduscht werden durfte nur ein Mal am Tag. Soter zog es vor, seine Dusche vor dem Schlafen zu nehmen. Wirklich viel ließ sich in den erlaubten zwei Minuten nicht gegen die Anstrengungen des Tages ausrichten. Sie trainierten hart, Fitness, Waffentechnik, gingen ins Gelände. Der Dreck fraß sich dabei tief in ihre Haut. Soter war froh, dass er sich vor der Abreise ins Camp die Haare geschoren hatte. So musste er kein Wasser für Haarwäsche verschwenden. Zudem fühlte sich Soter mit seiner Stoppelfrisur wie in seinen Tagen als Rekrut. Eine Art längst vergessener Lebendigkeit erfüllte ihn. Der Wind, der über seinen Schädel strich, die Sonne, die auf der Haut brannte. Nur bin ich jetzt fünfundzwanzig Jahre älter, dachte Soter, als er einen Platz näher an die Essensausgabe heran rückte.
„Was gibt es heute?“, fragte ein Mann hinter Soter. Hoffmann hieß er, war groß und dünn und sprach mit schwerem Akzent.
„Dose“, kam es von der Spitze der Schlange.
„Bei all dem Staub, der mir zwischen den Zähnen hängt, würde mich Dose mit Erdbeergeschmack schrecklich glücklich machen“, sagte Hoffmann.
„Erdbeere Dose schmeckt auch nur nach Dose, vielleicht eine Spur süßer als Schweinefleisch“, kam es irgendwo von hinten.
„Ruhe“, brüllte der Mann hinter der Theke der Essensausgabe.
„Kannste haben, wenn ich Erdbeeren bekommen.“
Soter rückte erneut einen Platz nach vorn. Schlecht war das Essen nicht wirklich. Während seiner Zeit beim Militär hatte Soter oft schlechter gegessen. Und auch das hatte ihn nicht rebellieren lassen. Auch Dosenfraß bestand aus Kalorien. Und Vitaminen. Eiweiß. Mineralstoffen. Und das allein zählte. Nicht irgend ein toller Geschmack.
„Zoot?“ Die Stimme kam aus Richtung der breiten Eingansgtür und war hell und kräftig. Soter ignorierte sie. Er zählte statt dessen, wie viele Schritte ihn vom Essen trennten. Noch standen sieben Männer und zwei Frauen vor ihm.
„Zoot, bist du es wirklich?“
Soter ignorierte die Stimme erneut, zuckte dennoch leicht zusammen. Im Camp kannte niemand seinen Spitznamen aus Dienstzeiten. Hier war er Soter. Ohne Abkürzung und ohne Vornamen.
„Zoot, du bist es.“
Soter erkannte die Frau, die raschen Schrittes durch den Speisesaal kam, sofort. Seine ehemalige Divisionsärztin, Sidney Soundso. An ihren Nachnamen erinnerte er sich nicht, nur daran, dass die Frau damals Die Doc genannt worden war. Verändert hatte sie sich in den letzten zehn Jahren kaum. Das Haar war noch immer kurz, wenn auch leicht ergraut, rund um Augen und Mund hatten sich ein paar Falten in das sonnengebräunte Gesicht gegraben. Und ihr Gang war etwas weniger athletisch als früher. Außerdem trug einen weißen Kittel, der beim Militär als eine Spur zu kurz und zu eng verboten worden wäre. Damals trug sie lieber Kampfanzug. Die Doc war eine von der harten Sorte gewesen, oft mit der Truppe aus den Ladungsleitern gesprungen war, um sich an vorderster Front um Verletzte zu kümmern. Selbst war sie zwei Mal verwundet worden. Beim zweiten Mal hatte Soter sie aus dem gegnerischen Feuer gezogen und war dafür mit einem Orden belohnt worden. Nach ihrer Genesung war Die Doc zum Stab und später zu einer anderen Division versetzt worden. An ihrer Stelle war ein Mann getreten, frisch von der Akademie und mit einem Lächeln ausgestattet, das jeder Triage standhielt.
„Zoot, du …, also dass du dich für Oberon beworben hast.“
„Doc“, sagte Soter. „Sind Sie nicht mehr bei der Truppe?“
„Nicht mehr“, sagte Die Doc mit melancholischen Unterton.
„Greenaway“, sagte Soter langsam. Endlich war ihm der Name der Ärztin eingefallen. Doktor Sidney Greenaway, ein Name, der an der Front fehl am Platz war. Die Doc war passender.
„Du hast meinen Namen also nicht vergessen, Soldat.“
Bei dem Wort Soldat kam Unruhe in die Schlange. Im Camp wussten nur die Ausbilder und Leiter um Soters militärische Vergangenheit. Und die hielten die Klappe, so waren die Regeln. Wegen seines verwüsteten Äußeren wurde Soter von seinem Leidensgenossen für einen Schläger gehalten, der es mit Glück in die engere Auswahl für das Oberon Projekt geschafft hatte. Soter hatte derlei Gerüchte nicht zerstreut. Er wollte nach Oberon. Zu denen gehören, die sich ins Innere des Mondes vorkämpfen. Wenn ihn seine Mitbewerber um einen der begehrten Plätze unterschätzten, ihn für einen tumben Schläger hielten, vielleicht für einen abgehalfterten Sicherheitsdienstmann oder Türsteher, konnte das für ihn letztlich nur von Vorteil sein.
„Warum hast du dich für Oberon beworben?“, fragte die Doc.
„Beim Essen, okay“, sagte Soter.
„Klar doch, Zoot, ab mit uns in die Ausbilderkantine, dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Über die alten Zeiten reden. Zehn Jahre ist das her, nicht wahr. Du hattest damals noch ein paar Jahre bei den Space Rangern vor dir, oder?“
Erneut kam Unruhe in die Schlange. Mit ein paar beiläufig dahin gesagten Worten hatte Soters ehemalige Divisionsärztin seine Vergangenheit aufgedeckt.
„Du warst bei den Rangern?“, fragte der Mann hinter Soter.
„War er, jawohl. Zweite der Dritten, Zugführer. Immer da, wo die Laser besonders heiß gebrannt haben. Hätte es weit bringen können, unser Zoot, aber Disziplin war nicht gerade seine Stärke“, verkündete Die Doc mit lauter Stimme.
„Hört, hört“, rief jemand vom Ende der Schlange.
„Doc, bitte, das ist vorbei. Ich bin raus. Im Ruhestand.“
„Aber jetzt hier …, und vielleicht bald auf Oberon.“ Die Doc strahlte Soter an.
„Ja, vielleicht“, nickte Soter und wich dem Blick der Frau aus. Das Blau der Augen war zu intensiv, zu strahlend.
„Nun komm schon, Zoot, ab mit uns in die Ausbilderkantine.“
Soter rückte erneut einen Platz nach vorn, spürte dabei die Blicke seiner Kameraden auf sich. Noch fünf Schritte und er würde sein Tablett ausgehändigt bekommen. „Nee, Doc, ein andern mal gerne. Wenn ich von Oberon zurück bin. Ich lade Sie dann ein.“
Doc Greenaway schlug ihm mit der Faust gegen den Oberarm, lachte dabei. „Nicht erst dann, Zoot. Ich will jetzt wissen, wie es dir in den letzten zehn Jahren ergangen ist. Du musst mir vor allem von Phobos erzählen. Da war ich ja schon nicht mehr bei euch. Dass ihr da raus gekommen seid, davon reden noch heute alle.“
Ein Keuchen ging durch den Speisesaal.
„Dann wissen Sie ja Bescheid, Doc“, sagte Soter.
„Nee, Zoot, weiß ich nicht. Ich weiß nur, was die üblichen Aufschneider zu erzählen wissen. Nur mit viel Glück sind sie der Hölle von Phobos entkommen, naja, und wegen ihrer Schießkünste. Eine Geschichte ist da wilder als die andere. Natürlich alles Quatsch. Ich war selbst bei der kämpfenden Truppen, ich weiß, wie es da zugeht. Zum Held wird man nicht, weil man sich dazu macht, Held ist man, weil man das richtige tut. Und darüber schweigt.“
Soter gestattete sich ein Grinsen. „Dann verstehen wir uns ja, Doc. Phobos ist Vergangenheit.“
„Und vor uns liegt Oberon“, rief jemand vom Ende der Schlange.
„Vielleicht“, rief jemand anders. „Vielleicht will man uns ja nicht. Uns alle. Nicht mal den Ranger da vorn.“
Soter blickte sich nicht nach der Stimme um, er erkannte sie auch so. Typen wie Woychowski gab es auf jedem Kasernenhof. Sie stänkerten rum, wann immer es ging. Sie wollten sich beweisen. Nicht nur im Kampf, sondern auch innerhalb der Truppe. Wollten sich einen Platz erobern, der möglichst weit oben in die Hierarchie des gemeinen Fußvolks angesiedelt war.
„Also, Zoot, kommst du mit? Über alte Zeiten reden?“ Die Doc lächelte. Das Lächeln traf Soter tief in seinem Inneren. Mehr als drei Wochen war er jetzt im Camp, fraß Dosendreck und Staub. Der Drill machte sie alle gleich. Keine der Kameradinnen nahm er als Frau war, aber Die Doc. Sehr sogar. Sie roch gut, sie sah gut aus. Und ihre leicht geschminkten Lippen waren überaus verführerisch. Soter fuhr sich mit der Hand über die Stoppeln auf seinem Schädel. „Danke, Doc“, sagte er, „aber ich bleibe bei den Kameraden.“
Doc Greenaway rümpfte die Nase. „In diesem Gestank?“
„Doc, Sie sind eine wirklich attraktive Frau, sind es damals schon gewesen. Aber sie wissen, Dienst ist Dienst. Und auch wenn wir nicht mehr bei den Rangern sind, belassen wir es besser bei diesem Hallo. Sollten wir uns später nochmals begegnen, zeige ich ihnen gerne ein paar Narben, für die ich ihren erfahrenen Rat als Militärärztin benötige. Die jucken nämlich von Zeit zu Zeit ziemlich.“
Gelächter tobte durch die Schlange, der zuvorderst Stehende ließ dabei sein gerade erhaltenes Tablett fallen. Lachend ging er in die Knie, begann mit seinem Löffel den Dosenfraß in die Einsätze zurück zu schaufeln. Soter rückte einen Platz nach vorn, blickte dabei nicht auf seine langjährige Divisionsärztin. Es reichte ihm, ihr wütendes Schnaufen zu hören. „Schade, Specialist Soter“, sagte Die Doc und ihre Stimme war mit einem Mal ohne jegliche Wärme. „Ich hätte mich wirklich gerne mit dir über alte Zeiten unterhalten.“ Dann drehte sich die Frau um. Noch schneller, als sie gekommen war, rauschte sie aus dem Speisesaal. Jeder ihre Schritte zeichnete sich überdeutlich unter ihrem zu engen Kittel ab, die Absätze ihrer leichten Kampfstiefel knallten einen wütenden Takt auf den Boden.
„Mit der wär' ich sofort mit“, sagte Hoffmann, „egal wohin. Aber mich hat'se ja leider nicht gefragt.“
Soter sagte nichts, rückte nur erneut einen Schritt nach vorn. Er fragte sich, warum Die Doc seine Vergangenheit in aller Öffentlichkeit ausgeplaudert hatte. War das ein Test? So wie das Schlangestehen, der Schweiß? Hatte er diesen Test bestanden? Oder war die Begegnung nur Zufall?



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