
#27 »Józef macht Kunst im Bilderbuch« – Ein Gespräch mit Gerd Maschmann, Buchhändler und Literaturagent von Józef Wilkoń

Nach einer kurzfristigen Anfrage ergab sich für mich noch am selben Tag die Möglichkeit, ein Gespräch mit Gerd Maschmann, Gründer der Stiftsbuchhandlung in Nottuln (Münsterland), zu führen. Nach Betreten des Büros machte mich Herr Maschmann auf die Katze aufmerksam, die seit kurzem ein neues Zuhause in seinem Haushalt gefunden hat. Auf seine Frage, ob sie mich denn stören würde, antwortete ich, dass dem nicht so wäre und fügte hinzu, dass es für mich undenkbar sei, Wilkoń zu lesen und Katzen nicht zu mögen. Wir mussten daraufhin beide lachen, eine gute Grundlage für unser Gespräch war gelegt.
Herr Maschmann, neben Ihrer Tätigkeit als Buchhändler engagieren Sie sich auch als Agent für den polnischen Maler, Illustrator und Bildhauer Józef Wilkoń (* 1930). Zudem haben Sie eine deutschsprachige Web-Galerie gestaltet, in der man einen Eindruck von dem Schaffen Wilkońs erhält. Woher rührt Ihre Begeisterung für Wilkoń, von der ich mich bereits als Kunde in Ihrer Buchhandlung überzeugen konnte?
Józef Wilkoń begleitet mich fast so lange, wie ich als Buchhändler im Geschäft bin, d.h. seit Beginn der 1990er-Jahre. Ich habe mich mit meiner Buchhandlung 1992 selbständig gemacht, unter anderem mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur. Dafür war damals folgende Überlegung ausschlaggebend. In Nottuln leben viele Familien mit Kindern. Die Idee, Bücher für junge Leser zu verkaufen, ist naheliegend. Józef habe ich bald darauf über einen gemeinsamen Freund, Georg Leifels, kennengelernt. Das muss um 1995 gewesen sein. Meine Frau und ich haben ihn zu uns eingeladen, waren bei ihm in Zalesie Dolne, in der Nähe von Warschau, zu Gast; es entwickelte sich eine langjährige Freundschaft, die bis heute besteht. Bei manchen Besuchen bei uns war er auf Durchreise, etwa wenn er zu Lesungen oder Terminen nach Deutschland kam.
(Die Stiftsbuchhandlung in Nottuln)
Seit wann sind Sie als Wilkońs Agent im deutschsprachigen Raum tätig?
Vor ungefähr sechs Jahren war die Situation für Józef Wilkoń in Deutschland unbefriedigend. Obwohl seit den 1960er-Jahren viele Titel erschienen sind und Wilkoń mehrfach ausgezeichnet und sogar für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, waren nunmehr die meisten Bilderbücher vergriffen, also nicht mehr auf dem Markt für neue Leser erhältlich. Gleichzeitig waren die Lizenzen und Rechte für viele seiner Titel in Deutschland ausgelaufen, die den Verlagen nur eine zeitlich befristete Nutzung seiner Werke einräumt. Da sich Wilkoń am liebsten ganz der künstlerischen Arbeit widmet, gleichzeitig aber an der Verbreitung seiner Werke in Deutschland interessiert ist, habe ich also in seinem Namen bei einigen Verlagen angefragt, was mit den Rechten los sei. Mit anderen Worten stellte ich die Verlage vor die Wahl: Entweder wir bekommen die Rechte zurück oder ihr legt seine Bücher neu auf.
Was ist seitdem passiert?
Erfreulicherweise sind im deutschsprachigen Raum, Russland, Argentinien und Spanien um die vierzehn Wilkoń-Bücher wiederveröffentlicht worden. So hat der Schweizer Nord-Süd Verlag »Der gute Wolf und andere Tiergeschichten« ins Programm genommen. In diesem Sommer ist bei Bohem Press »Wölfchen« mit Illustrationen von Józef Wilkoń und einem Text von Gerda Wagener neu aufgelegt worden. In ebenso wunderbarer Ausstattung (Leinen mit Prägung) folgt 2017 »Leopanther«, wofür ich Annabel Lammers, der Verlagsleiterin, sehr dankbar bin.
Nicht immer sind solche Lizensierungen lukrativ, so sind Bilderbücher in Russland beispielsweise sehr preiswert, die Gewinnspanne ist gering. Meine Motivation, solche Märkte zu erschließen, rührt daher vor allem aus meiner freundschaftlichen Verbundenheit mit Wilkoń und dem Wunsch, seinem Werk die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die es verdient. Auch im asatischen Raum war übrigens Wilkoń früher kein Unbekannter. Ich freue mich daher, dass demnächst bei einem befreundetem Verlag in Taiwan Wilkoń-Titel erscheinen werden.
Von meinem Selbstverständnis sehe ich mich als Vermittler zwischen Verlag und Künstler. Mittlerweile arbeite ich nicht nur für Józef Wilkoń, sondern auch für seinen Sohn Piotr, der zu einer ganzen Reihe von Bilderbüchern die Texte beigetragen hat. Außerdem vertrete ich die spanische Illustratorin Paz Rodero und die polnische Illustratorin Aleksandra Kucharska-Cybuch.
(Józef Wilkoń in seinem Atelier)
Zu meinen ›Lieblings-Wilkońs‹ gehört die ziemlich anarchisch daherkommende Zooausbruchsgeschichte »Die Tiere sind frei!«. Könnten Sie Klassiker hervorheben, die in keinem Buchregal fehlen dürfen?
Diese Frage ist mit Blick auf das vielfältige Werk Wilkońs nicht ganz einfach zu beantworten. Es sind nicht nur über 75 Titel ins Deutsche übersetzt worden, sie sind außerdem bei ganz unterschiedlichen Verlagen wie Nord-Süd , Patmos, Middelhauve, Parabel oder Bohem erschienen. »Wölfchen«, der »Katzenausflug« und »Leopanther« gehören wohl dennoch zu meinen Liebsten. Und auch die »Geschichte vom guten Wolf«, die von Peter Nickel geschrieben wurde. Wilkoń steht für einen Stil, der heute nicht mehr so populär ist: Joźef macht Kunst im Bilderbuch. Da ist aber etwas, was ich bewundernswert an Józef finde, was nur indirekt mit Büchern zu tun hat: Es ist seine Arbeit mit Kindern. Einmal durfte ich ihn in Berlin bei einer Lesung mit vielen jungen Zuhörern erleben, bei der er sein Talent für die Literaturvermittlung unter Beweis stellte.
Sie haben schon viel über die Verfügbarkeit der Werke Wilkońs im deutschsprachigen Raum berichtet. Wie ist die Situation in seinem Heimatland Polen?
Es ist beinahe paradox, dass Józef bis zum Jahr 2006 nur eingeschränkt bekannt war in Polen. Momentan jedoch reißen sich die polnischen Verlage um ihn, so sind dort beispielsweise erweiterte Neuausgaben seiner Interpretationen des »Don Quijote« und des polnischen Nationalepos »Pan Tadeusz« – ein Buch, dass in fast jedem polnischen Haushalt neben der Bibel steht – erschienen.
Schließlich ist Wilkoń auch künstlerisch neue Wege gegangen, wie sein neues Bilderbuch »Zbuntowany Elektron« zeigt. Der Clou dieser Grußmutter-Enkel-Geschichte ist, dass Wilkoń die Bilder mit Hilfe des Touchpads seines Tablets gemalt hat. Seine künstlerische Entwicklung ist also trotz seines Alters dynamisch. Und bei einem unserer letzten Treffen sagte er zu mir: »Gerd, ich bin froh, dass ich noch so arbeiten kann.« Und Arbeit heißt bei ihm wirklich Maloche.
Wie kommt es zu dieser erhöhten Popularität in Polen?
Ausschlaggebend war eine große Ausstellung mit Arbeiten Wilkońs in der »Galeria Zachęta« in Warschau, einem der bedeutendsten Kunstmuseen Polens. Dort zeigte sich für viele Besucher nochmal die Spannbreite seines Schaffens, das ja weit über Illustrationen hinausgeht. Beeindruckend sind seine Skulputuren. Er kann alles in die Hand nehmen, und macht was draus. Egal ob Holz oder Rinde aus dem Garten, er setzt zwei Augen rein und gestaltet im Nu ein Tier. [Herr Maschmann zeigte einige Fotos aus Wilkońs ›Gartenatelier‹] Toll diese Pelikane aus Blech oder diese ›Vogelvitrine‹, die entfernt an einen Adventskalender erinnert und jede Menge Kanarienvögel aus Holz zum Leben erweckt.
Wenn ich an Bilderbücher wie »Mister Browns Katze« denke , in dem sich im Haus von Mr. Brown eine zugelaufene Katze in einen Tiger verwandelt, scheint mir die Bedeutung des Phantastischen in seinem Werk nicht unerheblich zu sein. Würden Sie zustimmen?
Das Phantastische sehe ich nicht so stark. Wilkoń ist nah an allem. Er ist sehr nah bei den Tieren. Gerade seine Tier-Darstellungen haben etwas sehr Reales, wie bei seiner »Arche«, die in der »Galeria Zachęta« ausgestellt wurde. Er hat wirklich ein Händchen für figürliche Darstellung. Schaut man allerdings auf die Handlungsebene in vielen seiner Bücher, gehen diese in der Tat ins Phantastische, – als Person steht Wilkoń aber mitten in der Realität.
(Die »Arche«)
Kommen wir zum Schluss unseres Gesprächs noch ein letztes Mal zu den Bilderbüchern: Was würden Sie sagen: »Wer Józef Wilkoń mag, mag auch…?«
Mir fällt darauf eine Antwort schwer, dazu gibt es zu viele gute Leute unter den Autoren und Illustratoren, so viele gute Verlage. Ich will die Frage daher umdrehen: Wilkoń selbst ist ein großer Bewunderer von Wolf Erlbruch, der ist für ihn ein besonderer Künstler. Auch Štěpán Zavřel zählt zu seinen Favoriten. Beide haben in Sarmede, Italien gewirkt, u.a. sind da tolle Fresken von Wilkoń entstanden. Und wenn ich Wilkoń treffe, fragt er mich manchmal, wie es Janosch denn so gehe...
Herr Maschmann, Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche ein frohes neues Jahr.
Anmerkung: Das Gespräch fand am 29.12.16 in der Stiftsbuchhandlung in Nottuln statt. (bf)
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung, Sammlung Gerd Maschmann.