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Klassische Erzählweise vs Postmoderne in der SF


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214 Antworten in diesem Thema

#1 simifilm

simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 15:46

[Mod] Abgespalten vom Dezember-2010-Lesezirkel-Thread [/Mod]

Abschweifung: Es wäre sicher eine eigene Diskussion wert, warum diese Vorgehensweise, die ja in der modernen und postmodernen Literatur zum Standard gehört, in der Sciencefiction (und noch viel mehr in der Fantasy) oft noch immer mit so viel Ablehnung betrachtet wird. Das meine ich nicht als persönlichen Vorwurf an die Schreibenden hier, denen Delany nicht gefallen hat - das ist ja völlig legitim; ich lese nur diese Kritik von SF-Fans über Werke, bei denen die sprachliche Vermittlung im Vordergrund steht, nicht zum ersten Mal, und wundere mich. Mir scheint, dass der Entwurf alternativer Welten sich doch ganz wesentlich mit der Konstruktion unserer Welt(sicht) durch Sprache befassen müsste, mindestens ebenso sehr wie mit technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Insofern wären die postmodernen Formen der SF doch ausgesprochen angemessen. Ende der Abschweifung.


Abschweifung zur Abschweifung und schamlose Werbung in eigener Sache: In meinem Buch zum SF-Film gehe ich unter anderem just auf diese Frage, also auf den Zusammenhang von Erzählstil und SF, ein. Auch wenn es bei mir vorderhand um Film geht, gilt vieles von dem, was ich da schreibe, auch analog für die Literatur (respektive: ich stütze mich da primär auf Autoren, die sich zu SF-Literatur Gedanken machen und übertrage deren Überlegungen auf den Film). Es gibt meines Erachtens jenseits der Erwartungen der Leserschaft auch gewisse "modusinhärente" Gründe, weshalb die SF meist klassisch erzählt wird (geht in die Richtung von dem, was TrashStar schreibt).

Was Du da ansprichst, ist bis zu einem gewissen Grad just die Scheidelinie zwischen dem, was gemeinhin als Genre-SF und "hohe Literatur" bezeichnet wird. Wenn jemand SF-Motive "klassisch" erzählt (mehr oder weniger den Erzähltraditionen des bürgerlichen Realismus folgend), ist es Genre-SF, wenn jemand SF-Motive mit Erzähltechniken der Moderne und der Postmoderne vermischt, fällt es aus dem Genre-Rahmen. Das ist nun natürlich sehr verkürzt, und Erscheinungen wie die New Wave oder zum Teilen auch der Cyberpunk scheinen diese These auch zu widerlegen. Aber letztlich ging es der New Wave ja gerade darum, den Niederungen der Genre-Literatur zu entfliehen (und der Erfolg eines Gibsons weit über die SF hinaus dürfte genau mit der Fähigkeit zusammenhängen, an die Techniken der "hohen Literatur" anzuknüpfen). Siehe zu dem Thema auch: McHale, Brian: Constructing Postmodernism. New York 1992.

Aber eben: Abschweifung, und falls das Thema weiter diskutiert werden soll, würde ich einen eigenen Thread begrüssen.

Bearbeitet von Morn, 13 Dezember 2010 - 17:26.

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#2 Morn

Morn

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 17:06

Aber eben: Abschweifung, und falls das Thema weiter diskutiert werden soll, würde ich einen eigenen Thread begrüssen.


(Mich wuerde eine Diskussion darueber interessieren. Ich koennte allerdings erstmal nichts dazu beitragen - ausser das Thema aufzuspalten. Soll ich?)

#3 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 17:07

(Mich wuerde eine Diskussion darueber interessieren. Ich koennte allerdings erstmal nichts dazu beitragen - ausser das Thema aufzuspalten. Soll ich?)


Spalt doch mal.

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#4 Lucardus

Lucardus

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 18:19

Ich versuche mich mal einzuklinken, ist nur fraglich, ob ich dem Thema gewachsen bin. :smokin: Ich vermute und stelle das zumindest bei mir fest, dass diese vermeintliche Ablehnung viel damit zu tun hat, dass genau diese Art von SF-Literatur (und natürlich auch außerhalb der SF) oft wenig Spannung vermittelt bzw. die Autoren der Kunst, ihren sprachlichen Ausdrucksmitteln so zugeneigt sind, dass sie dabei vernachlässigen, dass ein nicht rein kunstinteressierter Leser auch gewisse Motivationen benötigt, die ihn, abseits der reinen Kunsterfahrung, bei der Stange halten. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Dhalgren ein gutes Beispiel für ein sprachexperimentelles Werk, das, wenn ich den Amazon- Rezensionen vertrauen kann (die gewöhnlich einen guten Schnitt darstellen, wenn eine gewisse Anzahl vorliegt), sehr gespaltene Reaktionen und bei vielen Genre-Leser Unverständnis und Ablehnung hervorrufen. Andere Beispiele fallen mir aber nicht ein, an denen man vielleicht erklären kann, was genau mit postmodernen Autoren gemeint ist bzw. was den Genre-Leser daran abstößt. Hat jemand konkrete Beispiele?
Goodreads: Ich lese gerade" (sorry, nur für "Mitglieder" sichtbar)
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#5 Pogopuschel

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 18:34

Ich habe Delany leider noch nicht gelesen, aber es ist mein Eindruck, dass »viele« SF-Fans die Geschichten lieber gerne geradlinig präsentiert haben möchten, ohne große Experimente oder erzählerische Kniffe. Vor allem die Fans, die auch anderen Genres gegenüber nicht sehr offen sind (Diese Aussage ist mein reines Vorurteil, und nicht zu belegen.). Deshalb kommen Bücher wie »Die gelöschte Welt« oder »Blumen für Algernorn«, wo sich die psychische Veränderung des Protagonisten sich in der Präsentation (Rechtschreibung, Grammatik und Ausdrucksweise) des Textes widerspiegelt. Keine Ahnung, ob da vielleicht die Sozialisation durch Perry Rhodan schuld ist.

#6 Lucardus

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 18:49

Keine Ahnung, ob da vielleicht die Sozialisation durch Perry Rhodan schuld ist.

Das glaube ich nicht, dann würde ich auch nur Perry Rhodan lesen, denn das habe ich lange Zeit ausgiebig getan. Allerdings nie ausschließlich. Ich glaube nicht, dass man unserem "geliebten Perry" da eine prägende Wirkung zuschreiben kann. Das wäre zu einfach. Vielleicht liegt es daran, dass viele SF-Leser vorwiegend technisch interessiert sind und aus diesem Grund SF lesen, aber nicht, weil sie an Sprache/Psychologie etc. pp. interessiert sind. Ich kann mich vage erinnern, dass ich Lems Solaris vor ca. 20 Jahren gelesen aber nicht genossen habe. Ich glaube, ich fand es langweilig. Den Film übrigens auch ... Während ich "Der Unbesiegbare" aus der selben Zeit irgendwie positiv in Erinnerung habe. Wie ich Solaris heute empfinden würde, weiß ich nicht. Ich bin auch nicht sicher, ob "Solaris" ein geeignetes Beispiel ist.
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#7 simifilm

simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 19:31

Ich versuche mich mal einzuklinken, ist nur fraglich, ob ich dem Thema gewachsen bin. :smokin:

Ich vermute und stelle das zumindest bei mir fest, dass diese vermeintliche Ablehnung viel damit zu tun hat, dass genau diese Art von SF-Literatur (und natürlich auch außerhalb der SF) oft wenig Spannung vermittelt bzw. die Autoren der Kunst, ihren sprachlichen Ausdrucksmitteln so zugeneigt sind, dass sie dabei vernachlässigen, dass ein nicht rein kunstinteressierter Leser auch gewisse Motivationen benötigt, die ihn, abseits der reinen Kunsterfahrung, bei der Stange halten.

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist Dhalgren ein gutes Beispiel für ein sprachexperimentelles Werk, das, wenn ich den Amazon- Rezensionen vertrauen kann (die gewöhnlich einen guten Schnitt darstellen, wenn eine gewisse Anzahl vorliegt), sehr gespaltene Reaktionen und bei vielen Genre-Leser Unverständnis und Ablehnung hervorrufen.

Andere Beispiele fallen mir aber nicht ein, an denen man vielleicht erklären kann, was genau mit postmodernen Autoren gemeint ist bzw. was den Genre-Leser daran abstößt. Hat jemand konkrete Beispiele?


Zur Ergänzung meines Ausgangspost und zur weiteren Erklärung (Achtung! Viele Verkürzungen und Zuspitzungen): Es geht hier nicht nur um postmoderne Autoren. Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht in der Literatur, was als Realismus resp. bürgerlicher Realismus bezeichnet wird. Das ist eine Form von Literatur, die den Anspruch hat, die "Welt so abzubilden, wie sie ist". In einer Zeit grosser wissenschaftlicher Durchbrüche, der industriellen Revolution etc. herrscht allgemein die Vorstellung, dass die Funktionsweise der Welt erkannt und durchschaut werden kann. Der literarische Realismus entsteht vor diesem Hintergrund. Hier wird eine geschlossene, in sich stimmige, nachvollziehbare schlüssige Welt erzählt. Und das betrifft sowohl die inhaltliche als auch die formale Seite. Es soll also - sehr vereinacht gesagt - nüchtern beschrieben werden, was ist. Diese Form des Erzählens, die auch als klassische Erzählweise bezeichnet wird, ist plus minus auch noch heute die weitest verbreitete Form des Erzählens; sie ist das, was viele wohl als "normales" Erzählen bezeichnen würde.

Mit der Jahrhundertwende ändert sich aber. Die Wissenschaft erkennt allmählich, dass die Welt doch nicht eindeutig durchschaubar ist, die Psychoanalyse postuliert, dass der Mensch nicht Herr im eigenen Haus ist, der Erste Weltkrieg führt in aller Drastik vor, dass die Welt doch nicht so rational ist und das Technikglaube in die Katastrophe führen kann. Die Literatur der Moderne antwortet darauf mit neuen Erzählformen, die alle mehr oder weniger davon ausgehen, dass die Welt eben doch nicht so eindeutig erfassbar ist. Autoren wie Musil, Joyce oder Kafka (um drei Bekannte zu nennen), entwickeln Erzählformen, die zum Ziel haben, die Brüchigkeit, Vielseitigkeit, Undurchschaubarkeit und Subjektivität der Welt zu betonen.

Wie gesagt: Die meiste populäre Literatur ist von diesen Entwicklungen allenfalls am Rande betroffen. Einige stilistische Neuerungen der Moderne wie etwa der innere Monolog werden Allgemeingut, vieles "sickert aber nicht nach unten". Die SF ist da keine Ausnahme, und man kann sogar argumentieren, dass diese Formen des Erzählens dem Modus grundsätzlich zuwider sind. Denn die SF propagiert ja ein wissenschaftliches Weltbild, geht von einer wissenschaftlich erkenn- und veränderbaren Welt aus. Die New Wave widerlegt diese allerdings, denn sie macht genau das: Sie führt zahlreiche Techniken der literarischen Moderne in die SF ein. Tatsächlich geht hiermit aber auch ein anderes Weltbild einher. Man nehme einen Autor wie Ballard: Hier geht es nicht mehr um das Erkunden des Weltraums, um technisches Verstehen der Welt, sondern um den inner space der Seele. Auch Delany ist in diesem Umfeld anzusiedeln.

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#8 Amtranik

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 19:41

Ich bin ja immer noch so vermessen für mich einzufordern das ein Roman einfach Spaß machen muß. Lesen tue ich aus den gleichen Gründen wieso ich bspw TV schaue oder ins Kino gehe, aber nicht mit der gleichen intension die ich habe wenn ich ein Physikbuch oder anderes Sachbuch lese. In erster Linie möchte ich gerne Unterhalten werden. Von daher muß ich zumindest schon mal verstehn was der Autor schreibt. Wenn ich probleme habe die Sprache überhaupt erst zu verstehn dann ist das Ziel für mich schon verfehlt. Wenn ich erst einen Sprachkurs absolvieren oder andere Literatur zur Rate ziehn muß um ein Werk zu verstehn ist das definitiv nichts für mich und ein Sinn sich solches mühsam zu erarbeiten erschliesst sich mir auch nicht wirklich. Wozu gibt es Sachbücher, Lehrbücher etc? Romane sollen mich unterhalten und das geht nur wenn das geschriebene auch einen Sinn für mich ergibt.

#9 eRDe7

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 19:46

@ Simifilm
Schöne Zusammenfassung.

Die meiste populäre Literatur ist von diesen Entwicklungen allenfalls am Rande betroffen. Einige stilistische Neuerungen der Moderne wie etwa der innere Monolog werden Allgemeingut, vieles "sickert aber nicht nach unten". Die SF ist da keine Ausnahme, und man kann sogar argumentieren, dass diese Formen des Erzählens dem Modus grundsätzlich zuwider sind. Denn die SF propagiert ja ein wissenschaftliches Weltbild, geht von einer wissenschaftlich erkenn- und veränderbaren Welt aus.


Das ist der Grund, weshalb mir die meisten "populären Autoren" nicht zusagen, und ich lieber bei Dick, Vonnegut, Ballard, Pynchon usw. bleibe - und endlich mal mehr von Delany lesen sollte, bisher kenne ich nur NOVA.

R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)

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#10 Theophagos

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 19:47

Keine Ahnung, ob da vielleicht die Sozialisation durch Perry Rhodan schuld ist.

Gilt jedenfalls nicht für mich - ich habe in meiner Jugend z. T. exzessiv "Perry Rhodan" & "John Sinclair" gelesen und finde postmoderne Literatur heute (gelegentlich) spannend.

Ich glaube, ob ein Leser mit postmoderner Literatur etwas anfangen kann oder nicht, ist eine Frage seiner Haltung gegenüber der Literatur im Allgemeinen: Will er einen fiktionalen Gebrauchstext/unterhalten werden oder hält er Literatur für Kunst? Die meisten Genre-Leser (das gilt für SF und Fantasy genauso wie für Horror, Thriller, Krimi, Liebesroman etc.) wollen eben "nur unterhalten werden". (Das nicht jeder SF-Roman auch ins SF-Genre gehört (sondern Kunst ist) und nicht jeder Mainstream-Roman auch als Kunstwerk zu überzeugen weiß (weil er nach Genre-Maßstäben geschrieben wurde), ist ein anderes Problem.)

Übrigens halte ich Lems "Solaris" keineswegs für postmodern - sprachliche Durchgeformtheit & psychologisierte Figuren sind ja kein spezielles Merkmal für postmoderne Werke. Klare Beispiele (die auch für Phantastik-Freunde interessant sein könnten) wären etwa Mark Z. Danielewskis "Das Haus. House of Leaves", Chuck Palahniuks "Das Kainsmal" oder Salvador Plascencias "Menschen aus Papier". Mit Abstrichen (in Hinsicht der Eindeutigkeit) auch Hal Duncans "Vellum" & "Signum" und Jeff VanderMeers "Stadt der Heiligen und Verrückten".

Theophagos
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#11 Gerd

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 19:47

@ simi: Bevor ich über das Thema länger nachdenke, würde mich eines interessieren: Hast du jemals Delany gelesen - und wenn ja, was?
Sudden moroseness. One hop too far.

#12 simifilm

simifilm

    Cinematonaut

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:07

Ich bin ja immer noch so vermessen für mich einzufordern das ein Roman einfach Spaß machen
muß.
Lesen tue ich aus den gleichen Gründen wieso ich bspw TV schaue oder ins Kino gehe, aber nicht
mit der gleichen intension die ich habe wenn ich ein Physikbuch oder anderes Sachbuch lese.

In erster Linie möchte ich gerne Unterhalten werden. Von daher muß ich zumindest schon mal
verstehn was der Autor schreibt. Wenn ich probleme habe die Sprache überhaupt erst zu verstehn
dann ist das Ziel für mich schon verfehlt. Wenn ich erst einen Sprachkurs absolvieren oder andere
Literatur zur Rate ziehn muß um ein Werk zu verstehn ist das definitiv nichts für mich und ein Sinn
sich solches mühsam zu erarbeiten erschliesst sich mir auch nicht wirklich.

Wozu gibt es Sachbücher, Lehrbücher etc?

Romane sollen mich unterhalten und das geht nur wenn das geschriebene auch einen Sinn für mich
ergibt.


Es gibt durchaus unterschiedliche Vorstellungen davon, was einen unterhält. Die ersten paar 100 Seiten von Musils Mann ohne Eigenschaften gehören für mich zum unterhaltsamsten, was ich je gelesen habe. Und wenn ich gefordert werde, kann mich durchaus auch unterhalten.

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#13 simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:09

Übrigens halte ich Lems "Solaris" keineswegs für postmodern - sprachliche Durchgeformtheit & psychologisierte Figuren sind ja kein spezielles Merkmal für postmoderne Werke.


Zustimmung. Vom Stil her ist Lem ziemlich klassisch.

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#14 simifilm

simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:11

@ simi:

Bevor ich über das Thema länger nachdenke, würde mich eines interessieren: Hast du jemals Delany gelesen - und wenn ja, was?


Ich habe von Delany sehr viele theoretische Texte über SF gelesen (wohl so ziemlich alles, was einigermassen gut greifbar ist). Ansonsten nur Babel-17, der aber wohl zum Konventionelleren gehört, und einige Kurzgeschichten. Trouble on Triton ist schon länger auf meiner To-do-Liste.

Bearbeitet von simifilm, 13 Dezember 2010 - 20:13.

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#15 Susanne11

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:20

Denn die SF propagiert ja ein wissenschaftliches Weltbild, geht von einer wissenschaftlich erkenn- und veränderbaren Welt aus. Die New Wave widerlegt diese allerdings, denn sie macht genau das: Sie führt zahlreiche Techniken der literarischen Moderne in die SF ein. Tatsächlich geht hiermit aber auch ein anderes Weltbild einher.

Es ist das Kleben an einem Weltbild, dass es wissenschaftlich gesehen schon seit längerem nicht mehr gibt. Die Erkenntnisse/Interpretationen der Quantenphysik lassen ein sehr exotisches Universum erscheinen, jenseits von Linearität und Kausalität.

Ebenso sind die Erkenntnisse von z.B. Husserl, Wittgenstein, von Foerster bei der Mehrzahl der Autoren auch noch nicht angekommen.

Der "normale" Roman oder Film tut doch nichts anderes, als den Leser bzw. Zuschauer anhand konditionierter Reflexe und automatischer Reaktionen durch die Handlung zu führen. Führt ein Autor Inhalte oder Formen ein, die beim Leser keine automatischen Reaktionen entstehen lassen, ist dieser verunsichert, weil er erst mal nichts versteht. Jetzt müsste er aufhören zu konsumieren und aktiv in einen Prozess mit dem Buch eintreten. Entweder tut der Leser das oder er legt das Buch frustriert weg und verlangt nach dem, was ihm diese Reflexe beschert.

Beim Kino ist das schon schwieriger, weil alles so schnell geht und man den Film nicht anhalten kann und die Sache dadurch eine Art Zwangscharakter bekommt. Der Film zwingt einem bestimmte Reaktionen auf, denen man nicht so ohne weiteres entkommen kann.

Ich glaube, dass ist auch der Grund, warum ich das Buch "Die Straße" regelrecht hasse. McCarthy hat es total drauf, bestimmte emotionale Reaktionen zu erzwingen und es ist schwer, sich dem zu entziehen.

Bearbeitet von TrashStar, 13 Dezember 2010 - 20:53.


#16 †  a3kHH

†  a3kHH

    Applicant for Minion status in the Evil League of Evil

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:43

(Mich wuerde eine Diskussion darueber interessieren. Ich koennte allerdings erstmal nichts dazu beitragen - ausser das Thema aufzuspalten. Soll ich?)

Spalter !


#17 eRDe7

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:45

Vor gut 10 Jahren gab es die Behauptung, die Postmoderne sei mit THE MATRIX im Mainstream angekommen.
Inzwischen ist es doch vielleicht tatsächlich schon ein Klischee, dass alles nicht das ist, was es zu sein scheint.

Ebenso sind die Erkenntnisse von z.B. Husserl, Wittgenstein, von Foerster bei der Mehrzahl der Autoren auch noch nicht angekommen.


Oder sie wissen sie nicht umzusetzen. Wenn ich an meinen "Balkonstaat" denke, da kam mir nichts Besseres in den Sinn als Heinz von Foerster und Humberto Maturana in die Geschichte als Figuren einzubauen ...
Ich wünschte, ich hätte mal das Durchhaltevermögen und den Intellekt, ein Buch wie das von Theophagos erwähnte "Menschen aus Papier" zu schreiben.

Bearbeitet von eRDe7, 13 Dezember 2010 - 20:49.

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#18 simifilm

simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 20:58

Vor gut 10 Jahren gab es die Behauptung, die Postmoderne sei mit THE MATRIX im Mainstream angekommen.
Inzwischen ist es in doch vielleicht tatsächlich schon ein Klischee, dass alles nicht das ist, was es zu sein scheint.


Leider ist "postmodern" einer sehr missbrauchter Begriff, der je nach Kontext ganz Unterschiedliches bezeichnen kann. Sehr vereinfacht gesagt kann man sagen, dass es in der Moderne darum geht, dass die Realität nicht eindeutig fassbar ist, während es in der Postmoderne mehrere Realitäten gibt (so definiert das McHale in dem bereits erwähnten Buch. Jemand wie Fredric Jameson hat da einen ganz anderen, viel stärker politisch orientierten Postmoderne-Begriff). Was Du mit "nicht alles ist das, was es zu sein scheint", ist in dem Sinne eher modern und geht philosophiegeschichtlich ein ganzes Stück weiter zurück. Was die Postmoderne stilistisch auszeichnet, ist spielerisches Vermischen von Stilen, Zitate (beides Aspekte, die sicher auf Matrix zutreffen), Aufheben der Grenzen zwischen Hoch- und Tiefkultur.

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#19 eRDe7

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 21:31

Komischerweise war ich immer der Meinung, dass die Moderne sich dadurch auszeichnete, eben doch eindeutig definierbar zu sein (eindeutige, gültige Wege zu finden, Methodiken etc.) und die Postmoderne zeigt, dass "anything goes". Scheine ich seit Jahren einem Irrtum aufzusitzen. Mein "nicht alles ist das ..." war zugegebenermaßen etwas schnell hingeschrieben.

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#20 simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 21:35

Komischerweise war ich immer der Meinung, dass die Moderne sich dadurch auszeichnete, eben doch eindeutig definierbar zu sein (eindeutige, gültige Wege zu finden, Methodiken etc.) und die Postmoderne zeigt, dass "anything goes".
Scheine ich seit Jahren einem Irrtum aufzusitzen.


Anscheinend. :smokin: Schau nur mal, welche Autoren zur Moderne gezählt werden. Oder auch in der Malerei - Kandinsky, Picasso, Braque etc. da geht's ebenfalls nicht mehr um "objektive Abbildung".

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#21 eRDe7

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 21:46

Ich meinte auch weniger "objektive Abbildung" als Vertrauen auf eine Theorie.
So Richtung Lyotard und das "Ende der großen Erzählungen". Ich zitiere mal aus Wikipedia:
"Die einzelnen modernen „Erzählungen“ legten, so Lyotard, der Welterklärung jeweils ein zentrales Prinzip zu Grunde (z. B. Gott oder das Subjekt), um auf dieser Grundlage zu allgemeinen Aussagen zu kommen. Damit scheiden sie jedoch das Heterogene aus oder zwingen das Einzelne unter eine allgemeine Betrachtungsweise, welche gewaltsam dessen Besonderheiten einebnet. Lyotard setzt an die Stelle eines allgemeingültigen und absoluten Erklärungsprinzips (Gott, Subjekt, Vernunft, Systemtheorie, marxistische Gesellschaftstheorie etc.) eine Vielzahl von Sprachspielen, welche verschiedene „Erzählungen“, also Erklärungsmodelle anbieten."
http://de.wikipedia....iki/Postmoderne
Aber ich habe mich nie damit wirklich in der Theorie beschäftigt und habe eigentlich auch nicht vor, es zu tun.

Solange wir einigermaßen wissen, wovon wir reden, wenn wir die Begriffe benutzen, ist das ja okay.

R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)

R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)

 


#22 fictionality

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 22:15

Ich denke, gerade die SF sollte in punkto Sprachkreativität eine Vorreiterrolle einnehmen, da es hier um die Zukunft geht, und es scheint doch sehr wahrscheinlich, dass auch die Sprache in Zukunft vielen Änderungen unterworfen werden wird. Ob ein Erzählstil experimentell sein sollte, weiß ich nicht, ist aber nicht unbedingt verwerflich. Man sollte sich als Leser zumindest damit anfreunden, auch in diesem Genre zunehmend auf Autoren und Werke zu treffen, die sich der Sprache schöpferisch bedienen und neue Wege aufzeigen möchten, wie man mit Sprache in Zukunft umgehen könnte. Ich bin selbst Lyriker und somit immer offen für neue Sprachkonstrukte und sogar dankbar dafür, wenn ein Autor dieselben niederschreibt. Nichtsdestotrotz sollte ein Text Handlung beinhalten und Spannung aufbauen - lediglich eine moderne Sprache macht aus keiner Story einen Hingucker. Ich selbst versuche in meinen Texten sowohl Atmosphäre durch einen eigenwilligen Sprachstil, als auch Spannung oder Humor durch die Themenwahl aufzubauen. Beides zu kombinieren ist das wirklich Schwierige für einen Autor.

#23 simifilm

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 22:26

Ich meinte auch weniger "objektive Abbildung" als Vertrauen auf eine Theorie.
So Richtung Lyotard und das "Ende der großen Erzählungen". Ich zitiere mal aus Wikipedia:
"Die einzelnen modernen „Erzählungen“ legten, so Lyotard, der Welterklärung jeweils ein zentrales Prinzip zu Grunde (z. B. Gott oder das Subjekt), um auf dieser Grundlage zu allgemeinen Aussagen zu kommen. Damit scheiden sie jedoch das Heterogene aus oder zwingen das Einzelne unter eine allgemeine Betrachtungsweise, welche gewaltsam dessen Besonderheiten einebnet. Lyotard setzt an die Stelle eines allgemeingültigen und absoluten Erklärungsprinzips (Gott, Subjekt, Vernunft, Systemtheorie, marxistische Gesellschaftstheorie etc.) eine Vielzahl von Sprachspielen, welche verschiedene „Erzählungen“, also Erklärungsmodelle anbieten."
http://de.wikipedia....iki/Postmoderne
Aber ich habe mich nie damit wirklich in der Theorie beschäftigt und habe eigentlich auch nicht vor, es zu tun.


Die Moderne kennt die grossen Erzählungen im Sinne Lyotards noch; zum Beispiel eben die Psychoanalyse oder den Marxismus.

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#24 Konrad

Konrad

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Geschrieben 13 Dezember 2010 - 22:48

Wie gesagt: Die meiste populäre Literatur ist von diesen Entwicklungen allenfalls am Rande betroffen. Einige stilistische Neuerungen der Moderne wie etwa der innere Monolog werden Allgemeingut, vieles "sickert aber nicht nach unten". Die SF ist da keine Ausnahme, und man kann sogar argumentieren, dass diese Formen des Erzählens dem Modus grundsätzlich zuwider sind. Denn die SF propagiert ja ein wissenschaftliches Weltbild, geht von einer wissenschaftlich erkenn- und veränderbaren Welt aus. Die New Wave widerlegt diese allerdings, denn sie macht genau das: Sie führt zahlreiche Techniken der literarischen Moderne in die SF ein. Tatsächlich geht hiermit aber auch ein anderes Weltbild einher. Man nehme einen Autor wie Ballard: Hier geht es nicht mehr um das Erkunden des Weltraums, um technisches Verstehen der Welt, sondern um den inner space der Seele. Auch Delany ist in diesem Umfeld anzusiedeln.

Ich bin nicht sicher, ob man New Wave in Bezug auf die Themen so verallgemeinern darf.
Z.B. waren Bradbury und Sturgeon Autoren, die sich auch schon vor dem New Wave mit dem "Inner Space" beschäftigt haben.
Und John Brunners "Morgenwelt" ist ein New-Wave-Roman, der versucht, mit einer Kollage-Technik ein technisch politisches Gesamtbild der Zukunft zu zeichnen.
Ich sehe New Wave eher als die Zeit, wo man stilistisch experimentiert, mehr gewagt hat.

Bearbeitet von Konrad, 13 Dezember 2010 - 23:49.


#25 simifilm

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 06:51

Ich bin nicht sicher, ob man New Wave in Bezug auf die Themen so verallgemeinern darf.
Z.B. waren Bradbury und Sturgeon Autoren, die sich auch schon vor dem New Wave mit dem "Inner Space" beschäftigt haben.
Und John Brunners "Morgenwelt" ist ein New-Wave-Roman, der versucht, mit einer Kollage-Technik ein technisch politisches Gesamtbild der Zukunft zu zeichnen.
Ich sehe New Wave eher als die Zeit, wo man stilistisch experimentiert, mehr gewagt hat.


Wie schon zu Beginn gewarnt: Ich habe stark verallgemeinert. Und gerade bei Strömungen wie der New Wave ist es immer schwierig, auch nur halbwegs eindeutig festzumachen, was diese denn genau ausmacht. Du hast einerseits programmatische Texte - etwa von Moorcock -, die polemisch bestimmte Dinge ablehnen und andere fordern. Dann hast Du die Anti-New-Waver, die dagegen sind, und dann hast Du die literarischen Texte selbst. Wobei weder unter den Autoren selbst, noch in der Sekundärliteratur Einigkeit herrscht, welche Autoren und Werke denn nun zur New Wave gezählt werden sollen. Ich zitiere mich selbst: "Die Frage, welche Autoren der New Wave zuzurechnen sind und ob man überhaupt von einer eigentlichen Bewegung oder Strömung sprechen kann, ist umstritten. Während Keim in der New Wave ein primär britisches Phänomen sieht, ist Rottensteiner der Ansicht, dass die beiden US-amerikanischen Autoren Thomas M. Disch und John Sladek auf jeden Fall dazu gehören (1972: 346)" (Konstitution des Wunderbaren, S. 154). - Unbestritten ist wohl die Erweiterung des stilistischen Repertoires, die man im Wesentlichen als ein Nachholen von literarischen Techniken betrachten kann, die ausserhalb der SF bereits erprobt wurden. Damit gehen oft auch andere inhaltliche Interessen einher.

Zugleich (resp. etwas früher) findet ausserhalb der SF etwas anderes statt: Autoren wie Pynchon oder Burroughs (nicht Edgar Rice), die man heute zu den Postmodernen zählt, verwenden in ihren Texten, die definitiv nicht zur Genre-SF zählen, SF-Motive.

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#26 Konrad

Konrad

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 08:01

Wie schon zu Beginn gewarnt: Ich habe stark verallgemeinert. Und gerade bei Strömungen wie der New Wave ist es immer schwierig, auch nur halbwegs eindeutig festzumachen, was diese denn genau ausmacht.

Ja, da hast du recht.
Grundsätzlich stimme ich dir auch zu, daß eine Veränderung der Themen stattgefunden hat.
Ich würde es nur nicht auf "Inner Space" begrenzen wollen.
Damon Knights KG-Reihe "Orbit" ist ein schönes Beispiel über die Bandbreite der Themen.

Insgesamt muß man konstatieren, daß der Zeitgeist der 68er dazu geführt hat, die Enge des SF-Genre aufzubrechen, und das gilt sowohl für den Stil als auch für die Themen.

#27 Naut

Naut

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 08:45

Ich denke, mal ganz laienhaft, dass viele SF-Leser gar keine wirklich "neuen" Dinge suchen, sondern nur Exotismen. Es geht dabei wirklich um Fluchtliteratur, im selben Sinne wie etwa Reiseerzählungen oder Arztromane, die wohlvertraut-exotische Sujets wieder und wieder erzählen. Die eine oder andere "Innovation" trägt dabei nur zur Zementierung des Wohlfühlnestes bei. Ein ungewöhnlicher Erzählstil stünde da nur im Weg. Das klingt jetzt negativer als ich es eigentlich meine, denn es gibt ja nun mal nicht "den" SF-Leser, und demzufolge gibt es gar nicht "die " SF. Es gibt Motive, die von den unterschiedlichsten Autoren eingesetzt werden. Manchmal entwickeln sich diese Autoren sogar weiter, schrieben sie gestern noch bunte Planeten-SF, so morgen vielleicht schon experimentelle Inner-Space-Sachen. Die Überspitzung dieser Wohlfühl-SF-Ideen sehe ich derzeit in den neueren "Steampunk"-Veröffentlichungen. Anders als die Steampunk-Werke der 70er bis 90er geht es hier wenig um das aufbrechen von Konventionen, weder erzählerischer noch inhaltlicher, sondern eher um eine kuschelige Retro-Anmutung wie ein angenehm abgegriffener Jules-Verne-Wälzer. Autoren dieser Generation imitieren sogar zuweilen den Erzählstil dieser Epoche. Dahinter steht wohlmöglich eine Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit, die es so niemals gegen hat - die es aber hätte geben sollen. So, wie sich die Steamer (ich weigere mich etwas, sie als "Punks" zu bezeichnen) nach einer Gentleman-Gesellschaft sehnen, wollen viele SF-Leser wieder das Gefühl erleben, das sie bei ihrem ersten Perry Rhodan, Star Trek, Asimov oder Heinlein hatten. Konventionelle SF bietet das zuweilen.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#28 molosovsky

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 09:08

Irgendwo im Netz gibt es einen lesenswerten Essay dazu, dass die Nebula Awards 1973 eine Art Richtungsentscheidung der SF waren.

Nominiert waren u.a. "Rendezvous with Rama" von Arthur C. Clarke und "Gravitie's Rainbow" von Thomas Pynchon. Ersterer hat gewonnen.

Ich bin nicht der Ansicht, dass sich die SF großartig anders entwickelt hätte, wenn Pynchon gewonnen hätte. Aber auf die Spitze getrieben ist die Entscheidung für Clarke schon als Indikator lesbar.

Ahhh. Hab den Essay gefunden. Ist von Jonathan Lethen: "The Squandered Promise of SF".

Grüße
Alex / molo

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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#29 simifilm

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    Cinematonaut

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 09:21

Irgendwo im Netz gibt es einen lesenswerten Essay dazu, dass die Nebula Awards 1973 eine Art Richtungsentscheidung der SF waren.

Nominiert waren u.a. "Rendezvous with Rama" von Arthur C. Clarke und "Gravitie's Rainbow" von Thomas Pynchon. Ersterer hat gewonnen.

Ich bin nicht der Ansicht, dass sich die SF großartig anders entwickelt hätte, wenn Pynchon gewonnen hätte. Aber auf die Spitze getrieben ist die Entscheidung für Clarke schon als Indikator lesbar:


In der Zuspitzung ist diese Gegenüberstellung zwar eine schöne Illustration, aber ich gehe mit Dir einig, dass es nichts geändert hätte, wenn Pynchon gewonnen hätte. Es geht hier ja nicht um Preise, sondern um Leser, um Märkte. Wie schon oben angemerkt, geht es es hier auch um die Frage «Genre oder nicht Genre» resp. die hier im Forum oft behandelte Frage U vs. E (oder in meiner Terminologie Genre und Modus). Als massentaugliches Unterhaltungsgenre ist die SF per se nun mal nicht sonderlich innovativ, wenn es um stilistische und erzählerische Fragen geht. Auch ein Preis wie der Nebula-Award kann ja nicht die Lesegewohnheiten von Millionen von Lesern ändern. Die Mehrheit der Leser will nun mal - und das meine ich weitgehend wertungsfrei - unterhaltende Genreliteratur und nicht postmoderne Wahnsinnswerke wie Gravitie's Rainbow. Wenn man als Leser aber die Genregrenzen hinter sich lässt, wird man feststellen, dass es mehr als reichlich "E-Literatur" gibt, die zwar nicht als Genre-Werke daherkommen, die aber dennoch SF sind.

Bearbeitet von simifilm, 14 Dezember 2010 - 10:09.

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#30 Theophagos

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Geschrieben 14 Dezember 2010 - 10:07

Ich bin nicht der Ansicht, dass sich die SF großartig anders entwickelt hätte, wenn Pynchon gewonnen hätte. Aber auf die Spitze getrieben ist die Entscheidung für Clarke schon als Indikator lesbar.


Sehe ich ganz genauso.

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  • • (Film) Neuerwerbung: Arrival (USA 2016, R: Denis Villeneuve)


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