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Karla Schmidt (Hrsg.) - Hinterland, Teil 2


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167 Antworten in diesem Thema

#61 karla

karla

    Cybernaut

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Geschrieben 20 Januar 2011 - 16:18

ja, schon... aber ich hab das nicht darauf bezogen - vielleicht jetzt, wo Du drauf hinweist... ;)


Aber man muss das schon auf das Sperma am Degen beziehen. Anders kanns da ja nicht drangekommen sein, denn der Degen war ja bei der Orgie dabei, oder?

Dann schon eher am Schluss (S.280), wo er davon spricht, "was ich nur im Nebel greifen kann"... Auch kommt ja mehrfach durch, dass Mr Bird den Freispruch Neon Wipes als falsch ansieht und ihn nicht besonders schätzt. Also, Rache für Little Charm liegt in der Luft oder "die Antithese", wie es am Ende (281) heißt. Und Fennek enlastet ihn - wohl auch mit Absicht. Höhere Gerechtigkeit?


Nur: Der "Künstler" hat sich freiwillig auf den Stuhl gesetzt. Er ist nicht aus Rache ermordet worden, sondern hat seine Erkunstmordung inszeniert. Das einzige, was er noch zu bieten hatte und vielleicht auch eine Art Sühne?
Und dass der Mörder des Mörders entwischt ist, ist doch eigentlich genug ausgleichende Gerechtigkeit.
Und: Fennek entlastet Bird, indem er ihn als Mitläufer des widerlichen Hirst-Systems belastet: Er macht bei Hirsts Orgien mit. Der Spermadegen ist der Beweis.

Also, man ahnt schon etwas, aber es bleibt recht diffus...
Aber, vielleicht muss das auch so sein, passend zur Indifferenz der Kunst insgesamt...


Jaaa - immer schön breite Interpretaionsanebote bereit halten! :)

#62 methom

methom

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Geschrieben 20 Januar 2011 - 19:52

Die Welt von Triptychon fand ich schon faszinierend. Die Idee, Mord straffrei zu lassen, wenn er ein Kunstwerk darzustellen ist so originell wie absurd. Daher wäre ich auch nie auf die Idee gekommen, diese Geschichte als die Darstellung einer tatsächlich möglichen gesellschaftlichen Entwicklung zu sehen. Es ist halt eine Satire. Gleichzeitig ist es aber auch eine Kriminalgeschichte. Und da hat mich ein wenig das bereits angesprochene Problem gestört, dass der Ich-Erzähler offensichtlich irgendwie darin verwickelt ist, aber das vor dem Leser geheim hält. Wieso erzählt er denn dann die Geschichte?
Ich hätte mir da eine schlüssigere Auflösung gewünscht. (Einige meiner gedanklichen Lücken wurden zum Glück durch die Diskussion hier schon gefüllt.) Trotzdem hat mir die Geschichte ganz gut gefallen.

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#63 b_streun

b_streun

    Limonaut

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 00:25

Aber man muss das schon auf das Sperma am Degen beziehen. Anders kanns da ja nicht drangekommen sein, denn der Degen war ja bei der Orgie dabei, oder?

tja, das wissen wir nicht, oder? Der Degen ist vor allem die Mordwaffe...
Also, entweder war der Degen vor dem Mord bei der Party und Mr Bird hat ihn da vollgesabbert und jemand anders hat ihn dann mitgenommen zu Herrn Wipe... oder dieser jemand war Mr. Bird selbst... und der Degen war nie auf der Party und Fennek weiß Bescheid, deckt ihn aber... oder...

Nur: Der "Künstler" hat sich freiwillig auf den Stuhl gesetzt. Er ist nicht aus Rache ermordet worden, sondern hat seine Erkunstmordung inszeniert. Das einzige, was er noch zu bieten hatte und vielleicht auch eine Art Sühne?

tja, darüber dürfen wir nun sinnieren....

Jaaa - immer schön breite Interpretaionsanebote bereit halten! ;)

so ist es!

#64 Jaktusch † 

Jaktusch † 

    Andronaut

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 00:36

Triptychon
Das war eine Überraschung. Markolf Hoffmann kannte ich nur dem Namen nach, verband ihn mit Fantasy (les' ich eher nicht) und erwartete eine Geschichte mit Elfen...Und dann das!
Ich glaube nicht, dass der Autor nur "splattern" wollte (da erreicht er hier gar keine passende Kundschaft, dann würde er Filme machen..), auch Krimi, SF oder Groteske (wie bei Kruschel) hab ich eher nicht gesehen. Nein, hier geht's ums Menschsein an sich, um Regelsysteme, die Menschen sich schaffen. Die Kunst (der Kunstbetrieb) ist auch nur eine Metapher.
Eine starke Geschichte.
(und dass der Ich-Erzähler<!> nicht die ganze Wahrheit erzählt, ist noch das Tüpfelchen auf dem i)

Jaktusch
Man erwirbt keine Freunde, man erkennt sie.

#65 karla

karla

    Cybernaut

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 07:51

Triptychon
Das war eine Überraschung.
... Eine starke Geschichte.


Freut mich sehr! ;)

Nun wiederhole ich mein gestriges Posting heute einfach nochmal. Für die, die schon soweit sind:

Alexandr Voinov: Nicht Amerika


Basierend auf "This is not America", ein Stück von Bowie und Pat Metheny, ein Track zu einem Film aus den 80ern: The Falcon and the Snowman (von John Schlesinger, u.a. mit Sean Penn), ein Spionagefilm (USA und Sowjetunion), der sich sehr um die Psychologie der Figuren kümmert.
Lexikon des internationalen Films: „Nach authentischen Ereignissen in atmosphärisch dichten Szenen inszenierte schwarze Komödie, die weniger am Kriminal- und Spionagefall interessiert ist als am Werteverlust und den Problemen der Lebenslüge sowie an der politischen Desillusionierung einer Nation.“

Genau darum geht es auch in dem Song. Ich poste mal eine live-Version von 2002. Da kommt zwar das 80er-Jahre Feeling nicht so arg rüber. Dafür aber Bowies Stimme. Und irgendwie passt es für mich stimmungsmäßig besser zu Alex' Geschichte.

Musik: http://www.youtube.c...feature=related
Lyrics: http://www.lyricsfre...a_20037075.html

(Da haben sich zwar zwei Fehler eingeschlichen, bei den Lyrics. Aber sooo genau wird es hier wahrscheinlich eh niemand wissen wollen, oder?)

Alex' Geschichte hängt sich an der melancholisch-endgültiger Stimmung des Songs auf, vor allem an diesem schmerzhaften Identitätsverlust. Wie im Film/Song wird "das gute alte Amerika" ("the biggest sky", Land der unbegrenzten Hoffnungen und Möglichlkeiten) es diesmal nicht richten können, und die Apokalypse entsteht mitten im Machtzentrum des Kapitalismus.

Die Story ist eine "ganz normale" Zombie-Apokalypse ohne große Überraschungen, die für mich jedoch mit dem traurig-poppigen Song im Hinterkopf stark gewinnt.
Drum empfehle ich in diesem Fall: Tatsächlich mal anhören und im Geiste durch das Großraumbüro der Broker laufen, in dem Zombies versuchen, Süßigkeitenautomaten aufzukratzen.

LG, Karla

#66 T. Lagemann

T. Lagemann

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 09:33

Hallo zusammen,

Triptychon: Für mich kein Splatter-Text, sondern einer über Kunst. Und vielleicht auch darüber, dass es in der Krimiszene immer blutiger zugeht, die Morde der beinah allgegenwärtigen Serienmorde immer "kunstvoller" werden. Derlei Fiktionen auf die Wirklichkeit übertragen, ja, das könnte zu Szenarien wie in Triptychon führen. Gepackt hat mich der Text nicht so richtig, da ich auch nach zweimaligem Lesen nicht hinter die Geschichte gestiegen bin. Zu viele Andeutungen bleiben (mir) unaufgelöst. Gefallen hat mir die trotz der blutigen Inszenierungen unaufgeregte Sprache.

VG
Tobias
"Wir sind jetzt alle Verräter."
"Ha!", machte die alte Dame. "Nur wenn wir verlieren."

(James Corey, Calibans Krieg)

"Sentences are stumbling blocks to language."

(Jack Kerouac in einem Interview mit der New York Post, 1959)

"Na gut, dann nicht, dann bin ich eben raus
Ich unterschreib' hier nichts, was ich nicht glaub'
Na gut, dann nicht, nicht um jeden Preis
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#67 Heidrun

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 12:23

Was ich bisher recherchiert habe, dreht mir aber mehr den Magen um als jede Folterszene ...

Was ich zum Thema sehr interessant fand, ist dieses:
http://www.amazon.co...#R1U5UPYIX6SVRF
(Dave Grossman: On Killing)
Man muß den Autor nicht mögen, aber man erfährt dabei, wie Typen ticken, die Soldaten abrichten. Er argumentiert wortreich, daß die USA den Krieg gewonnen hätten, wenn sich die Vietnamesen nur an die Regeln gehalten hätten. Er ist gut, wo er über Automatismen und Reaktionen unter Streß schreibt.
Außerdem hast Du mich an was erinnert: ich habe im Flugzeug nach Dallas neben einem Afghanistan-Heimkehrer gesessen. Der las die ganze Zeit in der Bibel. Irgendwie auch komisch.
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#68 Jasper

Jasper

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 12:58

"Triptychon" ist für mich schlichtweg die beste Geschichte des Bandes, mit weitem Abstand. Ähnlich wie Karla finde ich, dass es eine der besten Geschichten ist, die ich in den letzten Jahren überhaupt gelesen habe. Sie ist sprachlich, dramaturgisch und natürlich gedanklich die souveränste in der Sammlung. Eine perfekte Mischung aus Gedankenspiel, Spannung und künstlerischer Gestaltung. Für diese Geschichte lohnt sich der Kauf des Buches.
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#69 Jakob

Jakob

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 14:55

Triptychon ist auch meine Lieblingsgeschichte aus der Antho. Weil ich gerade gar keine Zeit habe, kann ich jetzt leider nicht näher drauf eingehen, kann nur sagen: Stilistisch großartig, Freude am Gedankenspiel, Leichtigkeit und Stoff zum Nachdenken. @jaktusch: Habe von Markolf noch nie was mit Elfen gelesen ... seine Fantasy-tetralogie ist auch alles andere als die übliche Kost!
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

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"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama

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#70 methom

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Geschrieben 21 Januar 2011 - 19:42

Nicht Amerika

Die Story ist eine "ganz normale" Zombie-Apokalypse ohne große Überraschungen,


Ja, das fasst es ganz gut zusammen und ist auch eigentlich alles was ich dazu sagen kann. Natürlich gut geschrieben (sonst wäre sie wohl nicht im Buch), aber irgendwie auch sehr bekannt. Dazu geht der Protagonist noch sehr abgeklärt mit den Ereignissen um.

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#71 b_streun

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 00:01

Nun zu Nicht Amerika.
Wie schon gesagt wurde, es ist einen sehr klassische Zombie-Geschichte... bzw. eine Variante von „Fremdes dringt in Normalwelt ein und bemächtigt sich der Menschen“†¦ Da gibt es einige Vorläufer, die sogar mir bekannt sind. Es ist allerdings beruhigend, dass die Zombies hier in Apathie verfallen und nicht etwa aggressiv werden.
Die Geschichte ist spannend geschrieben, inklusive fieser Details, und auch die einzelnen Personen sind, trotz der Kürze ihres Auftritts, gut getroffen. Nur hätte die Handlung vielleicht noch ein paar mehr Haken schlagen können, damit es nicht ganz so vorhersehbar ist. Nett sind außerdem die eingeflochtenen Beziehungsprobleme der homosexuellen Hauptfigur. Ob Patrick auf der anderen Seite der Welt schon befallen ist und deshalb nicht ans Telefon geht, wissen wir nicht. Und warum Mike zwar letztendlich hübschen Kopfschmuck entwickelt, aber noch denken kann, wissen wir auch nicht.


So ganz hat sich mir die Parallele zur Finanzwelt nicht erschlossen, außer, dass für mich die ganze Finanzsphäre sowieso viel mit Zombietum zu tun hat. Da hat auch die Krise nichts geändert :P

#72 Jaktusch † 

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 01:59

@jaktusch: Habe von Markolf noch nie was mit Elfen gelesen ... seine Fantasy-tetralogie ist auch alles andere als die übliche Kost!


Da hat mich wohl der Anthologie-Titel "Das Fest der Elfen", der im Vorspanntext zu "Triptychon" erwähnt wird, beeinflusst...

Zu Nicht Amerika mach' ich es mir heute mal ganz einfach und schließ' mich den Ausführungen Karlas, methoms und Barbara Streuns an.

Jaktusch
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#73 Siegfried Langer

Siegfried Langer

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 10:34

@jaktusch: Habe von Markolf noch nie was mit Elfen gelesen ... seine Fantasy-tetralogie ist auch alles andere als die übliche Kost!


OT: Ich habe Markolf Hoffmanns 'vierbändige Nebelriss-Trilogie' gelesen und kann sie wirklich sehr empfehlen.

---

Zur bisherigen zweiten Hinterland-Hälfte:

Jenseits der Mauer und Nicht Amerika empfand ich sprachlich und dramaturgisch gelungen, besonders bei der zweiten Geschichte gefiel mir der lakonische Humor. Inhaltlich etwas epigonenhaft, aber man kann das Rad nicht immer neu erfinden.

Müllerbrot und Tryptichon: Beeindruckend durch ihre Wortgewalt.

Die letzte Telefonzelle: Spannende Gruselgeschichte, solide erzählt. Gefällt.

Kamera(d) Action: Meine Lieblingsgeschichte in der zweiten Hälfte. Aber auch mir ging es so, dass ich auf den Military-Teil hätte verzichten können. Ich glaube, die Geschichte wäre noch besser, wenn Nadine Boos sich ausschließlich auf den Politik-Teil konzentriert hätte. Sehr professionell und elegant, wie in dieser Geschichte Informationen zum Background einfließen.

Liebe Grüße

Siegfried

#74 T. Lagemann

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 10:46

Hallo zusammen,

über "This is not America" als Inspiration für einen Text habe ich auch nachgedacht, aber Ballards "Hallo Amerika!" hing mir zu sperrig im Kopf herum. Den Bildern der im Sand versunkenen USA hatte ich keine eigenen entgegen zu setzen. Um so interessanter finde ich Aleksandr Voinovs Idee, den Song komplett nach England bzw. London zu verlegen. Und dann auch noch gleich in die Finanzwelt, als deren Zentrum ja (noch) die USA gelten. Ja, das ist nicht Amerika.

Von der Finanzwelt ist es eigentlich auch nicht weit zu Zombies :P

Mit denen habe ich es eigentlich nie gehabt, bis, ja, bis ich 28 Tage später später und 28 Wochen später gesehen habe. Beide Filme fand ich prima, sie hatten Tempo und, äh, ja, Witz. Nicht Amerika entschleunigt die Zombies und macht sie wieder zu seelenlosen, apathischen Wesen. London erstarrt. Und die Versuche, die Seuche zu stoppen, scheitern. Schön. Auch wenn dabei für mich langsam der "Nicht Amerika" Bezug verloren geht. Der Freund in den USA und die unamerikanischen Waffengesetze reichen mir da nicht ... Egal, ein schöner, weil trotz des sattsam bekannten Themas, überraschender Text, auch wenn mir manchmal die Sprachr zu flappsig bzw. umgangssprachlich ist.

Die letzte Telefonzelle: David Bowie meets Paul Auster, geil! Und der sich selbst beobachtende Ermittler erinnert auch ein klein wenig an Dicks "Der Dunkle Schirm". Der Text spielt wunderschön mit sich auflösenden Realitäten bzw. mit Realitätsverlust. Nach dem harten Crash in Nicht Amerika, in dem die ganze Welt in die Binsen geht, ist es hier ein privates Auflösen. Und die intelligente Telefonzelle, ja, an der hatte ich Spaß, die trieb die Absurdität des Ganzen wunderbar auf die Spitze.

Nachtrag zu Triptychon: War da nicht mal was mit Bowie und einem angeblich verstorbenen Künstler, zu deren Ehren er bei einer Vernissage mitmachte, ihn damit pushte ... Was sich später als durchgeplanten Fake entpuppte, den sich Bowie und ein Schriftsteller ausgedacht hatten??? Deshalb mal die Frage an Markolf, ob er das beim Schreiben des Textes im Hinterkopf hatte ...?!

Yepp, gerade nachgeschaut, meine Erinnerung war richtig, William Boyd und Bowie haben einen Nat Tate erfunden ...

VG
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Bearbeitet von T. Lagemann, 22 Januar 2011 - 10:54.

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#75 Jakob

Jakob

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 10:59

Von der Finanzwelt ist es eigentlich auch nicht weit zu Zombies :P

Mit denen habe ich es eigentlich nie gehabt, bis, ja, bis ich 28 Tage später später und 28 Wochen später gesehen habe.


OT:
Sakrileg! 28 Days Later war für mich ja die ultimative Verplattung des Zombiegenres, wegen des intellektuellen Gestus dann sogar noch schlimmer als Resident Evil ... aber ich lasse auch eigentlich nur Night of the Living Dead, Dawn of the Dead und Day of the Dead gelten. Das sind mit oder ohne Zombies einfach mal gute Filme ...
Jetzt muss ich mal dringend "Nicht Amerika" lesen, um mir da ein vergleichsbild zu machen!
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#76 fahrenheit.451

fahrenheit.451

    Infonaut

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Geschrieben 22 Januar 2011 - 16:41

Und warum Mike zwar letztendlich hübschen Kopfschmuck entwickelt, aber noch denken kann, wissen wir auch nicht.

Wegen dieser Schlußwendung geht mir diese Geschichte immer noch im Kopf rum - da muß ja noch mehr dran sein als nur Schnarchnasen-Zombies, die die Zivilisation zusammenbrechen lassen und dann mangels Selbsterhaltungstrieb aussterben.
Ist Mike womöglich die "Königin" der Pilzbefallenen, die mit ihrem Kopfschmuck als "Antenne" die anderen steuern kann?
Leitet er die nächste Stufe der pilzigen Evolution ein?
Fragen über Fragen.
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#77 Jaktusch † 

Jaktusch † 

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 04:25

Am Sonnabend gab's kein "Guten Morgen" von Karla, keine Links auf Bowie-Musik und lyrics; da mag man ja gar nicht weitermachen.....- Ich hoffe, es ist alles in Ordnung?

Die letzte Telefonzelle

Nach dem starken "Triptychon" bin ich jetzt vielleicht zu streng: Diese Story hätte Tobias Bachmann auch für die Festschrift "15 Jahre TELEKOM" einreichen können, für den Nostalgieteil "So war's früher: die öffentliche Zelle". - Harmlose Unterhaltung.

Jaktusch
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#78 †  a3kHH

†  a3kHH

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 10:24

Diese Story hätte Tobias Bachmann auch für die Festschrift "15 Jahre TELEKOM" einreichen können, für den Nostalgieteil "So war's früher: die öffentliche Zelle". - Harmlose Unterhaltung.

SF muß nicht immer mit dem dicken erhobenem Zeigefinger BEDEUTEND sein. Manchmal ist sie auch einfach nett, intelligent und komisch. Wie hier.

Ich habe sowieso festgestellt, daß meine Meinung zu den Stories sich oftmals von der des Lesezirkels unterscheidet. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, daß die Autoren hier relativ unbelastet an das Schreiben von SF-Stories gegangen sind. Also ohne den Überbau der imho suboptimalen aktuellen angloamerikanischen SF, die ins Deutsche übersetzt wurde. Mich erinnern die Geschichten sehr an die amerikanischen Anthologien des Golden Age, in denen Anderson, Asimov, Clarke etc. etc. pp. fabulierten, was die Imagination hergab. Oftmals auch nicht bedeutend, aber immer ein angenehmer Lesespaß. Ich würde gerne nach dem Lesen noch einen Thread "Hinterland 3 - Resümees" initiieren und eure Meinungen zur Gesamt-Anthologie diskutieren.

Bearbeitet von a3kHH, 23 Januar 2011 - 10:34.


#79 Heidrun

Heidrun

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 18:40

Ich habe mich lange gefragt, was ich zu Not America sagen soll. Irgendwie bin ich mit dem Helden nicht recht warm geworden. Aber letztlich ist es kräftiger Realismus, wenn ein Hedgefonds-Manager eine Krankheit in die Welt schleppt, die das Denken der Menschen ausschaltet und das ganze Land zusammenbrechen läßt. Ich weiß nur nicht, ob der Autor das so gemeint hat.
Was mich an dem Typen gestört hat, ist seine aggressive Nörgelei an nahezu allem in London (und besonders witzig fand ich, daß ein Amerikaner das Wort "richtiger Kaffee" verwendet. Bei meinem ersten amerikanischen Kaffee konnte ich den Boden des Pappbechers sehen und habe mich gefragt, ob es nicht doch Tee ist. War es nicht.). Ich kann mich mit Heimweh eher anfreunden als mit Xenophobie. Das ist ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied - das eine ein positives Gefühl, das andere ein negatives. Irgendwie hat er mich die ganze Zeit an jene Touristen erinnert, die in Griechenland schimpfen, es gäbe nicht mal richtiges Schnitzel. Ich habe jedenfalls noch kein Land erlebt, in dem ich nicht irgendwas sympathisch und bewahrenswert fand.
Bis zuletzt habe ich auf einen Dreh in der Handlung gewartet. Tja, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die letzte Telefonzelle fand ich lustig. Das passiert mir selten. Ich schließe mich meinem Vorredner an: Nicht jede Story muß einen mit ihrer Bedeutungsschwere am Boden zerquetschen. Es soll ja Leute geben, die nur so zum Spaß lesen. Mein Nur-Leser fand sie "putzig". Ich fand es erholsam, daß mal nicht die Welt untergeht. Außerdem mag ich nicht nur Glühbirnen, sondern auch Telefonzellen. Insofern war das ein Held, den ich sympathisch fand: eine Telefonzelle, die um ihr Überleben kämpft.
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#80 methom

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 19:39

Die letzte Telefonzelle: Ja, war ganz amüsant. Die Idee, dass irgendwo auf der Welt die letzte Telefonzelle steht, gefiel mir. Auch dass der Agent sich selbst suchte war nicht schlecht. Aber irgendwie fehlte mir dann doch ein bisschen Pepp.

Irgendwie zieht sich das für mich durch die ganze zweite Hälfte des Buches: alles gut geschrieben und in Ordnung und im Vergleich zum durchschnittlichen Vorderland (= Nicht-Hinterland-Geschichten) sicherlich auch gut, aber gegen die Highlights der ersten Hälfte einfach schwächer.

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#81 karla

karla

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 20:34

Guten Abend,

entschuldigt, ich war weg. Das heißt, ich nicht, aber mein Internet. Jetzt haben wir ein neues Modem, alles ist neu eingerichtet und nun hoffe ich, es hält eine Weile.

Das heißt, ich bin im Verzug mit Links. Ich mache es kurz:

Tobias Bachmann: Die letzte Telefonzelle

Das zugrundeliegende Stück "No-one calls" von 1999 ist rar, darum haben wir es auch nur auf der russischen Tube gefunden:

Musik: http://rutube.ru/tra...a6a6aea41786c79
Lyrics heute mal direkt:

Nobody calls
Fall into pieces
Don''t be afraid
Life isn''t easy
Sunshine to rain
Counting the windows
But nobody calls
Nobody calls
Sunshine to rain
Smile for the camera
But nobody phones
Nobody phones
Anyone
At all
Not at all (x3)Nobody phones
Anyone
At all (x4)Not at all (x2 )

Ihr habt es ja schon gesagt: eine amüsante Geschichte, ohne Bedeutungsschwere. Mir hat gefallen, dass ich (beim ersten Lesen) völlig mitgehen konnte: Ist die Zelle nun intelligent oder nicht, ist das ein Fake, eine Falle? Was soll der Quark?! Das hat mir Vergnügen gemacht.

Zu Tobias Lagemanns Geschichte poste ich morgen früh, okay?

@Alfred: Ja, ich fände eine Fazit-Runde sehr interessant, mir ist auch schon aufgefallen, dass Deine Rezi sich häufig gar nicht mit den Leseeindrücken hier deckt.
Und stimmt: Viele AutorInnen haben sich nicht erst mit dem State of the Art beschäftigt und kennen auch nicht (so wie die alten Antho-Hasen) die Lesevorlieben der Forumsmitglieder. Wenn man als Autor in der Szene mitmischt, kriegt man sicher schnell raus, was gut ankommt und was nicht. ;) Ich will niemandem "Konformismus" oder so unterstellen, nehme mich selbst auch nicht aus. Ich glaube nur einfach, dass es schwer ist, "unbelastet" von antizipierten Erwartungen zu schreiben, wenn man sich der Erwartungen erstmal bewusst geworden ist.
Mir war ja z.B. überhaupt nicht klar, wie wichtig einem Teil der SF-Leser die physikalische Plausibilität ist, und mir war z.B. auch nicht bewusst, dass Zeitreisegeschichten wegen unauflösbarer Paradoxa offenbar auch nicht so sehr genossen werden. Natürlich bin ich auch als Hrsg. erstmal eher unbefangen und ahnungslos an die Sache herangegangen. Nach dieser Leserunde gehe ich mit bestimmten Themen wahrscheinlich nicht mehr ganz so unbefangen um. Ob das gut oder schlecht oder neutral ist, sei erstmal dahingestellt. Jedenfalls: Ein Fazit würde mich auf jeden Fall SEHR interssieren!

LG, Karla

#82 methom

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 21:22

Ich bin jetzt mal so ketzerisch und behaupte, dass jeder, der schreibt, (auch) schreibt um Anerkennung zu erfahren. Das ist kein Vorwurf, das ist normal. Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Und Anerkennung eines Fachpublikums wiegt sicherlich noch mal schwerer als die eines Laien. Daher danke ich, dass

Ich glaube nur einfach, dass es schwer ist, "unbelastet" von antizipierten Erwartungen zu schreiben, wenn man sich der Erwartungen erstmal bewusst geworden ist.


eine völlig normale Entwicklung ist.

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#83 b_streun

b_streun

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Geschrieben 23 Januar 2011 - 22:02

Nun bin ich auch wieder hinterher†¦

Also, Die letzte Telefonzelle - ja, die hat mir gefallen, auch wenn ich die Story nicht ganz verstanden habe†¦ da bin ich mal ganz ehrlich.
Auch hier haben wir einen Ich-Erzähler, der sich plötzlich mit seinem eigenen Handeln konfrontiert sieht, wie im „Triptychon“. Jedoch scheint dieser hier sich tatsächlich nicht zu erinnern. Da könnte man vermuten, dass er psychologische Probleme hat, unter Drogen (Alk?) steht und sogar Telefonzellen sprechen hört†¦

Aber, vielleicht ist das auch zu naiv nach einer logischen Erklärung gesucht, vielleicht spricht die Telefonzelle wirklich? Und, wer sitzt in dem Wagen...?
Nun, vieles bleibt nebulös, aber es liest sich schön und die Dialoge mit der Telefonzelle haben eine eigene Komik.

#84 T. Lagemann

T. Lagemann

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 08:21

Hallo zusammen,

Und stimmt: Viele AutorInnen haben sich nicht erst mit dem State of the Art beschäftigt und kennen auch nicht (so wie die alten Antho-Hasen) die Lesevorlieben der Forumsmitglieder. Wenn man als Autor in der Szene mitmischt, kriegt man sicher schnell raus, was gut ankommt und was nicht. :jumpgrin: Ich will niemandem "Konformismus" oder so unterstellen, nehme mich selbst auch nicht aus. Ich glaube nur einfach, dass es schwer ist, "unbelastet" von antizipierten Erwartungen zu schreiben, wenn man sich der Erwartungen erstmal bewusst geworden ist.
Mir war ja z.B. überhaupt nicht klar, wie wichtig einem Teil der SF-Leser die physikalische Plausibilität ist, und mir war z.B. auch nicht bewusst, dass Zeitreisegeschichten wegen unauflösbarer Paradoxa offenbar auch nicht so sehr genossen werden. Natürlich bin ich auch als Hrsg. erstmal eher unbefangen und ahnungslos an die Sache herangegangen. Nach dieser Leserunde gehe ich mit bestimmten Themen wahrscheinlich nicht mehr ganz so unbefangen um. Ob das gut oder schlecht oder neutral ist, sei erstmal dahingestellt. Jedenfalls: Ein Fazit würde mich auf jeden Fall SEHR interssieren!

LG, Karla


jetzt beim Mitlesen und -schreiben hier und auch in anderen Bereichen des Forums, muss ich feststellen, wie wenig ich von SF weiß. Und dabei habe ich bis vor zwanzig Jahren richtig viel gelesen :lol: . Entsprechend blauäugig bin ich an meinen Text für die Anthologie gegangen. Und entsprechend blauäugig habe ich "Hinterland" gelesen. Andrerseits denke ich mir, dass Bücher ja nicht nur für ein "Fachpublikum" geschrieben werden, sondern für alle. Und das damit eben auch alle die Möglichkeit haben sollen, Texte für sich zu deuten. Genau deshalb habe ich auf einen Intensivkurs "SF-Heute" verzichtet - zwei Anthologien wanderten über meinen Nachttisch, einfach um für mich festzustellen, was stilistisch geht. Eine davon war eine Fantasy Anthologie, da Karlas Idee zu Hinterland anfangs ja nicht nur auf SF beschränkt war. Entsprechend groß war mein Kulturschock, als ich hier ins Forum fiel. Nichts desto trotz freue ich mich über das, was die hier geballt versammelten sach- und fachkundige SF-Leser/Autoren zu den "Hinterland"-Texten schreiben, lerne ich so doch neue Perspektiven kennen. Ob und wie weit ich die für mich annehmen kann, wird sich zeigen. Und natürlich auch, ob überhaupt und wie oft ich zukünftig SF-lastige Texte schreibe. Nach dem ersten Kulturschock stehen die Chancen aber nicht so schlecht ;) Ich werde aber wohl doch in erster Linie "meinem" Genre treu bleiben.

Viele Grüße
Tobias
"Wir sind jetzt alle Verräter."
"Ha!", machte die alte Dame. "Nur wenn wir verlieren."

(James Corey, Calibans Krieg)

"Sentences are stumbling blocks to language."

(Jack Kerouac in einem Interview mit der New York Post, 1959)

"Na gut, dann nicht, dann bin ich eben raus
Ich unterschreib' hier nichts, was ich nicht glaub'
Na gut, dann nicht, nicht um jeden Preis
Ich gehöre nicht dazu, das ist alles was ich weiß"

(Madsen, Strophe 1 des Songs "Na gut dann nicht")
  • (Buch) gerade am lesen:Ich lese zu schnell, um das hier aktuell zu halten.
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#85 karla

karla

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 08:36

Einen schönen guten Morgen,

Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Und Anerkennung eines Fachpublikums wiegt sicherlich noch mal schwerer als die eines Laien.


So etwas in der Art meinte ich. :lol:

@Barbara: Ich hatte auch erst überlegt, das Triptychon und die letzte Telefonzelle zusammenzustecken, weil sie mit dem Ermittler, der gegen sich selbst ermittelt, eine Gemeinsamkeit haben. Aber "Die letzte Telefonzelle" ist keine Ich-Erzählung und auch nicht im Präsens geschrieben, wie Markolfs Story, sondern in der 3. Person + Präteritum (Mühlmann griff zu den Zigaretten.) Trotzdem hat man dieses typische "Hard Boiled"-Gefühl (Raymond Chandler: Ich + Präteritum), und das liegt wahrscheinlich daran, dass die Dialoge, die ja fast immer im Präsens sind, hier viel Raum einnehmen. Und am Erzählgestus insgesamt. Ich musste eben auch erst nochmal nachschauen, um sicher zu gehen ...

Achtung OT, wahrscheinlich nur für Schreiber interessant:

Ich habe im "Hinterland" eben mal Tempora + Perspektiven durchgezählt

- Präteritum + 3. Person: 11 Mal
Die "klassische" Form, eine Geschichte zu erzählen. Das Geschehen ist abgeschlossen, man erzählt über jemanden. Vertraut und für die meisten sicher gut zu handhaben.

- Präsens + 1. Person: 5 Mal
Der Ezähler steckt mitten drin im Geschehen, man schreibt nicht von der Position eines bereits bekannten Endes aus, was ein engeres, klammeres Gefühl macht und auch ziemlich spannend ein kann. In der lustigen Frauen- und Männer-Unterhaltung, die von Situationskomik lebt, zur Zeit ein Muss. Tommy Jaud fällt mir spontan ein.
Wie man im Hinterland sieht, geht das aber auch ganz unkomisch und dafür umso beklemmender - siehe Jasper oder Markolf.

- Präsens + 3. Person: 2 Mal
bei Nadine und Siegfried; schafft eine gewisse beobachtende Distanz und ermöglicht trotz Präsens problemlos einen Wechsel der Figur, der man gerade über die Schulter schaut. (Dietmar Dath hat sich das sogar in der 1. Person getraut. Wobei die Figur dann am Ende ja doch immer wieder dieselbe war.) Diese Erzählform scheint gerade bei den "Literaten" angesagt zu sein. Mir fallen spontan Lisa-Marie Dickreiters "Vom Atmen unter Wasser" und Juli Zehs "Corpus Delicti" ein

Präteritum + 1.Person: 2 Mal
Kommt mir auch eher klassisch vor, auch wenn mir außer Raymond Chandler gerade niemand einfällt ...

ENDE OT


#17 ...
Tobias Lagemann: P.O.S.

"Putting out fire (with Gasoline) stand im Hinterland bereit; diesmal sind die Lyrics gleich mit dabei. Kann man besser folgen:

http://www.youtube.c...feature=related

Ein richtier "80er"-Bowismus, Schwanzrock pur, ein wenig machohaft. Ich glaube in "Inglorious Basterds" wurde das Stück für die "Kriegsbemalungsszene" benutzt, oder? Passt jedenfalls sehr gut zu dieser Geschichte. Und die Katzen kommen natürlich auch direkt aus dem Song. :jumpgrin:

Das Motiv, Feuer mit Benzin löschen zu wollen, kommt für mich zwei Mal vor: Erstens als "Putting Out Syndrom", zweitens verstehe ich den Psychotest selbst als "Putting out fire ...".
Tobias weiß es vielleicht noch: Mein erster Reflex war: Ein "war alles nur ein Traum"-Ende? Muss das sein?
Er meinte, es muss, und als ich drüber nachgedacht habe, wurde mir klar, dass dadurch die Geschichte sich auf der P.O.S.-Spirale eine Ebene weiter hinaufschraubt. Das gibt der Geschichte für mich mittlerweile Nachhall, weil so einer "normalen" Planetenbesiedlungsgeschichte mit "Pitch-Black" oder "Alien"-Feeling noch mal ein anderer Twist gegeben wird und die "Prämisse" auf den Punkt gebracht wird: Die unheimliche, fremde Bedrohung ist nicht das draußen, sondern innen. (War das nicht sogar unser "Hinterland"-Motto? ;) ) Wie schon am Anfang der Story steht: Da draußen gibt es einfach nichts, was man bekämpfen könnte. Der verdammte Weltraum ist leer. Fein. ;)

LG, Karla

#86 karla

karla

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 08:42

Morgen Tobias,

jetzt haben wir uns überschnitten ...

Andrerseits denke ich mir, dass Bücher ja nicht nur für ein "Fachpublikum" geschrieben werden, sondern für alle. ...


Grundsätzlich sowieso - wobei Anthologien in kleinen Verlagen normalerweise nur ihr persönliches Fachpublikum erreichen, oder? Gerade beim Hinterland gab es da einen gewissen Spagat zu bewältigen, zwei Fachkreise sozusagen, die ein Wachsames Auge auf die Details werfen, zwei Erwartungshaltungen, die man antizipieren (oder bewusst ignorieren) konnte.

LGK

#87 Skydiver

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 11:49

Vierte und Erste Sinfonie oder: Müllerbrot
Ziemlich zynisch. Nicht das irgendwelche Assoziationen zu einem bekannten Unternehmen der Milch verarbeitenden Industrie zu erkennen wären ;-) Nicht das sich Herr Müller durch sein Geschäftsgebaren und seine politischen Statements als Ziel förmlich aufdrängt†¦ Erinnert mich an meine Vorliebe für Texte von Günter Schramm.

Kamera(d), Action
Die komplette mediale Beobachtung von Politikern ist ein interessanter Gedanke. Aber wer will sich das auf Dauer antun? Schöner Kontrast zum bigotten Präsidenten. Dazu ein durchgeknallter Attentäter. Die Zutaten stimmen und der Abschluss auch.

Triptychon
Kunst mal anders aber nicht zur Nachahmung empfohlen. Man nehme einen Mix aus amerikanischen reality news, deutschen Verblödungsfernsehen und englischer Yellow press und schon kommt mir das Szenario durchaus realistisch vor. Warten wir die nächste Wahl ab†¦

Nicht Amerika

Nett geschrieben aber ein bereits ausführlich behandeltes Thema. Kein Aufreger und sicher nicht von bleibendem Erinnerungswert.

--------------------------------------------------------
It's all fun and game until someone loses an eye

  • (Buch) gerade am lesen:Robert B Parker

#88 Heidrun

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 12:29

Das mit dem Fachpublikum ist so ein Ding ... Vermutlich ist es so, daß Leute, die SF lesen, sehr viel davon lesen. Irgendwann ist man automatisch ein Experte. Eher selten erreicht man heutzutage Laufpublikum, weil Wurdack-Bücher nicht in jeder Bahnhofsbuchhandlung rumstehen. Das ist die Gefahr. Merke ich auch immer wieder, wenn Armin oder Dieter (der unauffällige Dritte der Redaktion) irgendeine Story zitieren, von der ich noch nie gehört habe, weil ich die ersten 25 Jahre im Paralleluniversum verbracht habe. Und SF-Leser sind besonders schwierig. Zum "Mehr vom Gleichen" gesellt sich bei denen immer noch das "Aber bitte ganz anders!". :)

Und nu mitten rein: P.O.S.
... ist ein im Osten ungeeigneter Titel, weil das die allgemein bekannte Abkürzung für Polytechnische Oberschule war, die 95 % der Bevölkerung besucht haben. Fand ich anfangs sehr verwirrend.
Ansonsten hat mir die Geschichte aber gut gefallen. Die Katzen, das Feuer, der Sand ... - ich habe mich keine Sekunde gefragt, wozu mir der Autor das erzählt. Dafür war ich viel zu beschäftigt. Nun sind Virtual Reality Storys auch etwas, woran sich jeder in der SF irgendwie abgearbeitet hat (yep, auch auf mein Konto geht eine). Hat mich trotzdem nicht gestört, wahrscheinlich weil der Test die Macke des Probanden erst auszulösen oder zumindest stark zu beschleunigen scheint. Die Simulation findet eine angemessene Verlängerung in die Realität, so daß man sich als Leser nicht betrogen fühlt.
Der Ärger entsteht ja mehr durch das Gefühl, dass der Autor einen einfach nur verladen hat und eine völlig folgenlose Story zusammenphantasiert. Und wo ihm nichts mehr einfällt, drückt der die Escape-Taste. Das ist hier nun gerade nicht der Fall.
Gefällt mir. Jedenfalls kein Grund, die SF wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen.
  • (Buch) gerade am lesen:Gene Wolfe "Sword and Citadel"

#89 Rusch

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 17:46

Ich bin ein wenig ins Hintertreffen gekommen:

Markolf Hoffmann: Triptychon
Hat mir sehr gut gefallen: Wortgewaltigt und gut insziniert. Und es wird auch einen (zumindest für mich) neue Idee geboten, die am Ende demontiert wird. Toll!!!

Aleksandr Voinov: Nicht Amerika
Eine Zombie Geschichte. Ich bin kein Experte darin, aber auch für mich war sie nich sehr originell. Gut, die meisten Zombies waren Börsen Broker, aber das war ja nicht der entscheidende Aspekt.

Tobias Bachmann: Die letzte Telefonzelle
Der Agent und seine sprechende Telefonzelle. Das ganze war recht witzig, aber das Ende fand ich nicht voll überzeugend.

Tobias Lagemann: P.O.S.
Keine wirklich originelle Geschichte, aber gut und stimmungsvoll erzählt. Das war gute Unterhaltung.

Ich habe sowieso festgestellt, daß meine Meinung zu den Stories sich oftmals von der des Lesezirkels unterscheidet. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, daß die Autoren hier relativ unbelastet an das Schreiben von SF-Stories gegangen sind. Also ohne den Überbau der imho suboptimalen aktuellen angloamerikanischen SF, die ins Deutsche übersetzt wurde. Mich erinnern die Geschichten sehr an die amerikanischen Anthologien des Golden Age, in denen Anderson, Asimov, Clarke etc. etc. pp. fabulierten, was die Imagination hergab. Oftmals auch nicht bedeutend, aber immer ein angenehmer Lesespaß. Ich würde gerne nach dem Lesen noch einen Thread "Hinterland 3 - Resümees" initiieren und eure Meinungen zur Gesamt-Anthologie diskutieren.


Diesen Eindruck gewann ich auch: Mir kommt es so vor, dass da einige Autoren dabei waren, die sich bislang wenig mit SF beschäftigt hatten und so war ihnen nicht so bewusst, dass sie Themen behandelten, die einen SF Experten relativ ausgelutscht sind. Aber womöglich richtet sich diese Anthologie auch weniger an uns.

#90 karla

karla

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Geschrieben 24 Januar 2011 - 18:21

Mir kommt es so vor, dass da einige Autoren dabei waren, die sich bislang wenig mit SF beschäftigt hatten und so war ihnen nicht so bewusst, dass sie Themen behandelten, die einen SF Experten relativ ausgelutscht sind. Aber womöglich richtet sich diese Anthologie auch weniger an uns.


Sagen wir mal so: Ich habe versucht, genug "für Euch" und genug "für die Bowisten" unterzubringen. Daher sind manche Autoren SF-Neulinge (bzw. genauer: 5 Prosa-Debütanten!) und manche sind alte SF-Hasis. :)

LG, Karla

Bearbeitet von karla, 24 Januar 2011 - 18:26.



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