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Jasper Nicolaisen: Winteraustreiben


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14 Antworten in diesem Thema

#1 Naut

Naut

    Semantomorph

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Geschrieben 27 Juni 2014 - 19:04

Ich konnte - sehr zu meiner Überraschung - hier keinen Thread zu Nicolaisens Buch finden, obwohl es ja schon einige Zeit auf dem Markt ist. Sorry, wenn ich was übersehen habe.

Es hat wesentlich länger gedauert, meine Gedanken dazu zu ordnen, aber irgendwann muss man ja mal alles aufschreiben. Hier also meine Besprechung zu diesem ungewöhnlichen Werk: Krötenmutanten versus der Weihnachtsmann.
Das Fazit:
"Warum gibt es das Buch nur im Selbstverlag des Autors, zudem nur als E-Book, igitt?
Der Grund ist wohl, dass hier ein wirklich gutes Buch ohne jegliche Zielgruppe vorliegt. Es sieht aus wie ein Kinderbuch, riecht und schmeckt wie ein Jugendbuch, aber wenn man Nachts schweißgebadet mit vollem Bauch vom Weihnachtsbraten aufwacht, dann hockt dort der spitzahnige Kobold und erklärt einem Marx. Das ist schade für die zehntausend potentiellen Leser, die daher diesen Roman nie lesen werden. Ich bin aber froh, dieses unbestreitbare Glanzlicht deutschsprachiger Phantastik gelesen zu haben und kann es jedem nur empfehlen."
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#2 Waffeleisen

Waffeleisen

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Geschrieben 27 Juni 2014 - 19:58

Das hört sich echt nach einem fetten Fang an. Also deine Rezension erzeugt diesen Eindruck, nicht die Buchbeschreibung bei Amazon. Das Ganze stimmt mich wehmütig wie schon einige VÖs von "Das Beben": E-Bücher sind bei mir noch nicht angekommen, ich brauchs auf Papier.

Was nicht in mein Regal passt: Booklooker

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#3 lapismont

lapismont

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Geschrieben 27 Juni 2014 - 22:17

Ich hatte es ja für den DSFP nominiert, im Komitee kam es aber nicht an.

Meine Rezi, auch zu lesen hier


Jasper Nicolaisen gehört zur Lesebühne Schlotzen & Kloben und ist Mitgründer des Verlages Das Beben.

Nach einer Unmenge phantastischer Kurzgeschichten ist Winteraustreiben sein erster Roman. Und was für einer!



Mika ist ein junges, selbstbewusstes Mädchen. Ein Alpha-Tier. Sie weiß wo und wie es lang geht. Das führt natürlich zu Problemen, doch souverän stellt sie sich ihnen, stets darauf bedacht, die Kontrolle zu behalten. Selbst ein Weichei wie Sam, der sich selbst als schwul outet, kann ihr nicht das Wasser reichen.

Doch es ist Weihnachtszeit. Die Zeit der Abrechnung. Und wenn da jemand heimlich alle Untaten aufzeichnet und sie Heiligabend präsentiert, geschieht es schon mal, dass man nicht nur keine Geschenke bekommt, sondern gleich ganz vom Weihnachtsmann eingesackt wird.

Ein Zuckerschlecken ist das Leben am Polarkreis wahrlich nicht. Doch Mika kommt auch im übelsten Arbeitslager klar und schnell setzt sie sich durch. Koste es, was es wolle …



Jasper Nicolaisen stürzt die LeserInnen schnell in die brutale Wirklichkeit des Lagerlebens. Gemeinsam mit Mika begreifen wir die Ungeheuerlichkeit der Vorgänge. Und dann begleiten wir Mika, wenn sie ihren Weg geht, Fehler macht, Entscheidungen trifft und sich den Folgen stellen muss.

Dabei lässt Nicolaisen seine Figuren stets glaubwürdig agieren. Es gibt keine platten Erklärungen, vielmehr zeigt er mit großer Sorgfalt die komplexe Struktur der Motive. Unter den widrigen Umständen des Lagerlebens wird Mika mit sich selbst konfrontiert. Sie spürt, wie der Wunsch nach Kontrolle zu Macht und deren Missbrauch wird. Sie will Gutes tun und muss sich fragen, warum sie scheitert und wer daran Schuld ist.

Dabei geht Nicolaisen sehr behutsam vor und bettet Mikas Entwicklung in eine spannende Abenteuergeschichte ein, voller Wunder und Mutationen. Seine Hintergrundwelt offenbart eine große Tiefe, beschreibt ganze Menschenalter und mäandert zwischen Märchen und knallharter Science-Fiction.

Am ehesten lässt es sich als eine Mischung aus Herr der Fliegen und Momo beschreiben. Vielleicht nicht mit ähnlicher Zeitlosigkeit, aber in seinem modernen Rahmen durchaus gewichtig.

Nicht nur am Rande werden Themen behandelt, die für Jugendliche hohe Relevanz haben. Gerade Probleme mit den Eltern, der Familie überhaupt bestimmen die Welt jener Kinder, die man wegwarf und Santa mitgab, egal was ihnen dort geschehen mag.

Viele fühlen sich selbst Schuld an ihrem Schicksal. Was den Widerstand kleinhält. Das ganze System des Arbeitslagers beruht auf Innerer Ordnung, darauf, dass die Kinder die Unterdrückung mittragen. Unter dem Druck von Überarbeitung, Mangelernährung und bewusster körperlicher Erschöpfung funktionieren und gehorchen die Kinder. Die enge Welt der Pflichterfüllung verhindert jedes Aufbegehren. Das fühlt sich an wie eine Parabel auf den Alltag der Eltern und all die Ähnlichkeiten führen dazu, dass man auch Mikas Gefühle gegenüber dem Pöbel versteht. Dass ihre Überheblichkeit Teil einer Selbstlüge ist, begreift man schnell. Doch Mika muss ihre Fehler selbst begehen.



Gelungen sind auch die vielen Nebenfiguren. Über ihren Mitschüler und Mitgefangenen Sam, dem verbrannten Knecht Ruprecht, Santa selbst bis hin zur mythischen Ava, dem ersten Kind, bietet Nicolaisen komplexe Charaktere, mit Fehlern und Kanten. Besonders deutlich wird das bei Mikas Spion, dem Kobold, der ihre Missetaten aufzeichnete, und sie dabei liebgewann. In seinem Nebenstrang der Handlung erfahren wir mehr über das Leben der mutierten Frösche und begegnen Diskriminierung und Rassismus, die sich auch nie ganz auflösen. Auch hier verweigert sich Nicolaisen einem billigen Happyend.



Leider gibt es das Buch bisher nur digital, doch dafür zu einem kleinen Preis. Kauft es und erfreut euch an einem überraschend unweihnachtlichen Buch!



Fazit:

Alles in allem ist »Winteraustreiben« großartig. Die schräge Idee entfaltet sich zu einem ernsten Roman, voller Empathie für die Figuren, ohne Kitsch und stets ganz dicht an den schmerzenden Wunden, die wir selbst uns reißen, wenn wir versuchen in dieser Welt zu bestehen. Spannend bis zum Schluss, mal witzig, mal traurig, aber immer ehrlich.
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#4 Susanne11

Susanne11

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Geschrieben 28 Juni 2014 - 07:03

Das ist was für mich. Werd ich mir gleich besorgen. Ich habe bereits 2 eBooks vom Verlag das Beben. Unter anderem das unglaublich wunderbare und großartige Werk "Vor dem Pilzgericht" von Frank Dukowski, das ich gelesen und kurze Zeit später nochmal gelesen habe. Wahrscheinlich werde ich es im Laufe des Jahres ein drittes Mal lesen.

#5 Waffeleisen

Waffeleisen

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Geschrieben 28 Juni 2014 - 08:52

Warum macht Das Beben nicht auch Print-Bücher? Andere Kleinverlage zeigen doch, dass das funktioniert. Und mit der Druckerei von Guido z.B. (Schaltungsdienst Lange) hat man auch alle Möglichkeiten, was Format und Bindung etc angeht.

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#6 Jasper

Jasper

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Geschrieben 16 Juli 2014 - 12:51

Ou. Mensch. Da stolpere ich bei einem meiner seltenen Besuche hier über meinen Namen und werde gleich ganz rot bei derartigem Lob. Danke! Die Geschichte des Buches (und wie es letztendlich zum Ebook kam) habe ich schon öfter erzählt, gern auch hier noch mal: Ich habe den Roman ca. 2011 in Zusammenarbeit mit einer Agentur so ziemlich allen deutschen Phantastik- und Jugendbuchverlagen angeboten. Das Urteil über die Qualität war einhellig (gegeben bis großartig), allerdings war so gut wie immer das Argument gegen den Titel, dass man nicht wüsste, wem man das Buch verkaufen bzw. auf welchen Genrestapel man es packen sollte. So hab ich´s nach weiteren persönlichen Anläufen bei mir bekannten Verlegern und Verlegerinnen dann selbst gemacht. Neben den hier schon verlinkten Rezis gibt´s noch eine von Frank Böhmert (http://frankboehmert...nicolaisen.html), der das Buch gemeinsam mit seinem 11-jährigen Sohn gelesen hat, und von Elise Fritze (http://www.munitione...nteraustreiben/). Beide sind erfreulicherweise auch sehr positiv. Printausgabe? Create Space? Schaltungsdienst Lange? Das wäre sicher alles möglich. Allein, ich kann so was nicht. Ich habe schon die E-Book-Ausgabe nur mithilfe einiger professioneller Freunde und Freundinnen hingekriegt. Die ständige Selbstwerbung, die ich in dem Biz jetzt eigentlich machen müsste, liegt mir auch null. Also: Falls hier rührige Kleinverleger unterwegs sind, ich habe ein professionell lektoriertes und korrekturgelesenes Manuskript abzugeben, das zu meiner großen Freude enthusiastisch rezensiert wurde. Und mit "abgeben" meine ich "abgeben", denn Geld verdienen will ich mit diesem Buch schon lange nicht mehr. Zu guter Letzt: Als Margarethe Grimma gibt es beim Verlag das Beben von mir neu "Rex Feuchti", freilich eine ganz andere Nummer als das "Winteraustreiben". Einen schönen Hörbuchtrailer gibt es dort auch anzuhören (http://verlagdasbebe...oks/rex-feuchti). Und damit der Beitrag nicht komplett der Eigenerbung dient -- Fragen zum Buch beantworte ich gern :).
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#7 Naut

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Geschrieben 16 Juli 2014 - 13:27

Lustig und interessant, dass das Problem der Zielgruppe, von dem ich ja nichts wusste, so auch von den ganzen Verlagen gesehen wurde. Schon eine Ironie des Schicksals, dass ein (milde) kapitalismuskritisches Werk an (vielleicht falsch antizipierten) Marktmechanismen scheitert.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#8 lapismont

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Geschrieben 10 August 2014 - 15:48

Jasper hat sich auch zur Zielgruppe und zu gaanz vielen weiteren Dingen in meinem nigelnagelneuen Interview mit ihm geäußert.

http://www.fantasyguide.de/13643/
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#9 Naut

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Geschrieben 10 August 2014 - 16:25

Schönes Interview!
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#10 lapismont

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Geschrieben 11 August 2014 - 07:40

Schönes Interview!

Dankeschön. Ich mag ja Feedback.
Eingefügtes Bild
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#11 Naut

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Geschrieben 11 August 2014 - 10:23

Jeder mag Feedback, deshalb schreiben wir ja.
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#12 TheFallenAngel

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Geschrieben 11 August 2014 - 11:41

die interviews von lapiself sind ja immer sehr gut, keine 08/15-fragen und sehr auskunftsfreudige interviewte, sagte/lobte ich ja schon mehrmals Eingefügtes Bild

leider werden bei manchen lesern der interviews, zb bei mir *g, (völlg) fasche erwartungen in bezug auf die interviewanlässe (=romane) geweckt, weil manche leser der interviews, zb ich *g sich sachen aus den interviews konstruieren, die einfach nicht existieren ... oder so *g
DAS ist dann nat. einzig und allen die schuld mancher leser selbst, zb meine *g

#13 lapismont

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Geschrieben 11 August 2014 - 11:47

oh, Du meinst, weil ich zuviel drumrum frage?
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#14 TheFallenAngel

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Geschrieben 11 August 2014 - 12:09

ich hatte die schuldfrage schon behandelt in meinem vorpost (letzter satz) und an meinem lob für deine interviews (erster satz) gibts keinerlei abstriche *g

#15 Jasper

Jasper

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Geschrieben 07 November 2014 - 13:58

Jetzt gibt es das Buch auch gedruckt bei Amazon.


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