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Alphaville ('65)


2 Antworten in diesem Thema

#1 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 24 Januar 2015 - 12:36

Im Board ist dieser bald 50 Jahre alte Godard-Film - der auf dt. Lemmy Caution gegen Alpha 60 heißt - bisher kaum besprochen worden. Ich hab ihn gestern zum 1. Mal gesehen.

 

Eingefügtes Bild

 

Als Vorbereitung hab ich mich ein wenig schlau gemacht zu Lemmy Caution - Eddy Constantine hatte diese Rolle schon mehrere Male in franz. Filmen dargestellt, und war zum Zeitpunkt seines letzten Auftritts als Lemmy (in diesem Film hier) bereits Kult.

 

Es gibt mindestens 2 Ebenen des Films: Eben als Parodie auf die Caution-Rolle in den anderen Filmen (dazu kann ich wenig sagen, hab mir aber langfristig vorgenommen, mal den ein oder anderen davon anzusehen); ich denke das war für die Caution-Fans ein ziemlicher Schock. Und als absurdes noir "social fiction", zum Angriff auf eine Welt, die meint Ordnung & "Sauberkeit" sei alles, und der Übercomputer Alpha 60 könne die ganze Stadt - "Hauptstadt der Milchstraße" q:D - steuern.

 

Caution ist hier ein kaputter & abgebrühter Spion, der immer erst schießt - das hielte ihn am Leben, meint er. Er trägt den klassischen knittrigen Mantel (oder hat dieser Film dieses Film-Image hier erfunden?). Außer Kontext (also heute, ohne Vorkenntnisse der Caution-Figur) also eher ein Unsympath.

 

Die blendend hübsche Anna Karina als Natascha Vonbraun, deren Vater der Hauptprogrammierer des Monstercomputers ist (Anspielung auf Wernher v.B.? - im Film wird erwähnt, dass er vorher bei Los Alamos gearbeitet hätte), "rettet" Caution, weil er sie beschützen will & am Ende mit ihr aus der kollabierenden Metropole im Auto wegrast. Sie & andere Frauen im Film stehen scheinbar für die Emotion - obwohl sie es völlig normal findet, dass Menschen in Alphaville hingerichtet werden, sobald sie etwas "Unlogisches" tun.

 

Interessant ist, dass aus heutiger Sicht, es eine Folge der computerisierten Allmacht zu sein scheint, dass Frauen sehr verächtlich behandelt werden - sie sind fast nur verdeckt oder offen Huren. Ob das damals Absicht war?

 

Was mir v.a. gefiel ist, wie zackig Godard die Szenen aneinander reiht - der FIlm rast förmlich durch seine Story; auch die Spiele mit hell & dunkel gefallen mir. Hier und da ist außerdem erkennbar, dass er mit Aufnahmetechnik & langen Schnitten experimentiert - z.B. als die Kamera Caution in den Aufzug verfolgt, und dann "mitfährt".

 

Auch wird ja durch die Beleuchtung plus viel kühle Architektur (& natürlich die Dialoge*) das SFige an dem Rahmen nur suggeriert. Das klappt aber sehr gut! Da hilft wahrscheinlich, dass es ein Schwarzweißfilm ist. Besonders die Nachtszenen von/auf Straßen wirken futuristisch/dystopisch entrückt.

 

Was meint ihr dazu? (Der Film ist für €4 bei Arte.de als VOD streambar, allerdings dann wohl im Original mit Untertiteln...)

 

P.S.: Aus heutiger Sicht ist dieses Hochhalten von "Logik" als Absolut m.E. lächerlich. Nach der Sechziger-Phase der o so erstrebbaren Logik, kam ja in den 70ern & 80ern in dt. bewegten Bildern immer wieder mal die "Vernunft" vor - ich erinnere mich an den Spruch aus einem TATORT, wo die Kommissarin meinte, leider sei die Vernunft ja nicht parteipolitisch vertreten. Dabei wird weder das Eine noch das Andere je genauer definiert - es ist nur irgendwie immer klar, was gemeint ist. :confused: Pf!

 

(* ich las erst im Wikipedia-Beitrag NACH dem Ansehen der dt. Fassung, dass im Original sogar die Sprache von Godard "verneusprecht" wurde - muss es mir also nochmal ausleihen und mein Schulfranzösisch anschmeißen...)


Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 24 Januar 2015 - 12:56.

/KB

Yay! Fantasy-Dialog Ende Januar...
Prof.: Dies sind die Bedingungen meiner Vormundschaft. (schiebt 2 Seiten über den Tisch) [..]

Junge: (schockiert, aber er nickt)

Prof.: Sehr gut... Noch eine Sache. Es fällt auf, dass du noch keinen Namen hast. Du benötigst einen.

Junge: Ich habe einen! -...

Prof.: Nein, das genügt nicht. Kein Engländer kann das aussprechen. Hatte Fräulein Slate dir einen gegeben?

Junge: ... Robin.

Prof.: Und einen Nachnamen. [..]

Junge: Einen [anderen] Nachnamen... aussuchen?

Prof.: Englische Leute erfinden sich namentlich ständig neu.

(Studierter Brite in besten Jahren, vs. dem Jungen, den er vor kurzem vorm Verenden in einem chinesischen Slum rettete, grob übersetzt aus Babel, im Harper-Voyager-Verlag, S. 11, by Kuang)


#2 My.

My.

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Geschrieben 24 Januar 2015 - 14:39

Ich habe Caution ja immer für die französische Antwort auf James Bond gehalten, wobei das eher negativ angelegte Image von Caution mir immer so ein bisschen vorkam, wie der Vermerk: "Auch nur so ein Ar***loch wie Bond ..." <g>.

Aber das ist meine Interpretation.

 

Und den Knitterlook haben die Amis auf jeden Fall in "Columbo" übernommen; der erste "Columbo", den ich vor Urzeiten sah, hat mich sofort an das Caution-Outfit erinnert.

 

My.



#3 simifilm

simifilm

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Geschrieben 24 Januar 2015 - 22:47

Um mich hier ausführlich selber zu zitieren:

 

Ein Film, mit dem sich viele Bücher zum SF-Film schwer tun, ist Jean- Luc Godards Alphaville - une étrange aventure de Lemmy Caution: In einer unbestimmten Zukunft reist Lemmy Caution in geheimer Mission nach Alphaville, eine Metropole auf einem fernen Planeten, die vom Elektronengehirn Alpha 60 kontrolliert wird. Unter dessen Herrschaft ist Alphaville eine entmenschlichte Stadt geworden, in der Gefühle verboten sind und den Einwohnern zwangsweise Drogen verabreicht werden. Lemmy ist auf der Suche nach Doktor von Braun, dem Erbauer des Elektronengehirns; im Laufe seiner Ermittlungen lernt er dessen Tochter Natasha kennen, die dank seiner Hilfe die Liebe wieder erlernt. Am Ende, nachdem Lemmy Alpha 60 zerstört hat, flieht das Liebespaar aus der Stadt.

Was sich in der Zusammenfassung wie ein ziemlich konventioneller dystopischer Thriller liest, ist in der konkreten Umsetzung ein Film, der zahlreiche SF-Konventionen bricht und sich nur schwer einordnen lässt. Wie viele Filme Godards zeichnet sich auch Alphaville durch eine Flut von Zitaten und Verweisen aus, die von Hoch- bis Trivialliteratur reichen. So war die von Eddie Constantine dargestellte Hauptfigur Lemmy Caution bereits in anderen Kriminalfilmen zu sehen; die Besetzung suggeriert, dass der Einsatz in Alphaville nur einer unter vielen ist. Neben dem Kriminalfilm, besonders dem film noir, standen verschiedene Comicserien und die Pop Art insgesamt Pate: Zwei Wissenschaftler tragen die Namen der Trickfilmraben Heckel und Jeckel, die Protagonisten bedienen sich abgedroschener Comic-Phrasen, und die Kollegen Lemmys, die vor ihm in Alphaville gescheitert sind, heissen Dick Tracy und Guy Léclair. Gleichzeitig schreckt der Film nicht davor zurück, den Orpheus-Mythos, Lyrik und Zeitgeschichte zu zitieren.
Dieses für Godard charakteristische fröhliche Vermischen unterschiedlichster Einflüsse macht eine Einordnung schwierig: Einerseits bedient sich Alphaville zweifellos typischer SF-Motive und signalisiert auf diese Weise seine Moduszugehörigkeit, gleichzeitig werden die Modusmerkmale in Frage gestellt. Deprimierende Grossstadtbilder wechseln sich mit Kalauern und Blödeleien ab. Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich auch auf der visuellen Ebene, denn obwohl der Film in der Zukunft auf einem fremden Planeten spielt, wurde er komplett in Paris gedreht, ohne irgendwelche Kulissen oder futuristischen Requisiten einzusetzen. Im Falle der Stadtansichten ist dies durchaus wirkungsvoll: Die fiktive Zukunftsstadt Alphaville setzt sich ausschliesslich aus Aufnahmen - anonymen Beton- bauten, Stadtautobahnen - des zeitgenössischen Paris zusammen, in dem sich normal gekleidete Passanten bewegen. Paris, die Stadt der Liebe, wirkt kalt und technisch-unmenschlich, gleichzeitig erkennen wir aber deutlich, dass dies keine wunderbare Stadt ist - ein prägnantes Beispiel für Verfremdung (→ Kapitel 8).
Hat der Verzicht auf jegliche Art von Kulissen im Falle der Stadtansicht eine dystopische Wirkung - die dehumanisierte Zukunft ist schon da -, wirkt das Vorgehen an anderen Stellen befremdend bis komisch: Lemmy fährt mit einem zeitgenössischen Auto durch die Milchstrasse und benutzt einen gewöhnlichen Revolver. Der Film erscheint hier inkonsistent. Zwar wäre es technisch keineswegs unmöglich, dass Raumschiffe in der Zukunft einmal wie Autos aus den 1960ern aussehen werden, aber der Film unterläuft auf diese Weise unsere Erwartungen; denn wenn wir bei SF-Filmen von etwas ausgehen können, dann davon, dass die Zukunft anders aussehen wird.
Ist die Inkonsistenz von Alphaville also genauso einzuordnen wie die eines Cartoons (→ Kapitel 5.1), werden hier typische SF-Motive ironisch gebrochen und durch den Kakao gezogen? Um eine Parodie wie Spaceballs (1987) scheint es sich jedenfalls nicht zu handeln - dagegen sprechen nicht nur die teilweise bedrückenden Bilder und die lyrischen Passagen, sondern auch der Name Godard, der ein anspruchsvolles, künstlerisches Kino verspricht. Ist Alphaville vielleicht die konsequenteste Form der Dystopie, weil sie in der Gegenwart gefilmt ist und ganz auf technische Gadgets verzichtet? Aber wie ernst kann man eine Gesellschaftskritik nehmen, die sich selber nicht ernst nimmt und eine inkonsequente und in sich widersprüchliche Welt entwirft? - Die grosse Unsicherheit, wie man Alphaville verstehen soll, ist typisch für zahlreiche Filme Godards. Gemäss David Bordwell liegt dies nicht daran, dass sie inhaltlich besonders anspruchsvoll oder vieldeutig wären; vielmehr wechselt Godard immer wieder zwischen verschiedenen narrativen Modi hin und her und ver unmöglicht auf diese Weise jegliches Verständnis (Bordwell 1997: 313 f.). Godards Filme sind auf Irritation angelegt und unterlaufen immer wieder die Erwartungen des Zuschauers; im Falle von Alphaville hat das unter anderem zur Folge, dass der Film typische SF-Muster gleichzeitig bedient und in Frage stellt. Damit steht er deutlich ausserhalb des ‹normalen› SF-Kinos. Es ist kein Zufall, dass die Interpretationen weit auseinander gehen und der Film in SF-Kreisen weniger Aufmerksamkeit findet als ausserhalb; die meisten Untersuchungen und Lexika zum SF-Film wissen nicht so recht, wie sie mit Alphaville umgehen sollen, was angesichts seines Aufbaus nicht weiter erstaunt.
(Die Konstitution des Wunderbaren, 165 ff.) 

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Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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