Nancy Kress
Yesterday†™s Kin
Tachyon Publications, 2014
Die Romane und Erzählungen von Nancy Kress wurden zuletzt nur noch sporadisch ins Deutsche übersetzt, nachdem ihre früheren Werke regelmäßig von Heyne herausgebracht wurden. Bei Festa erschien mit „Sternenfeuer“ (2005) lediglich der erste Band der „Propability“-Trilogie, die beiden anderen blieben unveröffentlicht, Bastei-Lübbe brachte mit „Kontakt“ (2005) und „Feuerprobe“ (2006) die beiden (leider nicht so berauschenden) „Kreuzfeuer“-Romane, und in der Edition Andreas Irle kam mit „Hundewahn“ (2012) ein futuristischer Thriller in gebundener Ausgabe. Dazwischen bleiben leider einige Lücken; will man die Werke der fünffachen Nebula- und zweifachen Hugo-Preisträgerin komplett lesen, bleibt einem nichts anderes übrig, als zum Original zu greifen. So auch im Fall von „Yesterday†™s Kin“, Kress†˜ aktuellstem Buch, 2014 bei Tachyon Publications erschienen und gerade auf der Nominierungsliste für den Nebula Award aufgetaucht - in der Kategorie „Novella“, in der Texte mit einer Länge zwischen 17.500 und 40.000 Wörtern einsortiert werden. „Yesterday†™s Kin“, ein Taschenbuch mit 189 Seiten, hat laut der Homepage von Nancy Kress 39.000 Wörter, liegt also nach den Nebula-Regularien knapp unterhalt der Grenze zum Roman †¦
Im Mittelpunkt der kurzweiligen Geschichte steht die Genetikerin Marianne Jenner. Sie hat gerade eine wichtige Entdeckung gemacht, eine 150.000 Jahre alte, bislang unbekannte Haplogruppe mitochondrialer DNA, was allerdings auch nach ihrer eigenen Einschätzung außerhalb der Fachwelt kaum auf Interesse stoßen dürfte. Andere reagieren jedoch deutlich euphorischer: Die Außerirdischen, die „Denebs“, die vor einigen Monaten auf der Erde gelandet sind und jetzt endlich den Grund dafür enthüllen. Demnach stammen sie ursprünglich von der Erde - ihre Vorfahren wurden vor rund 150.000 Jahren von dort entführt (so erklärt sich auch der Titel der Geschichte), in der Zwischenzeit haben sie aus verschiedenen Gründen eine weit überlegene Zivilisation und vor allem Technologie entwickelt. Trotzdem sollen ihnen jetzt die Menschen helfen, eine Katastrophe zu verhindern, die erst die Erde (und zwar schon ziemlich bald) und später auch die Heimat der Denebs treffen wird. Natürlich gehört Marianne Jenner zum Team, das an der Lösung des Problems arbeitet. Doch sie hat auch noch ganz andere Sorgen, nämlich ihre drei erwachsenen Kinder, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Elizabeth, die taffe Polizistin, Ryan, der vordergründig etwas weltfremd daherkommende Biologe, und schließlich Noah, das Sorgenkind, dessen Leben nur um eine Droge kreist, dank der er immer wieder in unterschiedliche Identitäten schlüpfen kann. Ausgerechnet er entwickelt die engste Beziehung zu den Außerirdischen, während um ihn herum der Wettlauf gegen die Zeit tobt. Und natürlich haben die Denebs den Menschen nicht alles verraten.
„Yesterday†™s Kin“ ist ein spannend erzähltes, aber nicht unbedingt spektakuläres Buch, keine Geschichte, die das Rad neu erfindet, und deshalb wohl vielleicht auch nicht (ohne die Konkurrenz bereits zu kennen) der kommende Nebula-Preisträger. Trotzdem lohnt sich die Lektüre unbedingt. Nancy Kress hat schon immer einen wunderbar zu lesenden Stil, ihre Sprache ist einfach, aber schön; das wird gerade in den Hard-SF-Momenten zum Pluspunkt, wenn auch komplexere Zusammenhänge selbst dem Laien gut verständlich vermittelt werden. Und ihre Figuren wirken nie konstruiert, sondern immer lebendig. Mit Marianne Jenner gelingt der Autorin ein Paradebeispiel für diese Behauptung: Die Hauptperson von „Yesterday†™s Kin“ ist nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch Mutter, beides lässt sie nicht nur sehr real wirken, sondern hat auch für die Geschichte, die Nancy Kress erzählt, eine große Bedeutung. Eins fügt sich zum anderen, sorgfältig durchdacht und zusammengesetzt, einfach gut gemacht. So wird auch die Handlung permanent vorangetrieben, ohne dass tatsächlich übermäßig viel passiert. Das Ende ist dann nicht die ganz große Überraschung und dennoch keinesfalls eine Enttäuschung. Auf den ersten Blick wirkt es womöglich etwas zu unaufgeregt, aber das lässt sich insgesamt auch über das ganze Buch sagen - und zwar keinesfalls abwertend, sondern durchaus anerkennend. „Yesterday†™s Kin“ ist eine wirklich runde, sehr lesenswerte Geschichte.