Wieder interessant, danke sehr!
Ich bevorzuge eine Mischung aus beidem, Planung und Bauch: Ich plane die Bühne, das Umfeld, die Motivation der Story, und dann erlaube ich meinen Protagonisten, in diesem Rahmen zu agieren, so wie in einem Rollenspiel. Die Methode mag Nachteile haben, aber sie hat auch einen Vorteil: Sie lässt meine Figuren "richtig" handeln. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass meine Heldin auf ein Logikloch stößt und mir klarmacht, dass sie so etwas Blödes nie tun würde - dann muss ich mir überlegen, was das für die Handlung und den Ausgang der Geschichte bedeutet. Wenn die Planung fehlerhaft war, nimmt die Geschichte eben eine andere Wendung und hat einen anderen Ausgang. Und wenn dadurch der Spannungsbogen leidet - tja, dann muss ich von vorn anfangen.
Aus meiner Sicht muss die Spannung nicht nur in einem einzigen Bogen verlaufen, sondern darf Unterschwingungen zeigen. Ist es wirklich so schlimm, mehr als einen Cliffhanger in einem Thriller zu haben?
Ist der Buchbau wirklich ein Mauerbau? Geradlinig, schlicht, langweilig? Oder mehr wie eine gewagte Spannbetonkonstruktion, bei der Architekten und Baumeister nichts dem Zufall überlassen dürfen? Darf man auf die Bühne steigen und abrocken, oder muss man streng vom Blatt spielen? Geht es darum, eine Fassade zu streichen, oder um ein Bild, das den Betrachter in seinen Bann zieht? (Wobei auch Künstler wie Rembrandt oder Vermeer sehr präzise gearbeitet haben.)
Wohlgemerkt: Wenn ich über Kunst und Kreativität rede, meine ich nicht Schmierereien.
Darf man "Planung" und "Bauch" überhaupt als strenge Gegensätze sehen? Bei mir ist es so, dass ich eine Struktur im Kopf habe (also im "Bauch"), die ich nach und nach ausgestalte und niederschreibe. Die Planung ist da, aber sie reicht anfangs nicht bis ins letzte Detail, und sie ist nicht niedergeschrieben.
Das ist vergleichbar mit dem, was ich auch im Projektgeschäft mache: Eine Top-Down-Planung von groben Meilensteinen zu Phasen, Zyklen, Einzelterminen, und nach und nach Bottom-Up angepasst an den aktuellen Fortschritt und an die äußeren Einflüsse. Niemand plant die Krankheit seiner Ressourcen ein Jahr im Voraus ein. Das ist der Stand der Kunst: Vom Groben ins Feine.
Bearbeitet von Valerie J. Long, 25 November 2015 - 08:31.
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