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SF-Romane mit Ich-Erzähler


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139 Antworten in diesem Thema

#121 Renew

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    Mikronaut

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Geschrieben 23 März 2016 - 19:55

Sehr allgemein gesprochen kann man wohl sagen, dass der klassische allwissende Erzähler heute eher ausser Mode gekommen ist. Ganz ganz vereinfacht gesagt - mit unzähligen Gegenbeispielen etc. - ist der allwissende Erzähler die typische Form des realistischen Romans des 19. Jahrhunderts. Die Literatur der Moderne dagegen stellt gerade dessen Anspruch in Frage - nämlich den objektiven Blick auf die Wirklichkeit. Mit der Literatur der Jahrhundertwende (also zum 20. Jahrhundert) kommen alle möglichen Formen, die sich dadurch auszeichnen, dass es keinen einheitlichen Blick auf die Welt mehr gibt: Stream of consciousness, Montageroman und andere Verfahren sollen just in Szene setzen, dass unser Zugriff auf die Wirklichkeit fragmentiert und subjektiv ist. Mit der Postmoderne werden diese Tendenzen dann noch zugespitzt.

Danke schon mal für die Erklärung. War der allwissende Erzähler jener Zeit eine Gegenbewegung zu früheren Entwicklungen (z.B. zur Aufklärung? Da fielen mir z.B. Defoes "Robinson Crusoe" oder Swifts "Gullivers Reisen" ein. Aber das können natürlich auch die bekannten Ausnahmen von der Regel sein.)?

Man kann also ganz allgemein sagen, dass sich die Literatur tendenziell vom allwissenden Erzähler wegbewegt. Wobei das primär für die literarische Avantgarde gilt und für populäre Genres nur bedingt zutrifft. Die SF etwa hat die Entwicklungen der Moderne erst mit der New Wave der 1960er und 1970er Jahre nachgeholt

Gemäß der Diskussion von der Konferenz scheint es ja mittlerweile auch im Mainstream angekommen zu sein. Aber irgendwie schon lustig, dass ein Genre welches sich thematisch ja eigentlich per Definition als Avantgarde begreifen müsste, stilistisch so weit hinterherhängt...

 

Schöne Grüße,

Rene



#122 simifilm

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Geschrieben 23 März 2016 - 21:02

Danke schon mal für die Erklärung. War der allwissende Erzähler jener Zeit eine Gegenbewegung zu früheren Entwicklungen (z.B. zur Aufklärung? Da fielen mir z.B. Defoes "Robinson Crusoe" oder Swifts "Gullivers Reisen" ein. Aber das können natürlich auch die bekannten Ausnahmen von der Regel sein.)?

Bin jetzt nicht ganz sicher, auf was die Beispiele abzielen. Beide Romane verfügen ja über einen Ich-Erzähler, allerdings einen Ich-Erzähler, der ganz anders gestrickt ist als der "moderne" Ich-Erzähler, der sich durch eine eingeschränkte Perspkeitve auszeichnet.

Gemäß der Diskussion von der Konferenz scheint es ja mittlerweile auch im Mainstream angekommen zu sein. Aber irgendwie schon lustig, dass ein Genre welches sich thematisch ja eigentlich per Definition als Avantgarde begreifen müsste, stilistisch so weit hinterherhängt...

Zumindest die US-amerikanische SF hat ihren Ursprung in den Pulps, und das ist nun mal nicht der Ort, an dem die grossen stilistischen Neuerungen geschehen. Hugo Gernsback etwa hat sehr niedrige Gagen bezahlt, entsprechend waren seine Zeitschriften nicht der Ort, an dem sich die grossen Autoren der Zeit getummelt haben. Ein Autor wie Tolkien wiederum war zwar kein Pulp-Autor, aber definitiv nicht ein Anhänger der Avantgarde. Vielmehr ist sein Blick in verschiedener Hinsicht dezidiert rückwärtsgewandt.

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#123 Renew

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Geschrieben 23 März 2016 - 21:31

Bin jetzt nicht ganz sicher, auf was die Beispiele abzielen. Beide Romane verfügen ja über einen Ich-Erzähler, allerdings einen Ich-Erzähler, der ganz anders gestrickt ist als der "moderne" Ich-Erzähler, der sich durch eine eingeschränkte Perspkeitve auszeichnet.

Ich habe einen Informatikhintergrund und tummle mich in einem SF-Forum. Bitte erwarte von mir auch nur dementsprechendes literarisches Hintergrundwissen ;). Für mich ist Ich-Erzähler weitgehend Ich-Erzähler. Was ich lediglich fragen wollte ist, ob diese, ich nenne sie mal Moden, in der Literatur auch zyklisch auftreten, so wie man bei Kleidung alle 30 Jahre wieder seine Schlaghosen hervorkramen kann. Oder ist diese heute bevorzugte "schnellere" Erzählweise der durch das Internet verdorbenen Aufmerksamkeitsspanne der Jugend geschuldet?  

Zumindest die US-amerikanische SF hat ihren Ursprung in den Pulps, und das ist nun mal nicht der Ort, an dem die grossen stilistischen Neuerungen geschehen. Hugo Gernsback etwa hat sehr niedrige Gagen bezahlt, entsprechend waren seine Zeitschriften nicht der Ort, an dem sich die grossen Autoren der Zeit getummelt haben. Ein Autor wie Tolkien wiederum war zwar kein Pulp-Autor, aber definitiv nicht ein Anhänger der Avantgarde. Vielmehr ist sein Blick in verschiedener Hinsicht dezidiert rückwärtsgewandt.

Ist Fantasy nicht (nahezu) immer rückwärtsgewandt (Vermutlich gab es diese Diskussion hier schon zig-mal...)? Die thematische Avantgarde war eigentlich nur auf die SF bezogen.

 

Schöne Grüße,

Rene  



#124 simifilm

simifilm

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Geschrieben 23 März 2016 - 21:40

Ich habe einen Informatikhintergrund und tummle mich in einem SF-Forum. Bitte erwarte von mir auch nur dementsprechendes literarisches Hintergrundwissen ;). Für mich ist Ich-Erzähler weitgehend Ich-Erzähler. Was ich lediglich fragen wollte ist, ob diese, ich nenne sie mal Moden, in der Literatur auch zyklisch auftreten, so wie man bei Kleidung alle 30 Jahre wieder seine Schlaghosen hervorkramen kann. Oder ist diese heute bevorzugte "schnellere" Erzählweise der durch das Internet verdorbenen Aufmerksamkeitsspanne der Jugend geschuldet?

Die Literatur des frühen 18. Jahrhunderts ist zwar nun wirklich nicht mein Spezialgebiet, aber zwischen einem modernen Roman und einem Werk wie Robinson Crusoe gibt es eklatante Unterschiede. Bei Defoe geht es noch ganz wesentlich darum, den Roman überhaupt als ernsthafte Gattung zu legitimieren; die Berichtform dient hier dazu, dem ganzen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das Erzählte soll als realistisch und authentisch erscheinen. Das ist eine ganz andere Haltung als beispielsweise der Ich-Erzähler von A Clockwork Orange, der sich gerade durch eine ungewohnte Sichtweise (und Sprache auszeichnet).

 

Was Moden und Zyklen betrifft: Es spielen ja ganz unterschiedliche Dinge zusammen. Natürlich gibt es Moden; diese können auch sehr kurzlebig sein. Und es gibt Formen, die in Vergessenheit geraten und dann wieder populär werden. Daneben gibt es aber auch grössere Bewegungen; nehmen wir einen Briefroman wie den Werther. So etwas wird heute kaum noch jemand schreiben, und wenn, dann wohl primär, um mit dieser Form zu spielen. 


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#125 derbenutzer

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Geschrieben 23 März 2016 - 22:09

[...] Aber irgendwie schon lustig, dass ein Genre welches sich thematisch ja eigentlich per Definition als Avantgarde begreifen müsste, stilistisch so weit hinterherhängt...

 

Vielleicht gibt es da eine interpretative Falle, in die man beim schnellen Hinsehen geraten kann. Vielfach wurde früher Science-Fiction (alles jetzt stark vereinfacht) stark als Literatur von erzählerisch umgesetzten Zukunftsprognosen interpretiert. Natürlich nicht nur, aber ältere Begriffe für das Genre (wie etwa "Zukunftsroman" sind dafür z.B. Indizien.

 

Damit ging eventuell eine (vermeintliche) Nähe zu Begrifflichkeiten wie "modern" bzw, "fortschrittlich" einher. Wobei dies ironischerweise manchmal thematisch absolut nachvollziehbar ist, aber ganz sicher nicht für die Form.

 

Meiner Ansicht nach sieht man das sehr gut bei manchen Berühmtheiten der Sechziger und Siebziger. Hier klingt oft ein sehr überzeugter, nach Modernität und Vorne-dabei-sein klingender Brustton in deren Werken mit. Formal hingegen waren gerade einige der Superstars "ultrabieder". Unglaublich gescheite Er-Erzähler kamen vor, eine belehrende Art des Schreibens, des Stils. Fast fühlte man sich an die historisierenden Professorenromane sehr lang vergangener Zeiten erinnert. Nur eben in dem Fall technisch-naturwissenschaftlich orientiert.

 

Asimov, der sicher seine Meriten haben mag, ist für mich ein Beispiel für solche Erscheinungen.

 

Heute empfinde ich alles als etwas aufgelockerter.

 

Was den gegenwärtigen Zustand des Genres angeht, fällt auf, dass sehr, sehr unterschiedliche Erzählweisen vertreten sind. Es gibt durchaus populäre postmoderne Prosa (Mitchell etwa) und eine breite Palette bis hin zu (formal)sehr konventionell geschriebener Military-Sf.


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#126 simifilm

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Geschrieben 24 März 2016 - 09:28

Vielleicht gibt es da eine interpretative Falle, in die man beim schnellen Hinsehen geraten kann. Vielfach wurde früher Science-Fiction (alles jetzt stark vereinfacht) stark als Literatur von erzählerisch umgesetzten Zukunftsprognosen interpretiert. Natürlich nicht nur, aber ältere Begriffe für das Genre (wie etwa "Zukunftsroman" sind dafür z.B. Indizien.

 

Damit ging eventuell eine (vermeintliche) Nähe zu Begrifflichkeiten wie "modern" bzw, "fortschrittlich" einher. Wobei dies ironischerweise manchmal thematisch absolut nachvollziehbar ist, aber ganz sicher nicht für die Form.

 

Die "Modernität" der Gernsback- und Golden-Age-SF zeigt sich sicher nicht im formalen Bereich. An formal-stilistischer Progressivität waren weder Leser noch Autoren interessiert. Wie schon oben geschrieben, musste die SF erst einmal die Entwicklung der "hohen Literatur" nachholen. Zwar strahlen heute Autoren wie Philip K. Dick durchaus auch in andere Bereiche ab, bei Erscheinen war das aber nicht der Fall. Spontan würde ich sagen, dass William Gibson mit Neuromancer erste SF-Autor war, der schon bei Erscheinen auch ausserhalb der SF als stilistisch wegweisend wahrgenommen wurde (was nicht heisst, dass andere SF-Autoren nicht auch ausserhalb wahrgenommen wurden. Aber Erfolgsautoren wie Heinlein, Asimov oder Herbert waren keine stilistische Innovatoren).

 

Von einer etwas abstrakteren Warte aus betrachtet gibt es einen grundlegenden Widerspruch zwischen dem Anspruch der (frühen) SF und der Literatur des 20. Jahrhunderts. Insbesondere die Golden-Age-SF ist eindeutig positivistisch ausgerichtet, will sagen: Ihre Grundhaltung ist, dass es eine Realität gibt, die durchschau- und beschreibbar, der man mittels wissenschaftlicher beikommen kann. Die Literatur des 20. Jahrhunderts hat dagegen einen ganz anderen erkenntnistheoretischen Ansatz. Die verschiedenen Strömungen von Moderne bis Postmoderne gehen davon aus, dass kein objektiver Zugriff auf die Welt möglich ist, dass es nur subjektive Perspektiven resp. verschiedene Realitäten gibt. Deshalb auch die ganzen stilistischen Verfahren, welche keine einheitlich-objektive Sicht auf die erzählte Welt bieten. Eine solche Haltung beisst sich aber mit der Haltung der SF. Insofern ist es nicht, erstaunlich, dass die frühe SF stilistisch konservativer ist.


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#127 simifilm

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Geschrieben 24 März 2016 - 14:10

Zum Thema passend: ein längerer (englischsprachiger) Artikel zum Wandel der SF in den 1960ern.


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#128 derbenutzer

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Geschrieben 24 März 2016 - 16:05

Zum Thema passend: ein längerer (englischsprachiger) Artikel zum Wandel der SF in den 1960ern.

Danke, ausgesprochen lesenswert ...


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#129 Renew

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Geschrieben 28 März 2016 - 20:01

Zum Thema passend: ein längerer (englischsprachiger) Artikel zum Wandel der SF in den 1960ern.

Auch von mir vielen Dank dafür und auch für Deine anderen erhellenden Beiträge.

 

(Columbo-Modus=an) Eine kurze Frage hätte ich noch:

Spontan würde ich sagen, dass William Gibson mit Neuromancer erste SF-Autor war, der schon bei Erscheinen auch ausserhalb der SF als stilistisch wegweisend wahrgenommen wurde (was nicht heisst, dass andere SF-Autoren nicht auch ausserhalb wahrgenommen wurden. Aber Erfolgsautoren wie Heinlein, Asimov oder Herbert waren keine stilistische Innovatoren).

Gilt dies nur für die amerikanische (oder westliche) SF? Zumindest von Lem habe ich den Eindruck, dass er sehr wohl außerhalb wahrgenommen wurde (auch als Literat) und mit entsprechenden (nicht-SF) Preisen überhäuft wurde. Andererseits hat er offenbar keinen polnischen SF-Run ausgelöst (oder dieser wurde hier nicht wahrgenommen). Oder ist er auch im Osten eher das singuläre Ausnahmetalent?

Lem wird ja auch in dem Artikel erwähnt, aber, was mir noch aufgefallen ist, kein deutscher Autor (was bei einem englischsprachigen Artikel nicht viel heißen muß). Aber beim längeren Drübernachdenken ist mir auch kein deutscher SF-Autor eingefallen, den man dem New-Age zuordnen könnte (nicht, dass ich da ein Experte wäre und natürlich lasse ich mich gerne eines Besseren belehren). Ist die Entwicklung (vielleicht Perry Rhodan-bedingt) an Deutschland weitgehend spurlos vorbeigegangen?

 

Nebenbei: Dank dieses Threads habe ich Gateway aus dem SUB hervorgekramt und bin begeistert :) .

 

Schöne Grüße,

Rene



#130 simifilm

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Geschrieben 28 März 2016 - 21:04

Auch von mir vielen Dank dafür und auch für Deine anderen erhellenden Beiträge.

 

(Columbo-Modus=an) Eine kurze Frage hätte ich noch:

Gilt dies nur für die amerikanische (oder westliche) SF? Zumindest von Lem habe ich den Eindruck, dass er sehr wohl außerhalb wahrgenommen wurde (auch als Literat) und mit entsprechenden (nicht-SF) Preisen überhäuft wurde. Andererseits hat er offenbar keinen polnischen SF-Run ausgelöst (oder dieser wurde hier nicht wahrgenommen). Oder ist er auch im Osten eher das singuläre Ausnahmetalent?

Lem wird ja auch in dem Artikel erwähnt, aber, was mir noch aufgefallen ist, kein deutscher Autor (was bei einem englischsprachigen Artikel nicht viel heißen muß). Aber beim längeren Drübernachdenken ist mir auch kein deutscher SF-Autor eingefallen, den man dem New-Age zuordnen könnte (nicht, dass ich da ein Experte wäre und natürlich lasse ich mich gerne eines Besseren belehren). Ist die Entwicklung (vielleicht Perry Rhodan-bedingt) an Deutschland weitgehend spurlos vorbeigegangen?

 

 

Meine Aussage bezog sich in erster Linie auf die englischsprachige SF. Nicht zuletzt, weil der Einfluss anderer SF-Traditionen international nach wie vor vernachlässigbar ist.

 

Zu Lem: Man kann sich darüber streiten, inwiefern Lem ein "echter" SF-Schriftsteller war, Zumindest er selbst betonte schon früh, dass er eben gerade kein Genre-Pfuscher, sondern ein ernstzunehmender Literat sei.

 

Unabhängig davon wird nach allem, was ich weiss, der Einfluss von Lem im deutschsprachigen Raum massiv überschätzt. Das liegt natürlich daran, dass Lem nirgends so erfolgreich war wie eben in Deutschland. Meines Wissens übertraf sein Erfolg in unseren Breitengraden sogar jenen in Polen. Und ein Teil davon ist auch erfolgreiche Selbststilisierung. Lem hat sich eben schon sehr früh als grosser Denker und Autor inszeniert und insbesondere in Deutschland hat das auch funktioniert. Sein tatsächlicher Einfluss - und damit sage ich nichts über die Qualität seiner Werke aus, von denen ich einige sehr schätze - dürfte letztlich aber gering gewesen sein. In den USA waren viele seiner Titel lange nicht lieferbar, und spontan fallen mir eigentliche kaum Autoren/Werke ein, bei denen ich sagen könnte, dass sie von Lem inspiriert sind. In diesem Sinne kann man auf jeden Fall sagen, dass das internationale Echo Lems nicht mit dem von Gibson zu vergleichen ist (und selbst wenn, würde sich das kaum auf jeden Stil beziehen. Was immer man auch von Lem hält, stilistisch ist er sicher nicht ein bahnbrechender Autor).

 

Als Denker - d.h. als Philosoph und als Literaturtheoretiker - schliesslich ist Lem völlig irrelevant. Auch das mit dem "überhäuft werden mit Preisen" stimmt meines Wissens nicht; wenn ich mir Lems Wikipedia-Eintrag anschaue, sehe ich da neben einigen Ehren-Doktortiteln nicht viele namhafte Preise.

 

(Mein geschätzter Kollege Jacek Rzeszotnik, der ein Experte in Sachen Lem ist, hat im aktuellen Quarber Merkur zwei Briefbände Lems besprochen und kommt da zu nicht sehr schmeichelhaften Einschätzungen. In seiner Darstellung war Lem masslos von sich selbst überzeugt und sehr manipulativ; er war immer darum bemüht, sich als grosses Genie darzustellen und scheute sich nicht, Leute schamlos auszunutzen. Sein grosses Ziel war der Literaturnobelpreis; dazu ist es freilich nie gekommen).


Bearbeitet von simifilm, 29 März 2016 - 08:20.

Signatures sagen nie die Wahrheit.

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Alles Wissenswerte zur Utopie im nichtfiktionalen Film gibt es in diesem Buch, alles zum SF-Film in diesem Buch und alles zur literarischen Phantastik in diesem.
 

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#131 Valerie J. Long

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Geschrieben 29 März 2016 - 08:26

Ich habe mehrere Bände Lem gelesen und habe mich jedesmal gelangweilt. Aber es war suhrkamp, also musste es wichtig sein.



#132 derbenutzer

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Geschrieben 29 März 2016 - 09:31

Ja, bei Suhrkamp zu veröffentlichen, das hieß schon was ... ;)

 

Was die Art und Weise des Erzählens angeht, kann ich bei Lem auch keine originellen, innovativen Dinge ausmachen. Was jetzt nicht heißt, dass er keine ausgesprochen lesbaren Sachen produziert hat.

 

Stilistisch bemerkenswert fand ich den (Ich-Erzähler)  Roman Transfer (auch  Rückkehr von den Sternen), da er in manchen Teilen fast schon stream of consciousness wiedergibt.

 

Einige seiner Werke sind ausgesprochen gut gelungen, auch außerhalb der satirischen Schriften. Obwohl man auch sagen muss, dass er (ja, ich weiß, Sakrileg ...) in bestimmten Romanen so eine ausgeprägt dünne Personenzeichnung abliefert, dass man irritiert verbleibt.

 

Es gäbe u.a. noch einiges zu seinem Frauenbild (in bestimmten Romanen) zu bemerken. Das passt aber nicht gerade gut in den Thread.


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#133 Naut

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Geschrieben 29 März 2016 - 09:44

Ich habe mehrere Bände Lem gelesen und habe mich jedesmal gelangweilt. Aber es war suhrkamp, also musste es wichtig sein.

Och, so hart würde ich das nicht formulieren. Ist zwar schon 25 Jahre her, dass ich ihn gelesen habe, aber "Frieden auf Erden", "Solaris" (und ein paar andere) fand ich recht gelungen. Es gab zu der Zeit bei Suhrkamp viiiiel schlimmere Langweiler.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#134 Valerie J. Long

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Geschrieben 29 März 2016 - 11:46

Es gab zu der Zeit bei Suhrkamp viiiiel schlimmere Langweiler.

Mag sein. Ich habe zu der Zeit verschlungen, was mir in die Finger kam, Heinlein, Foster, Doc Smith, Harrison, Dominik und so weiter ... bei Heyne, Goldmann, Moewig, teils sogar Knaur, und das war alles erheblich kurzweiliger. Suhrkamp war Lückenbüßer, mit Franke, Lem und Lovecraft - letzterer ist mir als vergleichsweise interessanter im Gedächtnis geblieben.



#135 Selma die Sterbliche

Selma die Sterbliche

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Geschrieben 29 März 2016 - 12:27

Zu simifilm vom 18.3.: als ich damals zu schreiben begann (mehr als ein wenig psychotisch, doch das ist ein anderes Thema) konnte ich zwar noch nicht gescheit erzählen, habe aber durchaus mit den Perspektiven experimentiert. Der dünnbändige Vorläufer der Elektron-Saga wurde mehrmals entsprechend umgeschrieben (blieb aber dermaßen gräßlich, dass ich beim Neubeginn 2008, nach 10 Jahren Pause, fast alles verbrannt habe). Seltsamerweise war aber die Ich-Perspektive dann (2008) völlig klar. Der Spielraum für Alternativen war nicht länger vorhanden. Allerdings empfinde ich den Schreibprozess seitdem um einiges schmerzhafter. Nicht selten kneife ich zumindest für eine Zeitlang lieber in dieses Netzwerk aus.


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#136 Renew

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Geschrieben 29 März 2016 - 20:58

[...]Mein geschätzter Kollege Jacek Rzeszotnik, der ein Experte in Sachen Lem ist, hat im aktuellen Quarber Merkur zwei Briefbände Lems besprochen und kommt da zu nicht sehr schmeichelhaften Einschätzungen. In seiner Darstellung war Lem masslos von sich selbst überzeugt und sehr manipulativ; er war immer darum bemüht, sich als grosses Genie darzustellen und scheute sich nicht, Leute schamlos auszunutzen.

Vielen Dank auch für diese Ausführungen (Wobei ich die bei Wikipedia angemerkten Verdienstkreuze und Staatspreise von ihrer innerpolnischen Wichtigkeit nicht einzuordnen vermag). Allerdings scheint es sich um das typische Herr Tur Tur-Phänomen zu handeln. Auch ein Grund, warum ich nicht viel von Fandom-Veranstaltungen (und Backstage-Pässen bei Konzerten) halte. Da kann man nur verlieren. Ich meine mich auch noch an ein Interview mit Reich-Ranicki erinner zu können, wo er zu seiner Meinung zur SF befragt wurde. Dort erwähnte er, in seiner Jugend ein paar Lems gelesen zu haben, diese aber schnell zugunsten richtiger Literatur entsorgt zu haben. Nachher war aber wohl mit Lem befreundet, ohne sich aber über dessen Werk mit ihm auszutauschen.  

Was die Art und Weise des Erzählens angeht, kann ich bei Lem auch keine originellen, innovativen Dinge ausmachen. Was jetzt nicht heißt, dass er keine ausgesprochen lesbaren Sachen produziert hat.

Immerhinhat er uns die wunderbaren Phantolemchen und Kamikätzchen (und jede Menge anderer origineller Worte) geschenkt.  

Es gäbe u.a. noch einiges zu seinem Frauenbild (in bestimmten Romanen) zu bemerken. Das passt aber nicht gerade gut in den Thread.

Ich glaube, das könnte man nahezu jedem Autor dieses Zeitalters vorwerfen.  

Mag sein. Ich habe zu der Zeit verschlungen, was mir in die Finger kam, Heinlein, Foster, Doc Smith, Harrison, Dominik und so weiter ... bei Heyne, Goldmann, Moewig, teils sogar Knaur, und das war alles erheblich kurzweiliger. Suhrkamp war Lückenbüßer, mit Franke, Lem und Lovecraft - letzterer ist mir als vergleichsweise interessanter im Gedächtnis geblieben.

Der Name Suhrkamp (und die Aufmachung der Bücher) hat mich früher auch fern gehalten. Dabei wurden dort auch die Strugazki-Werke und, falls ich mich recht erinnere, sogar ein paar Sachen von Dick und Wyndham veröffentlicht.

 

Schöne Grüße,

Rene



#137 Valerie J. Long

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Geschrieben 30 März 2016 - 06:56

Immerhin hat er uns die wunderbaren Phantolemchen und Kamikätzchen (und jede Menge anderer origineller Worte) geschenkt.

War er das oder sein deutscher Ãœbersetzer? ;)



#138 simifilm

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Geschrieben 30 März 2016 - 08:01

War er das oder sein deutscher Ãœbersetzer? ;)

 

Tatsächlich habe ich mal irgendwo gelesen, dass Lems Erfolg in Deutschland massgeblich mit den gelungenen Ãœbersetzungen zusammenhängen würde (ähnlich wie bei Ephraim Kishon, der in Deutschland noch hoch gehandelt wurde, als sich in Israel längst niemand mehr für ihn interessierte). Inwieweit das stimmt, kann ich freilich nicht beurteilen. Zumindest die schon erwähnte Solaris-Ãœbersetzung würde diese These nicht stützen. Ansonsten fand ich Lems Sprache aber in der Tat meist sehr angenehme schnörkellos und klar.


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#139 Selma die Sterbliche

Selma die Sterbliche

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Geschrieben 31 März 2016 - 15:36

[color=rgb(40,40,40);font-family:helvetica, arial, sans-serif;] Reich-Ranicki war ja selbst der typische Herr Tur Tur. Ich ziehe den Hut vor seinem Schicksal und wie er dieses weggesteckt hat. Auch Klugheit und Bildung seien ihm unbenommen. Doch die Art und Weise wie er z.B. mit Elke Heidenreich umgegangen ist, kann mensch nur unschön nennen.[/color]


Bearbeitet von Selma die Sterbliche, 31 März 2016 - 15:37.

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#140 derbenutzer

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Geschrieben 15 April 2016 - 18:07

Mittlerweile bin ich fast durch mit einer Ich-Erzähler-Suche, die den Kreis der Hugo-Preisträger (best Novel) von 1953 bis heute abklappert. An sich keine mächtige Aufgabe, aber ich bleibe immer lesend auf der Strecke hängen. ;)

 

Jedenfalls traue ich mich schon jetzt zu behaupten: der Erkenntnisgewinn hält sich in Grenzen. Statistisch ist die "Probe" wohl zu klein, um irgendwelche spezielleren Schlüsse zu ziehen. Die ersten 10 oder 20 Jahre "heinleint" es beispielsweise sehr; das habe ich allerdings vorher schon gewusst ... B-)

 

Interessant ist es allemal ...

 

LG

 

Jakob


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