Spoiler Inside
Meine erste Antho in diesem Jahr (Guter Vorsatz No.7: Mehr deutschsprachige Anthos lesen) war "Aetherraunen" der Freien Redaktion Xun, herausgegeben von Bernd Walter, als eBook Ende Dezember 2016 erschienen. Darin sind 16 Geschichten enthalten, die teils mehr und teils weniger mit Steampunk (so wie ich ihn verstehe) zu tun haben. Wobei eine der Geschichten, in der eine Dame in einem (nicht dampfbetriebenen) Lamborghini Countach unterwegs ist, ganz offensichtlich das Thema verfehlt hat. 
Bei den übrigen Geschichten hat's Licht und Schatten. Die eine oder andere ist sprachlich oder vom Plot her eher nicht eben auf höchsten (oder auch nur hohem) Niveau und hätte die Arbeit eines Lektors vertragen können. Wenn in der Eröffnungsszene ein Arzt "seine Arztsachen in die Tasche packte", schüttelt es mich. Kann man schreiben, wenn die Protagonistin, die dies beobachtet, im Kindesalter ist. Die betreffende Dame aus besserem Hause soll aber kommende Woche verheiratet werden, Arztsachen - nee, das geht nicht. Eine andere Geschichte fängt so an: „Hamish John August Belmor †¦ wann arbeitest du endlich was Sinnvolles? Jonathan Belmor, der II., stand mit hochrotem Gesicht und die Fäuste in die äußerst umfangreichen Hüften gestemmt wie ein zorniger Rachegott auf der Türschwelle zwischen Salon und Vestibül des Herrensitzes Belmor Hall, und schien aus seinen vor Ärger weit aufgerissenen Augen feurige Blitze auf seinen Sohn abschießen zu wollen, dem Objekt seines aufgestauten Ärgers, der prompt eingeschüchtert das Genick einzog, während er eilig in seinen Gehrock schlüpfte und nach dem schwarzen Samtzylinder griff." Weia. "Was sinnvolles" gefolgt von Bandwurmsatz.
Zum Glück sind die meisten anderen Geschichten handwerklich solider geschrieben. Plottechnisch ist die Mischung recht bunt. Die erste Geschichte hätte so auch von Clark Darlton sein können: Eine Dampfrakete erreicht durch Aetherverschiebungswellen Überlichtgeschwindigkeit und fliegt zum nächstgelegenen Sonnensystem, wo dem Assistenten ein Missgeschick passiert und er eine Revolte der dortigen mechanischen Dienerschar auslöst. Anderswo sind Dämonen mit Hilfe eiserner Golems zu bekämpfen, bringen englische Forscher barbarischen Wikingern mit Hilfe einer Zeitmaschine die Segnungen des Fünf-Uhr-Tees, repariert die Tochter eines Erfinders das Flugschiff von Luftpiraten, um von diesen noch rechtzeitig zur Hochzeit ihrer Schwester geflogen zu werden oder hat Professor Orlesius mit Hilfe von Dampfrechnern ein beeindruckendes Modell des Sonnensystems gebaut, dessen Himmelskörper physikalisch besucht werden können.
Am Besten gefallen haben mir "Der Maschinist" von Andrea Z. Rhein, eine düstere Vision von gleichgeschalteten, nummerierten Menschen, bei denen Anfälle von Träumen und Fantasie stationär behandelt werden, "Der Kaffeeautomat" von Werner Hermann, eine Groteske, in der sich die automatischen Herrscher von Zankreich, Nussland etc. dem Diktat des mechanischen österreichischen Bundeskaisers Max beugen, während die Menschen von den Automaten in Kriegen verheizt werden, "Die falsche Königin" von Jasmin Jülicher, eine weitere Dystopie, in der Maschinen die Erde verwüstet haben und die englische Königin Victoria von ihrem Palast aus ihre ohnehin schon im Elend lebenden Untergebenen mit Nachbauten dieser Maschinen - Gears - drangsaliert, und "Unter Blitzen" von Thomas Jordan, bei der die Entwicklung immer höher fliegender Luftschiffe einem der Teamingenieure ein ganz besonders Anliegen zu sein scheint ...
Alles in allem ein durchwachsener Start ins Lesejahr 2017 mit Luft nach oben.
