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Utopie und Science Fiction


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15 Antworten in diesem Thema

#1 Theophrastus

Theophrastus

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Geschrieben 23 September 2004 - 21:19

Welche Unterschiede oder Gemeinsamkeiten seht ihr zwischen den Utopien und Science Fiction? Könnt ihr mir vielleicht Literatur nennen?Ich frage aus Privatinteresse. Natürlich kenne ich mich einigermaßen aus mit SF und Utopien. Aber ich möchte mich näher damit beschäftigen, z.B. welche Entwicklungen diese Literaturformen genommen haben.So kann H.G. Wells als SF-Autor (Die Zeitmaschine) gesehen werden, gleichzeitig kann sein "Menschen Göttern gleich" sicherlich als Utopie eingeordnet werden. Und wie genau sind die Utopie- und Science Fiction-Definitionen? Gibt es in der Utopieforschung mehr Versuche konkrete Begrffsdefinitionen zu finden, während es in der SF nicht so ist? Interessiert mich, weil ich dazu nichts weiß.

#2 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

    Biblionaut

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Geschrieben 23 September 2004 - 21:33

...Und wie genau sind die Utopie- und Science Fiction-Definitionen? Gibt es in der Utopieforschung mehr Versuche konkrete Begrffsdefinitionen zu finden, während es in der SF nicht so ist...Interessiert mich, weil ich dazu nichts weiß.

uiuiui...da kannst du mal die Suchmaschine anwerfen und OnBoard ein bisschen stöbern. Ich kann mich da an einige heisse Diskussionen erinnern, zumindestens über die Definition der SF zb "Ansichten zur Phantastik" http://www.scifinet....?showtopic=1704 oder "Hard-SF oder Soft-SF oder was? http://www.scifinet....?showtopic=1985 oder "Was ist gute SF" http://www.scifinet....?showtopic=1777 oder "SF-Definitionen gesammelt... http://www.scifinet....?showtopic=1849 oder "subgenres - SF, Fantasy, Horror - Was will man mehr http://www.scifinet....?showtopic=1818 und noch einiges das ich jetzt nicht finde Gruß Thomas

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

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#3 Joe Chip

Joe Chip

    The Saint

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Geschrieben 23 September 2004 - 21:40

hi all

das war das thema der schreibwerkstatt welche einige forumsmitglieder im frühjahr besuchten
(auch meine wenigkeit)

LINK

da steht zB:

Science-Fiction-Romane- und Erzählungen wurden im deutschsprachigen Raum früher oft als "utopische Literatur" bezeichnet. In den meisten Fällen entsprachen die so bezeichneten Texte nicht dem eng gefassten Begriff der "Utopie", wie er sich nach Thomas Morus' Roman "Utopia" eingebürgert hatte. Sie entwarfen nur selten eine "ideale" zukünftige Gesellschaft - oder im Fall der Antiutopie (auch Dystopie) deren Pervertierung und Gegenteil. Soziale (auch künstlerische, politische, religiöse) Utopien spielten und spielen in der Science Fiction eine geringere Rolle als technische Utopien - aber sie spielen eine Rolle, und sei es nur in wenigen Sätzen. Mögliche zukünftige (in Alternativweltgeschichten oder Uchronien auch denkbare vergangene) Entwicklungen einer oder mehrerer Gesellschaften sind ein unverzichtbarer Bestandteil von SF-Geschichten. Sie sind eine der grundlegenden Prämissen. Sie sind die Bühne, auf der sich die Figuren bewegen und entwickeln können, auf der sie ihre Konflikte austragen und dem Leser ein imaginäres Schaupspiel liefern, das ihn im Idealfall in eine andere Welt entführt.
Richtig eingesetzt, sind Utopien ein mächtiges Werkzeug zur Entwicklung komplexer, spannender und - nicht zuletzt - unterhaltsamer Science-Fiction-Geschichten.


lg joe :unsure:
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#4 Ronni

Ronni

    Kürbisnaut

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Geschrieben 24 September 2004 - 08:18

@Theophrastus Ich kenne inzwischen ein paar Leute, die versuchen, jeden Buchstaben irgend einer Genre oder Sub-Genre zuzuordnen. Persönlich bevorzuge ich aber die pragmatische Einteilung, in der »Science Fiction« der "internationale" Begriff für »Technisch-Utopische Literatur« ist, und beides zusammen der Sammelbegriff für alles, was irgendwie mit (Pseudo-)Wissenschaft und Zukunft zu tun hat. Die wohl umfangreichste Sammlung an deutschsprachigen Texten zum Thema "Geschichte der SF" im Internet findest Du bei epilog.de. Gute Startpunkte sind Die Definition der Science Fiction, das Verzeichnis Essays und Artikel zu SF und die Serie Science Fiction History. Gruß Ronni
Die Schlauheit des Fuchses basiert zu 90% auf der Dummheit der Hühner.

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#5 dyke

dyke

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Geschrieben 24 September 2004 - 09:34

Zu Utopien gibt es hier einige Buchtexte UTOPIE1 unter anderem den kompletten Text von Callenbach: Ökotopia LG Dyke

#6 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 24 September 2004 - 09:35

Ich sehe in der Utopie sozusagen die Mutter der Science Fiction. Die Utopie (und auch die Dystopie) befassen sich damit, WIE es werden könnte. Science Fiction geht einen Schritt weiter und befaßt sich damit, WARUM es zum WIE kommt und wie sich dieses WIE in bestimmten Details (Wissenschaft, Politik, Gesellschaft etc.) gestaltet.Als lokalen Begriff der Science Fiction ziehe ich übrigens den Begriff der "Wissenschaftlichen Phantastik" dem der "Technisch-utopischen Literatur" vor, da letzterer in jedem einzelnen Wort irreführend sein kann.technisch = Begrenzung auf einige wenige Wissenschaften.utopisch = Eine zeitliche und wertende Festlegung, die in der Praxis häufig nicht zutrifft.Literatur = Festlegung auf bestimmte Medien.dagegen:phantastisch = Sowohl fiktional als auch über der jetzt erfahrbaren Welt angesiedelt ...wissenschaftlich = ... und dabei der sorgfältigen Ausarbeitung und Plausibilität unterworfen.
Though my soul may set in darkness, it will rise in perfect light;
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#7 ThK

ThK

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Geschrieben 24 September 2004 - 11:04

Tja, wie meine Oma immer sagte: "Liest du wieder das utopische Zeugs?" Ich entsinne mich, dass sie bei Captain Future und Raumschiff Enterprise immer meinte: "Dieser ganze utopische Blödsinn, Roboter und Laser, sowas ist doch alles Unsinn." (Was mußte ich doch grinsen, als ich während meiner Diplomarbeit gerade meinen CO2-Laser einem Testlauf unterzog und aus dem Radio der alte Captain-Future-Soundtrack dröhnte. Doch ich schweife vom Thema ab.) Gute Science Fiction ist doch eigentlich meistens dystopisch und nicht utopisch, oder? Eine der wenigen Ausnahmen ist Star Trek. Bei einer Lesung im Juni erkundigte sich übrigens eine Zuhörerin bei mir, warum es in der SF so wenig Utopien gäbe. Ich fragte sie darauf, wer denn schon einen Krimi ohne Mord lesen wolle. Als Antwort konnte sie das wohl nicht so ganz überzeugen.

Bearbeitet von ThK, 24 September 2004 - 11:13.


#8 Rusch

Rusch

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Geschrieben 24 September 2004 - 11:34

Ich glaube, dass der Begriff "Utopischer Roman" überhaupt nie richtig festgelegt wurde. Unter eine Utopie verstehe ich Werke wie "A Brave New World", "Fahrenheit 451" oder "1984". Ich denke der Begriff Utopie ist veraltet und wird in 20 Jahren vollends aus dem Sprachschatz verschwunden sein, eben will sich keiner unter Utopie nicht vorstellen kann.

#9 Dragon

Dragon

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Geschrieben 24 September 2004 - 13:08

Meiner Ansicht nach ist die Utopie aber auch ein sehnen nach einer besseren Gesellschaft. Cyrane de Bergery hat da einem ziemlichen Klassiker geschrieben. Die Reise zu den Mond und Sonnen Reichen glaub ich heißt es. Ich habe nur auszüge davon gelesen.Aber für mich sind Utopien einfach das ersinnen neuer gesellschaftlicher Systeme. Einfach es in Gedanken besser werden zu lassen. Weiter gute Beispiele sibnd Schöne neue Welt oder 1984.Heutzutage vermisse ich die Zeitkritische Utopie etwas, insbesondere was gesellschaftliche Belange angeht. Es gibst zwar viel Katastropen und Scien Fiction Szenarien, jedoch eher weniger gedanken zu anderern besseren Gesellschaftformen. Und gerade in der heutigen Zeit sollte das doch wichtiger den je sein, im Angesicht braunen Spuks.

#10 MartinHoyer

MartinHoyer

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Geschrieben 24 September 2004 - 14:52

Unter eine Utopie verstehe ich Werke wie "A Brave New World", "Fahrenheit 451" oder "1984".

Genau das sind eben keine Utopien. Eine Utopie ist die Beschreibung eines fiktionalen, idealen Gesellschaftszustands, der übrigens nicht zwingend in der Zukunft angesiedelt sein muß (Um mein früheres Posting etwas zu relativieren ...).

Die alten Griechen sahen siedelten ihre Utopien in der Vergangenheit an, nach einer Mentalität mit dem Tenor "früher war alles besser", "wir sind nur die Erben der wirklichen Größe" und "nix is' mit besser werden". Das zog sich über die mittelalterliche Hermeneutik bis in die Neuzeit.

Erst mit der Moderne, oder sagen wir besser, mit dem Aufkommen einer Fortschrittsgläubigkeit, suchte man Utopia in der Zukunft und machte daraus ein anzustrebendes, ein zu kreierendes Gebilde. Dazu gehörte auch die Schiene, daß eine ausreichende Technisierung ausreichen würde, dieses Utopia zu schaffen.

Und die logische Reaktion darauf waren natürlich die Pessimisten, die den Optimisten vor Augen führten, daß auch diese Paradiese für Manche die Hölle sein würden. Witzigerweise wurden sie damit bekannter und haben überdies die plausibleren Prognosen geliefert. Die Pessimisten von gestern sind eben häufiger die Realisten von heute.

SF ist, sofern sie nicht rückwärtsgewandt hommagiert/plagiiert, weder sehr optimistisch noch ganz pessimistisch. Man hat begriffen, daß ein Utopia weder 100%ig möglich, und auch kein Ergebnis, sondern ein Ablauf ist. Kurz: SF beschreibt das Streben nach Utopia, nicht das Leben darin (Utopie) oder dessen Untergang (Dystopie).
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#11 yiyippeeyippeeyay

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Geschrieben 24 September 2004 - 21:42

Die wohl umfangreichste Sammlung an deutschsprachigen Texten zum Thema "Geschichte der SF" im Internet findest Du bei epilog.de. Gute Startpunkte sind Die Definition der Science Fiction, das Verzeichnis Essays und Artikel zu SF und die Serie Science Fiction History.

Hi Ronni, vielen Dank für diese Links: Diese Seiten kannte ich bisher nicht - noch ein Grund öfter mal bei Epilog.de reinzuschauen...

Zu dem Thema dieses Threads: Ich halte nicht viel von ewigen Kategorisierungsversuchen - das überlasse ich gerne den Buchhändlern bzw. Verlags-Marketing-Abteilungen. Bei den Begriffen "Utopie/Dystopie" kommen bei mir am schnellsten immer 2 gern gelesene Werke aus der Versenkung: Le Guin's Dispossessed und Swift's Gulliver - beide eigentlich Mischungen der beiden Konzepte mit einem deftigen Schuss SF/Phantasie drin, also m.E. eigentlich jegliche Begriffsgrenzen sprengend. Vielleicht sind ja die beiden genannten Konzepte im eher "allwissenden" Informationszeitalter einfach veraltet (d.h. aus einer anderen romantischeren oder filosofischeren Epoche)?

/KB

Yay! Fantasy-Dialog Ende Januar...
Prof.: Dies sind die Bedingungen meiner Vormundschaft. (schiebt 2 Seiten über den Tisch) [..]

Junge: (schockiert, aber er nickt)

Prof.: Sehr gut... Noch eine Sache. Es fällt auf, dass du noch keinen Namen hast. Du benötigst einen.

Junge: Ich habe einen! -...

Prof.: Nein, das genügt nicht. Kein Engländer kann das aussprechen. Hatte Fräulein Slate dir einen gegeben?

Junge: ... Robin.

Prof.: Und einen Nachnamen. [..]

Junge: Einen [anderen] Nachnamen... aussuchen?

Prof.: Englische Leute erfinden sich namentlich ständig neu.

(Studierter Brite in besten Jahren, vs. dem Jungen, den er vor kurzem vorm Verenden in einem chinesischen Slum rettete, grob übersetzt aus Babel, im Harper-Voyager-Verlag, S. 11, by Kuang)


#12 molosovsky

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Geschrieben 25 September 2004 - 11:27

Kleiner Info-Beitrag.

Eintrag aus Indexband der »Synchronoptischen Weltgeschichte« von Arno Peters (Zweitausendeins, ein wenig linkslastig, aber ein echtes Wunderbuch).

»Utopie, aus dem Titel einer staatstheoretischen Schrift von Thomas Moorus abgeleitete Bezeichnug für Staatstheorien, die meist auf ein ideales Zusammenleben der Menschen in Gütergemeinschaft und Gleichheit gerichtet sind. Da dem Bürger im kapitalistischen Staat diese kommunistische Staatsvorstellung unwirklich erschien, wurde das Wort zur Bezeichnung für ein wohlgemeintes Hirngesprinst.«

Schön finde ich an dieser Definition, daß sowohl das Wort STAATSTHEORIEN als auch HIRNGESPRINST genannt wird :-)

Altes aber wenig bekanntes Beispiel:
Johann Gottlieb Priber und sein »Paradies« auf dem Gebiet der Cherokee (nahe Savannah), die einzige säkulare, naturrechtlich begründete Kommune des 18. Jahrhunderts. (Lesenswert bis zum Anschlag: Ursula Naumann »Pribers Paradies - Ein deutscher Utopist in der amerikanischen Wildnis«, Eichborn/Andere Bibliothek.)

Aktuelle Beispiele:
Die New American Century-Bewegung;
Tobin-Steuer und andere Korrekturen der Globalität wie von ATTAC und anderen propagiert;
diese komischen Ufo-Sektierer in Kalifornien die am Klonbaby arbeiten, und natürlich die Scientologen mit ihrer Lügendetektor-Gemütlichkeit.

Ich finde, man sollte scharf unterscheiden, zwischen solchartigen *echten Utopien* und den fiktionalen und verulkenden Utopien, die dann eben auch zu Zerrbildern eines idealen Zusammenlebens werden. Hier kommen dann Lukian, Swift und Erben zum Zuge.

Zuletzt noch eine Teilwiedergabe der chronologischen Aufstellung aus dem Indexband von Peters:
449 v.Chr.: Hippodamos' Staatsideal
374 v.Chr.: Plato »Politeia«
320 v.Chr.: Theopompos' Staatsideal
283 v.Chr.: Zenos' Staatsideal
280 v.Chr.: Euhemereos' Staatsideal
224 v.Chr.: Chrysipps' Staatsideal
941 n.Chr.: Al Farabis Staatsideal
945 n.Chr.: Isländisches Staatsideal
1516 n.Chr.: Thomas Moorus »Utopia«
1528 n.Chr.: Ideal der Wiedertäufer
1602 n.Chr.: Campanella »Sonnenstaat«
1625 n.Chr.: F. Bacons Staatsideal
1652 n.Chr.: Winstanleys Staatsideal
1675 n.Chr.: Vairasses Staatsideal
1755 n.Chr.: Morellys Staatsideal
1768 n.Chr.: Mablys Vorstellung
1800 n.Chr.: Fichte »Handelsstaat«
1812 n.Chr.: Owen »Neue Ansicht«
1838 n.Chr.: Weitlings Staatsideal
1840 n.Chr.: Proudhons Vorstellung
1842 n.Chr.: Cabets Entwurf
1888 n.Chr.: Bellamys Utopie


Wieder aus meinen Hirn: Man kann durchaus auch als Utopien begeifen: Augustinus »Gottesstaat«, Hobbes »Leviathan«, Defoes Vorschläge für den Englischen Handel, Roussaues Gesellschaftsvertrag und sein Ideal vom naturbelassenen Menschen usw usf.

Mir kommt es so vor, als ob man heutzutage nicht mehr so laut und bunt auf die ernstgemeinten Utopien aufmerksam macht. Und ich habe das Gefühl, als ob in Deutschland seit der Wiedervereinigung (die ja 40 Jahre lang eine Utopie war) eine ziemliche Utopie-Impotenz herrscht. Kaum etwas wird so wenig öffentlich verhandelt, wie die Vorstellungen vom Zusammenleben in - sagen wir - 100 Jahren.

@ Martin: Deine Bevorzugung von »wissenschaftliche Phantastik« gegenüber »technisch-utopische Literatur« gefällt mir.

@ Dragon: Cyrane de Bergery??? Meinst Du die Langnase Cyrano de Bergerac und seine Reise zum Mond und zur Sonne? Ist keine richtige Utopie, sondern ehr wie Swift eine geistreiche Verulkung.

Und knapp zu »1984«: Ist doch eine Super-Utopie, die den schweren Weg eines Querulanten zum Glück erzählt. Die letzten Sätze der erzählenden Handlung lauten immerhin:
»†¦ Aber nun war es gut, war alles gut, der Kampf beendet. Er {Winston Smith} hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder.«

Der Selbstbetrug des Menschen kennt keine Grenzen.
2 + 2 = 5
Grüße
Alex / molosovsky

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#13 Harun Raffael

Harun Raffael

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Geschrieben 29 September 2004 - 20:48

@ronni:Genre-Definitionen sind aber nützlich - damit Werke, die zu eigen sind, um in gängige Publicity-Schienen zu gelangen, überhaupt wahrgenommen werden. So haben sie ein warmes Zuhause, statt einsam und verloren im finsteren Walde zu stehen.Die genannten Links zu Sf-Definitionen: viele ideale Absichtserklärungen, viele allzu enge Festlegungen, ein übermonumentaler Artikel im Epilog-Lexikon - da will ich doch mal darauf hinweisen, daß die prägnanteste und kompakteste SF-Definition wohl die Kriterien in der Bibliografie des Shayol-SF-Jahrbuchs sind.In meiner eigenen, etwas knapperen Fassung:Science Fiction spielt außerhalb der gegenwärtigen oder historischen Realität, und beruht dabei auf einem rationalistischen, naturwissenschaftlichen Weltbild. Anderer Definitionsansatz: Science-Fiction-Erzählungen sind in einer industriellen Gesellschaft angesiedelt, oder in den Überresten einer untergegangenen solchen. Das ist weit genug gefaßt, um nicht alle möglichen ungewöhnlichen Storyansätze im Regen außerhalb jeder Kategorie stehen zu lassen. Außerdem: Die Mehrzahl schlechter, billiger, aber genremäßig eindeutiger Science Fiction wird ja der üblichen Definition selbst nicht gerecht, weil die fiktive Science zu schlampig erfunden ist, um den bekannten Naturgesetzen zu gehorchen. :unsure: Implikation für den aktuellen Thread : Utopien sind ein Teilgenre der SF. Evtl. mit vereinzelten Ausnahmen. Und um weniger per Definition und mehr inhaltlich zu argumentieren: Science Fiction hat in ihrem Urkern eine idealistische Haltung - sie beschreibt das, was sein könnte. In den besseren Fällen um zu hoffen, zu versprechen, zu inspirieren, zu warnen. (In den weniger ambitionierten Fällen um dem Affen Zucker zu geben.)Deshalb: Science Fiction ist Utopie. Sie erweitert nur die Grenzen des Genres. Ansonsten zur Utopie: wie ist eigentlich bei euch der Sprachgebrauch hinsichtlich Anti-Utopie / Dystopie? Meine Sicht war immer: eine Anti-Utopie ist ein "idealer" Gesellschaftsentwurf, der aber negativer Art ist. Eben die bekannten Visionen diktatorischer Systeme. Eine Dystopie ist dagegen die Vision einer zukünftigen Gesellschaft in Zerfall und Unordnung - eben eine dys-funktionale Gesellschaft. (z.B. der Großteil des Cyberpunk-Genres)Ich habe aber immer wieder eine ganz andere Sicht gehört - eine Anti-Utopie ist einzig ein "Antwortwerk", das einer schon vorhandenen Utopie ein Gegenbild entgegensetzt. Eine Dystopie ist dagegen jede negativ bewertete Utopie. Diese letztere Definition ist in meinen Augen wenig sinnig. Wie viele Anti-Utopien nach dieser obskur-engen Definition gibt es denn schon? Und für "meine" Dystopie hat dieser Sprachgebrauch gar keinen Namen.Vielleicht sind diese Definitionsfragen nicht das wichtigste Thema der Welt, aber spätestens wenn man mit jemandem zu tun bekommt, der diese Begriffe benutzt, ist es doch interessant, zu wissen, wovon überhaupt die Rede ist.

Bearbeitet von Harun Raffael, 29 September 2004 - 21:49.


#14 molosovsky

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Geschrieben 29 September 2004 - 21:34

@ Harum Raffael: Was Du über die Auffassung der Begriffe Utopie, Anti-Utopie und Dysopie schreibst ist spannend. Ich denke, am einfachsten kann man es sich machen, wenn man ernsthafte Zukunftsentwürfe grob in zwei Gruppen teilt: †¢ optimistische, hoffnungsvolle und angenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine glückliche, faire, menschliche Zukunft, oder †¦ †¢ pessimistische, furchterfüllte und unangenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine erdrückende, chaotische, unmenschliche Zukunft.

Science Fiction ist Utopie. Sie erweitert nur die Grenzen des Genres.

Der Sichtweise stimme ich zu, auch wenn *der Markt* teilweise krass Entgegengesetztes suggeriert. Zudem gibt es Poetik-Traditionen, nach denen DER ROMAN oder DAS SCHREIBEN selbst utopische Aspekte haben (oder haben sollten). So wird DER ROMAN immer wieder beschrieben, als Projekt, in einem Werk, einer Handlung, die Gesamtheit der Welt, der Conditio Humana zu fassen. Dieser Anspruch (oder Anforderung) DES ROMANS ist selbst eine Utopie, oder je nach Haltung, eine Unmöglichkeit, die es zu wiederlegen oder zu überwinden gilt. Alex / molosovsky

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#15 c.schmidt

c.schmidt

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Geschrieben 19 Oktober 2004 - 12:01

siehe Utopian.de! Dort habe ich im Zuge einer Semesterarbeit recherchiert und einige gute Definitionen gefunden. Vielleicht hilft es auch dir... Gruss schmidt

#16 Harun Raffael

Harun Raffael

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Geschrieben 19 Oktober 2004 - 22:15

@ Harun Raffael: Ich denke, am einfachsten kann man es sich machen, wenn man ernsthafte Zukunftsentwürfe grob in zwei Gruppen teilt: • optimistische, hoffnungsvolle und angenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine glückliche, faire, menschliche Zukunft, oder … • pessimistische, furchterfüllte und unangenehme Vorstellungen und Gestaltungs-Ideen vom künftigen Zusammenleben, kurz: eine erdrückende, chaotische, unmenschliche Zukunft.

Science Fiction ist Utopie. Sie erweitert nur die Grenzen des Genres.

Der Sichtweise stimme ich zu, auch wenn *der Markt* teilweise krass Entgegengesetztes suggeriert.

Man kann es sich auch zu einfach machen. :) Gewisse Romane, die das absolute Spießer-Weltbild der USA der 50er Jahre auf die ganze Galaxis ausdehnen, wurden von Autor und geneigten Leser sicherlich als optimistisch, hoffnungsvoll und angenehm empfunden - ich und manch anderer empfinden diese Visionen eher als pessimistisch und furchterregend. Bei Anti-Utopien wie "Brave New World" wiederum kann man sich fragen, was daran eigentlich so schlecht ist, wo doch alle darin glücklich sind? Der Markt: etliche Serien, die die meisten hier wohl widerlich finden werden, sind pure Wunscherfüllungsphantasien für ein bestimmtes Publikum, und daher im Empfinden dieser Leser positive Utopien. Und auch die Eroberung der Sterne mit dem Blaster in der Hand ist eine Erweiterung der Grenzen. :eevil:

Bearbeitet von Harun Raffael, 19 Oktober 2004 - 22:19.



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