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[Kurzgeschichte] "Entwicklungshilfe"


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11 Antworten in diesem Thema

#1 Susanne

Susanne

    Nanonaut

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Geschrieben 31 Oktober 2004 - 12:38

Welch himmlische Ruhe. Ich konnte mich kaum erinnern, wann ich zuletzt das Haus allein für mich gehabt hatte. Ganz allein - ohne trappelnde Schritte, oder im Fünfminutentakt erschallende Rufe nach Apfelschorle, Schnürsenkel binden, Popo abwischen, Schiedsrichter oder Sanitäter mit Heftpflaster. Daniel hatte Nachtschicht und die Kinder waren übers Wochenende bei meiner Mutter. Zunächst etwas ratlos über das Ausmaß dieser ungewohnten Freiheit, kuschelte ich mich schließlich gemütlich mit einem Buch ins Sofa und schlug es an der mit einem Zettelchen markierten Stelle auf. Ich hatte noch nicht mal den ersten Satz zuende gelesen, als es an der Tür klingelte. Weder erwartete ich Besuch, noch war mir auch nur ein winziges Bisschen danach zumute. Also rührte ich mich nicht von der Stelle und versuchte, mich wieder auf meine Lektüre zu konzentrieren. Es klingelte weiter, drängender. Übellaunig raffte ich mich schließlich auf, schlurfte zur Tür und öffnete. Sie wurde schwungvoll von außen ganz aufgedrückt, und eine Gruppe seltsamer, fremdartiger Gestalten strömte, mich vor sich herscheuchend, in den Flur. Mit einem Knall fiel die Haustür hinter ihnen zu. Vor meinem inneren Auge tauchte Eduard Zimmermann auf, mit bedenklich-betroffenem Gesichtsausdruck moderierend: †šFall 13: Am Abend des 26.9.2004 wurde die junge, vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin Angelika K. Opfer ...†™ Hätte ich bloß die Kette vorgelegt. In Stresssituationen leidet oft als erstes die Logik - Eduard Zimmermann war schließlich längst pensioniert.Nachdem mich die Eindringlinge ins Wohnzimmer bugsiert hatten, schwärmten sie aus und blickten sich suchend um. Langsam gewann ich die Fassung zurück, diese Wesen wirkten zumindest nicht unmittelbar bedrohlich. Ich betrachtete sie genauer; sie sahen genau so aus, wie man sich Aliens immer vorstellt: riesige, unergründliche, schwarze Augen, in denen sich außer dem ratlos-ängstlichen Gesicht des Gegenübers keine Regung spiegelt, silberne Raumanzüge, zarte Ärmchen und Beinchen, kein Haar auf dem überdimensionierten Kopf.Einer von ihnen leerte den Papierkorb und inspizierte dessen Boden, ein anderer begann, zwischen den Schuhen zu wühlen. †šWo ist denn hier der Tasduld?†™, blitzte ein irritierend fremder Gedanke in meinem Bewusstsein auf. Das dritte Wesen begann, zwischen den Büchern herumzustöbern. Das war zu viel: Wenn ich irgendetwas nicht leiden kann, dann grobes Hantieren mit Büchern, ganz besonders mit meinen. „Halt!“, rief ich aufgebracht, im Moment den exotischen Ursprung der Besucher vergessend. Alle Augen richteten sich auf mich, sie unterbrachen ihre Suche und scharten sich um mich. Es gab ein kurzes Getuschel zwischen den Dreien, dann wandten sie sich wieder mir zu. Sie hätten sich verflogen, ließ mich der Erste wissen - vermutlich telepathisch, denn ich hörte meine eigene innere Stimme schüchtern stammeln - †š... An der vorletzten Galaxis falsch abgebogen†™, - dort hätten sie sich dann nicht Links einordnen können, und ... -- †šTypisch!†™, keifte meine innere Stimme - wohl für Alien Nr.2 - †šich habe schon Lichtjahre vor der letzten Ausfahrt gesagt, du solltest bremsen, und? Hatte ich recht? HATTE ICH RECHT??? Aber du fliegst, als hättest du deine Lizenz beim Ritzeln gewonnen, direkt rein ins Wurmloch. Hoffnungslos! Hätte ich nur auf meine Wurkel gehört, und mich nicht an dich gekettet, ach, hätte ich nur VacRox Knürtel genommen, der ist mittlerweile Großer Motivator und ...†™,VacRox Knürtel ist schon zu dritt†™, warf meine innere Stimme trocken ein - aha, Nr.3 meldete sich zu Wort - ,und nun krieg†™ dich mal wieder ein, NoKlo - passiert ist passiert. Lamentieren nützt jetzt auch nichts mehr. Also†™, Nr.3 wandte sich mir zu: †šEntschuldigen Sie die späte Störung. Wo bitte geht†™s zum Acranisystem?†™Sechs erwartungsvoll glänzende Augen sahen mich an. Acranisystem, nie gehört - halt, da war doch was, zoologisch-morphologisches Anfängerpraktikum, lange her: Acrania - zählen systematisch zu den Chordata - die †šSchädellosen†™ ... ob die das meinten? Hm, wohl nicht - drei übergroße, silbrig-matte Schädel wurden synchron geschüttelt.†šWir haben dort einen Planeten erworben, nichts besonderes, aber für unsere kleine Familie ...†™, wisperte mit meiner inneren Stimme der Erste, Schüchterne.†šWir könnten längst da sein, wenn dieser ... MEISTERFLIEGER da nicht vergessen hätte, wo die Bremsdüsen sind†™, keifte NoKlo, offensichtlich immer noch auf 180.†šHätten Sie vielleicht einen Tasduld?†™, fragte mich der Dritte, Besonnene. †šZur Not würde auch ein einfaches Drumkadül reichen - dann müssten wir eben etwas improvisieren.†™Ich schüttelte bedauernd den Kopf, breitete die Arme und zeigte zum Beweis meine leeren Handflächen. †šKein Drumkadül, nicht mal ein winzig kleines, sind Sie ganz sicher?†™ Der Besonnene blickte besorgt zu seinen Gefährten.†šWo sind wir hier nur gelandet†™, ereiferte sich NoKlo, †šnicht mal DAZU bist du in der Lage, LaPuk, einen vernünftigen Landeplatz zu finden. Als ich noch mit VacRox Knürtel ...†™†šOh, oh, der tolle VacRox Knürtel! Wie ich das SATT habe - warum hat er dich denn damals nicht ...†™, der Schüchterne kam langsam in Fahrt.†šWas soll DAS jetzt heißen? Was bitte willst du damit andeuten?†™, fauchte NoKlo zurück.†šIch deute gar nichts an†™, antwortete der nicht mehr sehr Zurückhaltende schnippisch, †šich sage klipp und klar, was jeder Tubbel längst weiß: der großartige VacRox Knürtel wollte DICH nicht, du hättest ihn narkotisieren, fesseln ...†™†šWa - a - a -†™, NoKlo gestikulierte wild mit den silbrigen Ärmchen.†šUnd selbst WENN du ihn gekriegt hättest, wären ihm spätestens heute die Tentakel abgerostet, wann hörst du endlich auf mit diesem, diesem ...†™Sie schienen meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben. Irgendwie berührt es mich immer peinlich, Zeuge eines Streits zu sein - bei diesem kam hinzu, dass ich nur ansatzweise verstand, worum es überhaupt ging. Dem weiteren Gespräch konnte ich leider nicht mehr folgen, aber nachdem NoKlo LaPuk eine Runde mit dem Bauch durchs Wohnzimmer geschubst hatte, griff der Besonnene ein, beendete die Rangelei und wandte sich wieder mir zu: †šKein Drumkadül, also gut. Aber eine Raumkarte vielleicht? Oder können Sie uns einfach SAGEN, wo wir sind?†™†šMilchstraße, Sonnensystem, Erde, lateinisch Terra - dritter Planet von der Sonne aus gesehen, Europa, Deutschland, Bremen, links der Weser.†™ Mehr fiel mir dazu so spontan nicht ein. Der Besonnene sah mich verständnislos an. - Der alte Schulatlas! Da waren auch ein paar Sternkarten hinten drin. Ich zog den schweren Atlas aus dem Regal, blätterte zu den gesuchten Seiten, legte das Buch geöffnet vor dem Besonnenen auf den Tisch und trat ein paar Schritte zurück. Mit dem rechten Ärmchen NoKlo am Schlafittchen haltend, mit dem linken LaPuk, studierte der Besonnene interessiert die erste Karte, während LaPuk und NoKlo mit vielsagenden Gesten und gezischten Nettigkeiten hinter seinem Rücken ihren Diskurs fortsetzten.Mit einem Entsetzensschrei ließ der Besonnene seine Gefährten los, und begann hektisch im Atlas zu blättern. †šNein, nein - nicht doch, DAS nicht ...†™, stammelte er, wobei sein Gesicht orange anlief - ich nahm an, dass das ihre Art des Erbleichens war - †šNicht das Niemandsland, der leere Sektor ... LAPUK! NOKLO! - Abflug!!†™ Hektisch rafften sie ihre Ausrüstung zusammen, der Besonnene klemmte sich meinen Atlas unters Ärmchen, nickte mir knapp zu und scheuchte seine Gefährten zur Tür. †šTubbel! Verschleppst uns in den einzigen unentwickelten Sektor des Universums, BRAVO!†™, zischte NoKlo.†šÄtzdrohne! Vielleicht sollten wir dich hier lassen ... Entwicklungshilfe, ha†™, antwortete LaPuk.Sich gegenseitig weitere nette Namen zuzischend und in die Seite knuffend verschwanden die beiden, dicht gefolgt vom Besonnenen.Mit einem Knall schloss sich die Haustür hinter ihnen.„He, mein Atlas!“, rief ich ihnen mit schwankender Stimme hinterher - und ließ mich schwerfällig aufs Sofa plumpsen. Weg war er. Und sie auch.Zur Beruhigung verspeiste ich den Rest der Schachtel Likörkirschenpralinen auf ex - der weitere Verlauf des Abends verlor sich in den Dünsten der alkoholisierten Süßwaren.Am nächsten Morgen weckten mich dröhnende Kopfschmerzen. Was für ein idiotischer Traum. Vorsichtig blinzelte ich testweise. Abgesehen von einer Welle der Übelkeit, die sich zu dem schalen Geschmack im Mund gesellte, klappte das ermutigend gut, mein Blick klärte sich und das Schwindelgefühl ließ nach. Ich betrachtete das Wohnzimmer aus der Schräglage, in der ich eingeschlafen war - auf dem Sofa, halb sitzend, halb liegend. Ein Chaos verstreuten Spielzeugs, der Papierkorb umgefallen, in der Ecke zum Flur ein Haufen Schuhe - also alles im üblichen Zustand. Dazwischen effektvoll gesetzte Akzente: ein halbvoller Becher kalten Kaffees auf der Fensterbank, in kühnem Schwung gestapelte CD-Hüllen und dezent verteilte Bücher, aus denen zahllose kleine Zettelchen ragten, als streckten mir die markierten Gedanken ihre papiernen Zungen heraus.Und da stand noch etwas auf dem Fensterbrett, fast verdeckt von dem kitschigen Porzellanhuhn, das dort seit Monaten vor sich hinstaubte. Warum wollte bloß keines der Kinder dem Schrecken ein Ende bereiten und diese Henne des Grauens, Mutters Ostergabe, zerdeppern? Ging doch sonst immer ganz fix. Das Ding dahinter hatte ich noch nie zuvor gesehen. Nicht größer als eine flache Hand, aufrecht stehend, metallisch schimmernd. Ganz glatt, abgesehen von vier seltsamen Stacheln, die an einer Seite, wie die Zinken einer Gabel, herausragten. Was war das? Ein futuristisch designtes Babyphon? Blödsinn, woher auch - außerdem waren die Kinder längst aus dem Alter raus, dass wir so etwas gebraucht hätten. Und wenn das mal wieder eines dieser Super-Sonder-Spezialangebote im Räumungsverkauf von was-weiß-ich-wo gewesen wäre, hätte mein angetrauter Schnäppchenjäger es nicht kommentarlos dort abgestellt. Dann wäre ich längst im Bilde über den Ursprungs- und den Endpreis, den vermeintlichen Nutzen und den Verlauf der Preisentwicklung, inklusive der am Ende noch zusätzlich erfeilschten Prozente. Vermutlich wäre ich nach seinen Ausführungen in der Lage gewesen, ein Phantombild des sich vergeblich windenden Verkäufers zu zeichnen.Aber wie kam das Ding denn nun dort hin? Was war noch mal in diesem verdrehten Traum passiert? Oder war das gar kein Traum? Mein Blick irrte zum Bücherregal - und blieb an einer staubfreien Lücke, der Stelle, wo der alte Schulatlas seit Jahren seinen Platz hatte, hängen. Also kein Traum. Außerirdische Besucher ... Dieses Etwas da auf der Fensterbank hatten bestimmt diese Aliens vergessen. Oder absichtlich dagelassen. Vielleicht als Bezahlung für den Atlas? Mir vorsichtig die schmerzenden Schläfen massierend stand ich auf, ging zum Fenster und nahm den fremdartigen Gegenstand in die Hand. Fühlte sich gut an, samtig mattiert schimmerte die Oberfläche. Ich tastete an den Seiten, dann an den seltsamen Gabelzinken herum, dabei öffnete sich das Ding unten, und ein dichtes Büschel feiner Haare, wie ein dicker Puderquast, trat hervor. Vor Schreck hätte ich es fast fallen lassen, aber weiter schien nichts zu passieren. Versuchsweise wedelte ich mit der komischen Quaste die Staubschicht von der Porzellan-Gruselglucke meiner Mutter, was vorzüglich funktionierte: die Haare schienen irgendwie elektrostatisch aufgeladen zu sein, jedenfalls verschwand der Staub auf Nimmerwiedersehen. Ich probierte, ihn aus dem Büschel wieder herauszuschütteln, aber kein Körnchen kam zum Vorschein.Staubwischen zählt normalerweise nicht gerade zu meinen bevorzugten Tätigkeiten - aber mit diesem faszinierenden Gerät machte es richtig Spaß: Ich wedelte über die HiFi-Anlage, den Fernseher, die Bücherstapel - und als ich oberhalb der Tischkante nichts mehr zum Abstauben fand, strich ich mit der Quaste auch noch über den Teppich, wonach der Gabbeh strahlte wie frisch geknüpft. Und immer noch gab das Ding kein Fitzelchen des aufgenommenen Fusselzeugs wieder von sich. Nun fiel mein Blick auf die Fensterscheiben, die auch schon transparentere Tage gesehen hatten. Nach zwei, drei Strichen mit der Quaste waren sie perfekt streifenfrei blank. Ich bestaunte die fremdartigen Reifenabdrücke im Asphalt der Parkbucht vor dem Haus und schickte einen begeisterten Dank zu den Sternen: Das nenne ich Entwicklungshilfe, reizende Kerlchen, dachte ich. Die Kopfschmerzen hatten sich verflüchtigt wie die Staubschicht ringsum, und ich machte mich voller Tatendrang daran, einen spontanen Großputz zu veranstalten. Ein günstiger Zeitpunkt, denn am nächsten Tag würden die Kinder von ihrem Oma-Urlaub zurückkehren. Da mit Musik alles bekanntlich noch besser geht, legte ich meine Lieblings-Hausarbeitsanfall-CD in die Anlage, streifte den Funkkopfhörer über und rockte zu Janis†™†šPiece of my Heart†™ entschlossen in Richtung Kinderzimmer - geradezu begierig auf den Anblick, der sonst geeignet war, mich in tiefe Depressionen zu stürzen.Meine Kinder pflegen von jedem Spielzeug die ihnen überflüssig erscheinenden Bestandteile zu entfernen. Es scheint ihnen unmöglich zu sein, lockere Anhänge oder Aufkleber am vorgesehenen Platz zu lassen. Erstaunlich wenige Spielzeuge widerstehen ihren äußerst konzentrierten Bemühungen, und so kann man am Demontagezustand ungefähr das Alter der Gegenstände bestimmen. Im Finalstadium wird das Ganze zu einer Art buntem Plastikgranulat verarbeitet, welches ich nur noch in die bereitstehenden Gelben Säcke schaufeln muss. Das machen meine Kinder immer, keine Ahnung, von wem sie das haben. Nun, auf diese Weise schaffen sie jedenfalls stets wieder Platz im Kinderzimmer für die nächsten Omageschenke. Mit dem extraterrestrischen Schmutzvernichter bewaffnet fühlte ich mich selbst diesem Chaos gewachsen.Siegesgewiss lächelnd führte ich den Quast mit weit ausholenden Bewegungen im Rhythmus von †šCry Baby†™ über die feinverteilten Primfaktoren der ehemaligen Spielwaren. Kleinteile bis ungefähr Halb-Barbieschuhgröße verschwanden spurlos im Inneren des Geräts. Gröbere Stücke leider nicht. Nun, man kann nicht alles haben, dachte ich, und überließ das Feld achselzuckend dem Rest-Chaos. Schließlich warteten noch andere Hausarbeiten auf mich, unter anderem der Abwasch in der Küche. Da Elektronik und Wasser im Allgemeinen eher inkompatibel sind, verwarf ich den Gedanken schnell wieder, das Wunderding beim Spülen zu erproben. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren, und so schritt ich, mit Janis im Duett †šMe and Bobby McGee†™ schmetternd, auf konventionelle Art zur Tat. Seit wann hatte die Full Tilt Boogie Band eigentlich einen Background-Chor? Auch der Streichersatz im Refrain war mir früher nie aufgefallen, wirklich interessant. Ich ließ schwungvoll einen Stapel Suppenteller ins Wasser gleiten - da legte sich urplötzlich eine schwere Hand auf meine Schulter.Ich wäre vor Schreck fast zum Schmutzgeschirr ins Spülwasser gesprungen - müssen Männer sich immer so anschleichen? Ist das ein Relikt aus der Frühsteinzeit? Ein Rudiment prähistorischen Jagdinstinkts?Nachdem mein Herzschlag sich wieder einigermaßen normalisiert hatte, nahm ich den Kopfhörer ab.„Was ist denn im Wohnzimmer passiert?“, erkundigte sich Daniel beiläufig, zog die leere Thermosflasche aus seiner Arbeitstasche und stellte sie zum Abwasch. Etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen.„Hab†™ saubergemacht, was sonst“, antwortete ich forschend. So ungewöhnlich war das schließlich auch wieder nicht.„Komische Art, zu putzen - Teppiche ausleiern, Nippeshühner aufpumpen ...“Statt die Fortsetzung seiner Aufzählung abzuwarten, flitzte ich den Flur hinunter zur Wohnzimmertür - Mutters Osterhenne, seltsam angeschwollen, pulsierte. Im mittlerweile knöchelhohen Flor des Gabbeh war das Muster kaum noch zu erkennen, auch hatte der Teppich jetzt eine eher amöboide, als rechteckige Grundform. Er sah mich taxierend an. Minutenlang starrte ich wie betäubt von Gegenstand zu Gegenstand, dem Weg meiner Putzorgie folgend. Die Stereoanlage ringelte fröhlich ihre Tentakel. Der Wohnzimmertisch galoppierte auf der Flucht vor dem hungrigen Gabbeh rasant an mir vorbei. Ich zog den Kopf ein, als ein Schwarm tieffliegender, wild flatternder Bücher folgte. Dann wankte ich mit zittrigen Knien in Richtung Kinderzimmer, von dunklen Vorahnungen voll lebendiggewordener Barbiepretiosen geplagt. Als ich auf dem Weg an der Haustür vorbeikam, klingelte es. Mechanisch öffnete ich.Ein silbriges Ärmchen streckte mir den Weltatlas entgegen.Da waren sie wieder, meine drei Besucher von gestern Abend. Diesmal hatten sie ihr Vehikel im Vorgarten der Nachbarn geparkt.†šWir haben etwas vergessen†™†šDer arme Kleine!†™, zeterte NoKlo. †šLaPuk, du Obertubbel! Nach Acrani 4 brauchen wir uns JETZT jedenfalls nicht noch mal aufzumachen. Lasst uns doch anfangen, aus diesem nahezu toten Felsbrocken hier ein von Leben strotzendes Paradies zu machen! Unser Heim! Für unsere Familie! Der leere Sektor gehört doch sowieso niemandem.†™

Bearbeitet von Susanne, 03 Dezember 2004 - 14:18.

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#2 tichy

tichy

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Geschrieben 31 Oktober 2004 - 21:38

Hej Susanne,ich habe beim Lesen mehr als nur einmal schmunzeln müssen. Nicht nur, weil viele Beschreibungen erstaunlich genau auch auf unser Kinderzimmer zutreffen :cheers:, sondern weil Du einfach eine gute, lockere "Schreibe" hast.Der Inhalt der Geschichte an sich ist nicht übermäßig originell, aber das macht wenig aus, ihr Reiz liegt für mich weniger in der Innovation und mehr in der amüsanten Unterhaltung.-- tichy
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#3 Susanne

Susanne

    Nanonaut

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Geschrieben 31 Oktober 2004 - 23:35

Hallo tichy,dass viele Beschreibungen auch auf euer Kinderzimmer zutreffen, ist außerordentlich tröstlich :lol: - und da du nicht der erste bist, der das schreibt, frage ich mich nicht mehr von Selbstzweifeln zerfressen: „Was mache ich bloß falsch?“, sondern staunend: „Warum tun die das bloß?“ :lol: Amüsant unterhalten - das war genau, was ich mit der Story tun wollte - und es freut mich ungemein, wenn das bei dir gelungen ist! Viele Grüße,Susanne :cheers:
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#4 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 06 November 2004 - 12:31

Ich liebe deine Kurzgeschichte, Susanne. Es ist eine "antike" SF-Geschichte mit "altmodischen" Ausserirdischen, die wie im "Fünfzigerjahrestil" mitten in der Nacht jemand zu Hause überraschen. Ja, die Story hat einen starken Nostalgie-Effekt. Die Kurzgeschichte enthält aber auch ein paar richtig originelle Überraschungen und Ideen, wie ich sie noch nicht gelesen hatte.

Es ist schriftstellerisch (Stil, Idee, Überraschungseffekt) erste Klasse, wie die Ich-Figur glaubt, sie hätte ein Geschenk erhalten und wie sie dieses Geschenk benutzt. Darauf folgen überraschende Wendungen: Sie hat sich geirrt (es gab gar kein Geschenk), sie hat das Geschenk zweckentfremdet und das, was das Geschenk tatsächlich kann, kommt sehr unerwartet.

Der eigentliche Schluss - die Entscheidung der Ausserirdischen - ist erste Sahne. Es lässt den Leser weiterdenken (ja, wie wird die Erde künftig aussehen, ja, wie geht es uns Menschen dabei ergehen?).

Gut fand ich den einzigen ernsteren Gedanken in der Geschichte (ich bin der Meinung, dass eine gute SF-Story immer eine Botschaft des Autors beinhalten sollte), nämlich die Frage "Wenn es Ausserirdischen gibt, weshalb sehen wir sie dann nie?" Deine Antwort ist einleuchtend.

Der Inhalt ist somit tipptopp.
Der Stil ist gut: Die Story ist unterhaltsam und lässt sich leicht lesen; aber ich habe zwei Kritikpunkte.

Kritikpunkt 1: Du beschreibst gewisse Umstände ausführlich; der Leser versteht, wie und wo die Ich-Figur gerade im Leben steht. So erklärst du gut, weshalb sie alleine ist (ihre Familie ist ausser Haus), weshalb sie denkt, dass alles nur ein Traum war (Alkohol [sie wurde sie betrunken ohne zur Flasche zu greifen - darf die Pralinen-Idee bei Gelegenheit mal von dir leihen?] und langes Aufwachen inkl. ein langes Durch-das-Wohnzimmer-Gehen) und wie gross das Haus ist (sie wischt durch die ganze Wohnung, ein paar Songs lang).
Alles gut, alles lang, alles klar, alles hast du genügend Platz eingeräumt.

ABER wenn die Ich-Figur dann entdeckt, was der Puderquast tatsächlich kann, schenkst du dem Leser eineinhalb Sätze Beschreibung. Das ist ein bisschen mager. Als Leser hat man sich nach dem Einlesen einer Geschichte an einem Stil gewöhnt und der Leser erwartet dann, dass die wichtigen Ereignisse im gleichen Stil und somit gleich gut, ausführlich, usw. wie die Einleitung sind. Du brichst aber diese Erwartung. Ich musste nochmals nachlesen und überlegen, was der Puderquast jetzt genau getan hatte. Es wäre gut, wenn du die Folgen des Wischens (it's alive) mehr beschreibst.

Kritikpunkt 2: Das eigentliche Ende (die Ausserirdischen entscheiden zu bleiben) ist super, aber du klebst noch ein paar lahme Sätze dran. Wenn du einfach aufhörst nach dem Satz "Der leere Sektor gehört doch sowieso niemandem" hast du geradezu das perfekte Ende, denn die allerletzte und auch folgenreichste Überraschung liegt dann im abschliessenden Absatz.

Streiche doch bitte die nutzlosen Zusatzsätze. Wenn du unbedingt das Wort "Wuschel" in der Geschichte haben möchtest, kannst du in einem vorherigen Satz das Wort "etwas" mit "Wuschel" ersetzen. Es steht dann: "Wir haben Wuschel vergessen".

Ach ja, der Titel "Entwicklungshilfe" (und auch die in der KG verarbeitete Idee der Entwicklungshilfe) spricht mich persönlich gar nicht an.

Gruss, RMS67

#5 Susanne

Susanne

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Geschrieben 09 November 2004 - 22:15

Ooooooooooh, wo ist der rotwerd-Smilie ... gibbetnich, na sowas ... ;) „Ich liebe deine Kurzgeschichte“ - ich werde mir deinen Kommentar ausdrucken, rahmen und über den Schreibtisch hängen, rockmysoul ;)Ganz besonders lieben Dank auch für die kritischen Anmerkungen - was den Titel angeht, der hat schon einmal anders gelautet - nämlich „Finderlohn“ - damit war ich allerdings auch nicht ganz zufrieden ... Die Titelsuche fällt mir meistens schwerer, als die Stories selbst zu schreiben, er soll kurz und prägnant sein, die Geschichte charakterisieren, aber nicht die Pointe verraten. Ich werde noch mal drüber grübeln ... („Zu Risiken und Nebenwirkungen ...“? nee, verrät die Pointe *sic*)Die Beschreibung der Nebenwirkungen ;-) - zu kurzgefasst: werde ich mal dran basteln. Entweder dort etwas ausführlicher werden, oder die anderen Passagen etwas kürzen - eben aneinander anpassen. (Den Likörkirschenpralinenrausch, resp. -kater kannst du dir gerne mal ausleihen - ist übrigens autobiographisch :blink: Richtig gefährlich, das Zeugs :mad: :abkotz: ... :lookaround:)Auch über das Streichen der letzten Sätze denke ich gründlich nach (... bin im Moment eh auf der Suche nach Kürzungsmöglichkeiten in der Story ;))Also nochmal: Dankeschön fürs Lesen und Kommentieren!!!!LG Susanne

Bearbeitet von Susanne, 09 November 2004 - 22:16.

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#6 rockmysoul67

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Geschrieben 10 November 2004 - 00:36

[der Titel] soll kurz und prägnant sein, die Geschichte charakterisieren, aber nicht die Pointe verraten.

Wie wäre es mit "Besuch" (oder "Unerwarteter Besuch") oder "Der neue Staubquast" oder halt "Wuschel"?

#7 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 10 November 2004 - 09:36

"Kürzen kann man immer"Aber willst du wirklich kürzen? Sicher, es gibt einen prozentuellen Unterschied der Länge zwischen der "It's alive"-Szene und anderen Stellen. Aber in den anderen Stellen werden die Gedanken der Frau und ein großer Teil des Witz getragen. Es wäre schade, wenn du da kürzen würdest nur um des Kürzens Willen. Und willst du tatsächlich kürzen, weil irgendein Typ (ich) nur eine Kleinigkeit einer doch ziemlich gelungenen Kurzgeschichte kritisiert hat? Aber wenn du unbedingt kürzen willst - hier ein paar Gedanken. Man kann dort kürzen, wo der Text unlogisch, unwichtig oder schwach wird. Oft wird ein Text automatisch kürzer, wenn man ihn logischer oder stärker umschreibt. X Die Frau steht zuerst nicht auf, wenn's klingelt. Was ist das bloss mit euch Frauen? Wenn's bei mir klingelt, steh ich auf und schau nach was los ist - egal wie müde oder beschäftigt ich bin (bzw. ich bin zufällig gar nicht zu Hause J und geh gar nicht zur Türe).Du verstehst. Sie könnte auch mal fluchen ("Das kann doch nicht wahr sein!" / "Doch nicht jetzt." o.ä.), aufstehen und zur Türe gehen. X Die "Entwicklungshilfe" ist unnötig als Faktor, denn die Besucher wollen gar keine Hilfe anbieten. Hier liegt eine Streichungsmöglichkeit.X Die Gespräche der Ausserirdischen untereinander fühlen etwas abschweifend an (VacRox Knürtel). Bei einer Neuschreibung dieser Gespräche könnte es kürzer werden. Aber eigentlich sind die Diskussionen (Schuldzuweisung) schon brauchbar. Aber wie gesagt: Lieber nicht kürzen, was schon sehr gut ist. Lieber die zu kurze Stelle dem Rhythmus der ganzen Geschichte anpassen (also zwei Sätze mehr).

#8 Susanne

Susanne

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Geschrieben 11 November 2004 - 17:12

Hm, hm, hm ... die Titel überzeugen mich noch nicht so ;) - aber Dankesehr für die Vorschläge! Falls Dir noch mehr dazu einfällt - oder jemand anderem - nur zu!!- „Haushaltshilfe“ (ochnee, das klingt auch nicht viel aufregender als „Entwicklungshilfe“ ... )- „Das Geschenk meines Lebens“ ...hmhmhmmmm.Dass mit dem Kürzen hat sich unterdessen erledigt - so viel, wie da rausmüsste, damit die Story „passt“, ist einfach nicht übrig. Also werde ich wohl ein paar Sätze hinzufügen, die besser verdeutlichen, was Wuschel da bewirkt hat.Trotzdem vielen Dank für die Gedanken - dass mit dem Nichtaufstehen beim ersten Klingeln: genau so würde ich das übrigens machen. Liegt wohl daran, dass solche „kinderlosen“ Momente rar und mir deshalb besonders wertvoll sind. ^_^
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#9 Susanne

Susanne

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Geschrieben 03 Dezember 2004 - 13:31

So, ich habe die Geschichte ein wenig bearbeitet - ein paar Sätze Beschreibung des lebendigen Schauspiels im Wohnzimmer sind dazugekommen und am Ende gibts ein paar kleinere Änderungen. Hat gewonnen, die Story - Danke für die Kommentare! LG Susanne

Bearbeitet von Susanne, 03 Dezember 2004 - 14:25.

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#10 Mammut

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    DerErnstFall Michael Schmidt

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Geschrieben 03 Dezember 2004 - 14:30

Hallo poppins,hm, das Streitgespräch der Außeridischen würde ich genauso wie die Saubermachaktion ein wenig kürzen. Und das Ende läßt mich ein wenig verwirrt zurück. Was ist denn da jetzt los? Und was haben die Aliens vor? Also über das Ende würde ich nochmal drübergehen. Zwar offen lassen, aber nicht gar so sehr.Titelvorschlag: StubenreinBis bald,Michael

#11 Sylvaroth

Sylvaroth

    Nochkeinnaut

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Geschrieben 05 Februar 2005 - 11:33

Die "Rohfassung" war ja schon sehr amüsant. Ich würd ja gern mal die Endfassung sehen.
Dummheit ist auch eine natürliche Begabung.
............................................... - Wilhelm Busch

#12 Susanne

Susanne

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Geschrieben 14 Februar 2005 - 21:16

Oh, da habe ich hier aber leichtsinnig lange nicht mehr hier reingeguckt - Danke für den Titeltipp, Michael (... habe ich schon notiert, gefällt mir prima ;-))Und Danke fürs Lob der Rohfassung, Sylvaroth, aber wenn du die Story NACH dem 3.12. gelesen hast, WAR das gar nicht mehr die Rohfassung, sondern die bearbeitete, vorläufige amtliche Endversion ... ich habe nämlich mein Erstpost nach den Vorschlägen/Anregungen editiert. ;-)))LG Susanne
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