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Corona-Story: Rendezvous mit Satan


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18 Antworten in diesem Thema

#1 Armin

Armin

    Entheetonaut

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Geschrieben 04 November 2006 - 20:13

Corona Nr. 173 ist erschienen und hier online zu finden.

In der Story-Rubrik haben wir die zweitplatzierte Geschichte zum Thema „Pioniere“ anzubieten. Der Beitrag „Rendezvous mit Satan“ stammt von Benedict Marko, von dem zuletzt schon in Ausgabe 169 die Story „Übermacht“ zu lesen war. Wie immer freuen sich Autorin und Redaktion über Feedback zur Story.

Auch an dieser Stelle der Hinweis auf die nächsten Themen unseres Wettbewerbs: Einsendeschluss für „Ein neuer Morgen“ ist am 1. Februar 2007, die Deadline für „Schatten“ haben wir für den 1. April 2007 festgelegt. Wer Interesse hat, sich mit einer Kurzgeschichte (Science-Fiction, Fantasy, Horror, Phantastik - keine Fan-Fiction) zu beteiligen, die einen Umfang von 20.000 Zeichen nicht überschreitet, schickt seine Story (möglichst als rtf-Datei) rechtzeitig per E-Mail an die Kurzgeschichten-Redaktion, die unter kurzgeschichte@corona-magazine.de zu erreichen ist.

#2 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 14 November 2006 - 20:14

An sich eine ordentliche Story, aber der Erzählstil ist nicht mein Fall.Vieles wird einfach erzählt, anstatt es den Leser miterleben zu lassen. Dialoge werden durch indirekte Rede ersetzt etc.So wirkt der Text auf mich recht trocken, es ist für meinen Geschmack zu wenig Leben drin.

#3 Palpatine

Palpatine

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Geschrieben 14 November 2006 - 23:08

Das sehe ich jetzt nicht so.... der Erzählstil ist sicher ungewöhnlich, aber das liegt wohl auch in der Natur der Sache: Wie soll ein Wesen ohne Sprechorgane einen Dialog führen? Das Thema der Story ist ja wohl das "Vermittlungsproblem" bei Kontakten zwischen verschiedenen Rassen. Ich gehe also davon aus, dass der "Mangel an wörtlicher Rede" mit Absicht gemacht wurde :wacko: Btw: Erstes Post :fun:

#4 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 15 November 2006 - 17:18

Dass der Erzählstil absichtlich gewählt wurde - davon gehe ich aus. :fun: Ich sag ja auch nicht, dass der Stil schlecht ist - er ist nur nicht mein Fall. Ich lese lieber Storys, in denen ich Gespräche quasi "live" miterleben kann, mit all den Emotionen, Reaktionen etc., nicht "nacherzählt".Reine Erzählgeschichten (ich nenn das jetzt einfach mal so), sind mir oftmals zu trocken, zu wenig lebendig. In der klassischen Phantastik, z.B. H. P. Lovecraft, Wells etc., wurde dieser Stil häufiger verwendet.Und Dialoge, die nur durch Gedankenübertragung stattfinden, kann man genauso detailliert schildern, wie Dialoge "von Mund zu Mund". Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten.

#5 Palpatine

Palpatine

    Ufonaut

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Geschrieben 15 November 2006 - 22:25

Ah so ;) Dann ist das erste Missverständnis ja schon ausgeräumt :smokin: Der Zufall wills, dass ich gerade ein Fan des umgekehrten Erzählstils bin. Deswegen kann ich auch deine Aussage

In der klassischen Phantastik, z.B. H. P. Lovecraft, Wells etc., wurde dieser Stil häufiger verwendet.

nicht so einfach stehen lassen - dieser "Stil" hat nix mit Klassik oder alt zu tun, sondern einfach mit Komprimierung (was ja gerade beim Schreiben von Short Storys zu den wihtigsten Aspekten gehört). Aber auch bei längeren Erzählungen und auch Romanen ist dieser "Stil" ganz alltäglich. Ich könnte ihn nicht missen. Z.B. habe ich hier mehrere Strugatzkis auf meinem Schreibtisch liegen, die alle mindestens dreimal oder vierlmal so dick wären, wenn die Brüder nicht diese herrlich rasant komprimierten Erzählpassagen hätten. Dialog macht bei denen höchstens zehn prozent des Textes aus. Gilt genauso für andere stilistische Großmeister der Phantastik - Stanislaw Lem oder Kobo Abe oder oder oder ;) Dialoge sind ein großartiges literarisches Werkzeug, aber nur für bestimmte Aufgaben. Um Passagen von geringer inhaltlicher Bedeutung zu raffen, muss man zu anderen Werkzeugen greifen. Deswegen sehe ich es mit Schmerzen, dass die hohe Kunst des Stream of Consciousness und der Schilderung von den zur Zeit angesagten Autoren kaum geübt wird. (Eine Ausnahme ist z.B. Iain Banks, der das hervorragend kann.) Es ist deshalb kein Wunder, dass diese Leute dauernd 600-Seiten-Schinken auswerfen, die trotzdem weniger Handlung aufweisen als ein 200-Seiten-Roman von Lem. Ich habe gerade wieder einmal "Die bewohnte Insel" von den Strugatzkis gelesen. Der Protagonist macht gegen Ende des Buches eine vierzigtägige Reise quer durch einen feindlichen Kontinent, verliert seinen besten Freund, der uns während des ganzen Romans begleitet hat (!), wird vom Feind gefangengenommen, läuft zur Gegenseite über und erklimmt in dessen Reihen die Hierarchie bis in hohe Regierungskreise, und das alles wird in sechs Seiten abgedeckt, weil es für das Thema, den eigentlichen Kern des Buches, nicht von großer Bedeutung ist. DAS nenne ich Stilsicherheit! Langer Rede kurzer Sinn: Die Dialoglastigkeit mancher SciFi-Autoren zeugt von mangelnder Reife :angry: Ups, lange off topic gewesen. Zurück zum Thema:

nd Dialoge, die nur durch Gedankenübertragung stattfinden, kann man genauso detailliert schildern, wie Dialoge "von Mund zu Mund".

Wird ja hier gemacht. Ich meine, das ist alles in indirekter Rede und sehr detailliert. In der Story steckt ungeheuer viel drin.

Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten.

Zett Be?

#6 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 16 November 2006 - 19:26

Dialog macht bei denen höchstens zehn prozent des Textes aus.

Das alleine ist aber noch kein Indiz dafür, ob der Text gut oder schlecht ist - zumindest nicht für mich. Die Dialoglastigkeit oder -menge hängt ja auch von der Story an sich ab.

Dialoge sind ein großartiges literarisches Werkzeug, aber nur für bestimmte Aufgaben.

Die aber sehr vielfältig sein können, daher sehe ich es nicht als erstrebenswert an, Dialoge weitgehend zu vermeiden und nur an ganz exponierten Stellen zu verwenden. Aber das ist wohl auch eine Frage des Lesegeschmacks.
Grundsätzlich ziehe ich
»Ich habe eine Erkältung und muss zum Arzt.«
einem
Er sagte, er hätte eine Erkältung und müsse zum Arzt
vor.
(Vorziehen würde ich es auch, keine Erkältung zu haben, aber das ist ein anderes Thema ... :angry: )

Es ist deshalb kein Wunder, dass diese Leute dauernd 600-Seiten-Schinken auswerfen, die trotzdem weniger Handlung aufweisen als ein 200-Seiten-Roman von Lem.


Möglichst viel Handlung in möglichst kurze Texte zu packen ist für mich auch nicht unbedingt erstrebenswert. Wo bleibt da der Lesespaß?
Endlos lange, schwafelige Texte mit wenig oder gar keiner Handlung sind natürlich auch nicht das Wahre.
Es kommt eben immer darauf an ... ;)

Der Protagonist macht gegen Ende des Buches eine vierzigtägige Reise quer durch einen feindlichen Kontinent, verliert seinen besten Freund, der uns während des ganzen Romans begleitet hat (!), wird vom Feind gefangengenommen, läuft zur Gegenseite über und erklimmt in dessen Reihen die Hierarchie bis in hohe Regierungskreise, und das alles wird in sechs Seiten abgedeckt, weil es für das Thema, den eigentlichen Kern des Buches, nicht von großer Bedeutung ist. DAS nenne ich Stilsicherheit!

Da ich das Buch nicht kenne, kann ich nichts dazu sagen. Aber wenn der Tod einer Hauptperson mit ein paar wenigen Sätzen abgehandelt wird, erscheint mir das ein wenig sonderbar. Wenn der Held spannende Abenteuer erlebt, möchte ich die im Allgemeinen möglichst hautnah miterleben und nicht nur erzählt bekommen, dass er spannende Abenteuer erlebt hat.

Langer Rede kurzer Sinn: Die Dialoglastigkeit mancher SciFi-Autoren zeugt von mangelnder Reife.

Es mag durchaus sein (und nicht nur im Bereich SF), dass mancher Autor Defizite mit Dialogen zu übertünchen versucht. Auf der anderen Seite gehören für mich gute, lebensnahe, ungekünstelte, lebendige Dialoge zum Grundhandwerkszeug eines Autors. Wenn Dialoge weitgehend vermieden werden, zeugt das ja nicht automatisch von der Reife des Autors, denke ich.

Ups, lange off topic gewesen. Zurück zum Thema:

Ja, du hast Recht ... ;)

Ich meine, das ist alles in indirekter Rede und sehr detailliert. In der Story steckt ungeheuer viel drin.

Dazu ein kurzer Textauszug:

Nichtsdestotrotz entspann sich schnell ein lebhaftes Gespräch. Wir versuchten zunächst, gemeinsame Bezugspunkte in der Galaxis festzulegen, um die jeweiligen Heimatwelten lokalisieren zu können.

Mir wäre es lieber, wenn ich mir selbst ein Bild davon machen könnte, wie lebhaft ein Gespräch ist anstelle erzählt zu bekommen, es sei ein lebhaftes Gespräch gewesen - ganz im Sinne von „Show, don†™t tell“. Gerade ein lebhaftes Gespräch kann doch einen Teil der Würze eines Textes ausmachen - zumindest für meinen Geschmack.
Über viele Absätze hinweg indirekte Rede zu lesen macht mir persönlich weit weniger Spaß, als ein Gespräch hautnah mitzuverfolgen.

Zett Be?

Leg mich jetzt bitte nicht auf konkrete Fundstellen fest, aber ich habe schon die unterschiedlichsten Varianten gesehen, wie man so was ohne indirekte Rede machen kann. Sei es, dass die Gedankensätze kursiv gesetzt werden oder aber dass einfache Anführungszeichen › ... ‹ den Unterschied zu gesprochenen Dialogen » ... « kennzeichnen. Auch reine Dialogpassen, in denen jeder Sprecher benannt oder gekennzeichnet wird, sind ja möglich. In irgendeiner NOVA-Ausgabe wurde z.B. jeder neue Sprecher durch einen Gedankenstrich gekennzeichnet - sinngemäß:

- Hallo!
- Hallo, wie geht†™s?
- Gut. Und dir?
- Schlecht.

Eine Fundstelle hab ich doch: SPHERE von Crichton. Dort wurde es (sinngemäß!) so gestaltet:

»Hallo.«
Hallo.
»Kommunizierst du per Gedankenübertragung?«
Genau.
Ah, sehr interessant. Und es funktioniert prächtig.
So ist es.
Hätte ich nicht gedacht.

Aber wie schon mehrfach gesagt: Die Geschmäcker sind natürlich unterschiedlich, und das ist ja grundsätzlich gut so. :cheers:

#7 Palpatine

Palpatine

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Geschrieben 21 November 2006 - 19:54

Aber wie schon mehrfach gesagt: Die Geschmäcker sind natürlich unterschiedlich, und das ist ja grundsätzlich gut so. :lol:

Unterm Strich können wir das bestimmt so stehen lassen. Aber wenn du Lust hast, können wir noch ein bisschen über die Details diskutieren.

Das alleine ist aber noch kein Indiz dafür, ob der Text gut oder schlecht ist - zumindest nicht für mich. Die Dialoglastigkeit oder -menge hängt ja auch von der Story an sich ab.
Die aber sehr vielfältig sein können, daher sehe ich es nicht als erstrebenswert an, Dialoge weitgehend zu vermeiden und nur an ganz exponierten Stellen zu verwenden. Aber das ist wohl auch eine Frage des Lesegeschmacks.
Grundsätzlich ziehe ich
»Ich habe eine Erkältung und muss zum Arzt.«
einem
Er sagte, er hätte eine Erkältung und müsse zum Arzt
vor.

Das Problem ist halt, dass "normale" Dialoge zu 90% aus Redundanz bestehen. Und dann lauten Textpassagen halt so:

"Morgen. Gut geschlafen?"
"Ja, und selber?"
"Schlecht geträumt. Wie geht's mit der Arbeit voran?"
"Mal so, mal so. Könnte besser gehen."
"Bei mir auch."

Ein guter Autor würde einfach schreiben:

Sie begrüßten einander und diskutierten über die Arbeit.

Damit ist schon alles gesagt!

Möglichst viel Handlung in möglichst kurze Texte zu packen ist für mich auch nicht unbedingt erstrebenswert. Wo bleibt da der Lesespaß?

Kommt darauf an, worin für dich der Lesespaß besteht. Für mich soll eine Geschichte vor allem eins tun: Eine Geschichte erzählen. Und eine Geschichte besteht nun einmal aus interessanten Informationen, die in einer Handlung angeordnet sind. Alles, was weder eine Information liefert noch die Handlung vorantreibt, ist fehl am Platze. Das gilt für Romane und Erzählungen, aber erst recht für Kurzgeschichten. Wie lautet das obligatorische Schreibgesetz, das Hemingway formuliert hat? "Putting in [information] and leaving out [redundancies]".

Da ich das Buch nicht kenne, kann ich nichts dazu sagen. Aber wenn der Tod einer Hauptperson mit ein paar wenigen Sätzen abgehandelt wird, erscheint mir das ein wenig sonderbar. Wenn der Held spannende Abenteuer erlebt, möchte ich die im Allgemeinen möglichst hautnah miterleben und nicht nur erzählt bekommen, dass er spannende Abenteuer erlebt hat.

Naja, Abenteuer kannst du eigentlich nicht durch Dialoge erleben, sondern gerade nur durch Erzähltext ;)
Viele der bedeutendsten Abenteuerromane sind denn ja auch vollständig oder fast vollständig in indirekter Rede erzählt: Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, In 80 Tagen um die Welt (sowie das meiste von Jules Verne), aber auch H.G. Wells, Frankenstein von Mary Shelley etc. Wenn da jedes Gespräch in direkter Rede abgelaufen wäre, wären die aber dreimal so dick ;) (Bei James Joyce würde das dann fatal ausfallen.)

Es mag durchaus sein (und nicht nur im Bereich SF), dass mancher Autor Defizite mit Dialogen zu übertünchen versucht. Auf der anderen Seite gehören für mich gute, lebensnahe, ungekünstelte, lebendige Dialoge zum Grundhandwerkszeug eines Autors. Wenn Dialoge weitgehend vermieden werden, zeugt das ja nicht automatisch von der Reife des Autors, denke ich.

Der umgekehrte Fall aber noch weniger. Wenn du dir Fan-Fiction ansiehst, wirst du normalerweise von Dialogen erschlagen - weil angehende Autoren das nötige schriftstellerische Handwerkszeug noch nicht erlernt haben, mit was für Mitteln neben Dialogen man eine Handlung erzählen kann. Selbstverständlich ist das Schreiben von Dialogen eine große Kunst. Wenn du dir die bedeutendsten Vertreter dieser Kunst ansiehst, wirst du aber auch erkennen, dass sie immer versucht haben, die Dialoge so kurz und die Informationsdichte so groß wie möglich zu halten. Bestes Beispiel ist Shakespeare. Im 20. Jahrhundert könnte man Stanley Kubrick anführen.

Dazu ein kurzer Textauszug:

Nichtsdestotrotz entspann sich schnell ein lebhaftes Gespräch. Wir versuchten zunächst, gemeinsame Bezugspunkte in der Galaxis festzulegen, um die jeweiligen Heimatwelten lokalisieren zu können.

Mir wäre es lieber, wenn ich mir selbst ein Bild davon machen könnte, wie lebhaft ein Gespräch ist anstelle erzählt zu bekommen, es sei ein lebhaftes Gespräch gewesen - ganz im Sinne von „Show, don†™t tell“. Gerade ein lebhaftes Gespräch kann doch einen Teil der Würze eines Textes ausmachen - zumindest für meinen Geschmack.

Weiß nicht, was mit dem Satz nicht in Ordnung ist: Er enthält alles, was für die Geschichte wichtig ist. Das "lebhafte Gespräch" ist ja schließlich nur eine Marginalie in der Geschichte dieses Kontakts. Worum es eigentlich geht, ist der Kontakt an sich. Wenn man dem Gespräch mehr Raum gegeben hätte, hätte man vielleicht einige lustig-missverständliche Dialoge erfinden können, aber es hätte für den Leser keinerlei Informationsgewinn gegeben.

Was mir an deinem Argument besonders komisch vorkommt: "Show, don't tell" ist eigentlich eine Regel des Mediums Film und befiehlt dem Filmemacher, von der Handlung so viel wie möglich durch die Kamera (Bilder) und so wenig wie möglich durch Dialoge zu übermitteln. Ist also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was du sagst :o

Leg mich jetzt bitte nicht auf konkrete Fundstellen fest, aber ich habe schon die unterschiedlichsten Varianten gesehen, wie man so was ohne indirekte Rede machen kann. Sei es, dass die Gedankensätze kursiv gesetzt werden oder aber dass einfache Anführungszeichen › ... ‹ den Unterschied zu gesprochenen Dialogen » ... « kennzeichnen. Auch reine Dialogpassen, in denen jeder Sprecher benannt oder gekennzeichnet wird, sind ja möglich. In irgendeiner NOVA-Ausgabe wurde z.B. jeder neue Sprecher durch einen Gedankenstrich gekennzeichnet - sinngemäß:

- Hallo!
- Hallo, wie geht†™s?
- Gut. Und dir?
- Schlecht.

Eine Fundstelle hab ich doch: SPHERE von Crichton. Dort wurde es (sinngemäß!) so gestaltet:

»Hallo.«
Hallo.
»Kommunizierst du per Gedankenübertragung?«
Genau.
Ah, sehr interessant. Und es funktioniert prächtig.
So ist es.
Hätte ich nicht gedacht.

Okay, das sind die Sachen, wie man sie typischerweise bei "universal translator"-Passagen oder beim Gedankenlesen sieht. Ich denke, das ist hier mit Absicht nicht gemacht worden. Diese Markierungen sind ja letztendlich nichts anderes als Substitute für normale Anführungszeichen. Diese Geschichte dreht sich ja gerade darum, dass mit einer Alienrasse kein "normaler" Dialog möglich ist, weil Kommunikationsmethode, Bewusstsein, Denkstrukturen alle völlig anders sind und ein hohes Maß an Interpretation nötig wird. Über ein Hintertürchen wieder die klassischen Anführungszeichen einzuführen, wäre also reichlich kontraproduktiv gewesen :rofl1:

#8 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 23 November 2006 - 02:14

Unterm Strich können wir das bestimmt so stehen lassen. Aber wenn du Lust hast, können wir noch ein bisschen über die Details diskutieren.

Ich fürchte, das würde dann doch recht weit von der Story wegführen ...

Aber da wir hier die Alleinunterhalter spielen, wird man es uns vielleicht verzeihen. :P
Ich versuche, mich kurz zu fassen, damits nicht zuviel Off Topic wird.

Das Problem ist halt, dass "normale" Dialoge zu 90% aus Redundanz bestehen. Und dann lauten Textpassagen halt so:

Wenn's tatsächlich soviel ist, dann wäre es auch mir wohl zuviel. Aber glücklicherweise ist es nicht immer so viel - zumindest nach meinem Eindruck.

Ich bin aber kein Purist, was das betrifft, d.h., ich lese Erzählungen oder Romane eher als Gesamtheit und schaue nicht so sehr auf einzelne Sätze oder Absätze. Wenn also unnötige Sätze drinstehen, die aber nicht weiter auffallen bzw. nicht ausufern, ist es für mich okay, wenn die Story spannend rüberkommt oder mir die Personen so interessant erscheinen, dass ich ihnen gerne beim Plaudern zuhöre (immer in Maßen natürlich). Nicht jeder Satz, der keine immens wichtige Info enthält, erscheint mir von vornherein unnötig.

Kommt darauf an, worin für dich der Lesespaß besteht. Für mich soll eine Geschichte vor allem eins tun: Eine Geschichte erzählen. Und eine Geschichte besteht nun einmal aus interessanten Informationen, die in einer Handlung angeordnet sind. Alles, was weder eine Information liefert noch die Handlung vorantreibt, ist fehl am Platze. Das gilt für Romane und Erzählungen, aber erst recht für Kurzgeschichten. Wie lautet das obligatorische Schreibgesetz, das Hemingway formuliert hat? "Putting in [information] and leaving out [redundancies]".

Das sehe ich nur teilweise so. Die Story und die Informationen, die für die Story wichtig sind, sollten natürlich im Vordergrund stehen. Aber es gibt auch Erzählungen oder Passagen in Romanen mit relativ wenig Handlung, an denen ich durchaus Gefallen finden kann - sei es, dass eine besondere Atmosphäre vermittelt wird, oder ein witziger Dialog, eine interessante Anekdote usw.

Naja, Abenteuer kannst du eigentlich nicht durch Dialoge erleben, sondern gerade nur durch Erzähltext ;)

Ich lese sehr gern Erzählungen, die wie ein Film vor dem geistigen Auge ablaufen - und da passt es durchaus, wenn die Akteure tatsächlich reden und nicht nur erzählt wird, was sie gesagt haben. ;)

Viele der bedeutendsten Abenteuerromane sind denn ja auch vollständig oder fast vollständig in indirekter Rede erzählt: Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, In 80 Tagen um die Welt (sowie das meiste von Jules Verne), aber auch H.G. Wells, Frankenstein von Mary Shelley etc.

Aus diesem Grund hatte ich ja in meinem zweiten Posting auf die klassische Phantastik verwiesen. ;)
Die von dir angesprochenen Romane hab ich alle gelesen, fast alle sogar mehrfach und einige ungekürzt (da steht teilweise viel Überflüssiges drin), da Jules Verne mir die ersten Kontakte zur SF beschert hat und mich Klassiker durchaus interessieren (heute nicht mehr ganz so sehr wie noch vor Jahren). Aber ich hab den Erzählstil auch im Kontext zu der Zeit gesehen, in der diese Werke entstanden sind.

Was mir an deinem Argument besonders komisch vorkommt: "Show, don't tell" ist eigentlich eine Regel des Mediums Film und befiehlt dem Filmemacher, von der Handlung so viel wie möglich durch die Kamera (Bilder) und so wenig wie möglich durch Dialoge zu übermitteln. Ist also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was du sagst

"Show, don't tell" begegnet einem auch in der Literatur immer wieder. Bin mir nicht mehr ganz sicher, aber der Ausspruch wurde z.B. von Henry James verwendet oder gar geprägt.
Gemeint ist damit, dass man nicht niederschreiben soll "Karl war mies drauf", sondern dass man besser mit einer geeigneten Szene zeigen soll, dass er mies drauf ist. Der Leser soll spüren, dass etwas so ist - ohne dass ihm der Autor explizit sagt, wie es ist. Der Leser kann das z.B. durch einen Dialog sehr gut spüren, wenn Karl entsprechend mürrische Antworten gíbt etc.
So war das auch - beispielhaft - beim "lebhaften Gespräch" gemeint.

Diese Geschichte dreht sich ja gerade darum, dass mit einer Alienrasse kein "normaler" Dialog möglich ist, weil Kommunikationsmethode, Bewusstsein, Denkstrukturen alle völlig anders sind und ein hohes Maß an Interpretation nötig wird. Über ein Hintertürchen wieder die klassischen Anführungszeichen einzuführen, wäre also reichlich kontraproduktiv gewesen :huh:

Wenn aber ein Mensch an dieser Kommunikation beteiligt ist, dann ist sein in Gedanken geführtes Gespräch von einem mündlich geführten doch nicht gar so weit weg, oder?

Zumal es in der Story heißt:

Je länger wir redeten, desto mehr redeten wir aneinander vorbei ... Ich widersprach jedenfalls vehement ihrer Auffassung, es habe sich dabei um den Sohn eines Mitglieds der sie erschaffenden technisch überlegenen Rasse namens ETWAS gehandelt.

Damit war für mich eigentlich klar, dass diese Kommunikation doch in gewissen Bahnen abläuft, die einem echten Gespräch nicht so unähnlich sind. Und auch hier gilt für mich wieder "show, don't tell". Mir als Leser wird zwar gesagt, dass die beiden aneinander vorbeireden, aber ich würde - zumindest in Ausschnitten oder exemplarisch - gern "live" miterleben, wie sie andeinander vorbei reden bzw. wie vehement dieser Widerspruch tatsächlich ausfällt, ich mache mir also gern selbst ein Bild von der Sache.

(Somit hab ich wenigstens die Kurve zurück zur Story gekriegt. ;) )

#9 Muside

Muside

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Geschrieben 25 November 2006 - 00:14

Tja, ich hatte mir zwar geschworen, aus Neutralitätsgründen nie in einen Thread mit einer von meinen Storys hineinzuposten, aber hier ist es vielleicht einmal sinnvoll.Der Mangel an Dialog, wie auch immer er nun geartet sein könnte, ist vor allem ein Resultat der Zeichenbeschränkung. 20.000 lässt halt nur gewisse Textlängen zu - um die zehn Seiten, also weniger ein Short- als eine Short-Short-Story. Da ich die Geschichte etwas zu ausufernd geplant hatte und mir die Zeit fehlte, sie angemessen umzuschreiben, mussten mehrere Handlungsstränge gestrafft oder entfernt werden.Dialoge in direkter Rede hatte ich allerdings tatsächlich von vornherein ausgeschlossen. Einfach deswegen, weil es lächerlich ist, dass die vorgestellten Kreaturen wie Menschen denken, geschweigedenn ihre Gedanken vermitteln. Wenn ich mehr Zeit oder mehr Platz gehabt hätte, hätte ich die Problematik der Kommunikation eingehender behandelt. So kommt sie nämlich auch mir etwas zu kurz.Wie ich schon früher gesagt habe, bin ich aber sehr froh über die Zeichenbeschränkung. Ich gehöre auch zu denen, die sich "In der Kürze liegt die Würze" auf die Fahnen geschrieben haben. Z.B. würde Kim Stanley Robinson nie mein Lieblingsautor werden können, weil jedes neue Werk von ihm wie ein Klumpen Blei in meinem Kopf liegt. Und leider ist das bei so vielen der aktuellen Science-Fiction-Koryphäen so: Geh in die Buchhandlung, nimm einen beliebigen SF-Bestseller aus dem Regal, schlag ihn auf und du erblickst eine 800seitige Textwüste. Dabei haben die sogenannten "großen" Klassiker der SF selten die 300-Seiten-Grenze überschritten (ich denke da z.B. an Frankenstein, Die Zeitmaschine, 1984, Planet der Habenichtse, Der große Süden, Starship Troopers, Solaris, Picknick am Wegesrand...).Erwähnenswerte Gegenbeispiele gibt es natürlich auch, allen voran Dune und Foundation (obwohl Foundation eigentlich aus kurzen Einzelromanen besteht).

#10 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 29 November 2006 - 02:55

Der Mangel an Dialog, wie auch immer er nun geartet sein könnte, ist vor allem ein Resultat der Zeichenbeschränkung. 20.000 lässt halt nur gewisse Textlängen zu - um die zehn Seiten, also weniger ein Short- als eine Short-Short-Story. Da ich die Geschichte etwas zu ausufernd geplant hatte und mir die Zeit fehlte, sie angemessen umzuschreiben, mussten mehrere Handlungsstränge gestrafft oder entfernt werden.

Hm, gegen sinnvolles Kürzen hab ich nichts - meist ist Kürzen auch notwendig. Aber wenn Dialoge aus Gründen einer Textkürzung rausgelassen oder gestrichen werden, dann sehe ich das ziemlich zwiespältig.
Das Fehlen von Dialogen ist hier ja nicht nur der non-verbalen Kommunikation geschuldet, auch die Dialoge zwischen den Menschen werden nur in indirekter Rede wiedergegeben.

Dialoge in direkter Rede hatte ich allerdings tatsächlich von vornherein ausgeschlossen. Einfach deswegen, weil es lächerlich ist, dass die vorgestellten Kreaturen wie Menschen denken, geschweigedenn ihre Gedanken vermitteln.

Bei Textstellen wie

Je länger wir redeten, desto mehr redeten wir aneinander vorbei ... Ich widersprach jedenfalls vehement ihrer Auffassung, es habe sich dabei um den Sohn eines Mitglieds der sie erschaffenden technisch überlegenen Rasse namens ETWAS gehandelt.

kann ich das allerdings nur bedingt nachvollziehen. Klar soll sich diese Kommunikation von einem Gespräch unterscheiden, aber nach einigen Beschreibungen in der Story erscheint es mir nach wie vor so, dass diese Art der Kommunikation von unseren Gesprächen doch nicht soo gravierend abweicht.

Bearbeitet von ChristianW, 29 November 2006 - 02:57.


#11 Palpatine

Palpatine

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Geschrieben 02 Dezember 2006 - 18:07

Sorry, dass ich erst jetzt antworte - die Diskussion im Gewinnerthread hatte meine Aufmerksamkeit gebunden. Ich hoffe, du bist immer noch streitbar :aliensmile:

Ich bin aber kein Purist, was das betrifft, d.h., ich lese Erzählungen oder Romane eher als Gesamtheit und schaue nicht so sehr auf einzelne Sätze oder Absätze. Wenn also unnötige Sätze drinstehen, die aber nicht weiter auffallen bzw. nicht ausufern, ist es für mich okay, wenn die Story spannend rüberkommt oder mir die Personen so interessant erscheinen, dass ich ihnen gerne beim Plaudern zuhöre (immer in Maßen natürlich). Nicht jeder Satz, der keine immens wichtige Info enthält, erscheint mir von vornherein unnötig.

Klar. Das gilt z.B. für humoristische Einlagen oder Passagen, die einfach die Stimmung transportieren sollen. Gerade bei unerfahrenen Autoren nehmen solche Passagen manchmal überhand, mit dem Ergebnis, dass ihre Geschichte vielleicht lustig ist oder gut klingt, aber belanglos ist.

Das sehe ich nur teilweise so. Die Story und die Informationen, die für die Story wichtig sind, sollten natürlich im Vordergrund stehen. Aber es gibt auch Erzählungen oder Passagen in Romanen mit relativ wenig Handlung, an denen ich durchaus Gefallen finden kann - sei es, dass eine besondere Atmosphäre vermittelt wird, oder ein witziger Dialog, eine interessante Anekdote usw.

Hoppla. Ist ja das gleiche, wie ich es gerade gesagt habe. Von daher also volle Zustimmung :)

Ich lese sehr gern Erzählungen, die wie ein Film vor dem geistigen Auge ablaufen - und da passt es durchaus, wenn die Akteure tatsächlich reden und nicht nur erzählt wird, was sie gesagt haben. ;)

In dem Punkt werden wir uns wohl nie einig werden. Film und Literatur sind zwei völlig unterschiedliche Medien, und Literatur, die "wie ein Film vor dem geistigen Auge" abläuft, ist normalerweise absichtlich so geschrieben worden und gehört zur Trivialliteratur. Die Werkzeuge der Literatur hingegen sind an sich völlig andere. Mich beeindruckt ein Autor dann, wenn er genau diese Mittel beherrscht (Kafka, Joyce, Proust...), und mich nicht in das Rezeptionsmuster eines anderen Mediums hineinzwingen möchte (Stephen King, Michael Crichton, Tom Clancy, Andreas Eschbach...).

Aus diesem Grund hatte ich ja in meinem zweiten Posting auf die klassische Phantastik verwiesen. ;)
Die von dir angesprochenen Romane hab ich alle gelesen, fast alle sogar mehrfach und einige ungekürzt (da steht teilweise viel Überflüssiges drin), da Jules Verne mir die ersten Kontakte zur SF beschert hat und mich Klassiker durchaus interessieren (heute nicht mehr ganz so sehr wie noch vor Jahren). Aber ich hab den Erzählstil auch im Kontext zu der Zeit gesehen, in der diese Werke entstanden sind.

Noch einmal: Das hat nichts mit Klassik oder der Entstehungszeit zu tun, es gilt für moderne Literatur genauso (man schaue sich nur Heinlein oder Joe Haldeman an). Was bei Jules Verne, Mary Shelley oder H.G. Wells Überflüssiges drinstehen soll, wird mir allerdings nicht klar. Am ehesten noch Jules Verne, der einen gerne mit Informationen überschwemmt (seinem Zettelkasten sei dank).

"Show, don't tell" begegnet einem auch in der Literatur immer wieder. Bin mir nicht mehr ganz sicher, aber der Ausspruch wurde z.B. von Henry James verwendet oder gar geprägt.
Gemeint ist damit, dass man nicht niederschreiben soll "Karl war mies drauf", sondern dass man besser mit einer geeigneten Szene zeigen soll, dass er mies drauf ist. Der Leser soll spüren, dass etwas so ist - ohne dass ihm der Autor explizit sagt, wie es ist. Der Leser kann das z.B. durch einen Dialog sehr gut spüren, wenn Karl entsprechend mürrische Antworten gíbt etc.
So war das auch - beispielhaft - beim "lebhaften Gespräch" gemeint.
Wenn aber ein Mensch an dieser Kommunikation beteiligt ist, dann ist sein in Gedanken geführtes Gespräch von einem mündlich geführten doch nicht gar so weit weg, oder?

Zumal es in der Story heißt:

Je länger wir redeten, desto mehr redeten wir aneinander vorbei ... Ich widersprach jedenfalls vehement ihrer Auffassung, es habe sich dabei um den Sohn eines Mitglieds der sie erschaffenden technisch überlegenen Rasse namens ETWAS gehandelt.

Damit war für mich eigentlich klar, dass diese Kommunikation doch in gewissen Bahnen abläuft, die einem echten Gespräch nicht so unähnlich sind. Und auch hier gilt für mich wieder "show, don't tell". Mir als Leser wird zwar gesagt, dass die beiden aneinander vorbeireden, aber ich würde - zumindest in Ausschnitten oder exemplarisch - gern "live" miterleben, wie sie andeinander vorbei reden bzw. wie vehement dieser Widerspruch tatsächlich ausfällt, ich mache mir also gern selbst ein Bild von der Sache.

(Somit hab ich wenigstens die Kurve zurück zur Story gekriegt. ;) )

Ich habe gerade das hier ausgegraben. Ist vom gleichen Autor, und du bist verständlicherweise so lange von der Geschichte angetan, wie sie nach dem "Show, don't tell"-Prinzip funktioniert. In dem Moment aber, wo er diese Erzählposition verlässt, wirfst du ihm das vor. Das ist für mich der Knackpunkt. Du hast dich zu sehr auf ein Erzählschema versteift und bist nicht mehr für die zahllosen anderen Erzählmechanismen literarischen Erzählens empfänglich, so kommt es jedenfalls rüber.

Um dir noch ein Beispiel dafür zu liefern, wie wenig aussagekräftig das Vorhandensein von Dialogen ist, zwei Beispiele aus dem Buch "Frieden auf Erden" von Stanislaw Lem:

Die Probleme blieben natürlich nicht auf die Erotik beschränkt. Ein zwölfjähriger Schüler zum Beispiel, dessen Rechtschreibefehler beim Diktat mit einer schlechten Note bestraft wurden, benutzte einen athletisch gebauten Sendling, um den Lehrer windelweich zu prügeln und ihm die Wohnung zu demolieren. Dieser Sendling war ein sogenannter Haushüter, ein Modell, das reißenden Absatz fand, und der Vater des Schülers hielt ihn in einer Hütte auf seinem Grundstück, um es vor Dieben zu schützen. Deswegen ging der Eigentümer stets in einem Spezialpyjama mit eingenähten Elektroden zu Bett, und wenn die Alarmanlage die Anwesenheit fremder Personen anzeigte, brauchte er nicht einmal aufzustehen, um sogar mit mehreren Einbrechern fertig zu werden und sie bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten.

Sicher hat es viele Arten gegeben, und die meisten sind, wie es die Evolution mit sich bringt, ausgestorben. Nach einiger Zeit sind symbiotische Gattungen aufgetreten, solche also, die zusammenarbeiten, weil es allen Seiten nützt. Sie sind - wie etwa die Grippevieren - lediglich zu einer großen Modifikationsvielfalt imstande. Im Unterschied zu den irdischen Bakterien sind sie keine Parasiten, weil sie gar keine Wirte haben konnten, sieht man von den Rechnerruinen ab, aus denen sie schlüpften. Diese waren ja nur der anfängliche Nährboden. Die Sache komplizierte sich dadurch, dass es inzwischen zu einer Zweiteilung sämtlicher Waffen gekommen war, die dort entstanden, solange die Programme noch einigermaßen nach ihren Vorgaben arbeiteten.

Einer der beiden Absätze war in wörtlicher Rede verfasst, einer war Erzähltext. Trotzdem ist die Struktur fast gleich, und würden keine Anführungszeichen stehen, könnte man das eine kaum vom anderen unterscheiden. Mit anderen Worten: Innerhalb einer Erzählung ist Exposition in Form von Dialog und in Form von Erzähltext häufig austauschbar. Das ist etwas völlig anderes als der Unterschied zwischen OFF-Narration und Dialog in Film und Fernsehen, das muss man sich klar machen.

#12 † Christian Weis

† Christian Weis

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Geschrieben 02 Dezember 2006 - 18:39

Sorry, dass ich erst jetzt antworte - die Diskussion im Gewinnerthread hatte meine Aufmerksamkeit gebunden. Ich hoffe, du bist immer noch streitbar :)

1. Kein Problem. ;)
2. Da die Zeit knapp ist und wir das OFF TOPIC vielleicht nicht zu sehr ausbreiten sollten, versuche ich mich knapp zu fassen:

Film und Literatur sind zwei völlig unterschiedliche Medien, und Literatur, die "wie ein Film vor dem geistigen Auge" abläuft, ist normalerweise absichtlich so geschrieben worden und gehört zur Trivialliteratur. Die Werkzeuge der Literatur hingegen sind an sich völlig andere.

Hier kommt unsere unterschiedliche Sichtweise relativ deutlich raus:
Ich unterteile nicht in "Trivialliteratur" und "Literatur". Diese Unterscheidungen sind für mich nachrangig. Für mich geht es in erster Linie darum, ob mich ein Werk anspricht oder nicht. Da spielen neben einigen objektiven Kriterien auch etliche subjektive Kriterien hinein. Insofern sehe ich mich nicht als jemanden, der ein Werk nach literaturwissenschaftlichen oder -historischen Kriterien beurteilt, sondern ich sehe mich in erster Linie als Leser. Und als Leser gefällt mir das eine besser, das andere weniger gut, und manches auch gar nicht. In der Regel schreibe ich in meine Kommentare auch rein "gefällt mir/gefällt mir nicht" - insofern sind das keine literaturwissenschaftlichen Bewertungen und sollen es auch nicht sein. :aliensmile:

Mich beeindruckt ein Autor dann, wenn er genau diese Mittel beherrscht (Kafka, Joyce, Proust...)

Auch hier ein Unterschied: Mich sprechen die Werke der genannten Autoren kaum an - hab auch nur Kafka gelesen und Joyce nach wenigen Dutzend Seiten abgebrochen. Wenn also ein Autor mit den Mitteln schreibt, die diese Autoren verwendet oder geprägt haben, kann ich zwar die Mittelverwendung bewundern, aber ob mir das Werk dann auch als Leser zusagt, steht wieder auf einem anderen Blatt Papier.

Ich habe gerade das hier ausgegraben. Ist vom gleichen Autor, und du bist verständlicherweise so lange von der Geschichte angetan, wie sie nach dem "Show, don't tell"-Prinzip funktioniert. In dem Moment aber, wo er diese Erzählposition verlässt, wirfst du ihm das vor. Das ist für mich der Knackpunkt. Du hast dich zu sehr auf ein Erzählschema versteift und bist nicht mehr für die zahllosen anderen Erzählmechanismen literarischen Erzählens empfänglich, so kommt es jedenfalls rüber.

Knackpunkt: Sehe ich auch so.
Auf ein Erzählschema versteift: Bis zu einem gewissen Grad sicherlich, ganz einfach weil mir das eher zusagt. Wobei ich nicht ausschließlich solche Sachen lese, aber es trifft meinen persönlichen Geschmack in aller Regel am ehesten. Gerade in Anthologien lese ich auch Storys, die von diesem Schema abweichen. Einige von denen fand ich auch beindruckend, etliche waren schlichtweg nicht mein Fall (Stichwort: Lesespaß - meine Zeit ist leider zu knapp bemessen, um mich ausführlich Werken zu widmen, die meine Interessen nicht ansprechen).
Mit anderen Worten: Wenn eine Story/ein Roman innovativ ist oder hochliterarischen Ansprüchen genügt und mich anspricht: Toll! Wenn's mich nicht anspricht, lege ich das Buch irgendwann beiseite oder komme, wenn ich bis zum Ende lese, möglicherweise zu dem Schluss, dass mir das Werk - in Teilen oder in Gänze - nicht gefällt oder nicht lebendig genug ist etc.

Bearbeitet von ChristianW, 02 Dezember 2006 - 18:40.


#13 Palpatine

Palpatine

    Ufonaut

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Geschrieben 03 Dezember 2006 - 14:55

Hier kommt unsere unterschiedliche Sichtweise relativ deutlich raus:
Ich unterteile nicht in "Trivialliteratur" und "Literatur". Diese Unterscheidungen sind für mich nachrangig. Für mich geht es in erster Linie darum, ob mich ein Werk anspricht oder nicht.

Die von dir beschriebene Unterteilung existiert ja auch nicht. Es gibt Hochliteratur, Unterhaltungsliteratur und Trivialliteratur, die alle zusammen genommen die "Literatur" ergeben.

Insofern sehe ich mich nicht als jemanden, der ein Werk nach literaturwissenschaftlichen oder -historischen Kriterien beurteilt, sondern ich sehe mich in erster Linie als Leser. Und als Leser gefällt mir das eine besser, das andere weniger gut, und manches auch gar nicht.

Weißt du was? Das macht jeder Mensch so :smokin: Der Unterschied besteht gar nicht in der Einstellung der Literatur gegenüber, sondern in der Sensibilisierung. Um ein Beispiel zu liefern: Kinder können nach ihrer Geburt sämtliche Sprachlaute aussprechen. Je länger sie ihre Muttersprache lernen, desto mehr Sprachlaute verlernen sie, bis sie als Erwachsene nur noch die Sprachlaute ihrer Muttersprache aussprechen können. Wollen sie nun eine Fremdsprache erlernen, müssen sie sich deren Phoneme mühsam wieder antrainieren.

Mit der Kunst (und hier kann man Literatur, Malerei, Musik usw. alle subsumieren) ist es genauso. Es gibt interessante Studien, die zeigen, dass Kinder Geschichten von Kafka (oder sogar jahrtausendealte Epen wie die "Odyssee" :rofl1: ) oder Bilder von Picasso oder Musik von Ligeti besser verstehen als viele Erwachsene. Die Ursache ist in den eingefahrenen Perzeptionsmustern der Erwachsenen zu suchen.

Verstehst du, was ich damit sagen will? Deine Argumentation zu "literaturwissenschaftlichen oder -historischen Kriterien" läuft ins Leere, weil das gar nicht Gegenstand meiner Kritik war. Kein Mensch, auch ich nicht, bewertet eine Geschichte, die er liest, unter solchen Gesichtspunkten, sondern immer danach, welchen Eindruck sie auf ihn macht. Aber dieser Eindruck ist stark davon abhängig, inwieweit ich mich selbst gegenüber den Ausdrucksmitteln einer Kunstrichtung sensibilisiert habe oder dafür sensibilisiert wurde.

Mit anderen Worten: Wenn jemand sagt, dass er Kafka, Joyce, Eco, Fo, Borges, Dante, Baudelaire, Chaucer "getestet" hat und sie alle nicht mochte, dann kann die Ursache dafür nicht mehr der Geschmack sein, sondern man kann definitiv daraus schließen, dass er eine extrem eingeschränkte Perzeption besitzt. Die Ursache ist dann in der Regel, dass man ihn in seiner Kindheit und Jugend zu wenig mit Kunst jenseits des Alltäglichen konfrontiert hat. Die Konsequenz ist geistige Verarmung.

Denn, um das noch einmal deutlicher herauszustellen: Die "Großen" der Literatur (und jeder anderen Kunst) gelten ja nicht als solche, weil irgendein Rauschebartträger an einer Uni das einmal so festgelegt hat. Vielmehr, weil diese Autoren Mittel und Wege gefunden haben, ihren Lesern etwas so Wichtiges so effizient zu vermitteln, dass man sie nie mehr vergessen hat. Auch wenn in dieser Sekunde alle Literaturwissenschaftler verschwinden würden, würde man in hundert Jahren noch Borges und Dante lesen. Ein zentrales Merkmal qualitativ hochwertiger Literatur ist Zeitlosigkeit.

Deswegen gibt es sehr Wohl Mittel und Wege, die Qualität von Literatur zu bestimmen, und das sogar anhand nachprüfbarer, allgemeingültiger Aspekte jenseits von "Mir hat's gefallen" und "Ich fand's doof" http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/cool.png .

#14 Mammut

Mammut

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Geschrieben 03 Dezember 2006 - 15:00

Na, ja. Nur weil man keinen formalen Bewertungskatalog hat, bewertet man ja nicht aus dem Bauch heraus.

#15 Palpatine

Palpatine

    Ufonaut

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Geschrieben 03 Dezember 2006 - 16:47

Na, ja. Nur weil man keinen formalen Bewertungskatalog hat, bewertet man ja nicht aus dem Bauch heraus.

Kommt darauf an, was man darunter versteht. Wenn man tatsächlich keinen Richtlinien folgt, ist das schon "aus dem Bauch heraus" bewertet ;)

#16 Muside

Muside

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Geschrieben 03 Dezember 2006 - 17:20

@ChristianW:

Hm, gegen sinnvolles Kürzen hab ich nichts - meist ist Kürzen auch notwendig. Aber wenn Dialoge aus Gründen einer Textkürzung rausgelassen oder gestrichen werden, dann sehe ich das ziemlich zwiespältig.
Das Fehlen von Dialogen ist hier ja nicht nur der non-verbalen Kommunikation geschuldet, auch die Dialoge zwischen den Menschen werden nur in indirekter Rede wiedergegeben.

Selbstverständlich gehe ich beim Kürzen nicht hin und streiche als erstes die Dialoge. Ich bin hier einfach gar nicht erst dazu gekommen, sie zu schreiben ;) Und die Dialoge der Menschen können hier nur in indirekter Rede wiedergegeben werden, weil die Geschichte aus der Perspektive der anderen Rasse erzählt wird.

Bei Textstellen wie

Je länger wir redeten, desto mehr redeten wir aneinander vorbei ... Ich widersprach jedenfalls vehement ihrer Auffassung, es habe sich dabei um den Sohn eines Mitglieds der sie erschaffenden technisch überlegenen Rasse namens ETWAS gehandelt.

kann ich das allerdings nur bedingt nachvollziehen. Klar soll sich diese Kommunikation von einem Gespräch unterscheiden, aber nach einigen Beschreibungen in der Story erscheint es mir nach wie vor so, dass diese Art der Kommunikation von unseren Gesprächen doch nicht soo gravierend abweicht.

Damit bist zum Kern des Problems bei dieser Geschichte vorgedrungen - allerdings von der falschen Seite. Nicht das Fehlen der Dialoge ist das Problem, sondern dass im Rest der Narrativen nicht der Eindruck vermieden wird, dass ein Dialog stattfindet. An dieser Stelle versagt mein Text ganz kläglich, das war mir auch bewusst. Ich habe überlegt, ob die Story überhaupt so veröffentlicht werden soll (Armin wird sich noch gut an die lange Verzögerung erinnern), aber da ich partout nicht die Zeit gefunden habe, diese Schnitzer ohne eine massive Verlängerung des Textes auszubessern, habe ich am Ende davor kapituliert. Und es ist ja auch prompt aufgefallen. Ein gutes Beispiel dafür, was für einen durchschlagenden Effekt stilistische Mängel haben können.


@Dunkler Oberlord der Sith,

da du "meinen" Thread ja bereits für deine Diskussion leicht zweckentfremdet hast und zum eigentlichen Thread-Thema ohnehin kaum Diskussion zu erwarten ist, werde ich einmal auf deine Punkte näher eingehen.

Bei deinen Bedenken bist du zwar in vielerlei Hinsicht im Recht, aber leider hier an der völlig falschen Adresse, ihnen Ausdruck zu verleihen. Hochliteratur war schon immer hauptsächlich auf die Printmedien konzentriert. Das war immer so und wird immer so bleiben. Genauso wenig, wie das Fernsehen revolutionäre intellektuelle Glanzleistungen hervorbringt, wird das das Internet tun. Ursache? Bei McLuhan, 1967 nachzulesen. Der vielzitierte (und viel öfter missverstandene und missbrauchte) Satz "Das Medium ist die Message" trifft hier voll zu.

Kurz gesagt, liegt es an der Natur des Mediums Internet. Das Internet ist ein Medium, dessen herausragendstes Merkmal seine Geschwindigkeit ist. Informationen über Amine oder Giovanni Pacini lassen sich genauso schnell recherchieren, wie die Liste der bulgarischen Beiträge beim Eurovision Song Contest. Dementsprechend baut sich beim Benutzer eine Erwartungshaltung auf, wenn er das Medium benutzt: Dass alles, was er daraus bezieht, schnell erreichbar und verwertbar sei. Die Haltung des Konsumenten ist bekanntermaßen mit dem Anbieter rückgekoppelt ("Die Nachfrage bestimmt das Angebot"). So kommt es dazu, dass im Internet v.a. Inhalte angeboten werden, die schnell konsumierbar sind. Die Eigenschaften des Mediums formen die Message, das war es, was McLuhan meinte.

Im Falle von reinen Informationen ist das natürlich Klasse. Zum Recherchieren von Artikeln, Hausaufgaben oder zum Informieren über Events und zum Kontakt mit Leuten am anderen Ende der Welt ist das Internet ein göttliches Medium. Für Kunstliebhaber ist es eher unverdaulich, denn Kunst setzt immer voraus, dass man sich mit ihr lange beschäftigt und beträchtliche mentale Ressourcen auf sie verwendet. Dass sich dieser Anspruch nicht gut mit dem Internet verträgt, liegt auf der Hand.

Und genau das ist hier auch der Fall. Von einem E-Zine das Aufziehen der nächsten Generation legendärer SciFi-Autoren zu erwarten, ist ein Oxymoron. Das ist auch der Grund dafür, weswegen so wenige in E-Zines veröffentlichte Storys irgendwelche Preise gewinnen. E-Zines sind für den schnellen und kurzfristigen Lesespaß da. Du wirst in ihnen keine Hochliteratur finden und sie auch nicht dazu bringen können, sie herauszubringen.

Nimm das Beispiel von ChristianW:

Ich lese sehr gern Erzählungen, die wie ein Film vor dem geistigen Auge ablaufen

Dieser Satz hat für Literatur ungefähr die gleiche Bedeutung wie "Ich lese sehr gern Zeitschriften, in denen es viele Bilder gibt" für das Pressewesen oder "Ich esse sehr gerne alle Sachen mit Ketchup" für die Gastronomie. Jemand, der beim Lesen von Erzählungen auf das allersimpelste Handlungsmuster, auf das "Innere Auge" festgelegt ist, wird aus den Meisterwerken der Weltliteratur, die bei den literarischen Mitteln aus dem Vollen schöpfen, wenig Gewinn ziehen - er besitzt einfach nicht die nötigen Mittel, um den dargebotenen Schatz verwerten zu können. In dem Punkt trifft dein Kommentar zur Sensibilisierung den Kern. Genauso würde auch jemand, der gerne Illustrierte liest, aus der Lektüre der Süddeutschen, FAZ oder NY Times wenig Nutzen ziehen. Und an jemanden, dessen Geschmack nie sensibilisert wurde (und deshalb alles mit Ketchup isst), sind auch Topinambur-Trüffelomelettes, gedämpftes Bressehuhn und Ratatouille-Vinaigrette verschwendete Liebesmüh.

Die Sache ist nur die, dass man das niemandem zum Vorwurf machen kann. Genausowenig wie ChristianW sich vorzuwerfen lassen braucht, dass er von Literatur nichts versteht, muss ich mir vorwerfen lassen, dass ich von Feinschmeckerei nichts verstehe. Ich esse z.B. für mein Leben gern Tütensuppen und könnte einen Chianti Canaiolo geschmacklich nicht vom berühmten Château Mouton-Rothschild unterscheiden. Das liegt daran, dass ich niemals die Gelegenheit hatte, meinen Geschmack auszubilden (der Speiseplan meiner Kindheit war recht eintönig) - mit dem Ergebnis, dass ich für die Wunder der Ess- und Trinkkultur "blind" geworden bin. Jeder Gourmet würde auf mich herabsehen. Aber das ist völlig egal, ich habe auf anderen Gebieten meine Stärken.

Da niemand sich fürs Blindsein entscheidet, sondern man stets durch die "äußeren Umstände" dazu gelangt, liegt es in niemandes Verantwortung und muss sich auch niemand für seine Blindheit entschuldigen.

An dieser Stelle will ich einen kleinen Exkurs in die Funktionsweise der menschlichen Psyche geben, um dir die Sache mit der "Sensibilisierung", die du angesprochen hast, und dem "Geschmack" deutlicher zu machen (denn du meinst zwar das Richtige, aber deine Begrifflichkeit ist ein bisschen durcheinander):


Die meisten psychischen Prozesse laufen unbewusst ab, so auch der abstrakte Prozess des "Geschmacks". Deshalb ist den meisten Leuten gar nicht klar, dass das, was sie ihren "persönlichen Geschmack" nennen, ein psychisches Konstrukt zur Legitimation der Aktion Konsumieren bzw. Nicht-Konsumieren (oder, aufs Thema bezogen, Lesen/Nichtlesen) ist. Auf beiden Seiten der Bewertungsskala für dieses Konstrukt steht der Utilitarismus - auf der einen Seite Output (was bekomme ich dafür?) auf der anderen Input (was muss ich dafür leisten?).

Der Output (O) wiederum entsteht in enger Verkettung mit dem Milieu. Will sagen: Wenn jemandem während seiner Jugend klargeworden ist oder klargemacht wurde, dass er aus Hochliteratur (bzw. Malerei, Kino etc.) einen reichen Schatz an ethischen, moralischen, sozialen, interkulturellen und performativen Mustern, historischem, philosophischem, religiösem, praktischem und pragmatischem Wissen und vielerlei anderem beziehen kann, dann wird der Output-Pattern steigen. In anderen Worten: Weil dem Individuum unterbewusst klar ist, dass es aus der Auseinandersetzung mit den Meisterwerken vergangener Epochen Gewinn schöpft, steigt der Belohnungsanreiz. (Es spielen zahlreiche weitere Faktoren - etwa persönliche Verbindung mit dem Thema - mit hinein, die ich der Kürze und des Verständnisses halber weglasse.)

Der Input (I) entsteht durch den natürlichen psychischen Trägheitsfaktor. Er repräsentiert die (unterbewussten) Überlegungen: "Wieviel Zeit muss ich dafür aufwenden, um das zu lesen?" "Wie lange muss ich stillsitzen, um das zu lesen?" aber auch, und das ist bei den meisten "Leseratten", die aber nur Trivialliteratur konsumieren, der eigentliche Auslöser der Malese: "Wie viel Arbeit muss ich in das Verständnis des Textes investieren?" und "Wie stark muss ich mein gefestigtes Weltbild hinterfragen (oder vielleicht sogar verändern), wenn ich mich mit diesem Text beschäftige?"

Wenn (O) über (I) steigt, "öffnet" sich der Verstand langsam dem Text. Das ist bei einem Erwachsenen mit niedrigem (O) schwer zu erreichen. Aber wenn es einmal geschieht, wird die ganze Sache oft zum Selbstläufer. Und das liegt am sogenannten Musterreiz.

KLAMMER AUF: Der Musterreiz (M) ist ein Unteraspekt des Outputs (bei diversen Erkrankungen, v.a. Schizophrenie, spielt er eine wichtige Rolle, da er dann etwa andere Reize überlagern kann). Dabei handelt es sich um den Belohnungsanreiz, der aus "imaginativen" Leistungen des Gehirns entsteht. Psychologisch gesehen besteht eine "imaginative Leistung" darin, in einem unbekannten System ein Muster zu finden (daher auch der Name).

Beispiel: Die Konsumption der "Divina Commedia" ist für das Gehirn Schwerstarbeit, weil dieses Werk aus einer anderen Zeit und Gesellschaft stammt, vor allem aber ein völlig anderes Weltbild transportiert und uns in übernatürliche - höllische wie himmlische - Sphären entführt. Die Hineinversetzung in die Welt der "Divina Commedia" wird, wenn sie erfolgreich ist, durch den Musterreiz (M) belohnt, aber nur, wenn (O) bereits hoch ist, weil sonst das Übergewicht des Inputfaktors die Belohnungsentstehung blockiert. Typischerweise wäre das der gelangweilte Gymnasiast, dem sein Lehrer befohlen hat, die "Divina Commedia" zu lesen, obwohl darauf nicht die geringste Lust hat. Hier kann es nicht zur (M)-Ausschüttung kommen, weil (O) von (I) (Input) überlagert wird oder gar nicht vorhanden ist. KLAMMER ZU.

Wenn also unser Erwachsener, dessen (O) knapp über (I) liegt, die "Divina Commedia" zu lesen beginnt, so wird er das am Anfang widerwillig tun. Je länger er liest, desto effizienter wird sein Geist die dem Text zugrunde liegenden Muster entschlüsseln, lernen, begreifen und dadurch (M) auslösen. Die Belohnung durch (M) (Ausschüttung von Endorphinen) wird nach einiger Zeit in (O) integriert, das dadurch steigt. Die Relation zwischen (O) und (I) ändert sich also zugunsten von (O). Bei einem so tiefgründigen Werk wie unserem Beispiel kann (O) schwindelnde Höhen erreichen.

Oder, noch einmal am Beispiel ausgedrückt: Man beginnt widerwillig zu lesen, begreift am Anfang gar nichts, aber je mehr man begreift, desto mehr Spaß macht die Sache. Man ist (meist unbewusst) stolz darauf, dass man eine schwierige mentale Leistung vollbracht hat, was den Anreiz, weiterzulesen, verstärkt. So geht das ganze nach dem Schneeballprinzip weiter. Das Problem bei der Sache ist, (O) erst einmal groß genug werden zu lassen, und das geht nur, indem man das Interesse weckt - Zwang nützt gar nichts.

Ich sollte hinzufügen, dass (O) kein allgemeiner Wert ist, sondern für jedes Stück Literatur, Malerei Film etc. individuell existiert und auch im Lauf der Zeit variiert.

Eine wichtige Konsequenz aus diesen Erkenntnissen der Psychologie ist auf jeden Fall, dass Kunst tatsächlich anhand objektiver Eigenschaften bewertbar ist (die in den von dir erwähnten normativen Systemen kategorisiert werden). Schließlich springt der Musterreiz auf Qualitätskriterien an, die viel Planung und Hingabe erfordern, also einen Text aus dem Trivialen oder rein Unterhaltenden erheben und psychologisch viel bleibendere Effekte haben. Einer der Gründe, weswegen auch Araber von Hesse und Franzosen von Li Bo begeistert sind.

Für den Gelegenheitsleser, und damit für die meisten, die hierher kommen, um zu lesen, ist das jedoch gar nicht von Belang. Es geht ihnen nicht darum, durch Beschäftigung mit dem Text zu neuen Horizonten zu gelangen oder auch nur irgend etwas mitzunehmen, das ihr Leben auf Dauer bereichern würde. Glaubst du, irgend jemand würde die hier veröffentlichten Geschichten mehr als zweimal durchlesen? Obwohl schon zweimal in den meisten Fällen übertrieben ist. Nein, hier geht es um Zerstreuung. Ein E-Zine ist das literarische Äquivalent zu einem Fast-Food-Laden. Als Beilage für das eigentliche Hauptgericht - Informationen! - wird ein leicht verdaulicher Happen Literatur geliefert. Ist daran irgend etwas Schlechtes? Sicher nicht, schließlich besuchen die meisten von uns ab und an auch McDonalds oder Pizza Hut und müssen kein schlechtes Gewissen deswegen haben.

Um es dir zu illustrieren: Ich habe vor ein paar Jahren eine kleine Testreihe unternommen und unter einem Aliasnamen Storys berühmter Autoren bei diversen Phantastik-Schreibwettbewerben im Internet eingesandt. (Um einen Prozess wegen Plagiatur zu vermeiden, musste ich eine Erklärung hinterlegen, aber das war's wert.) Das Ergebnis war, dass keins der Meisterwerke einen Preis gewann. Darunter waren herausragende Geschichten von Kafka, Philip K. Dick und Kurt Vonnegut. Auf Nachfrage, warum "meine" Geschichte nichts gewonnen hätte, erklärte man mir z.B. bei der Kafka-Erzählung, sie habe zwar eine gute Grundidee, verschenke aber ihr Potenzial - die Geschichte habe weder Atmosphäre noch Schaueffekte. Der viel subtilere Horror und die grotesken Konsequenzen, die die Geschichte implizierte, wurden überhaupt nicht erkannt bzw. für das Publikum als unpassend empfunden. Eine direkte Folge der oberflächlichen Auseinandersetzung mit Formalia und Inhalt, entweder bei den Juroren oder ihrem Publikum. (In ca. 20% der Fälle wurden die Plagiate entdeckt, was für die Juroren spricht, aber glücklicherweise für mich folgenlos blieb, nachdem ich den Zweck meines Handelns erklärte.) Ich wünschte, ich hätte die Zeit, ein Paper über die Testreihe zu schreiben.

Um meine Ausführungen abzuschließen: Die Bewertungskriterien sind bei E-Zines einfach ganz andere, und die Einsendungen unterscheiden sich auch von denen bei Printmedien. Wenn du das Genre revolutionieren willst, ist die Verlagsarbeit das Richtige für dich. Dort werden Innovationen geboren. Im Internet bekommst du nur den Status Quo, aber den dafür zuverlässig, qualitativ hochwertig und die ganze Bandbreite. Ich wollte auch schon lange 'mal wieder einen Wettbewerb auf die Beine stellen - mein letzter, der "Golden Age Story Contest" ist schon in der Planungsphase versumpft - falls du also Interesse an einer Kooperation hättest, kannst du mich jederzeit anmailen. Ist immer gut, ein paar verständige Leute an Bord zu haben.



P.S.: Da das hier zu einem Aufsatz geworden ist :blush: - wer sich für die angeschnittenen Themen interessiert, kann sich in folgender Literatur weiter schlau machen:

McLuhan, Marshall: Understanding Media: The Extensions of Man. London: Routledge & Kegan Paul Ltd.

Luhmann, Niklas: Organisation und Entscheidung. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Jungermann, Helmut: Die Psychologie der Entscheidung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Barkhaus, Annette: Identität Leiblichkeit Normativität: Neue Horizonte anthropologischen Denkens. Aachen: Sokrates.

Raast, Sylvia: Psychologie des Entscheidens. München: Münchner Universitätsverlag.

Logue, A. W.: Die Physiologie des Essens und Trinkens. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Fred, W.: Psychologie der Mode. Berlin: Bard Marquardt.

So, und jetzt verschwinde ich ;)

#17 Palpatine

Palpatine

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Geschrieben 03 Dezember 2006 - 22:41

Touché ;)Ich werde es mir zu Herzen nehmen.

#18 molosovsky

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Geschrieben 04 Februar 2007 - 12:07

Granatenstarkes Eintreten für die (unbequeme) Ansicht, daß auch bei Kunst-, Unterhaltungs- und Trash-Werken objektiv Qualität ›gemessen‹ werden kann.

Vielen Dank für den erschöpfenden Vortrag, Muside.
Grüße
Alex / molo

Bearbeitet von molosovsky, 04 Februar 2007 - 12:07.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

Mehr Gesabbel von mir gibts in der molochronik

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#19 Naut

Naut

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Geschrieben 08 Februar 2007 - 16:11

Eloquenter Beitrag von Muside, mein Applaus dazu. Bemerkenswert finde ich aber die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem Behaupteten und dem tatsächlich Beobachteten: Muside schreibt, man könne in einem E-Zine mit anderen als den trivialen Mitteln keine Geschichten erzählen und macht dann mal nebenbei den zweiten Platz im Corona-Wettbewerb, mit einer Geschichte, in der Opa Lem aus jeder Pore lugt. :D

Warum ich das hier schreibe? Weil ich die Geschichte kürzlich gelesen habe und sie sehr gelungen finde. Es kann nämlich auch eine Geschichte, die auf Dialoge verzichtet, sehr spannend und anschaulich sein, und das ist etwas, was der Autor beherrscht.

Schöne Geschichte, zurecht platziert. Und unterschätzt die E-Zines nicht, auch meine Erfahrung besagt, dass man hier manchmal mit den Außenseiterbeiträgen landen kann.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen


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