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Welche Zukunft wollen wir ?


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465 Antworten in diesem Thema

#91 Beverly

Beverly

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 14:54

Soll das provozierend oder geistreich sein?

Ein dezenter Verweis auf die Folgen einer Kombination aus Gier und Kleingeistigkeit, Menschenverachtung und Blindheit. Denn A. H., Honecker und die akute Finanzbranche habe alle auf ihre jeweils besondere Weise alle vier Untugenden gezeigt. Bis zum krachenden Ende - wobei mich die Aussicht auf so ein Ende manchmal als Einziges aufrecht hält.

#92 Beverly

Beverly

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 15:11

Vielen Dank, Diboo ! Deine Bemerkung ist voellig richtig. Aber z.B. "1984" (als Buch und als Film) war ja wirklich als Studie gemeint ueber menschliches Verhalten und ueber (un-)menschliche Moeglichkeiten. Da diente also die Handlung als Vorwand zur Darstellung des Gesellschaftsbildes und nicht umgekehrt. Gleiches gilt auch fuer "Brave New World", und es galt ja schon fuer Morus und Bellamy und viele andere, die nur muehsam ihre Modelle durch ein Minimum an Handlung davor bewahrten, ein reines Lehrbuch zu sein. Deinen Hinweis auf "Kultur" von Iain Banks werde ich verfolgen. Aber mir fiel schon vor langer Zeit auf, dass es offenbar keine SF gibt, die ernsthaft versucht, sich eine neue Denkweise der Zukunft vorzustellen. Auch das ueberfordert offenbar Autoren und Leser gleichermahssen. Gemeint ist Folgendes : Wir Menschen sind Affen, wir sind Familien-Affen, die in Horden leben. Daher unser Familiensinn und unsere Gruppendynamik und der "Kampf der egoistischen Gene" um Status und Weibchen usw.. Ein Roboter haette alle diese Probleme ja nicht, er kommt nicht aus der Affenwelt, er waere eine reine Intelligenzmaschine, sozusagen reines Grohsshirn ohne Stammhirn. Damit wuerde sich seine ganze Denk- und Handlungsweise sehr von unserer unterscheiden, und eine Gesellschaft solcher "denkender Roboter" waere voellig anders als eine menschliche. Aber es gibt eine Verbindung : Auch Heilige versuchen, "den Affenrest abzuschuetteln". Koennen Roboter lieben ? "Bicentennial Man" versucht es - nicht ganz ueberzeugend. Die Figur des "post-humanen" Roboters, der als Heiliger gezeichnet wird, findet man am Schluss von "A.I. - Artificial Intelligence". Ueber diesen Schluss ist viel geschimpft worden, weil er eine boese - sehr typische - Behauptung von Kubrick bebildert, zu der sich Asimov ("I, Robot") nicht durchringen konnte : "Die Welt koennte so viel vernuenftiger und besser sein, wenn es die Menschen nicht mehr gaebe!" Kubrick war ein Pessimist. Alle seine Filme druecken im Grunden den gleichen Gedanken aus : "Der Mensch ist so dumm und boese, dass man ihn abschaffen sollte." Das ist es, was der Schluss von "A.I." besagen will. Die "kitschige" Szene, die von den Advanced Mechas fuer David aus dessen Memory rekonstruiert wird, hat einen wichtigen Sinn : Die Advanced Mechas kennen keine Menschen mehr, die Menschen sind ja zu dem Zeitpunkt laengst ausgestorben. Die Advanced Mechas wollen also durch diese Rekonstruktion vor allem wissen "wie die Menschen waren, als es die noch gab". Diesen wichtigen Punkt haben viele Kritiker des Film-Endes offenbar nicht kapiert. Der Film macht ernst mit der These, dass wir Menschen ueberhaupt nur eine Uebergangsform intelligenter Wesen sind, die dann von unseren eigenen Geschoepfen, eben z.B. den Advanced Mechas, abgeloest werden. Der Film sagt deutlich : Der Mensch ist zwar ein intelligentes Wesen, aber er leidet noch unter seiner aeffischen Erblast. Wahrhaft intelligente Wesen sind keine Menschen mehr, sie sind - wenn ueberhaupt - auf eine andere Weise als der Mensch dumm und boese, und es ist eine offene Frage, ob wahrhaft intelligente Wesen ueberhaupt noch dumm und boese sein wuerden. Genau darum werden diese Advanced Mechas am Ende von A.I. als Heilige dargestellt, als Wesen, die wie Zenmeister ueber allen Leidenschaften wie "Hass, Gier, und Wahn" (den drei Uebeln nach der Lehre des Buddha) stehen. Das scheint nicht direkt zum Thema "Welche Zukunft wollen wir ?" zu gehoeren, aber es ist der gedankliche Hintergrund, auf dem ich das Thema sehe : "Was meinen wir ueberhaupt, wenn wir von einer 'guten' Zukunft reden ?" Meinen wir nur einfach "mehr Fun, mehr Sex, mehr Money" ? Oder gibt es noch irgendetwas, was wichtig waere ? Warum verlangte "der Wilde" in "Brave New World" ein Recht auf Unglueck, ein Recht, mit Othello und Desdemona ungluecklich zu sein ? Ist das menschlich oder ist das aeffisch oder was ist es ? Was verteidigt er da, und was wuerden wir zu seiner Verteidigung sagen ? Wuerde wir gegen den Buddha "ein Menschenrecht auf Hass, Gier, und Wahn" verteigen ? Muessen wir eine Gesellschaft verteidigen, die von einem solchen "Recht" vorangetrieben wird ? Ist das Schillers "der Hunger und die Liebe, die sind das Weltgetriebe" ? Wozu dann noch Kampfgeist, Ehrgeiz, Machtgier usw. hinzukamen. Kein Fortschritt ohne uralte aeffische Leidenschaften. Sex and crime and money make the world go round. Ist es das ?

Das sind sehr interessante Gedanken, die ich vielleicht hätte lesen sollen, bevor ich meine eigenen Antworten schrieb. Ich argumentierte: die bestehende Gesellschaft ist als solche nicht verbesserungsmöglich und hat nicht das Potenzial zu einer Zukunft, die alle wollen und auf die sich auch alle einigen können. Du beziehst das nun auf die anthropologische und psychologische Ebene. Der Mensch, wie er ist, ist in seinen Affen-Instinkten gefangen und zugleich todunglücklich. Unsere haarigen Vettern mögen mit ihrer Bösartigkeit zufrieden sein - wir sind es im Großen und Ganzen nicht. Die einen wollen nicht böse in einer bösen Welt leben und selbst die zufriedenen Bösewichte kriegen früher oder später eines übergebraten. Von anderen Bösewichten oder von Menschen, die sich ihnen endlich verweigern. Diese Fragen hat schon die politische Psychologie vor einem Menschenalter gestellt und beantwortet: Eine gesunde Gesellschaft muss auf seelisch gesunden Menschen basieren. Daher waren dann Linke Psychoanalytiker. Gesunde Menschen können nur in einer gesunden Gesellschaft gesund leben. Daher waren dann Psychoanalytiker links. Nazis und Stalinisten mobbten die politische Psychologie und Psychoanalyse aus ihren Systemen. Sie brauchten Psychokrüppel als Untertanen, Denunzianten und Kanonenfutter. Bis auch diese Psychokrüppel zum Zusammebruch ihrer Systeme führten. Die 68er meinten, nur ein paar Liedchen trällern zu müssen, um eine in ihren Strukturen kranke und kaputte Welt heilen zu können. Nur holten die Strukturen, die sie geflissentlich ignorierten, sie schnell wieder ein. Weil gesunde Menschen nicht in einer kranken Gesellschaft leben können.

#93 Beverly

Beverly

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 15:29

Soweit ich Dich verstehe, suchst Du aber noch mehr oder weniger plausiblen/realistischen Entwürfen und da sind wir in meinen Augen bei einem grundsätzlichen Problem, das ich auch in einem der anderen Threads anspreche: Um plausibel zu sein, muss der Entwurf auch konkret sein, und je konkreter er ist, desto weniger wird er als Szenario für eine Erzählung interessant. Im Grunde landen wir dann irgendwann bei einem Parteiprogramm: Partei x sagt, dass ihr Ziel eine Gesellschaft ist, die diese und jene Werte hochhält, und dies will sie mit diesen und diesen Massnahmen erreichen. Und wenn wir nun schauen, wie erfolgreich Parteien jeweils beim Umsetzen ihrer Programme sind, dann sehen wir, dass es eben immer mühseliger wird, je konkreter das Problem ist. - Ein typisches Merkmal vieler klassischer Utopien ist beispielsweise, dass sie nur ganz wenige, einfach formulierte Gesetze haben, die jeder versteht. Anwälte und Rechtsverdreher sollen keine Chance haben, das gesunde Rechtsempfinden soll sich durchsetzen. Ein schöner Gedanke, gegen den wahrscheinlich niemand was hat (und der ja auch von rechter Seite immer wieder gerne kommt - weniger Gesetze, weniger Eingriffe des Staates, mehr Freiheit für die Bürger). Er lässt sich einfach nicht umsetzen, denn eine moderne Gesellschaft ist nun mal leider zu komplex, als dass man sie mit ein paar wenigen Gesetzen regeln könnte (was übrigens nicht heisst, dass ich bestreite, dass es Über-Regulierung gibt). Zugespitzt würde ich behaupten, dass die SF (und vorher die Vor-SF-Utopie) noch nie in der Lage war, eine realistische bessere Welt zu entwerfen. Das gilt selbst für die frühen Utopien. Der Teufel steckt auch hier im Detail. Morus, Campanella und Co. haben alle Idealstaaten entworfen (wobei gerade bei Morus die Satire mindestens so wichtig ist wie der Entwurf eines idealen Staates), umsetzbar waren und sie die aber nicht. Ich glaube nicht, dass Morus sein Utopia auch nur einen Moment für realistisch hielt. Es ist ja auch kein Zufall, dass die meisten Utopien den Idealstaat schon im fertigen Zustand präsentieren: Alle sind glücklich und unterwerfen sich der utopischen Ordnung. Die echte Herausforderung liegt aber im Erreichen dieses Zustands, und da wird's dann schwierig. Ich könnte Dir schon einen Roman schreiben, in denen allen Menschen ein kategorischer-Imperativ-Modul eingebaut ist, das dann für Frieden sorgt. Das Problem ist nur: Ein solcher Roman wäre weder spannend zu lesen (alle sind ja nett miteinander), noch plausibel. EDIT: Vielleicht noch als persönliche Anmerkung. Das Thema Utopie/Dystopie interessiert mich auch sehr, wenn auch wohl aus anderen, mehr ideengeschichtlichen Beweggründen. Ich suche hier nicht nach einer Idee, die für mich ein Leitbild sein könnte. Tatsächlich würde es mich aber reizen, irgendwann in ferner Zukunft - auch das eine Utopie - mal ein Buch zur filmischen Utopie zu schreiben ...

Das sehe ich anders. Ich glaube sogar, dass Realität une "Utopie" einander bedürfen. Die Realität hat bzw. hatte immer irgend etwas als Leitbild, das einer modernen Utopie entspricht. Eine Vorstellung von kosmischer Ordnung, eine "Reichsidee", eine Staatsideologie. Das konnte in Totalitarismus münden, musste es aber nicht. Das Fehlen so einer "Utopie" als Vision und Leitbild schadet ebenso wie "zu viel" davon. Bei zu viel erstickt ein verordneter Glaube das wirkliche Leben - siehe DDR mit ihrer Ersatzreligion Sozialismus. Ohne Utopie in irgendeiner Form, gar Erhebung der "Realität" zu ihrem eigenen Leitbild fällt die Gesellschaft auseinander. Das dürfen wir nach dem Ende des Sozialismus erleben. Der Kapitalismus und seine ideologischen Begleiterscheinungen wollen nur "sein". Ziele irgendeiner Art haben sie nicht.

#94 simifilm

simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 15:41

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In dem Fall betrifft es mich nicht.

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#95 Beverly

Beverly

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 16:01

Was mir vorschwebt - und Du denkst ja an ein Drehbuch - ist ein Film, der so aehnlich wie "Blade Runner" waere (oder "Running Man" oder "Rollerball" oder "Escape from New York" usw.), der aber eben keine "kaputte" sondern eine "heile" Gesellschaft zeigen wuerde, eine vernuenftige und dennoch lebendige. Meine Idee einer guten Gesellschaft orientiert sich an einem Stadteilfest, wo alle vergnuegt und verspielt sind, wo es ruhig auch eine Geisterbahn geben darf, aber ansonsten viele Luftballons und Zuckerwatte und Achterbahn. Mir ist Callenbach viel zu steif, zu ordentlich. Ich war Jahre im Internat, ich kenne diese brave Denkweise, die auch vielen Gruenen nicht fremd ist. Daher ja auch mein Hinweis, dass "fun" vor allem ein Verdienst des liberalen Kapitalismus ist. Der Sozialismus denkt immer in Kategorien der "Versorgung", der Kapitalismus fragt einfach, was Spahss macht, die Versorgung ist nicht sein Thema. Ich denke in dem Zusammenhang auch an die Eroeffnungen der Olympiaden : Da stellen sich alle Nationen der Welt in bunten Anzuegen vor und feiern gemeinsam "mit vielen bunten Luftballons" die Menschheit. Weshalb kann nicht einmal jemand einen Film drehen, der die kuenftige Menschheit in einer Weise darstellt, wie es eine Olympia-Eroeffnungsfeier tut ? Wieso soll immer nur der "Blade Runner" unsere Idee der Zukunft sein ? Das ist doch ein geistiges Armutszeugnis der SF-Szene ! Warum immer so sauertoepfisch ? Das ist ja schon fast ein Reflex geworden, dass die Zukunft boese ausschaut, und dass alles immer nur abwaerts geht. "Untergang des Roemischen Reiches" - oder der USA - im Ansturm der Barbaren, und dann eben ein paar Inseln der Seligen im Verborgenen - Shangri La im hintersten Winkel von Tibet oder die letzten Hippie-Kommunen irgendwo in Neu Mexiko oder Kalifornien (mit kiffenden Alt-Hippies, die jetzt in ihre 60er kommen). Oh je, wie traurig ! Dabei bin ich sogar 68 ! Wieso muss ich hier die Jungen zum Jungsein ermuntern ?

Hallo fremowolf, genau so ein Fest kommt in "Eine Tochter der Moderne" vor und ich stelle es mal hier rein: Am längstem Tag des Jahres spannte sich ein wolkenlos blauer Himmel über Berlin. Schon Tage zuvor war mit den Vorbereitungen für das Sommerfest begonnen worden und nun standen Bänke und Tische auf Straßen und Bürgersteigen. An Plätzen und Kreuzungen waren Bühnen errichtet, Leinwände und 3-Projektionsräume aufgebaut. Die Betreiber von Wunschhäusern nutzten das gute Wetter und boten ihre Dienste in bunten Zelten an. Auch am Sommerfest betraten Menschen allein oder zu mehreren die Zelte, um einige Stunden in einer von den Darstellern der Wunschhäuser nach ihren Vorstellungen geschaffenen Welt zu verbringen. Bereits am Vormittag drängten sich leicht, gar nicht oder bunt und schrill gekleidete Menschen durch die Straßen und auf den Freiluftdiscos drängten sich die Tanzenden. Auf den von Schaulustigen umstandenen Projektionsflächen wurden Pornovideos und -3-Ds gezeigt und die ersten Pärchen verschwanden in einem der zu diesem Zweck aufgestellten Container oder gingen in einen der wenigen öffentlichen Sexparks. Amal blickte einem Mann hinterher, der eine grell geschminkte Sub am Po vor sich her in ein von hohen Hecken umgebenes Areal schob, starrte dann nervös zur Sonne hoch, die noch nicht einmal im Zenit angekommen war. Wenn es doch erst Abend wäre und der Feuermeister das Feuer anmachte und sie endlich tanzen konnte! Mehrere Stunden vor ihrem Auftritt fand sich Amal am Feuerhaufen in der Hasenheide ein. Sie kontrollierte ihre Accessoires, machte einige Probeschritte auf dem Boden vor dem Feuerhaufen und fing wieder an, Tücher und Schmuckstücke zu sortieren. Der Feuermeister kam, ein älter wirkende Mann mit kurz geschnittenem grauem Bart und schulterlanger Haaren. Er gab Amal einen sanften Händedruck und betrachtete wohlgefällig ihren schlanken und kräftigen Leib. Solche Blicke war Amal mittlerweile gewohnt und so lächelte sie nur breit. Die Sonne versank hinter Bäumen, Büschen und Häusern und das Blau des Himmels wurde immer tiefer und dunkler. Die rings um den Feuerhaufen aufgestellten Bänke füllten sich, der Feuermeister blickte zum wolkenlosen Himmel hoch und sagte: »Wir haben Glück dieses Jahr ... soll ich?« »Ja, machen Sie«, antwortete Amal. Um die Zuschauer auf sich aufmerksam zu machen, klatschte er in die Hände und und rief: »Liebe Gäste, jetzt beginnt die kürzeste Nacht des Jahres und damit es in ihr nicht dunkel wird, entzünde ich jetzt das Feuer. Und zum Feuer gibt es eine kleine Überraschung ...« Der Klang von Trommeln dröhnte und klirrte aus den Lautsprechern, dann verringerte Sebastian die Lautstärke auf eine erträgliche Höhe. Amal trat vor das Feuer und begann zu tanzen, von Kopf bis Fuß in dünne graue Schleier gehüllt. Doch das nun heiß und hell brennende Feuer leuchtete durch den dünnen Stoff und deutlich zeichnete sich die Silhouette ihres wohlgeformten Körpers ab. Mit weit ausgebreiteten Armen, von denen die Schleier wie Schwingen bis zum Boden reichten, näherte sich Amal den Zuschauern ... plötzlich wirbelte sie herum und für einen Moment hob sich der federleichte Stoff und man sah ihre Brüste und Schenkel aufblitzen. »Aaaaahhhhhhhhh«, mache das Publikum und eine große kräftige Frau wollte nach den Schleiern greifen, doch Amal entzog sich ihr. Jetzt ganz gelöst tanzte sie vor dem Feuer, doch seine Hitze ließ sie schwitzen. Runter mit den Schleiern, damit ihr kühler wurde! Zuerst nahm sie den Gesichtsschleier, der von den Augen bis zu ihrer Brust hing, und warf ihn weg. Die Leute klatschten, sie wollten mehr und das konnten sie haben! Amal lächelte, hob ihre Arme hoch über den Kopf und löste den Verschluss des Oberteils, das wie ein Poncho ihren Körper umhüllt hatte. Langsam sank der Stoff rings um sie auf den Kiesboden und nun trug sie nur noch einen bodenlangen, aber zu beiden Seiten geschlitzen Rock und ein Nichts von BH. Heiß brannte das Feuer auf ihrer nackten Haut, heiß und erregend und das Publikum jubelte als auch der BH fiel. Wie in Trance löste sie den Verschluss des Rocks, um nackt weiter zu tanzen ... erst als das Feuer herunter brannte und die Nachtluft kalt über ihre Haut strich, klatschte sie dreimal hintereinander in die Hände, das Zeichen für Sebastian. Nur hörte oder begriff der nicht und so klatschte sie nochmal, ohne mit dem Tanzen aufzuhören. Ah, nun kam er mit dem roten Umhang, in den sie sich hüllte, um sich vor dem Publikum zu verbeugen. Die Menschen waren aufgestanden und klatschten begeistert. Ein dicklicher untersetzter Mann, der nur einen schütteren Haarkranz trug, kam auf sie zu und reichte ihr eine Datenkarte mit der Beschriftung: * * * Café 3001 * * * Imagination und Phantasie Theater * Varieté * Wunschhaus »Marqwardt, Café 3001«, stellte er sich vor. »Das frühere ›Theater am Eck‹?«, fragte Irene, die zu ihnen getreten war. »Ja, mit völlig neuem Programm und neuer Ausstattung. Und Sie«, er wandte sich an Amal, »würde da sehr gut hereinpassen.« »Danke«, sagte Amal. »Alle Informationen finden Sie auf der Datenkarte, ich hoffe, Sie melden sich.« »So hast du schon dein erstes Engagement«, sagte Sebastian. »Es geht voran.« Nachdenklich blickte Irene dem breiten Rücken von Marqwardt hinterher, der sich eilig entfernte und keinen Blick für die anderen Gäste zu haben schien. »Den und sein Theater kenne ich schon seit ich klein war. Er hat den Gästen manchmal erlaubt, monatelang anzuschreiben«, erzählte sie. »Und wenn sie wieder Geld hatten, hat er nach und nach alle Schulden wieder eingetrieben. So einer ist das!« So einer ist das ... ›Naja‹, dachte Amal. Sie begann unter ihrem Umhang zu frieren und wollte nur noch nach Hause. Sebastian legte den Arm um sie und sie sagte: »Lass uns gehen.« Ihr Umhang öffnete sich und bewusst nachlässig zog sie ihn wieder zurecht: »Du kannst heute nacht bei mir bleiben.« Aus Völker der Sonne, Seite 23 ff.

#96 simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 16:57

Das sehe ich anders. Ich glaube sogar, dass Realität une "Utopie" einander bedürfen. Die Realität hat bzw. hatte immer irgend etwas als Leitbild, das einer modernen Utopie entspricht. Eine Vorstellung von kosmischer Ordnung, eine "Reichsidee", eine Staatsideologie. Das konnte in Totalitarismus münden, musste es aber nicht. Das Fehlen so einer "Utopie" als Vision und Leitbild schadet ebenso wie "zu viel" davon.

Du verstehst hier 'Utopie' anscheinend irgendwie als allgemeine Idee einer besseren Welt. Fremowolf fragte aber nach Entwürfen in der SF, also nach Entwürfen in der Literatur und deshalb habe ich hier auch stets von der literarischen Gattung 'Utopie' gesprochen und davon, ob sie je in der Lage war, ein plausibles Bild einer besseren Zukunft zu entwerfen, und das würde ich verneinen. Wenn Du von allgemeineren Vision einer besseren Welt sprichst, können wir beispielsweise - aus aktuellem Anlass - über die allgemeine Erklärung der Menschenrechte sprechen, die durchaus auch utopische Züge hat, da sie einen Idealzustand entwirft, wie Menschen leben sollten. Die Menschenrechtserklärung gehört aber, obwohl sie definitiv utopische Züge hat, nicht der Gattung 'Utopie' an, sie ist ein politisches Manifest.

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#97 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:05

In dem Fall betrifft es mich nicht.

Da Deine Macht anscheinend begrenzt ist, sind wir andern ja auch auf der sicheren Seite ;) Aber ansonsten gebe ich Beverly Recht : Optimismus alleine besagt garnichts. Ich bin ja im Grunde auch - wie man aus meinen Postings entnehmen kann - optimistisch, d.h., nicht in der Partei von "doom & gloom". Aber ich habe alle von Beverly Genannten als dumm bezeichnet, und Beverly's Liste der Kriterien koennte ich so unterschreiben. Es wuerde sich natuerlich lohnen, im Einzelnen zu studieren, wo sich die Dummheit von Hitler, Honny, Lehman & Co. gezeigt hat. Aber das wuerde hier den Rahmen sprengen.

#98 simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:12

Da Deine Macht anscheinend begrenzt ist, sind wir andern ja auch auf der sicheren Seite ;) Aber ansonsten gebe ich Beverly Recht : Optimismus alleine besagt garnichts.

Was es besagen soll, weiss ich ohnehin nicht. Du hast suggeriert, dass die düsteren Szenarien der SF Folge des allgemeinen Pessimismus (der Autoren? der Leser?) sind, Beverly hat da in ihrer nicht sehr subtilen Art noch nachgedoppelt. Diese Art von Küchenpsychologie überzeugt mich einfach nicht sonderlich, vor allem hält es einer historischen Analyse nicht stand. So heisst es beispielsweise immer, die Golden-Age-SF wäre optimistisch und technikfreundlich, dies habe sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg und der Atombombe geändert. Tatsächlich hat sich mal jemand die Mühe gemacht und die Magazin-SF der 30er und 40er ausgewertet (bin nicht mehr sicher, ob es Westfahl war), und dabei kam heraus, dass das gar nicht stimmt, dass die Technik schon damals meist für die Probleme verantwortlich war. Womit wir mal wieder bei der Erkenntnis sind, dass eine Erzählung Probleme braucht ....

Bearbeitet von simifilm, 16 Dezember 2008 - 17:17.

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#99 Thomas Sebesta

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:35

... deshalb habe ich hier auch stets von der literarischen Gattung 'Utopie' gesprochen ...

Weil du gerade davon redest - kennst du das Essay "Utopie ist keine Literaturgattung" von Burkhart Schmidt in "Literatur ist Utopie" von Gerd Ueding in der suhrkamp Edition von 1978?

Vorweg ich hab' den Artikel nicht gelesen - nur überflogen, aber im Zusammenhang mit Bloch wird darin darauf hingewiesen, dass es sich bei Utopie nicht um eine Literaturgattung handelt. Was ist/kann damit gemeint sein?

Gruß
Thomas

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#100 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:37

Hast Du denn das Buch von Bogdanow gelesen? Ich kenne es nicht. Würdest Du es als lesenswert bezeichnen? Oder ist es einfach nur dürftig getarntes politisches Traktat wie so viele Utopien? Falls dies der Fall wäre, würde es nur meine These bestätigen, dass sich diese Art von positiver Zukunfsvision nicht für erzählende Literatur eignet.

Nein, hab ich noch nicht gelesen. Es kann hier gelesen werden : http://www.linke-bue...rote-planet.pdf Auf das Buch wurde ich aufmerksam durch Richard Saage : Politische Utopien der Neuzeit (ISBN 3-534-09091-8), das ueberhaupt sehr lesenwert ist. Saage hat auch eine vierbaendige Geschichte der Utopien geschrieben, von der Teile im Internet frei zugaenglich sind. Musst Du nur mal "Richard Saage" und "Bogdanow" und "Samjatin" googeln. Mir ging es nur darum, dass man diese beiden Moeglichkeiten hat, eine "gute" Zukunft anschaulich zu machen : Als Dramatisierung wie Samjatins "Wir" (http://web.resist.ca...mjatin-wir1.htm + http://www1.ku-eichs...ocs/ignatow.htm + http://www.phantasti...jatin-wir.html) oder wie Orwells "1984", nur eben mit einem positiven Plot, oder als maehssig spannende "Bebilderung" wie Callenbachs "Ecotopia". Meine These war doch, dass es nur vom Talent und guten Willen des Autors abhaengt, ob er eine "boese" oder eine "gute" Vision der Zukunft bebildert bzw. dramatisiert. Ich habe bestritten, dass das Boese automatisch interessanter ist oder sein sollte als das Gute, habe aber zugestanden, dass allerdings die Darstellung des Boesen sehr viel einfacher ist. Es ist ja soooo billig, wieder einmal und noch einmal das Klischee vom "boesen" Unternehmer, Politiker, Militaer, Wissenschaftler, "Neo-Kolonialisten", "Neo-Kapitalisten". "Neo-Faschisten" usw. zu bemuehen. Diese Typen habe ich vor ein paar Tagen schon als "Kasperlefiguren fuers linke Kindertheater" abgetan. Im "rechten Kindertheater" gibt es dann noch den "boesen" Kommunisten/Sozialisten und den "boesen" Juden als Hassfiguren, auf die man seine eigene Dummheit und Unfaehigkeit projizieren kann. Das nenne ich eine "Schiessbuden-Literatur". Man kann aber auch das i und das e umstellen, dann stimmt es immer noch.

Bearbeitet von fremowolf, 16 Dezember 2008 - 17:58.


#101 simifilm

simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:41

Weil du gerade davon redest - kennst du das Essay "Utopie ist keine Literaturgattung" von Burkhart Schmidt in "Literatur ist Utopie" von Gerd Ueding in der suhrkamp Edition von 1978? Vorweg ich hab' den Artikel nicht gelesen - nur überflogen, aber im Zusammenhang mit Bloch wird darin darauf hingewiesen, dass es sich bei Utopie nicht um eine Literaturgattung handelt. Was ist/kann damit gemeint sein?

Ich kenne den Text nicht. - Ein Grund, warum ich hier im Thread, immer wieder definiere, was ich unter 'Utopie' verstehe, hängt eben genau damit zusammen, dass dieser Begriff sehr vieldeutig ist (noch unklarer als SF) und eben mehr und anderes heissen kann als die von Morus begründete Gattung. Bloch versteht unter Utopie meines Wissens eine Art allgemeines Prinzip, eine Art Hoffnungshorizont, der jeder menschlichen Aktivität innewohnt. Habe das nie im Detail gelesen, bei ihm ist aber definitiv mehr gemeint als eine literarische Gattung.

Bearbeitet von simifilm, 16 Dezember 2008 - 18:55.

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#102 simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 17:46

Nein, hab ich noch nicht gelesen. Es kann hier gelesen werden : http://www.linke-bue...rote-planet.pdf Auf das Buch wurde ich aufmerksam durch Richard Saage : Politische Utopien der Neuzeit (ISBN 3-534-09091-8), das ueberhaupt sehr lesenwert ist. Saage hat auch eine vierbaendige Geschichte der Utopien geschrieben, von der Teile im Internet frei zugaenglich sind. Musst Du nur mal "Richard Saage" und "Bogdanow" und "Samjatin" googeln.

Ja, Saage ist mir ein Begriff.

Mir ging es nur darum, dass man diese beiden Moeglichkeiten hat, eine "gute" Zukunft anschaulich zu machen : Als Dramatisierung wie Samjatins "Wir" (http://web.resist.ca...mjatin-wir1.htm + http://www1.ku-eichs...ocs/ignatow.htm + http://www.phantasti...jatin-wir.html) oder wie Orwells "1984", nur eben mit einem positiven Plot, oder als maehssig spannende "Bebilderung" wie Callenbachs "Ecotopia".

Samjatin und Orwell als Beispiele für eine "gute Zukunft"? Haben wir die gleichen Bücher gelesen?

Meine These war doch, dass es nur vom Talent und guten Willen des Autors abhaengt, ob er eine "boese" oder eine "gute" Vision der Zukunft bebildert bzw. dramatisiert.

Dann bedeutet das offensichtlich, dass es keine Schriftsteller mit dem nötigen Talent und guten Willen gibt ...

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#103 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 18:48

Zu der Frage der Zukunft, die wir uns wünschen: Redest du jetzt darüber, welche Bücher in der SF es gibt, die solcherlei Ideen zu einer möglichen, positiven Entwicklung der menschlichen Gesellschaft beinhalten, oder möchtest du zum Beispiel von uns hören, was wir als erstrebenswerte Entwicklungen dieser bezeichnen würden? Zu ersterem wäre zu sagen, dass es sehr viele SF-Romane gibt, und somit auch sehr viele Ideen zur Gestaltung der menschlichen Gesellschaft. Verschiedene, widersprüchliche, ergänzende... Zum Beispiel wurde hier von Banks die "Kultur" genannt. Ich denke ebenfalls zu erwähnen wäre wohl das "Glitzerband" bei Alastair Reynolds (ich kenne es aus dem Roman Aurora). Es gibt hier noch viele weitere zu nennen, unter anderem natürlich auch Startrek. Wenn es dir mehr um die Frage nach unseren persönlichen Vorstellungen geht, dann können wir ja meinethalben anfangen, davon ein wenig zu schildern.

Es ging mit um beides. Ich komme, wie gesagt, von der Philosophie her, und habe auch schon vorhin geschrieben, dass Philosophen zu Visionen neigen (wie schon Plato im "Staat") die zwar sehr "gesund und vernuenftig" erscheinen, die aber kein Mensch wirklich haben will. Da war also meine Hoffnung, dass die SF-People etwas verspielter und phantasiereicher sind und mir einen Roman vorlegen, der ein Welt zeigt, in der zu leben ich mir vorstellen koennte. Callenbachs "Ecotopia" ist nicht das, was ich suche, aber die Welt der Hobbits ist es auch nicht. Die von Dir und anderen empfohlenen "Kultur" und "Glitzerband" kenne ich noch nicht, das waere also ein Hinweis, fuer den ich dankbar bin. Ideen zu einer besseren Gesellschaft haben wir ja alle irgendwie, aber die Frage war, ob es einen Roman oder eine Kurzgeschichte oder einen Film gibt, an denen sich eine Diskussion entwickeln kann. Ich wuerde den "Warn-Utopien" (Orwell, Huxley usw.) gerne ein paar "Ziel-Utopien" gegenueberstellen, also den "So nicht!"-Plakaten auch einige "So vielleicht!"-Plakate. Nur - und das ist eben die von mir durchaus gesehene Schwierigkeit : Es darf nicht so naiv daherkommen wie der sozialistische oder der national-sozialistische "Realismus", der meint, die Sonne der Vernunft und des vollkommenen Gluecks geht auf, sobald nur alle Kapitalisten und Juden und Bolschewisten usw. erschlagen sind. Da Du Dich um die armen Voelker und um die Menschen im Kuestenbereich sorgst : Es gibt auch eine extreme Variante des Liberalismus, die "Libertarians", die ein "Freiheitsschiff" bauen will, das im wesentlichen einer "gated community" entspricht : Die tuechtigen Liberalen sind dort unter sich und geniessen das Leben auf dem Sonnendeck, die anderen, die Armen, die Proletarier, die Massen, der Abschaum usw. "sollen doch verrecken, was geht es uns an !" Man sollte aber fair und genau sein : Die folgenden Links fuehren nicht alle zu solchen Leuten, nur gibt es sie. Ich selbst sehe mich als einen "Sozial-liberalen", als jemanden, der "soviel Freiheit wie moeglich fuer jeden" und "Grundfreiheiten wie Rede- und Versammlungsfreiheit sowieso", aber auch "Verantwortung fuer das Ganze und fuer die Schwaecheren" fordert. Vgl. http://www.libertyatsea.com/faq.html + http://de.wikipedia....Gated_Community + http://www.ef-magazi...f017-screen.pdf + http://de.wikipedia....s-Hermann_Hoppe + http://www.gkpn.de/liberal5.htm + http://de.wikipedia....i/Robert_Nozick + http://en.wikipedia....tate_and_Utopia + http://redstateeclec...e-and-they.html

#104 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 20:24

Tatsächlich hat sich mal jemand die Mühe gemacht und die Magazin-SF der 30er und 40er ausgewertet, und dabei kam heraus, ...dass die Technik schon damals meist für die Probleme verantwortlich war. Womit wir mal wieder bei der Erkenntnis sind, dass eine Erzählung Probleme braucht ....

Eine wichtige Feststellung ! Aber man darf auch nicht zu pauschal sein : Dass das Grundklima der 1950er und 60er Jahre von Optimismus bestimmt war, ist kaum zu bestreiten. Du musst nur mal die damaligen Jugendbuecher und Jahrbaende durchblaettern ("Das Neue Universum" usw.), da war ueberall Sonnenschein auf und zwischen den Zeilen, die Roboter als brave Helferlein, die Zentral-Computer als Verwalter des Wohlstandes, und Kernkraft sorgte fuer einen blauen Himmel ohne Ruhss und CO2. Es gibt auch keine sozialen Konflikte mehr, sondern alle sind happy und geniessen Freiheit und Wohlstand. Das war die Welt des legendaeren Jahres 2000, wie man sie sich im Jahre 1955 dachte. Erst nachdem erst JFK 1963 und dann sein Bruder und Pastor King (beide 1968) ermordet worden waren, nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in Prag im gleichen Jahr und nach Altamont (1969) und nach dem erkennbaren Scheitern des Vietnamkrieges kippte die Stimmung in Pessimismus um. Die 70er Jahre brachten dann die RAF und den Einmarsch der Russen in Afghanistan und den Einmarsch von Chomeini in Iran usw.. Da hatten die "blue meanies" also Pepperland zurueckerobert. Symbolisch passend wurde dann auch John Lennon 1980 erschossen. Dass es in jeder Epoche immer auch Gegenstimmen gibt, widerspricht diesem Bild nicht. Wir sind sozusagen aus dem "Jammertal" noch nicht heraus. Noch nicht einmal ueber den Sturz des Kommunismus vor 20 Jahren koennen wir uns richtig freuen, weil wir auch den "Sieg des Kapitalismus" nicht mehr so toll finden. Noergeln und Maulen wohin man blickt ! Es geht mir und hier ja nicht nur um Technik. Aber selbst die reisst uns nicht mehr vom Hocker, sondern ist selbst schon wieder Anlass fuer Pessimismus geworden. Die Welt ist so duester, wie IAh sie sah : Alles endet im Ameisenhaufen. Ich bin anscheinend der einzige hier, der noch lachen kann ??

#105 simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 20:32

Eine wichtige Feststellung ! Aber man darf auch nicht zu pauschal sein : Dass das Grundklima der 1950er und 60er Jahre von Optimismus bestimmt war, ist kaum zu bestreiten. Du musst nur mal die damaligen Jugendbuecher und Jahrbaende durchblaettern ("Das Neue Universum" usw.), da war ueberall Sonnenschein auf und zwischen den Zeilen, die Roboter als brave Helferlein, die Zentral-Computer als Verwalter des Wohlstandes, und Kernkraft sorgte fuer einen blauen Himmel ohne Ruhss und CO2. Es gibt auch keine sozialen Konflikte mehr, sondern alle sind happy und geniessen Freiheit und Wohlstand. Das war die Welt des legendaeren Jahres 2000, wie man sie sich im Jahre 1955 dachte.

Demnach müsste es also in den 50er Jahren die von Dir gesuchte positive SF geben ...

Ja, ich wusste nicht mehr, ob ich schon gepostet hatte, und hab nochmal auf die Taste gedrueckt. Wenn Du es loeschen kannst, dann tu das bitte, weil es nur verwirrt.

Kann ich nicht, aber ich glaube, das kannst Du selbst, indem Du auf "Delete" klickst.

Bearbeitet von simifilm, 16 Dezember 2008 - 20:32.

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#106 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 22:00

Demnach müsste es also in den 50er Jahren die von Dir gesuchte positive SF geben ...

Das ist ein logische Folgerung, ja. Aber eine "gute" Gesellschaft ist eben gerade keine "problemlose" Gesellschaft. Eine der Paradoxien die mich beschaeftigen ist das, was ich das "Suehssies Paradox" nenne : Ab und zu Kuchen ist eine feine Sache, immerzu nur Kuchen ist unausstehlich. Das ist ja der typische Fehler der Philosophen, zu meinen, wenn etwas gut ist, muss mehr davon auch besser sein. Ist aber nicht der Fall. Schon Aristoteles wusste, dass es auf das rechte Mahss ankommt. Ein Chinese wuerde wohl sagen : Auf die rechte Balance von Yin und Yang. Also halten sich das Gute und das Boese immer irgendwie im Gleichgewicht, meinetwegen "dialektisch". Mein Begriff des Guten - auch im Konzept einer "guten Zukunft" - ist nicht naiv. Damit kommen wir zum Kern des Problems : Es gab eine Zeit, da traeumte man vom "goldenen Zeitalter". Steht bei Ovid, kann man googeln. Und es ist nicht lange her, da traeumte man hier im Westen vom zeitlos gluecklichen Leben der Buschmaenner in der Kalahari oder der Aborigines in Australien oder was immer die "edlen Wilden" (die "noble savages" Rousseaus) waren. Eins war immer klar : Die hatten alle keine Armbanduhr und keinen Terminkalender und Veraenderungen waren nicht auf ihrem Programm, auch kein sog. Fortschritt. Das war die goldene Vormoderne. Aber seit der Zeit Rousseaus ist das vorbei. Seither herrscht hier der Fortschritt und die Jagd nach dem Glueck - the pursuit of happiness, bekanntlich ein "inalienable right" aller Menschen, wenn man Jefferson und seiner Declaration of Independence glauben soll. Seither haben wir statt der Sehnsucht nach dem Himmelreich oder nach der Wiederkehr Gottes "das Prinzip Hoffnung" nach Marx und Bloch : Die Zukunft ist unsere Aufgabe, unser Horizont, unsere Herausforderung. Statt mit Segelschiffen nach Amerika brechen wir mit Raumschiffen zu fernen Sternen auf. Das ist die next frontier. Und nur weil es diese Frontier gibt, gibt es auch den technischen Fortschritt als Frontier. Auf einmal ist die ganze Welt in Bewegung geraten - erst im Abendland, jetzt auch der Rest. Der grohsse Irrtum aller Utopien - und eben auch der sozialistischen - ist doch : Dass sie sich das Glueck irgendwie statisch denken, als einen Zustand, den man erreicht, um sich dort niederzulassen. "Hier ist gut sein." Aber was wettet Faust gegen den Teufel ? "Werd ich zum Augenblicke sagen 'verweile doch, du bist so schoen !', dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn." Noch in seiner letzten Sekunde geniesst Faust nicht das Glueck des Hier und Jetzt, sondern die Vision eines solchen Gluecks in der Zukunft, die er nicht mehr erleben wird. Genau dadurch entschluepft er Mephisto und gewinnt die Wette. Meine These geht ja viel weiter : Die Natur hat den Menschen hervorgebracht, damit er ihre Grenzen ueberwinde ! Die Natur kann keine Raumschiffe bauen, weil sie auch keine Computer und keine "Warp-Antriebe" bauen kann. Aber indem sie den schlauen Menschen hervorbrachte, was mit biologisch-natuerlichen Mitteln moeglich war, konnte sie diese Barriere ueberwinden. Dazu passt auch der naechste Schritt, den der Mensch im Sinne des Artificial Intelligence Films tun kann : Weil der Mensch selbst immer ein Affe mit beschraenkter Haftung und beschraenkter Intelligenz bleiben wird, muss ihn das nicht hindern, die "advanced mechas" auf den Weg zu bringen, die den Menschen ueberfluessig machen. Du siehst, wie weit das alles ueber jene idyllische Neckermann-Prospekt Vision der 1950er und 60er Jahre hinausgeht. Meine Idee einer guten Gesellschaft endet nicht im Vorgarten mit Gartenzwergen. Sie endet aber auch nicht im Dritten Weltkrieg und auch nicht im finsteren Verlies bei den Monstern. Meine Idee einer guten Zukunft ist schon eine echte Herausforderung fuer dialektische Philosophen, ein Weg, nicht ein Ziel.

Bearbeitet von fremowolf, 16 Dezember 2008 - 23:13.


#107 simifilm

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 22:25

Das ist ein logische Folgerung, ja.

Es ging mir eigentlich nur darum zu zeigen, dass Deine Schlussfolgerung "pessimistische Zeiten können nur pessimistische Zukunfsvisionen hervorbringen" so nicht stimmt. Denn das, was Du suchst, gab es anscheinend auch zu optimistischeren Zeiten nicht.

Meine These geht ja viel weiter : Die Natur hat den Menschen hervorgebracht, damit er ihre Grenzen ueberwinde !

Die Natur hat gar nichts getan, die ist und damit hat sich's. Wenn Du Natur ein Ziel hat, kannst Du auch gleich mit Gott kommen, dann sind wir im Bereich der Religion.

Der grohsse Irrtum aller Utopien - und eben auch der sozialistischen - ist doch : Dass sie sich das Glueck irgendwie statisch denken, als einen Zustand, den man erreicht, um sich dort niederzulassen.

Ja, die klassischen Utopien sind statisch, das hat H. G. Wells bereits vor 100 Jahren im Vorwort von A Modern Utopia geschrieben: «The Utopia of a modern dreamer must needs differ in one fundamental aspect from the Nowheres and Utopias men planned before Darwin quickened the thought of the world. Those were all perfect and static States, a balance of happiness won for ever against the forces of unrest and disorder that inhere in things. [. . . ] Change and development were dammed back by invincible dams for ever. But the Modern Utopia must be not static but kinetic, must shape not as permanent state but as a hopeful stage, leading to a long ascent of stages. Nowadays we do not resist and overcome the great stream of things, but rather float upon it». Du siehst: Nicht wirklich ein neuer Gedanke. Dass statische Entwürfe in einer industrialisierten Welt nicht mehr taugen, sah Wells schon sehr genau. Dennoch ist es auch bei ihm so: Was überdauert hat, sind die negativen Entwürfe, die unheimlichen Geschichten. Time Machine und War of the Worlds gelten heute Klassiker, A Modern Utopia und The Shape of Things to Come liest heute kein Schwein mehr.

Du siehst, wie weit das alles ueber jene idyllische Neckermann-Prospekt Vision der 1950er und 60er Jahre hinausgeht. Meine Idee einer guten Gesellschaft endet nicht im Vorgarten mit Gartenzwergen. Sie endet aber auch nicht im Dritten Weltkrieg und auch nicht im finsteren Verlies bei den Monstern.

Meine Idee einer guten Zukunft ist schon eine echte Herausforderung fuer dialektische Philosophen, ein Weg, nicht ein Ziel.

Alles schön und gut, aber wieder einmal sei die Frage erlaubt, worum es Dir hier eigentlich geht: Um allgemeine Überlegungen zum Thema 'bessere Zukunft' oder um die Gestaltung dieser Frage in der SF?

Bearbeitet von simifilm, 16 Dezember 2008 - 22:28.

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#108 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 23:05

Samjatin und Orwell als Beispiele für eine "gute Zukunft"? Haben wir die gleichen Bücher gelesen?

Doch, haben wir! Das war hier ein Missverstaendnis. Der Qualifikator "gut" bezog sich nicht auf den Inhalt sondern auf die Form der Romane : "Dramatisierung" statt "Bebilderung". Ist also alles in Ordnung.

Dann bedeutet das offensichtlich, dass es keine Schriftsteller mit dem nötigen Talent und/oder guten Willen gibt ...

Das koennte so sein, ja.

#109 fremowolf

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Geschrieben 16 Dezember 2008 - 23:57

Die Natur hat gar nichts getan, die ist - und damit hat sich's. Wenn die Natur ein Ziel hat, kannst Du auch gleich mit Gott kommen, dann sind wir im Bereich der Religion.

Nein, das ist ein altes Missverstaendnis ! Dass "die Natur den Menschen hervorgebracht hat" besagt ja nicht, dass sie das mit Willen und Absicht getan hat. Sie hat es eben geschafft. Per Darwin'scher Evolution entstand ein denkender Affe, der eben nicht ausserhalb der Moeglichkeiten der Evolution lag. Als der denkende Affe - also "homo sapiens" - einmal da war, konnte die Natur ihm das Denken ja nicht mehr verbieten. Also konnte sie ihn auch nicht hindern, ueber Descartes, Kepler, Newton und Einstein etc. zur Atombombe und zum Computer und zum Raumschiff zu kommen. Mit irgendwelcher Absicht hatte das nie zu tun. Absichten hat nur der Mensch. Gut, Tiere haben auch welche, aber sehr begrenzt. Von einem Tier, das partielle Differentialgleichungen loesen kann, ist mir noch nichts bekannt. Die werden aber in der Physik benoetigt.

Ja, die klassischen Utopien sind statisch, das hat H. G. Wells bereits vor 100 Jahren im Vorwort von A Modern Utopia geschrieben: «The Utopia of a modern dreamer must needs differ in one fundamental aspect from the Nowheres and Utopias men planned before Darwin quickened the thought of the world. Those were all perfect and static States, a balance of happiness won for ever against the forces of unrest and disorder that inhere in things. [. . . ] Change and development were dammed back by invincible dams for ever. But the Modern Utopia must be not static but kinetic, must shape not as permanent state but as a hopeful stage, leading to a long ascent of stages. Nowadays we do not resist and overcome the great stream of things, but rather float upon it». Du siehst: Nicht wirklich ein neuer Gedanke. Dass statische Entwürfe in einer industrialisierten Welt nicht mehr taugen, sah Wells schon sehr genau. Dennoch ist es auch bei ihm so: Was überdauert hat, sind die negativen Entwürfe, die unheimlichen Geschichten. Time Machine und War of the Worlds gelten heute Klassiker, A Modern Utopia und The Shape of Things to Come liest heute kein Schwein mehr.

Alles schön und gut, aber wieder einmal sei die Frage erlaubt, worum es Dir hier eigentlich geht: Um allgemeine Überlegungen zum Thema 'bessere Zukunft' oder um die Gestaltung dieser Frage in der SF?

Das laesst sich doch schon an den von Dir zitierten Buechern von Wells erlaeutern : Spannende Literatur, ja. Aber was haben diese Buecher mit politischen Entscheidungen von Merkel oder Obama zu tun ? Was ich suche, das ist gerade der Schritt von der SF + Utopie in die Realitaet. Du verbleibst immer wieder im Bannkreis der Literatur, waehrend ich die Literatur nur als Anregung verstehe. Ich frage als Philosoph nach wirklichen Loesungen. Eine Demokratie ist ja nicht einfach eine Idee ! Sie ist bei uns und sonst in Europa und in den USA ein verfassungsrechtlich verankerter politischer Handlungsrahmen, keine literarische Fiktion.

Sieh es vielleicht einmal in Parallele zum "Traum vom Fliegen" gegen "real existierende Flugzeuge". Das erste war lange Zeit "SF" und "Utopie" - so wie Telefon, Rundfunk, Fernsehen, Mond-Raketen usw.. Die Wissenschaftler und Ingenieure haben aus SF dann "Alltag" werden lassen. Ganz entsprechend wuerde eine gute Gesellschaft in meinem Sinne eine sein, die realiter funktioniert, die also von allen soziologischen, psychologischen, und anthropologischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte Gebrauch machen wuerde, etwa in der Weise, wie dies fuer seinen speziellen Bereich Skinner in "Walden Two" versucht hat - oder Huxley in seinem "Eiland"-Roman oder Callenbach in "Ecotopia". Man kann diese und aehnliche Romane kritisieren, aber nicht nur "literarisch", sondern auch "wissenschaftlich-philosophisch" unter der schon mehrfach angesprochenen Fragestellung : "Wollen wir eine solche Zukunft ? Und wenn nicht, warum nicht ?"

Demokratie mit Gewaltenteilung und Schutz der Grundrechte usw. ist ja nicht einfach eine schoene Idee sondern geltendes und vom Staat zu schuetzendes Recht, das muehsam in Jahrhunderten erkaempft werden musste. Und auch Industrie und Wohlstand sind "Realitaeten", die Arbeit muss getan, die Gehaelter und Mieten muessen gezahlt werden usw.. Da treffen wirkliche Unternehmer wirkliche Entscheidungen und wirkliche Arbeiter arbeiten in wirklichen Fabriken usw.. Nichts gegen spannende Filme und Romane, aber die Welt ist nicht NUR virtuell.

Mein Punkt ist : Mit technischen "gadgets" haben die SciFi-Autoren keine Probleme, Raumschiffe und kuenstliche Gehirne und sogar Teleporatation schuetteln die locker aus dem Aermel. Aber das sind eben alles nur Spielsachen. Eine Aenderung des menschlichen Verhaltens ist ein Eingriff, den die Leser nicht einfach hinnehmen, sowenig wie im Falle von Fontane und "Effie Briest". Wenn ich nach der besseren Gesellschaft der Zukunft frage, dann meine ich eben nicht technische Verbesserungen, sondern menschliche, ganz im Sinne von Beverly. Verzicht auf Macht, Verzicht auf Rache, Verzicht auf Mord fuer Ehre oder aus Eifersucht usw.. Verhaltensweisen, die vernuenftig waeren, und die genau darum die Leser verstoeren wuerden, weil sie sozusagen "gegen den Affen-Code verstohssen".

Bearbeitet von fremowolf, 17 Dezember 2008 - 05:16.


#110 fremowolf

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 06:33

Wieder eine Zwischenbetrachtung am 17.12.2008

Ich habe gerade noch einmal Teile des gesamten Threads durchgeschaut, um eine Uebersicht zu bekommen. Ich war verwundert, wie schwer es offenbar ist, den Sinn meiner Frage zu verstehen "Welche Zukunft wollen wir ?"

Es besteht doch Einigkeit darueber, dass man die Gegenwart in spannenden Filmen, Kurzgeschichten und Romanen darstellen kann. Das geschieht ja dauernd. Und es geht auch mit Vergangenheit : Es gibt zahlreiche Filme, die die Geschichte des Mittelalters oder der Antike lebendig machen ("Alexander", "Gladiator", "Der Name der Rose", "Die Rueckkehr des Martin Guerre", "Martin Luther", "Elizabeth" usw.).

In allen diesen Faellen werden "Gesellschaften" dargestellt. Es bleibt dann dem Zuschauer ueberlassen, ob er das Leben in diesen Gesellschaften mit seinen Wertvorstellungen vertraeglich findet oder nicht. Die Alternative "spannende Handlung" oder "Darstellung der Gesellschaft" stellt sich in den genannten Filmen garnicht. Indem die Handlung erzaehlt wird, erfaehrt man zugleich eine Menge ueber die Gesellschaft, ueber die Denkweise, ueber die Probleme usw..

Ich habe nichts anderes gefragt als : "Wie saehe denn solch ein Film oder Roman aus, wenn man ihn in die Zukunft verlegt, wenn also, um es mal gleich in SF-typischer Form zu sagen, "ein Zeitreisender aus dem Jahre 2200 einen Bericht auf DVD hier hinterlassen haette" : Wuerden wir dann das, was wir da zu sehen bekommen, als wuenschenswert empfinden ? Oder wuerden wir entsetzt sagen : "Oh je, was kommt da auf uns zu !"

Mein Argument war : Bisher hat noch niemand auch nur ernsthaft versucht, eine menschlich attraktive Zukunft "auf DVD zu hinterlassen". Es scheint einfach ein Dogma zu sein, dass die Zukunft nur so aussehen kann wie im "Blade Runner" oder in "Mad Max" oder in "Die Klapperschlange" oder "Die Insel" usw.. Und nur dagegen habe ich mich gewehrt und gesagt : "Muss das denn sein ? Was ist denn daran plausibel ? Das leuchtet mir nicht ein ! Man kann doch auch menschliche Probleme im Jahre 2200 so darstellen, dass sie in einer vernuenftigen und attraktiven Welt stattfinden, dass gezeigt wird, wie man gut mit solchen Problemen umgeht. Haette man im Alabama von 1865 einen Film "aus der Zukunft von 2008" gezeigt, in dem eine schwarze Aussenministerin und ein schwarzer "President elect" vorkommen, die weissen Zuschauer waeren entsetzt gewesen. Sie waeren entsetzt gewesen beim Anblick von Will Smith und Oprah Winfrey und zahlreichen anderen bekannten Schwarzen im oeffentlichen Leben der USA. Aber die Sieger der Union haetten sich gefreut und gesagt : "Also war der Krieg doch nicht umsonst, eine zivilisierte Gesellschaft ist moeglich!" DAS ist es, was ich mir unter einer guten Zukunft vorstelle : Ein ueberzeugendes Bild von einer Gesellschft der Zukunft, die man bejahen kann, von der man sagen kann : "So sollte die Zukunft sein !"

Das hat also ueberhaupt nichts mit moralinsauer und brav und problemlos zu tun. Meine Kritik richtet sich nur gegen eine gedankenlose Art, die Zukunft immer nur als einen verrotteten Zustand zu malen, voll von Krieg und Korruption und Umweltkatastrophen usw.. Um im Bilde zu bleiben : Das ist so, als wenn man den Leuten von Alabama im Jahre 1865 eine Film ueber die Zustaend im heutigen Amerika zeigen wuerde, in dem Lynchmorde an Schwarzen das Normale sind, in dem die Schwarzen nur noch in Ghettos hausen und in Muelltonnen wuehlen, in dem die Mafia das Kommando hat und alle Politiker gekauft sind, wo die Umwelt in Smog und Chemieabfaellen zugrunde geht und die Menschen wie im Film "1984" ueberwacht werden. Nicht einmal Michael Moore wuerde eine solche Darstellung der Gegenwart der USA als angemessen empfinden. Aber unsere SF-Autoren scheinen es irgendwie fuer selbstverstaendlich zu halten, dass die Zukunft anders garnicht vorstellbar ist. Und das eben finde ich laecherlich.

Da moechte ich eben den Romanautoren und Drehbuchschreibern zurufen "Lasst euch doch endlich mal eine Zukunft einfallen, die intelligenter Menschen wuerdig ist ! Versucht es doch wenigstens mal !"

Simifilm scheint mir dauernd sagen zu wollen : "Hat doch alles keinen Zweck ! Eine intelligente und menschenwuerdige Gesellschaft ist langweilig. Nur eine boese Gesellschaft wie in "Starship Troopers" oder in "Die Klapperschlange" ist interessant ! Das Gute hat keinen Unterhaltungswert !"

Ich unterstelle Simifilm solch eine Denkweise nicht wirklich, ich habe das jetzt mal bewusst ironisiert. Aber um es auf die Spitze zu treiben provoziere ich mal : "Damit die USA ihren Unterhaltungswert fuer die Gegenwart behalten, muesste jetzt mal Bush mit Hilfe der Mafia einige Senatoren und Bundesrichter erschiessen und sein Mandat gegen die Verfassung verlaengern und unter Vorwand Rumsfeld wieder einsetzen, damit der einen Atomschlag gegen Iran und Nordkorea fuehren kann. Die Pressefreiheit wird vorerst ausgesetzt und fuer tausende von Buergern werden neue Lager in der Wueste von Neu Mexiko errichtet. So wird Geschichte endlich wieder spannend ! Es geht uns viel zu gut, die Geschichte drohte schon, langweilig zu werden."

Wie gesagt, ich unterstelle solches Denken Simifilm nicht, aber vielleicht kann diese Karikatur dazu helfen, den Punkt zu verdeutlichen, um den es mir geht : Was ist so absurd an dem Gedanken, eine spannende Geschichte in eine wuenschenswerte Zukunft zu verlegen ? Das genau war der Sinn meiner Frage "Welche Zukunft wollen wir ?" Ich finde den anderen Gedanken, dass eine Zukunft dumm und boese sein muss, um unterhaltsam zu sein, viel absurder.

Koennte es nicht sein, dass wir einfach "drogenabhaengig" geworden sind ? Wir muessen die Dosis an Action und Crime und Violence in Filmen und Romanen immerfort steigern, weil wir immer unfaehiger werden, auf die leisen Toene zu achten. Man hat manchmal diesen Eindruck, wenn man sich Kritiken einiger Leute auf imdb anschaut : "Der bloedeste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe ! Nach einer Stunde immer noch keine zerstueckelten Leichen ! Blohss so ein daemliches Liebesgesuelze. Was denkt sich der Regisseur eigentlich, wofuer ich Eintritt bezahle !" Aber 90% der besten Filme der letzten 60 Jahre handelten weniger von zerstueckelten Leichen als von "Liebesgesuelze" - "Sabrina", "Das Hausboot", "Ein Amerikaner in Paris", "Breakfast at Tiffanys", "Erdbeer und Schokolade", "Ueber den Daechern von Nizza", "Lost in Translation", "Brot und Tulpen", "Zimt und Koriander" usw.usw.. Das alles sind sehr gute und intelligente Filme, und nirgends kommen "zerstueckelte Leichen" vor. Warum sollen solche intelligenten Filme nicht auch in der Zukunft des Jahres 2200 spielen ? Und Romane entsprechend ? Das leuchtet mir ueberhaupt nicht ein !

"The Yellow Submarine" ist keine SF, aber ich wuenschte mir einen wie John Lennon als Drehbuchschreiber fuer einen SF-Film, der ein "reales" Pepperland im Jahre 2200 darstellen koennte. Vermutlich kann das nur in Gemeinschaftsarbeit von Italienern und Franzosen gehen. Man braeuchte einen Fellini dafuer, jemanden, der die Menschen liebt und der Humor und Phantasie hat ("8 1/2", Satyricon"), vielleicht in Zusammenarbeit mit Pinoteau (La Boum, 1980). "Barbarella" war schon ganz gut, aber das war kein realistischer Spielfilm. Dann eher "Ferris Bueller macht blau" - aber eben im Jahre 2200 !

Bearbeitet von fremowolf, 17 Dezember 2008 - 06:59.


#111 simifilm

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 07:36

Da moechte ich eben den Romanautoren und Drehbuchschreibern zurufen "Lasst euch doch endlich mal eine Zukunft einfallen, die intelligenter Menschen wuerdig ist ! Versucht es doch wenigstens mal !"

Simifilm scheint mir dauernd sagen zu wollen : "Hat doch alles keinen Zweck ! Eine intelligente und menschenwuerdige Gesellschaft ist langweilig. Nur eine boese Gesellschaft wie in "Starship Troopers" oder in "Die Klapperschlange" ist interessant ! Das Gute hat keinen Unterhaltungswert !"

Ich unterstelle Simifilm solch eine Denkweise nicht wirklich, ich habe das jetzt mal bewusst ironisiert.

Da musst Du gar nichts ironisieren, das sehe ich tatsächlich so, solange wir von Literatur und Filmen, also von erzählenden Formen sprechen. Das Gute hat tatsächlich keinen hohen Unterhaltungswert

Wie gesagt, ich unterstelle solches Denken Simifilm nicht, aber vielleicht kann diese Karikatur dazu helfen, den Punkt zu verdeutlichen, um den es mir geht : Was ist so absurd an dem Gedanken, eine spannende Geschichte in eine wuenschenswerte Zukunft zu verlegen ? Das genau war der Sinn meiner Frage "Welche Zukunft wollen wir ?" Ich finde den anderen Gedanken, dass eine Zukunft dumm und boese sein muss, um unterhaltsam zu sein, viel absurder.

Niemand sagt, dass die Zukunft dumm und böse sein muss, ich sage nur, dass eine glückliche Zukunft allenfalls in Ausnahmefällen Material für eine interessante Handlung gibt.

Koennte es nicht sein, dass wir einfach "drogenabhaengig" geworden sind ? Wir muessen die Dosis an Action und Crime und Violence in Filmen und Romanen immerfort steigern, weil wir immer unfaehiger werden, auf die leisen Toene zu achten.

Jetzt sind wir wieder bei der Küchenpsychologie. Es gibt genug leise Filme und Romane.

Man hat manchmal diesen Eindruck, wenn man sich Kritiken einiger Leute auf imdb anschaut : "Der bloedeste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe ! Nach einer Stunde immer noch keine zerstueckelten Leichen ! Blohss so ein daemliches Liebesgesuelze. Was denkt sich der Regisseur eigentlich, wofuer ich Eintritt bezahle !" Aber 90% der besten Filme der letzten 60 Jahre handelten weniger von zerstueckelten Leichen als von "Liebesgesuelze" - "Sabrina", "Das Hausboot", "Ein Amerikaner in Paris", "Breakfast at Tiffanys", "Erdbeer und Schokolade", "Ueber den Daechern von Nizza", "Lost in Translation", "Brot und Tulpen", "Zimt und Koriander" usw.usw.. Das alles sind sehr gute und intelligente Filme, und nirgends kommen "zerstueckelte Leichen" vor. Warum sollen solche intelligenten Filme nicht auch in der Zukunft des Jahres 2200 spielen ? Und Romane entsprechend ? Das leuchtet mir ueberhaupt nicht ein !

Ich habe zu diesem Thema ja schon Überlegungen angestellt in diesem Thread, deshalb nur so viel: Ein Film wie Sabrina, An American in Paris oder To Catch a Thief können doch kaum als realistisch gelten; das sind alles sehr stilisierte Filme. Über die Gesellschaft, die Zeit, in der diese Filme spielen, sagen sie praktisch nichts aus. Wenn man also diesen Plot in die Zukunft verlegen würde, hättest Du kaum eine auch nur halbwegs realistische Darstellung dieser Zukunft.

realistischer Spielfilm. Dann eher "Ferris Bueller macht blau" - aber eben im Jahre 2200 !

Wenn das Deine Vorstellung von einem sehenswerten Film ist ...

Aber mal wieder ein provokativer Vorschlag von mir: Es gibt unzählige Filme Utopien, und zwar Pornos. Da haben ganz viele Menschen die ganze Zeit grossartigen, erfüllenden Sex. Also definitiv ein besserer Zustand als in der Gegenwart. Und realitätsnah sind sie auch, man sieht ja alles, die Menschen haben tatsächlich Sex - ist also alles möglich, was da geschieht. Und die hybride Form der Utopie ist auch vorhanden, denn auch bei den Pornos ist die Handlung meist nur Vorwand, um das vorzuführen, um das es wirklich geht. Und es gibt sogar SF-Pornos, die in der Zukunft und/oder im Weltraum spielen ...

Bearbeitet von simifilm, 17 Dezember 2008 - 08:34.

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#112 Thomas Sebesta

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 07:47

... Ich war verwundert, wie schwer es offenbar ist, den Sinn meiner Frage zu verstehen "Welche Zukunft wollen wir ?" ...

Das Problem könnte sein - es fragt uns schon lange keiner mehr ernsthaft was wir wollen - wir werden gemacht (um es mit Verona zu sagen) - der Einzelne hat keine Visionen für das Ganze mehr - allerhöchstens (wenn überhaupt) noch für sich selbst. Der Rest ist ... heute pessimistisch Thomas

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#113 simifilm

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 09:18

Das Problem könnte sein - es fragt uns schon lange keiner mehr ernsthaft was wir wollen - wir werden gemacht (um es mit Verona zu sagen) - der Einzelne hat keine Visionen für das Ganze mehr - allerhöchstens (wenn überhaupt) noch für sich selbst. Der Rest ist ...

Zumindest für diesen Thread hängt es wohl eher damit zusammen, dass fremowolf ein ganzes Bündel von Fragen miteinander verquickt.

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 10:02

Wie bereits gesagt, ist die explizite Darstellung einer Utopie langweilig, vergleichbar mit einem Parteiprogramm.
Implizit werden utopische Gesellschaften seit dem Beginn der SF dargestellt, die Romane und Stories aus dem US - Golden Age sind ein Beispiel dafür. Ein weiteres (bemerkenswertes) entnehme ich mal der deutschen Trivialliteratur, den bei Terra Astra erschienenen Time Squad - Romanen. In einem Absatz wird geschildert, daß der Bürger direkten Einfluß auf seine Regierung nimmt, indem er einen Business Plan für das Folgejahr ausfüllt und so der Regierung "vorschreibt", wie seine gezahlten Steuern zu verwenden sind. Utopisch genug ?
Derartige Nebensächlichkeiten sind in praktisch jedem SF-Roman zu finden. Weitere Beispiele für einen positiv-optimistischen Gesellschaftsentwurf sind neben Iain Banks' Kultur unter anderem das Homanx-Universum eines Alan Dean Forster oder die Erde eines Mark Brandis. Auch Star Wars bietet, wenn man genau hinsieht, interessante und durchaus positive Utopie-Fetzen (etwa das Parlament). Keines dieser Paradiese ist ohne Schlange, von daher sind diese Ansätze auch den klassischen Utopien weit überlegen. (Hey, Simon, das ist meine persönliche Meinung, bitte keine 3 Seiten Gegenargumente zur Rettung der klassischen Utopie. :thumb: )
Aber es ist natürlich richtig, daß eine Dystopie einfacher zu verfilmen ist. Und, aufgrund der aktuellen politischen Lage in den US of A, einfacher zu finanzieren. Ganz davon abgesehen, daß durch eine Überhöhung der Gegensätze (Blade Runner) auch neben dem Hauptthema schlaglichtartig auch für den nicht-SF-Fan deutliche Gesellschaftskritik geübt werden kann.

#115 simifilm

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 10:08

Wie bereits gesagt, ist die explizite Darstellung einer Utopie langweilig, vergleichbar mit einem Parteiprogramm.
Implizit werden utopische Gesellschaften seit dem Beginn der SF dargestellt, die Romane und Stories aus dem US - Golden Age sind ein Beispiel dafür. Ein weiteres (bemerkenswertes) entnehme ich mal der deutschen Trivialliteratur, den bei Terra Astra erschienenen Time Squad - Romanen. In einem Absatz wird geschildert, daß der Bürger direkten Einfluß auf seine Regierung nimmt, indem er einen Business Plan für das Folgejahr ausfüllt und so der Regierung "vorschreibt", wie seine gezahlten Steuern zu verwenden sind. Utopisch genug ?
Derartige Nebensächlichkeiten sind in praktisch jedem SF-Roman zu finden. Weitere Beispiele für einen positiv-optimistischen Gesellschaftsentwurf sind neben Iain Banks' Kultur unter anderem das Homanx-Universum eines Alan Dean Forster oder die Erde eines Mark Brandis. Auch Star Wars bietet, wenn man genau hinsieht, interessante und durchaus positive Utopie-Fetzen (etwa das Parlament). Keines dieser Paradiese ist ohne Schlange, von daher sind diese Ansätze auch den klassischen Utopien weit überlegen. (Hey, Simon, das ist meine persönliche Meinung, bitte keine 3 Seiten Gegenargumente zur Rettung der klassischen Utopie. :thumb: )

Gar kein Widerspruch, so lange Du mit überlegen "interessanter zu lesen" meinst. Was Du schreibst, deckt sich mit dem, was ich fremowolf Seiten drei Seiten zu erklären versuche.

Allerdings ist gerade das Parlament in Star Wars ja nicht positiv dargestellt. Das ist ja die typische Schwatzbude, die nichts gebacken kriegt, derweil draussen der Krieg tobt.

Aber es ist natürlich richtig, daß eine Dystopie einfacher zu verfilmen ist. Und, aufgrund der aktuellen politischen Lage in den US of A, einfacher zu finanzieren. Ganz davon abgesehen, daß durch eine Überhöhung der Gegensätze (Blade Runner) auch neben dem Hauptthema schlaglichtartig auch für den nicht-SF-Fan deutliche Gesellschaftskritik geübt werden kann.


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#116 fremowolf

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 12:10

Gar kein Widerspruch, so lange Du mit überlegen "interessanter zu lesen" meinst. Was Du schreibst, deckt sich mit dem, was ich fremowolf seit drei Seiten zu erklären versuche.

Allerdings ist gerade das Parlament in Star Wars ja nicht positiv dargestellt. Das ist ja die typische Schwatzbude, die nichts gebacken kriegt, derweil draussen der Krieg tobt.

Lieber Simifilm, ich geb's auf, ich schaffe es nicht. Wir haben anscheinend sehr verschiedene Vorstellungen davon, was ein interessanter und sehenswerter Film ist (Romane lasse ich mal weg, weil die wenigr bekannt sind, auch mir selbst, da muss man zu viel erlaeutern).

Es gibt seit ewig einen Split zwischen dem, was das Film-Publikum gut findet, und dem, was Kritiker gut finden. Die meisten Filme, die fuer "Kenner" gut sind, laufen in kleinen Filmkunstkinos. Die "Blockbuster" werden von den Kritikern meistens garnicht beachtet. Filme, in denen viel Gewalt, Action und Sex vorkommt, langweilen mich. Es sind eher die leisen Filme, in denen sehr wenig vorkommt, die mich faszinieren. "Lost in Translation" steht auf meiner Hitliste sehr hoch oben. Ebenso zwei andere Filme, die mir gerade einfallen, weil sie auch mit Johansson besetzt sind : "Das Maedchen mit dem Perlenohrring" (spielt um 1670) und "Matchpoint". Alle drei Filme sind "leise", sie sagen viel ueber die Gesellschaft aus, in der sie spielen. Aber wenn Du die alle langweilig findest, und Dir lieber "Starship Troopers" oder "Iron Man" anschaust, die beide in meinem Verstaendnis "unterhaltsam aber dumm" sind, dann werden wir uns nie einigen koennen. Expliziter Sex als Anreiz fuer einen SF Film ist ein Armutszeugnis. Das hat nichts mit Pruederie zu tun. Aber die drei genannten Johansson-Filme haben mehr Erotik als die weitaus meisten Sexfilme. "Lost in Translation" uebertragen in das Jahr 2200 mit glaubwuerdigen Anpassungen an die Zeit, das faende ich intelligent. Du faendest es vermutlich langweilig. Da kann man halt nix machen.

Mir faellt spontan jetzt nur ein "leiser" SF-Film ein, der nur sehr verhalten mit einem Verbrechen zu tun hat, das waere "Gattaca". Das war aber beim Publikum nie erfolgreich - auch nicht bei mir. Da gibt der Plot wirklich nicht viel her. "Soylent Green" ist wieder nur das uebliche Klischee von der "boesen" Zukunft. Vom Thema und von der Action gleichermahssen spannend war "Die Insel" (ein vierter Johansson Film). Keiner der vier Johansson-Filme war explizit sexuell. Keiner enthielt "zerstueckelte Leichen" (selbst in "Die Insel" ist das jedenfalls kein Hauptthema), und alle zeigen reichlich "Gesellschaft", weil die Handlung selbst sehr zurueckhaltend und in Auseinandersetzung mit Erwartungen der "Gesellschaft" entwickelt wird.

Mein bisheriger Eindruck ist, dass die SF mir zu meiner Frage "Welche Zukunft wollen wir?" wenig bieten kann. Eine ueberraschende Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass SF sich doch eigentlich um die Zukunft kuemmern sollte.

Und um das noch einmal zu verdeutlichen : Wo sonst sollte ich denn suchen ? Ich wollte eine "glaubwuerdige Darstellung einer menschlich attraktiven und intelligenten Zukunft". Bei den Philosophen bekomme ich Theorien, aber keine Darstellung. Ditto bei Soziologen und Futurologen. Es war also ganz logisch, dass ich hoffte, bei den SF-People das Gesuchte zu finden. Wenn irgendwo, dann doch wohl dort ? Nein, war nicht.

Boeses Fazit : Den SF-People bedeutet die Zukunft im Grunde nichts, das ist fuer die nur eine Spielwiese fuer Abenteuer, ein Futurama wie bei den Simpsons, aber keine intellektuelle Herausforderung. Meine Frage kommt im Grunde nicht an und erzeugt nur Ratlosigkeit. "Welche Zukunft wollen wir ? Wen soll das denn interessieren !" Zeitreisen, Horror, Action-Kracher, Sex, Verbrechen, Krieg und Buergerkrieg - das verlegt man halt in die Zukunft, weil es dort interessanter ausschaut. Die Zukunft als solche geht uns doch am A... vorbei !

Ist das ein zu hartes Urteil ? Ich bin gespannt, ob die Leser dieses Threads das so auf sich sitzen lassen, oder ob da noch was kommt.

Bearbeitet von fremowolf, 17 Dezember 2008 - 13:22.


#117 simifilm

simifilm

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 12:37

Lieber Simifilm, ich geb's auf, ich schaffe es nicht. Wir haben anscheinend sehr verschiedene Vorstellungen davon, was ein interessanter und sehenswerter Film ist (Romane lasse ich mal weg, weil die wenigr bekannt sind, auch mir selbst, da muss man zu viel erlaeutern).

Ich weiss nicht, ob wir tatsächlich so verschiedene Meinungen haben. Du sprachst bis jetzt ja immer von hypothetischen Filmen. Ich lasse mich gerne von einem konkreten Beispiel vom Gegenteil überzeugen. So lange es dieses Beispiel aber nicht gibt, sehe ich meine Einschätzung als nicht widerlegt an.

Es gibt seit ewig einen Split zwischen dem, was das Film-Publikum gut findet, und dem, was Kritiker gut finden. Die meisten Filme, die fuer "Kenner" gut sind, laufen in kleinen Filmkunstkinos. Die "Blockbuster" werden von den Kritikern meistens garnicht beachtet. Filme, in denen viel Gewalt, Action und Sex vorkommt, langweilen mich. Es sind eher die leisen Filme, in denen sehr wenig vorkommt, die mich faszinieren. "Lost in Translation" steht auf meiner Hitliste sehr hoch oben. Ebenso zwei andere Filme, die mir gerade einfallen, weil sie auch mit Johansson besetzt sind : "Das Maedchen mit dem Perlenohrring" (spielt um 1670) und "Matchpoint". Alle drei Filme sind "leise", sie sagen viel ueber die Gesellschaft aus, in der sie spielen. Aber wenn Du die alle langweilig findest, und Dir lieber "Starship Troopers" oder "Iron Man" anschaust, die beide in meinem Verstaendnis "unterhaltsam aber dumm" sind, dann werden wir uns nie einigen koennen. Expliziter Sex als Anreiz fuer einen SF Film ist ein Armutszeugnis. Das hat nichts mit Pruederie zu tun. Aber die drei genannten Johansson-Filme haben mehr Erotik als die weitaus meisten Sexfilme. "Lost in Translation" uebertragen in das Jahr 2200 mit glaubwuerdigen Anpassungen an die Zeit, das faende ich intelligent. Du faendest es vermutlich langweilig. Da kann man halt nix machen.

Irgendwie scheinst Du zu meinen, dass ich nur Filme mit expliziten Sexszenen und brutaler Action interessant finde. Ich muss Dich da leider enttäuschen, mir gefallen sowohl Match Point und Lost in Translation als auch Iron Man und Starship Troopers. Sehr unterschiedliche Filme, aber alle in ihrer Art sehr gut gemacht (und darauf kommt es an). Zu meinen Lieblingsregisseuren gehören Jim Jarmusch und Wong Kar-Wai, beide "leise" Regisseure. Du musst Deine Schubladen wohl revidieren.

Entscheidend ist doch gar nicht, ob der Film leise ist. Entscheidend ist, ob es eine Geschichte zu erzählen gibt. Was Du doch möchtest, ist ein realistisches Bild einer guten Zukunft, und da muss ich eben dagegenhalten, dass die wenigsten (SF-)Filme wirklich realistisch sind (was immer man auch darunter verstehen mag) und dass eine konfliktfreie Welt erzählerisch wenig hergibt. Und ich sehe ehrlich gesagt nicht, welchen Mehrwert es bringt, wenn man eine romantische Liebeskomödie in die Zukunft verfrachtet. Und wenn man es tut, wird sicher kein realistisches Bild einer besseren Welt dabei rauskommen.

Ich finde Deine Beispiele teilweise übrigens eher seltsam: Match Point ist die Geschichte eines Menschen, der aus Feigheit und Geldgier die Frau umbringt, die er liebt, und der dann am Ende in einem unglücklichen Leben gefangen ist. Das ist das Portrait einer herzlosen, alles anderen als fröhlichen Welt, in der die Gerechtigkeit nicht obsiegt. Wo Du da den positiven Impuls siehst, den Du gerne in einem SF-Film hättest, ist mir schleierhaft.

Mir faellt spontan jetzt nur ein "leiser" SF-Film ein, der nur sehr verhalten mit einem Verbrechen zu tun hat, das waere "Gattaca". Das war aber beim Publikum nie erfolgreich - auch nicht bei mir.

Auch Gattaca entwirft ja eine Dystopie.

Da gibt der Plot wirklich nicht viel her.

Gerade Gattaca würde ich schon zu den intelligenteren Dystopien zählen.

Vom Thema und von der Action gleichermahssen spannend war "Die Insel" (ein vierter Johansson Film). Keiner der vier Johansson-Filme war explizit sexuell. Keiner enthielt "zerstueckelte Leichen" (selbst in "Die Insel" ist das jedenfalls kein Hauptthema), und alle zeigen reichlich "Gesellschaft", weil die Handlung selbst sehr zurueckhaltend und in Auseinandersetzung mit Erwartungen der "Gesellschaft" entwickelt wird.

Von "zerstückelten Leichen" sprichst ja auch nur Du. Wenn The Island für Dich dem nahe kommt, was Du suchst, verstehe ich Dich erst recht nicht, denn das ist definitiv keine positive Zukunft, die da gezeigt wird, und nach dem sehr starken Einstieg geht der in sehr gewöhnliche Actiongefilde über.

Mein bisheriger Eindruck ist, dass die SF mir zu meiner Frage "Welche Zukunft wollen wir?" wenig bieten kann. Eine ueberraschende Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass SF sich doch eigentlich um die Zukunft kuemmern sollte.

Vielleicht hast Du ganz einfach falsche Vorstellungen davon, was die primäre Funktion einer erzählende Formen ist.

Und um das noch einmal zu verdeutlichen : Wo sonst sollte ich denn suchen ? Ich wollte eine "glaubwuerdige Darstellung einer menschlich attraktiven und intelligenten Zukunft". Bei den Philosophen bekomme ich Theorien, aber keine Darstellung. Ditto bei Soziologen und Futurologen. Es war also ganz logisch, dass ich hoffte, bei den SF-People das Gesuchte zu finden. Wenn irgendwo, dann doch wohl dort ? Nein, war nicht.

Jede Disziplin, die sich mit der Zukunft beschäftigt, tut das eben auf ihrer Weise, und die Hauptstärke der SF liegt sicher nicht im Entwerfen realistischer Pläne einer guten Zukunft, denn als erzählende Form ist sie primär an Geschichten interessiert. Falls Du auf der Suche nach der grossen Synthese bist, in der alle Aspekte berücksichtigt sind, wünsche ich Dir dabei viel Glück, denn die wirst Du nirgends finden. Aber schau Dich doch mal in der Architektur um, da gibt es viel Utopisches, das durchaus konkret ist.

Bearbeitet von simifilm, 17 Dezember 2008 - 12:38.

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#118 Thomas Sebesta

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 13:14

... Ist das ein zu hartes Urteil ? Ich bin gespannt, ob die Leser dieses Threads das so auf sich sitzen lassen, oder ob da noch was kommt.

Hmm - ich denke, dass du von der SF etwas erwartest, dass selbst die Utopie nichtgeben kann/will. Wenn Utopie mehr ist als eine Literaturgattung (Siehe oben Bloch) und SF "nur" eine solche, so könnte die SF die Utopie nur insoweit unterstützen, als sie Platz für ein geändertes Wunschdenken(traum) schafft. Nun wird aber immer wieder darauf vergessen, dass sich SF zwar sehrwohl mit der Zukunft beschäftigt, aber als Literaturgattung schon immer mehr mit der Gegewart verbunden ist als mit der Zukunft. Asl Beispiel fällt mit das immer die Serie "Orion" ein. Mit simplen Haushaltsgeräten wird Utopisches simuliert. Was in der Filmrequisite gang und gäbe ist, ist im Geist der SF nicht wegzudenken. Echte utopische Ansätze in Sinne der Utopie von Bloch gibt es in der SF wohl kaum. Ich denke, dass SF in der Regel von der Gegenwart aus versucht die Zukunft "hochzurechnen", dass die aber bei der Utopie in der Regel nicht der Fall ist. Sie setzt den Endzustand bereits voraus. Läßt sich der Endzustand aber mit positiven realen Mitteln auch erreichen? Zusammen mit der Tatsache, dass sich das "Böse" eben besser zu einem Plot verarbeiten läßt, resultiert daraus, dass keine positiven Utopien entstehen wie du sie einforderst (soweit ich das richtig verstanden habe). Um wirklich positive Utopien entstehen zu lassen (in der SF) müsste ich auch erklären, wie es dazu gekommen ist und die Glaubwürdigkeit zu untermauern. Im Vesuch dies zu tun siedeln aber die SF-Geschichten in der Mitte. Nämlich dort wo die Utopie (noch) nicht umgesetzt ist (und daher noch Platz für den Plot/Konflikt bleibt) und die Zustände also nicht utopisch positiv sein können. Sehr wohl aber utopisch negativ sind. Der Schluß kann dann in die eine oder andere Richtung zeigen und davon hängt es wohl auch ab, ob die SF darin als positiv oder als negativ bewertet wird (schon rein gefühlsmäßig). Es fällt ganz einfach leichter zu sagen - "So soll es nicht sein", als zu postulieren - "Das ist das Gute, das uns widerfahen soll". Zu sagen dass etwas Schlecht ist, heißt noch lange nicht, dass man auch sagen kann, was besser wäre. Für wen? Für wie lange? Möglicherweise empfinden andere gegebene utopische Ansätze aus den Beispielen als positiv und nicht als negativ? Gruß Thomas

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#119 simifilm

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 13:26

@t.sebesta: Kein grundsätzlicher Widerspruch, aber letztlich ist natürlich jeder Gesellschaftsentwurf mit der Gegenwart verbunden. Etwas zu denken, was mit nichts, wie wir es kennen, in Verbindung steht, ist schlichtweg nicht möglich.

Ansonsten gebe ich Dir aber Recht. Je "literarischer" ein Text ist, desto schwieriger wird es mit der konkreten Umsetzbarkeit. Wenn wir 'Utopie' weiter fassen und nicht primär als erzählende Gattung verstehen, stossen wir durchaus auf Texte, die 'konkret' sind und in der Realität eine Wirkung entfaltet haben. Von der Deklaration der Menschenrechte habe ich schon gesprochen. Auch das Kommunistische Manifest kann man als Utopie im weiteren Sinne verstehen. Eine andere sehr erfolgreiche Utopie ist Theodor Herzls Der Judenstaat; wahrscheinlich ist das sogar eine der wenigen Utopien, deren Kernanliegen weitgehend verwirklicht wurden (obwohl der Staat Israel in vielem von dem abweicht, was Herzl sich ursprünglich vorgestellt hat). Aber eben: diese 'wirksamen Utopien' sind alles Manifeste und nicht erzählende Texte.

Kaum eine literarische Utopie hatte wirklich konkrete politische Folgen (Bellamy ist da wohl die grosse Ausnahme). Und je konkreter der Zukunftsentwurf wird, desto weniger ist er wohl literarisch geeignet. Am Ende landen wir dann eben bei Parteiprogrammen (wobei es durchaus interessant ist, dass Der Judenstaat, den ich ja gerade als erfolgreiche Utopie bezeichnet habe, in manchen Dingen volllommen realitätsfremd und blauäugig war - nicht zuletzt in der Frage, was man mit den Menschen macht, die bereits vor Ort leben).

Bearbeitet von simifilm, 17 Dezember 2008 - 13:31.

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Geschrieben 17 Dezember 2008 - 13:33

Hmm - ich denke, dass du von der SF etwas erwartest, dass selbst die Utopie nichtgeben kann/will. Wenn Utopie mehr ist als eine Literaturgattung (Siehe oben Bloch) und SF "nur" eine solche, so könnte die SF die Utopie nur insoweit unterstützen, als sie Platz für ein geändertes Wunschdenken(traum) schafft. Nun wird aber immer wieder darauf vergessen, dass sich SF zwar sehrwohl mit der Zukunft beschäftigt, aber als Literaturgattung schon immer mehr mit der Gegewart verbunden ist als mit der Zukunft. Asl Beispiel fällt mit das immer die Serie "Orion" ein. Mit simplen Haushaltsgeräten wird Utopisches simuliert. Was in der Filmrequisite gang und gäbe ist, ist im Geist der SF nicht wegzudenken. Echte utopische Ansätze in Sinne der Utopie von Bloch gibt es in der SF wohl kaum. Ich denke, dass SF in der Regel von der Gegenwart aus versucht die Zukunft "hochzurechnen", dass die aber bei der Utopie in der Regel nicht der Fall ist. Sie setzt den Endzustand bereits voraus. Läßt sich der Endzustand aber mit positiven realen Mitteln auch erreichen? Zusammen mit der Tatsache, dass sich das "Böse" eben besser zu einem Plot verarbeiten läßt, resultiert daraus, dass keine positiven Utopien entstehen wie du sie einforderst (soweit ich das richtig verstanden habe). Um wirklich positive Utopien entstehen zu lassen (in der SF) müsste ich auch erklären, wie es dazu gekommen ist und die Glaubwürdigkeit zu untermauern. Im Vesuch dies zu tun siedeln aber die SF-Geschichten in der Mitte. Nämlich dort wo die Utopie (noch) nicht umgesetzt ist (und daher noch Platz für den Plot/Konflikt bleibt) und die Zustände also nicht utopisch positiv sein können. Sehr wohl aber utopisch negativ sind. Der Schluß kann dann in die eine oder andere Richtung zeigen und davon hängt es wohl auch ab, ob die SF darin als positiv oder als negativ bewertet wird (schon rein gefühlsmäßig). Es fällt ganz einfach leichter zu sagen - "So soll es nicht sein", als zu postulieren - "Das ist das Gute, das uns widerfahen soll". Zu sagen dass etwas Schlecht ist, heißt noch lange nicht, dass man auch sagen kann, was besser wäre. Für wen? Für wie lange? Möglicherweise empfinden andere gegebene utopische Ansätze aus den Beispielen als positiv und nicht als negativ? Gruß Thomas

Zu Thomas und Simifilm : Ich werde ueber beide Antworten nachdenken, da ist einiger Stoff drin, aber ich nehmen jetzt mal eine kleine Auszeit, ohne abgemeldet zu sein. Vielleicht bin ich uebermorgen nochmal da, danach drei Wochen fort. Nur zur Vorabinformation. Vielen Dank fuer euer Engagement. Uebrigens noch zu den Problemen mit dem Browser. Irgendetwas scheint mit Mozilla nicht sauber zu funktionieren, wo es ans Umblaettern ging. IE7 hatte kein Problem. Also vielen Dank an Simifilm fuer den Tipp. Zum Auswerten drucke ich mir sowieso das Ganze auf die Platte aus, da kann man leichter suchen.


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