Bearbeitet von Armin, 06 Februar 2009 - 14:14.
Corona-Story: Die Leere
#1
Geschrieben 06 Februar 2009 - 14:09
Neu: Armin Rößler - Die Nadir-Variante
Armin Rößler - Entheete (Neuauflage) +++ Armin Rößler - Cantals Tränen +++ Hebben/Skora/Rößler (Hrsg.) - Elvis hat das Gebäude verlassen
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#2
Geschrieben 07 Februar 2009 - 21:03
Carpe diem!
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#3
Geschrieben 08 Februar 2009 - 09:40
Normalerweise kommentiere ich keine Corona-Geschichten, weil sie immer aussagekräftig genug sind und für sich, je nach Qualität, als Werk sprechen.
Hier möchte ich allerdings doch meine Meinung dazu sagen.
Ich persönlich bin eigentlich kein Fan davon, wenn die Vita eines Autors fast so lange ist wie sein Text. Mir kommt das dann immer vor wie: "So, und jetzt müssen wir die Sache noch unterbuttern, mit dem was der Autor alles kann, damit keiner auf die Idee kommt, dass ihm die Sache hier entglitten ist."
Denn genauso kommt es mir vor. Dem Autor ist der Text entglitten. Wenn man einen Text derart komprimiert, dann muss jede Silbe sitzen.
Ich erlaube mir mal meine Interpretation und mein bedingtes Verständnis der "Geschichte" darzulegen.
Ok, Flechten sind meines Wissens Mischwesen aus Pilz und Bakterium. Was heißt der Satzteil: ... weil die Helix wie Götterspeise in die ursprüngliche Gestalt zurückschwappt. Ich meine, ich studiere etwas Medizin, bin zweifelsfrei keine Leuchte, aber das hier versteh ich nicht.Natürlich war die Leere alles andere als leer. Nicht nur am Rand, wo die ersten Mutanten zaghaft am toten und tödlichen Sand und Gestein leckten, einzelne organische Finger tastend vorstreckten: Flechten, so primitiv, dass die molekularen Vorschlaghämmer der Strahlung ihren Genen nicht viel anhaben konnten, weil die Helix wie Götterspeise in die ursprüngliche Gestalt zurückschwappte;
Wenn sich die Doppelhelix auflöst, ist es wurst, wie groß der Überlebenswille eines Wesens ist, dann ist Sense. Entgegen manchem Aberglauben trennt sich die DNA nämlich NICHT vollständig auf, sondern an spezifischen Stellen (die eben gerade benötigt werden) werden die DNA-Stränge getrennt, ein Protein kopiert den Genabschnitt dieser Stelle und die daraus entstehende mRNA wird weiterverwendet. Noch währenddessen werden die DNA-Stränge sofort wieder miteinander verbunden. Wie ein Reißverschluss, bei dem man zwar den Zipper bewegt, der Verschluss davor und dahinter aber geschlossen bleibt. Von welcher Götterspeise, von welcher ursprünglichen Gestalt ist hier die Rede?
Zugegeben, das ist schön. Schön verschnörkselt und verklausuliert. Mir wird also mitgeteilt, dass eine Kultur untergegangen ist und sich mutierte Flechten wieder ihren Lebensraum zurückgeholt haben resp. holen. Andeutung Pyramiden, aha, wir sind auf der Erde. Klar soweit.Insekten, die Zerberusköpfe ebenso wenig störten wie Augen an Fühlern oder Beinen - selbst im tiefsten Inneren gab es etwas, Zeugen dessen, was Zivilisation genannt worden war, tot wie die restliche Leere, aber doch mit Spuren ehemaligen Lebens, die unsichtbar daran klebten wie an versteinerten Ammoniten oder zernagten Pyramiden.
Oha, es gibt also doch noch Leben auf der Erde. Wahrscheinlich die letzten beiden Menschen. Postapokalypse. Naja, kommt in den besten Familien vor. Anzüge haben sie auch, ojeoje, dann ist ja auch die Atmosphäre hinüber.Die beiden Gestalten standen erstarrt am Rand. Ihre verspieÂgelten Anzüge reflektierten das schmutzige Grün hinter ihnen, den schwarzverhangenen Himmel und das fahle Grau der Leere - und verbargen ihre Gesichter. Hätte der Anblick sie nicht völlig gefangen genommen, jeder hätte geahnt, dass sie beide das Gleiche empfanden, dass ihre zusammengepressten Zähne die Wangenknochen hervortreten ließen, Adrenalin durch ihre Adern strömte, die Herzmuskeln das Blut schneller pumpten.
Allerdings ... Wieso sind im zweiten Satzteil diese beiden Konjunktive? Warum "hätten" sie nur geahnt, dass sie das Gleiche empfinden? Tun sie es oder tun sie es nicht? Egal. Anscheinend sind beide von Stress-Symptomen gezeichnet, sprich aufgeregt. Wäre ich auch, wenn da vor mir nur schmutziges Grün (ein Meer aus Flechten?) liegt.
Sieh an. Eine "Time bomb". Ich freu mich, wenn was passiert. Die Zeit läuft.Outi benötigte all ihre Kraft, um sich zu regen. „Hast du“, begann sie, aber ihre Stimme versagte. Sie schluckte. „Wie viel Zeit bleibt uns?“
Und jetzt beginnt die große Verwirrung, die dem Text für mein Dafürhalten von Glaubwürdigkeit bis Qualität alles raubt.Jos Antwort kam verzögert, als stünde sie eine Lichtsekunde entfernt im Mare crisum, und in Gedanken war sie tatsächlich viel weiter entfernt gewesen. „Schwer zu sagen.“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern, das grotesk verstärkt in Outis Ohrstöpseln klang. „Zwanzig, vielleicht dreißig.“
Ich habe seit meinem zehnten Lebensjahr einen Globus vom Mond und auf dem steht "Mare Crisium". Hier hätte man recherchieren können.
Eine Lichtsekunde sind ca. 300000 km. Erde und Mond sind 1,3 Lichtsekunden voneinander entfernt. Das ist ja dann eine Ecke weiter.
Wie gesagt, ich will nicht Haare spalten, sondern wie oben erwähnt, wenn ein Text so komprimiert wird, muss alles sitzen wie ein Maßanzug. Vor ALLEM die kleinen technischen Details.
Achja, sie haben "zwanzig, vielleicht dreißig" was Zeit? Zwetschkenknödel? Gut, aber ich leg das dem Autor nicht negativ aus, er versucht hier mystische Spannung aufzubauen und lässt das Grundgelenk des Moralfingers knacken.
Von den "Ohrstöpseln" seh ich mal ab, die disqualifizieren sich selbst schon genug.
Ich glaube aber noch fest daran, dass was passiert. Irgend eine Pointe muss doch zünden.
Woran nagen die Veggies? An der Zeit? Die Leere schlägt zu? Wie denn, wenn offensichtlich noch alles Grün ist, wenn auch schmutzig. Abgesehen davon, dass im ersten Satz steht, dass die Leere alles andere als leer war (was für ein biblischer Satz). Wieso soll sie denn plötzlich jetzt zuschlagen?„Die Vegetation nagt daran“, sagte Outi, „nagt daran wie Brandung an einer Küste. Aber die Küste wehrt sich nicht, die Leere schlägt erbarmungslos zu.“
Gute Idee!„Die Leere.“ Ekel schwang in Jos Stimme. „Wir sollten aufhören, es so zu nennen.“
Es gibt also doch Atmosphäre? Da kriecht ein Insekt herum, ok, es ist ja ein Mutant. Klar, irgendein Symbol muss kommen, sonst wird es etwas lahm.Ein winziges Insekt, das ein wenig an eine flügellose Fruchtfliege erinnerte, hatte den Steilhang über den spiegelglatten Anzug bis zu Outis Helm überwunden. Outi sah zu, wie das Tier langsam über ihr Visier kroch, gelegentlich innehielt, aber immer wieder unermüdlich den Weg fortsetzte. „Wortmagie?“ fragte sie schließlich. „Zurück zu den alten Euphemismen?“
Wofür steht also dieses Insekt ohne Flügel? Für den Menschen, der sich durch seinen destruktiven Trieb selbst zerstört hat und sich der Möglichkeit seiner Freiheit entledigt hat? Für das Leben, das seinen Weg immer wieder findet? Für Lexx?
Interessanterweise bringt Outi daraufhin das Wort "Euphemismus". Eine Beschönigung. Schade, mich hätte interessiert, welches Wort man "beschönigend" für Leere verwenden kann. Temporale Abwesenheit von Menge? Öde? Banalität?
Ich weiß es nicht.
Auja, das finde ich gut. Machen wir das.Jo hustete ein trockenes Lachen. „Nichts dergleichen. Aber wir sollten ein Zeichen setzen. Jetzt und hier.“
Ja? Ja? Ja? Jetzt kommt es!„Und wie, denkst du, sollten wir die Leere nennen?“
Wa ... ? Wies ... ? Hä? Ah, der Moralfinger hat sich soeben vollends durchgestreckt.Jo wandte sich ihr zu. „Beim alten Namen natürlich. Europa.“
Europa wurde also zerstört und ich armer Leser soll jetzt gefälligst in mich gehen und was ändern, damit es nicht soweit kommt.
Hm, was könnte ich da machen? Nicht mehr in die Zeitung sehen, meinen Müll sortieren, Atomphysik studieren? Keine Ahnung.
Und nun stehe ich da und weiß, dass in einer fernen Zukunft Europa von grünen Flechten überzogen sein wird, zwei Frauen irgendwo stehen und ein Symbolinsekt für vergebene Chancen an einer von ihnen hochkriecht.
Nach Tucholsky ist die die Aufgabe des Autors: "Ein Problem klar und verständlich aufzeigen." Das ist geschafft.
Allerdings gibt Kurt keine Auskunft darüber, ob dieses Problem ein Neues oder ein Altes sein soll.
Nun gut. Senken wir den Vorhang des Geschehenen über die Szene und falten andächtig die Hände.
Am Anfang war das Wort und dann kam die Geschichte. Von beiden gibt es Gute und Schlechte. Genau wie Flechten im Meer.
Und dazwischen ... die Lehre der Leere.
Beste Grüße, Flo
ps: Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich NICHT den Autor, sondern einzig diesen verunglückten Text kommentiert habe.
#4
Geschrieben 08 Februar 2009 - 10:41
Wobei dein Kommentar und die Interpretation deutlich umfangreicher sind als der Text und die Vita zusammen. Aber du bringst es auf den Punkt. Im meinen Augen wäre das bestenfalls eine allererste Skizze eines Einstiegs in einen Roman, über die man in der Redaktion eines Verlages diskutieren könnte. Mehr nicht. Ob man so etwas als 'Kurzgeschichte' abdrucken und unters Volk werfen muss, darüber läßt sich sicher streiten. Ich fände es gut, wenn im Corona Magazin künftig wieder nur die 3 besten Geschichten eines Themas abgedruckt würden. Texte wie dieser tragen nicht gerade dazu bei, Leser für Kurzgeschichten zu gewinnen. Wenn du schon fragst, Helga ...... sondern einzig diesen verunglückten Text kommentiert habe.
#5
Geschrieben 08 Februar 2009 - 12:38
------ ......ob Herr Rossi je das Glück gefunden hat?....------
In motivationstheoretischer Interpretation aus Managementsicht ist Hans im Glück ein „eigennütziger Hedomat und unlustmeidender Glücksökonom“. ---Rolf Wunderer
Niemand hat das Recht auf ein konstantes Klima. Auch Grönländer haben ein historisches Recht auf Ackerbau. Daran sollten unsere Weltenlenker denken, wenn sie sich daran machen, die globale Temperatur mit Hilfe des CO2 neu einzustellen.
"Wir können nicht alle mit einem Mac Book und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking Space sitzen und die zehnte Dating App erfinden". Marco Scheel 3:50 min
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• (Film) gerade gesehen: Zeugin der Anklage
#6
Geschrieben 08 Februar 2009 - 16:10
Es steht jedem frei, seine Meinung zu äußern. Hinter der Geschichte steckt eine Idee, die erst durch das Ende deutlich wird. Bei vielen anderen Storys, mit kunstvoll gedrechselten Sätzen, fehlt das oft. Was nützt mir ein Text in perfekter Schreibweise, wenn er mich nicht anspricht und wenn er nichts aussagt?Wenn du schon fragst, Helga ...
Carpe diem!
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#7
Geschrieben 08 Februar 2009 - 16:42
Genauso wenig wie der hier. Ich würde persönlich jedoch vorsichtig sein bei Prosa von "Nutzen" zu sprechen. Bei jeder anderen Länge einer Geschichte würde ich dir recht geben. Da ist auch genug Platz um den einen oder anderen kunstvoll gedrechselten, doch inhaltslosen Satz zu überfliegen. Sich zu denken:"Ok, der Wille ehrt ihn/sie". Aber gerade bei Kurzkurzgeschichten müssen Sprache UND Inhalt stimmen, sonst wird es banal. Wie hier leider passiert. bg, FloWas nützt mir ein Text in perfekter Schreibweise, wenn er mich nicht anspricht und wenn er nichts aussagt?
Bearbeitet von Earth Rocks, 08 Februar 2009 - 16:47.
#8
Geschrieben 08 Februar 2009 - 17:20
Zur sprachlichen Gestaltung hatte ich doch gar nichts gesagt! Und wie ich aus dieser, deiner Äußerung entnehme, hältst du den Text ja sogar selbst sprachlich nicht für besonders gut.Bei vielen anderen Storys, mit kunstvoll gedrechselten Sätzen, fehlt das oft.
#9
Geschrieben 08 Februar 2009 - 18:49
Seh ich auch so.Und wie ich aus dieser, deiner Äußerung entnehme, hältst du den Text ja sogar selbst sprachlich nicht für besonders gut.
#10
Geschrieben 08 Februar 2009 - 19:24
Halt, halt! Ich merk schon, ihr wollt mich mit meinen eigenen Worten fangen. Ganz schön raffiniert. Was ich vorhin geschrieben habe, war eine Verallgemeinerung gewesen.Seh ich auch so.
Carpe diem!
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#11
Geschrieben 08 Februar 2009 - 20:39
Allerdings ! Gerade die extreme Kürze (erinnert an Hoshis Haikus) zusammen mit der bildhaften Sprache und der plakativen Pointe lässt die Geschichte wirken. Hat auch diverse klassische Vorläufer und es wundert nicht, daß sie unter die ersten 5 gekommen ist.Ob man so etwas als 'Kurzgeschichte' abdrucken und unters Volk werfen muss, darüber läßt sich sicher streiten.
#12
Geschrieben 08 Februar 2009 - 20:58
Tja, verallgemeinern sollte man im Allgemeinen eben nicht.Was ich vorhin geschrieben habe, war eine Verallgemeinerung gewesen.
#13
Geschrieben 08 Februar 2009 - 21:18
Stimmt.Tja, verallgemeinern sollte man im Allgemeinen eben nicht.
Carpe diem!
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#14
Geschrieben 14 Februar 2009 - 13:34
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#15
Geschrieben 20 Oktober 2009 - 08:34
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