Die Storysparte der c't hat mittlerweile ein durchgehend gutes Niveau erreicht, zumindest auf der sprachlichen Ebene. Die Lektüre macht Spaß.
Natürlich gibt es Unterschiede hinsichtlich Originalität, Tiefe der Idee, Charakterisierung der Personen, Ausgestaltung des Plots etc.
Meine Highlights bislang sind:
Gero Reimann: Kalchas wie Kotzende Hunde
Desirée und Frank Hoese: Load
Frank Hebben: Krematorium
Hier die Notizen zu den Einzelstories:
Arno Endler: African Dream
(c't 02/2009 S. 196-200)
Die EU verweigert Afrikanern die Einreise. Als die Grenzkontrollen auf automatisches Auslesen von zwangsimplantierten Chips umgestellt werden, wittern Atembé und Rundé ihre Chance.
Brauchbarer Ansatz, auch ganz nett beschrieben, liest sich aber unabgeschlossen, wie das erste Kapitel eines Romans
Gero Reimann: Kalchas wie Kotzende Hunde oder Warum Iphigenie in Aulis nicht geopfert werden konnte
(c't 03/2009 S. 200-203)
Gerion schreibt einige griechische Sagen neu, insbesondere die Ilias und das, was sich auf Aulis zutrug. Dabei verwendet er auch politisch unkorrekte Ausdrücke, die einige Feministinnen, aber vor allem das Kontrollprogramm des Aulis-Servers auf den Plan rufen.
Knackig, sprachgewaltig, hemmungslos und böse. Klasse!
Guido Seifert: Gangster sind die Besten
(c't 04/2009 S. 206-210)
Der übergewichtige Angestellte Finn Timmler wird nach seinem Tod upgeloadet. Aber nicht in Manets Seerosengarten, wie von ihm gewünscht. Sondern als Gladiator in einer römischen Arena.
Nette Upload-Variante, knackig geschrieben, TV-Interview mit Staatssekretär geschickt eingebaut. Dennoch zu viel Erklärungen, zu wenig Handlung. Aber sonst würde man wohl nichts kapieren.
Dr. Kurt Braatz: Selling Bill
(c't 05/2009 S. 212-214)
Der damalige Pressechef von Microsoft Deutschland erinnert sich an den Auftritt von Bill Gates bei "Wetten dass..." und wie er damit das seinerzeit darniederliegende Image von Microsoft gehörig aufpolieren konnte - obwohl er nicht über einen Stuhl sprang.
Keine Story, sondern eine nette Anekdote mit interessanten Hintergrundinfos.
Desirée und Frank Hoese: Load
(c't 06/2009 S. 228-233 + c't 07/2009 S. 200-206)
Silver, einizige Überlebende eines Polizei-Terrorangriffs in der Area, wird ein Chip gestohlen. Snipes, Betreiber eines illegalen Casinos, erkennt ihn wieder. Da kommt ihm Jingles gerade recht, ein Cyberboxer mit erstklassigen Reflexen.
Erneut eine hervorragende Cyber-noir-Story von den Hoeses. Knallhart, stilistisch brillant bis in die letzte Metapher, und gnadenlos durchdachter Plot bis zur finalen Katastophe.
Jan Gardemann: Fremd
(c't 08/2009 S. 196-200 + c't 09/2009 S. 194-196)
Jaro Kerper verliert während einer Autofahrt mit seiner Familie sein Gedächtnis. Eine Nebenwirkung seiner Probandentätigkeit für eine Firma, die eine Technologie zum Gedankenlesen weiter entwickelt? Oder weiß Liwanu, ein Freund der Familie, mehr darüber?
Nette Idee über Gedankenlesen und Bewusstseinsüberschreibung. Aber zu viele Erklärungen, zu wenig Handlung.
Peter Triesberger: Die Roboterfreundin
(c't 10/2009 S. 196-198)
Eine Gruppe von Programmieren will Naoko verbessern, eine japanische Androidin, die für die Bedürfnisse einsamer Japaner entwickelt wurde. Aber in einigen Männern erwachen zutiefst menschliche Gefühle.
Bekannte Idee, ordentlich geschrieben, aber wenig stringente Handlungsführung, Ende lahm.
Arno Endler: Überraschung
(c't 11/2009 S. 202-205)
Mittels der Einstein-Hawking-Kerne haben die Menschen die Invasion der martialischen Tellanier 400 Jahre zuvor gesehen. Die gesamte Menschheit wurde in der Zwischenzeit mit Generationenschiffen ins All evakuiert. Nur Adam bleibt als Empfangskomitee zurück. Mit besonderer Mission.
Bekannte Versatzstücke, aber interessant variiert. Insgesamt gut geschrieben, nur das Ende enttäuscht ein wenig.
Christian Weis: Rattenkommando
(c't 12/2009 S. 194-198 + c't 13/2009 S. 206-209)
Nach einem verheerenden Krieg schirmt der Computer ARGOS eine kleine Gemeinschaft Überlebender gegenüber der Verelendung und dem Sterben außerhalb ab. Trotz ausgeklügelter Sicherheitsmaßnahmen versuchen immer wieder Menschen von außen, in die Enklave einzudringen. Lena gelingt dies schwerverletzt. Und was sie von draußen erzählt, rührt Mirko und lässt in ihm und anderen Zweifel aufkommen, ob ARGOS' Haltung wirklich menschlich ist.
Starkes Setting, atmosphärisch dicht beschrieben, vor allem am Anfang. Im weiteren Verlauf gleitet es zunehmend in moralische Betrachtungen ab, das Ende erscheint zu abrupt und zu glatt.
Frank Hebben: Krematorium
(c't 14/2009 S. 200-203)
In einer zukünftigen Welt sind die Menschen auch von ihrer körperlichen Ausstattung her nur auf ihre Arbeit hin optimiert. Der Protagonist ist nur noch ein mit Nylonstoff überzogener Torso ohne Augen und Mund, der Baumaschinen bedient. Nach einem Unfall greift er sich illegalerweise ein medizinisches OP-Gerät, mit dessen Hilfe er sich selbst sehen kann - und begreift das wahre Ausmaß seiner "Transformation".
Kleines melancholisches Kabinettstückchen, sehr eindringlich und pessimistisch beschrieben. Wahnsinn!
Gruß
Ralf
Bearbeitet von ShockWaveRider, 26 Januar 2010 - 09:28.