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The Space Merchants - Kornbluth/Pohl


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4 Antworten in diesem Thema

#1 Joe Chip

Joe Chip

    The Saint

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Geschrieben 02 Februar 2005 - 22:08

Die Zukunft hat begonnen
Von J. Schütz


Mit nur wenig Phantasie kann man sich folgendes Szenario ziemlich leicht vorstellen: Großkonzerne ringen ständig um die Gunst der gesamten Weltbevölkerung, um ihre Produkte an den Mann zu bringen. Boykottiert wird dieses permanente Brainwashing, das auch jenseits von Werbeplakaten ausgetragen wird, von einer weltweit agierenden Untergrundorganisation, die wiederum von den Mächtigen mit allen Mitteln bekämpft wird.
Das war gestern! – oder nicht?

Gut! Stelle man sich nun weiter vor, dass jene Unternehmen sich nicht nur auf das Funktionieren ausgeklügelter Werbestrategien verlassen, sondern ihre Produkte so konzipieren, dass der Konsument abhängig wird. Mittels „harmloser“ Alkaloide in der Nahrung, die als Nebenwirkung den Appetit auf weitere Lebensmittel auslösen, oder technischer Artikel, die pünktlich nach Ablauf der Garantie kaputt gehen und nun der ständigen Wartung der Spezialisten bedürfen, wird der Konsument in einen Teufelskreis verstrickt. Er wird an Kredite gebunden, die wiederum Kredite nach sich ziehen, um erstere zu tilgen.
Das ist heute! – oder nicht?

Und was ist morgen?
Diese Frage beantwortet das Autorenduo Frederik Pohl und Cyril M. Kornbluth in seinem Roman „Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute“ (The Space Merchants). Ein Roman, der alle oben angesprochenen Dinge auf satirische Art und Weise voraussagt und dabei den Nagel besser auf den Kopf trifft als so mancher aktuelle Zeitungsartikel. Nichts besonders, denkt man jetzt vielleicht, aber....
...das war 1952!

Das Jahr 2100 ist bereits überschritten, die Bevölkerung der Zukunft besteht nur noch aus Anbietern und Verbrauchern. Es herrscht eine große Kluft zwischen den oberen Zehntausend und dem Rest der Weltbevölkerung. Die einfachen Verbraucher werden quasi zur Verschuldung gezwungen und können nie ihren sklavischen Arbeitsverträgen entrinnen. Nahezu jeder ist Coffiest süchtig, ein legales Kaffeegetränk. Popsie, ein Erfrischungsgetränk, beschleunigt das Verlangen nach Crunchie, Knabberzeugs. Nach dem Genuss von Crunchie verlangt der Körper automatisch nach Starr-Zigaretten, die wiederum mit Popsie am besten schmecken. Derartige Produkte werden von der Fowler Schocken AG beworben, von Werbeexperten wie Mitchell Courtenay, einer der Sterne am Corporate Zukunftshimmel.
Die Erde ist erschöpft, ausgebeutet und überbevölkert. Ein Verlobungsring aus Eichenholz ist ein sündhaft teures Schmuckstück und ein gemieteter Schlafplatz in den Treppenhäusern der Bürogebäude ist ein guter Schlafplatz. Mit Russstöpsel in der Nase ist es möglich, längere Zeit im Freien zu sein, ohne durch den Smog wegzukippen. Synthetisches Fleisch – Chicken Little – dient als Nahrung und wird in Fabriken unter der Erde von der Chlorella Gesellschaft gezüchtet.
Der Plan, die Venus urbar zu machen, liegt als nächstes auf dem Tisch. Damit hat der Wettlauf um den größten Markt aller Zeiten begonnen: einen ganzen Planeten. Mitchell, frisch gebackener Vorsitzender des Fowler Shocken Venusprojekts, hat von nun an alle Hände voll zu tun, nicht nur das Projekt auf erfolgreiche Gleise zu bringen, sondern auch seine zu Ende gehende Ehe zu retten und sich nebenbei der Attacken des verfeindeten Taunton Konzerns zu erwehren. Dieses Konkurrenz-Imperium wird zwar etwas unorthodoxer regiert als Courtenays Firma, ist darum aber nicht weniger mächtig. Mächtig genug, um mal schnell jemanden abzuknallen, der in irgendeiner Weise den Zielen des Unternehmens schaden könnte. Und dieses Ziel heißt auch für Taunton: Venus!
Der Shooting Star wird zur Zielscheibe und die Fowler Schocken AG kann nichts gegen die verschiedenen Attentate, die auf ihn verübt werden unternehmen. Im Kampf um die Venus kann sich Mitch nicht mal ans Gesetz wenden, denn dieses besagt ohnehin: wenn man während einer Industriefehde tötet, ist es nur ein minderes Delikt – tötet man ohne Ankündigung, dann ist das ein Handelsvergehen.
Durch ein Komplott wird er entführt und es verschlägt ihn auf einen Chicken Little Frachter, der sich auf dem Weg nach Costa Rica befindet zu einer Chlorella Fabrik. Seine Identität ist eine andere, seine Kennungstätowierung wurde geändert, niemand glaubt ihm, dass er einer der wichtigsten Führungskräfte Amerikas ist.
Denn Mitchell Courtenay ist offiziell tot.
Unter dem Namen William George Groby lernt er die niedere und hässliche Arbeitswelt der Verbraucher kennen, die er in eigenen Werbetexten als „Sonnen durchtränkte Plantagen Costa Ricas“ beschrieben hatte. Aussichtslos erscheint jeder Versuch, in seine Welt zurückzukehren, bis ihn Herrera, ein Mitglied der geheimen Gegenbewegung anspricht. Die Angehörigen dieser Naturschutzorganisation, kurz Natschus genannt, haben zum Ziel, die Erde von der Unterjochung der Firmen zu befreien und eine „grüne Zukunft“ zu errichten. Mitch tritt den Natschus bei und kann sich durch seine Intelligenz einen Weg zurück nach oben bahnen...


Der Roman hat nach fünf Jahrzehnten nichts von seiner Attraktivität eingebüsst, im Gegenteil: The Space Merchants ist aktueller denn je. Pohl und Kornbluth streuen geschickt ihre Zukunftselemente ein, während sie die Handlung dieses satirischen Wirtschaftsthrillers flott vorantreiben.
Satire? – Ja, denn trotz der erschreckenden Parallelen zur heutigen Zeit, die teilweise stark überzeichnet sind, kommt der Lachmuskel eben aus diesem Grund auch nicht zu kurz bei der Lektüre des Buches.
Die Autoren stellen ein Szenario dar, welches sehr gut Platz findet zwischen Orwells London im Jahre 1984 und Huxleys schöner neuer Welt. Von außen betrachtet eine Welt in der es außer an Ressourcen an nichts mangelt und hinter den Kulissen eine stupide, lethargische und unterdrückte Bevölkerung, ausgebeutet von einer Elite, der jedes Mittel recht ist, um ihre Ziele zu erreichen. So ist auch der Leitspruch der Justiz ein typisches Element in der Welt der „Space Merchants“: „Lieber sollen tausend Unschuldige Unrecht erdulden, als dass ein Schuldiger entkommt!“


Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute
Titel des Originals: The Space Merchants
von Frederik Pohl und Cyril M. Kornbluth
Erschienen 1952

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Bearbeitet von Joe Chip, 02 Februar 2005 - 22:26.

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#2 Sullivan

Sullivan

    Autarchonaut

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Geschrieben 03 Februar 2005 - 10:40

Ich habe das Buch bereits dreimal gelesen (besonders an einem verregneten Wochenenden vergeht die Zeit so unheimlich schnell). Das ist einer der Klassiker, der trotz der Jahrzehnte frisch und aktuell bleibt.Und das schlimme ist, dass Kornbluth und Pohl recht haben...Kennt jemand den Nachfolger ("Merchant War" oder so ähnlich)?Sullivan

#3 Henrik Fisch

Henrik Fisch

    Soeinnaut

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Geschrieben 03 Februar 2005 - 12:39

@Joe Chip:

Ich glaube, ich weiß schon welches Buch ich für die Klassiker-Runde im April vorschlagen werde. Zumindest bei Amazon gibt es auch noch genug Exemplare von dem Werk.

Bis dennen,
Henrik
Gerade fertig gelesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"

#4 Gast_Heidrun Jänchen_*

Gast_Heidrun Jänchen_*
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Geschrieben 06 Februar 2005 - 16:24

Die Fortsetzung heißt "The Merchants' War" und ist 1985 bei Gollancz erschienen. Die Venus ist erfolgreich besiedelt - allerdings von Konsumverweigerern. Es ist außerordentlich erhellend, wie die ihre Waren beschriften: "Diese Tomaten sind heute richtig reif, aber man sollte sie sofort essen, weil sie morgen wahrscheinlich Matsch sind." Die Mechanismen zur Suchterzeugung hat man weiter vervollkommnet - inzwischen gibt es mitten auf dem Fußweg Stellen, auf denen man mit Werbung beschallt wird, die sich direkt ans Unterbewußtsein wendet. Selbsthilfegruppen gelingt es immerhin, eine Sucht durch die nächste zu kurieren.Und mit der neuen Hirnwäsche-Methode hat man auch endlich die Chance, das letzte einigermaßen werbefreie Land der Welt in den globalen Konsum einzubinden: die Mongolei.Das Buch ist eine unmittelbare Fortsetzung der Space Merchants, ebenso interessant und nicht weniger spannend. Ich habe allerdings keine Ahnung, ob es je in Deutschland verlegt wurde. Mein Exemplar habe ich aus einem Antiquariat in Irland.Heidrun

#5 Werner

Werner

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Geschrieben 06 Februar 2005 - 17:24

Die Fortsetzung heißt "The Merchants' War" und ist 1985 bei Gollancz erschienen. ... Ich habe allerdings keine Ahnung, ob es je in Deutschland verlegt wurde.

Wurde es. Ehrbare Kaufleute und ein kleiner Krieg auf der Venus Bastei Lübbe 22085, 1985


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