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[Kurzgeschichte] Das Grab


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12 Antworten in diesem Thema

#1 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 15 Mai 2005 - 21:25

Um diesen "Kurzgeschichtensonntag" schön abzuschliessen, stelle auch ich eine Kurzgeschichte ein. Ich bitte um gnadenlose Kritik und Verbesserungsvorschläge (Lob darf auch).


Das Grab


Ich stand am Grab meines Vaters.
"Ich bin wieder da, Papa", sagte ich.
"Hallo Suzanne", tönte seine Stimme.
"No voice", sagte ich.
Die Stimme - generiert aus früheren Aufnahmen - tönte so echt, so voller Leben, dass es weh tat, auch wenn sie immer nur Banales wie 'ja', 'okay', 'ich liebe dich' oder 'mach dir keine Sorgen' sagte.

"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen."
Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.

Mein Vater hatte ein besonders schönes Grab, wie ich mir immer wehmütig eingestehen musste. Es war belegt worden mit roten Pflastersteinen des Zürcher Paradeplatzes, jenen, die mein Vater als Teenager zu sich genommen hatte, nachdem der Platz asphaltiert worden war.

"Ich mache mir Sorgen um Janice. Sie ist jetzt vierundzwanzig, aber sie macht gar keine Anstalten, einen Mann kennen zu lernen. So in body, meine ich. Dabei darf sie sich ab nächstem Jahr legal befruchten lassen. Aber nein, sie trifft immer nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen."

Ich ließ meinen Blick über die Alpenlandschaft schweifen. Die Berggipfel waren noch mit Schnee bedeckt. Eine Frühlingsbrise strich über meine Haut.
"Dabei hat sie ja nur fünf Jahre die Zeit, um ein Urenkelchen zu machen."

Auf beiden Seiten des Grabsteins war je eine Reihe großer Pflanzentöpfe bogenförmig aufgestellt worden; eine Reihe grenzte an eine mannshohe Hecke, parallel zum Grab; die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte: Ich fühlte mich ausgelaugt.

Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen! Ich bin da etwas altmodisch - so wie du."

Mein Vater hatte Ort und Ausstattung des Grabs selbst festgelegt. Was ich gerade sah, war basiert auf sein erstes (und einziges) Testament, das er im Alter von zweiundvierzig - vierzig Jahre, bevor er starb - hatte aufsetzen lassen.

"Du hattest noch Geschmack, Papa. Und Prinzipien."

Er war sein ganzes Leben gegen die Kremation gewesen und hatte sich ein Begräbnis gewünscht.

"Jetzt muss ich aber schon gehen. Ich darf die S-Bahn nicht verpassen. Glaube mir, in dieser Welt mit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren", sagte ich etwas verbittert. "Du hattest es früher viel einfacher."

Ich tat einen Schritt nach hinten. Die Alpen, das Grab, das Bänklein und die Pflanzen waren weg.
Ich sah aber noch die Urne, bevor die Luke sich schloss.
"Bis in etwa einem halben Jahr, Papa", sagte ich. Ich drehte mich um und verließ die Kabine.

#2 Jueps

Jueps

    Klabauternaut

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Geschrieben 15 Mai 2005 - 22:06

Hallo! Jetzt mal eine Meinung von mir für dich :D
Mir hat deine Geschichte sehr, sehr gut gefallen - wenngleich sie ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch hinterlassen hat...wahrscheinlich deswegen, weil sie ein beklemmendes Bild von einer Welt zeichnet, in der sich Menschen nicht mehr wirklich lieben, und Erinnerungen einfach generiert werden.

Du schaffst es, deine Vision erstaunlich lebhaft (schluck) rüberzubringen. Elegant flechtest du schöne Details ein und deine Zeilen bergen große Emotionen.
Noch dazu hallt der harte Schluss wie Echo im Kopf nach - sehr gelungen.

Nur Folgendes:

"No voice", sagte ich.

Meine Lieblingsstelle des Textes, aber warum bedient Suzanne den Computer auf Englisch? Kontrollieren wir Systeme in Zukunft nicht in unserer Muttersprache?

nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen.

Wiederum eine schöne Idee, aber da klingt was doppelt-gemoppelt. Ich würde letzteres "Philippinen" streichen. Würde genügen.


Ansonsten top, eine meiner neuen Lieblings-KGs!

Bearbeitet von Jueps, 15 Mai 2005 - 22:07.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#3 Frank

Frank

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 10:29

Hallo rock,

"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen." Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.

Verstehe ich nicht. Wo kommt wo was hin? Auf den Grabstein???

So in body, meine ich.

Ist mir zu aufgesetzt.

Aber nein, sie trifft immer nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen.

Philipp, der Philippiner ;)

die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte.

Der, die, das - schnelle kleine Boote. Dieser, jene, welches, alte Kähne mit Muscheln an der Gallionsfigur :D.

Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen!

:lol: Klingt unfreiwillig komisch. :D

Ich drehte mich um und verließ die Kabine.

Schöne Pointe, aber: Deine "Geschichte" liest sich wie eine Mischung aus dem "The Final Cut"-Ende mit Robin Williams und dem "Fortress"-Anfang mit unserem allseits geliebten Highlander. Irgendwie. ;) Überbevölkerung, ein enges Zeitfenster, um Kinder in die Welt zu setzen, virtuelle Partnerschaften etc. Das sind alles Mosaiksteine, die du dir geborgt hast, um eine neues Fenster zu machen, das nicht richtig zusammenpassen will... Gut, was viel schwerer wiegt: Du versuchst, durch einen mehr oder minder funktionalen Dialog die Welt und die Gesellschaft zu beschreiben - das wirkt aufgesetzt und sperrig, niemand redet solche Sätze:

Glaube mir, in dieser Weltmit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren"

Das musst du schon geschickter anstellen, am besten durch HANDLUNG!!! :D Menschen, die sich in die Kabine drängeln oder so... "Beeilung, ich will auch meine Tante Friede besuchen!" ;) Als Intro für eine Story nicht schlecht, als Story selbst ist mir das zu wenig. Liebe Grüße Frank

Bearbeitet von Frank, 16 Mai 2005 - 10:31.

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#4 Rowlf

Rowlf

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 10:59

Moin,ich schließ mich Jueps an. Gefällt mir auch gut (aber schreibt ihr hier immer so kurz? :D Mit etwas mehr Ambiente und Ausarbeitung würde sie mir SEHR gut gefallen.ein paar Dinge sind mir aufgefallen:"...die mein Vater als Teenager zu sich genommen hatte"hört sich an als hätte er die Steine gegessen oder adoptiert.Vorschlag: an sich genommen."war basiert auf sein erstes Testament" basierte auf seinem ersten Testament"Er lebt auf den Philippinen" (Doppelung mit Philippiner)Vorschlag: Er lebt in Manila"in dieser Welt mit seinen 17 Milliarden Menschen "in dieser Welt mit ihren 17 Milliarden Menschen schönen GrußAchim

#5 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 16:44

Ich liebe diesen Versuch schon desshalb, weil er das beinhaltet, was mir sehr, sehr sehr oft in der SF fehlt. Die Verbindung zum wirklichen Leben.Gestorben wird immer wieder, heldenhaft, aber wie ist das in zukünftigen Zeiten wirklich. Wie sehen die Rituale aus, wie wirkt sich das auf das unmittelbare Leben des Otto Normalverbrauchersw aus? Was ändert sich im alltäglichen Leben.Also, mach weiter - Tipps gibt's ja.GrußThomas

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

Blog zur Sekundärliteratur: http://sebesta-seklit.net/

Online-Bibliothek zur Sekundärliteratur: http://www.librarything.de/catalog/t.sebesta

Facebook-Gruppe: https://www.facebook...tik.ge/members/


#6 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 17:44

Hoi, hoi, hoi, da sind schon einige Antworten eingetroffen. Danke schön!
Mal schauen, ob ich dank eurer Hilfe eine reifere Geschichte hinkriege.

@ Rowlf

Danke für die Deutschkorrektur! Diese Kurzgeschichte ist nämlich wirklich in mein allerbestes Deutsch (beim Schreiben im Forum, schreibe ich dagegen einfach los). Da sehe ich wieder, dass ich doch noch nicht gut genug bin. Ich muss halt weiterhin jeden "offiziellen" Text korrigieren/lektorieren lassen.
Auch ist dies für mich ein weiteres Zeichen, dass ich längere Texte in Niederländisch schreiben soll.
Es bringt allerdings schon was Kurzgeschichten in einer Fremdsprache zu schreiben, denn schon mit deinen wenigen Korrekturen sehe ich gleich, wo meine heutigen Schwächen liegen.

schreibt ihr hier immer so kurz?

Ehrlich gesagt, bin ich sehr stolz auf mich selbst, dass ich es endlich schaffe, kurze Geschichten zu schreiben. Früher kam ich selten unter 12 Seiten.

Jueps bemerkt:

QUOTE 
nur John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen. Ich glaube nicht, dass der sich auf einer dieser langen Flugwartelisten setzen lässt, um sie wirklich zu treffen.


Wiederum eine schöne Idee, aber da klingt was doppelt-gemoppelt. Ich würde letzteres "Philippinen" streichen.

Jetzt sieht man mal wieder, wie wichtig es ist, um seine Sachen von Leuten durchlesen zu lassen: Ich wäre alleine nie draufgekommen, dass hier ein Fehler vorliegt. Beim Einstellen ist übrigens die Kursivschrift rausgefallen. Ich hatte im Original "lebt" als einziges Wort kursiv geschrieben. Es stand also da:

... John, diesen Philippiner, im Virtualnet. Er lebt auf den Philippinen.

Ich hatte dies so gemacht, weil ich klar machen wollte, dass John sehr weit weg wohnt (und nicht etwa ein ausgewanderter Philippiner ist).

Aber natürlich hast du Recht! Es ist unschön.

Ich streiche den zweiten Satz und schreibe den ersten Satz wie folgt:

... John, diesen Philippiner von Manila, im Virtualnet.

und schon ist die Sache elegant gelöst.

(Rowlf kam auch schon mit einer ähnlichen Lösung)


QUOTE
"No voice", sagte ich.

Meine Lieblingsstelle des Textes, aber warum bedient Suzanne den Computer auf Englisch? Kontrollieren wir Systeme in Zukunft nicht in unserer Muttersprache?


Mmmh, deine Lieblingsstelle.

Schauen wir uns mal diese Szene (die Anfangsszene) an.

Ich stand am Grab meines Vaters.
"Ich bin wieder da, Papa", sagte ich.
"Hallo Suzanne", tönte seine Stimme.
"No voice", sagte ich.
Die Stimme - generiert aus früheren Aufnahmen - tönte so echt ...


(Ich überlege mir jetzt, ob ich nicht "Seine Stimme" schreiben soll)

Okay, wir sind in der Zukunft - und die Verenglischung hat ziemlich um sich geschlagen.


Hintergrund 1: Bei dieser Geschichte versuche ich die veränderte Sprache zu zeigen (damit jedermann sofort versteht, dass wir in der Zukunft sind).

Hintergrund 2: Als es sich erstmals durchsetzte, Computer mit der Stimme zu bedienen, hat man gleich englische Basisbefehle eingeführt.

Hintergrund 3: Ich zeige gleich am Anfang einen englischen Ausdruck, damit die Leser nicht über ungewohnte Bezeichnungen, wie "Bauchsack" und "in body", fallen.


Jetzt aber, fällt dir Jueps, dies als unschön auf. Was tun?


Überlegung 1) (für mich selbst): In den künftigen Kurzgeschichten keine Sprachexperimente mehr durchführen! Es wird immer Leute geben, die darüber fallen und meine Geschichten deshalb nicht mögen. So eliminiert man die Anzahl der Leser ...

Überlegung 2) (für die vorliegende KG): Ich kann natürlich "keine Stimme, bitte" schreiben, aber dann ... siehe Hintergründe. Vielleicht ändere ich aber das Englisch ab? Damit es weniger hart tönt? Wie wäre es mit "no sound" ? Oder mit einem Sprachmix: "sound weg" oder "sound abschalten, bitte" ?



Okay, jetzt zu Franks Kommentaren ... (Uff, ächz, Stöhn, entspann dich, Henk, offen stehen für Kritik, offen stehen für Kritik, entspann dich, entspanne, beruhige dich, löse langsam die Finger vom Tisch, akzeptiere die Kritik, akzeptiere sie).


QUOTE
"Ich habe ein Foto von Janice und mir mitgenommen."Ich zog eine Pic-Falte aus meinem Bauchsack und klickte das Foto von meiner Tochter und mir an. Das Bild erschien auf der linken oberen Seite des Granitgrabsteins, das Dutzend anderer Bilder rutschte einen Platz.


Verstehe ich nicht. Wo kommt wo was hin? Auf den Grabstein???

Ja, das Foto kommt auf den Grabstein. Das ist doch ganz logisch, oder? Die Fotos, die schon vorhin auf dem Grabstein waren, rutschen einen Platz. Hast du noch nie einen Grabstein mit einem Foto gesehen? Hast du noch nie auf deinem Compi Fotos hin und her geschoben?

Okay, ich weiss - dies ist verwirrend.

Aber das ist halt so eine Entscheidung. Ich nenne es die "Staubsauger"-Entscheidung.

Nehmen wir mal an, ich würde eine Kurzgeschichte schreiben, in der eine Hausfrau die Wohnung sauber macht. Sie nehmt den Staubsauger, fängt an zu saugen und findet unter dem Teppich ein Pornoheft. Erkläre ich da, wie der Staubsauger funktioniert? Gebe ich eine technische Erklärung? Nein, denn der Leser UND die Hausfrau wissen, wie ein Staubsauger funktioniert.

Nehmen wir jetzt mal an, ich wäre ein Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert. Ich nehme Feder und Tintengefäss, und schreibe eine Story über eine Frau im 21. Jahrhundert, die einen Staubsauger benutzt. Schreibe ich jetzt eine Erklärung, wie der Staubsauger funktioniert oder lass ich die gute Frau in Ruhe ihre Arbeit machen, bis sie eine merkwürdige Kladde findet - und ich erkläre diese Kladde - bestenfalls durch Handlung, durch die Schockierung der Dame?
Es ist eine Entscheidung: Der Leser kennt den Staubsauger nicht, die Hausfrau (und bis zu einem gewissen Grad auch der Autor) aber wohl. Weil das Heft wichtiger als der Staubsauger ist, erkläre ich nur das Heft ...

Und nehmen wir jetzt wieder den Normalfall an.

Ich sitze jetzt in 2005 über einen Tisch gebogen und versuche ein Ereignis der Zukunft zu schildern. Ein merkwürdiges Gerät taucht auf. Eine Person der Zukunft kennt das Gerät und würde niemals gross Gedanken daran verschwenden, sondern das Gerät einfach benutzen. Was das Gerät dann aber tut, schreibe ich und sollte somit für den Leser klar sein.
Ich bevorzuge diese Arbeitsweise.

Ehrlich gesagt, möchte ich in "das Grab" sogar ein bisschen verwirren. Der Leser soll nicht sofort bemerken, dass Suzanne eine virtuelle Realität vor sich sieht, er soll denken, dass es auf die zukünftigen Grabsteine eine Fläche gibt, auf die man Fotos projektieren kann.

Somit bin ich offen für einen Vorschlag, wie man "diese Sache mit der Projektierfläche auf dem Grabstein" bessern kann, aber ich frage mich auch, ob ich die Stelle nicht einfach so stehen lassen soll und die Vorstellungskraft des Lesers etwas Kredit gewähre.

QUOTE
So in body, meine ich.


Ist mir zu aufgesetzt.

Das ist das Problem mit dieser Englisch-Zukunftsprache. Es gefällt nicht. Siehe oben. Ich verspreche Besserung.


QUOTE
die andere reichte bis zu einem grünen Holzbänkchen, auf welches ich mich am liebsten gesetzt hätte.

Der, die, das - schnelle kleine Boote. Dieser, jene, welches, alte Kähne mit Muscheln an der Gallionsfigur

Tatsächlich habe ich so meine Mühe um "Umgebung" zu schreiben. Meistens versuche ich, die Umwelt in Handlung zu verpacken.
Also nicht: Links stand ein Bänkchen, rechts gab es ein gelbes Blumenbeet.
Sondern: Hans wollte Marie unbedingt heute küssen. Marie wollte Hans endlich sagen, dass sie niemals seine Freundin werden wollte. Sie setzten sich auf das alte Parkbänkchen. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt", dachten beide.
In dieser Geschichte war's besonders schwer. Es gibt ein besonders schönes Grab - hergestellt nach den Wünschen des Verblichenen. Also MUSS ich das Grab beschreiben, aber weil es eine virtuelle Umgebung ist, habe ich nur limitierte Handlungsmöglichkeiten.

Weiss jemand, wie ich es besser (weniger schwülstig) machen kann? Vorschläge?


QUOTE
Ich seufzte und sagte: "Hoffentlich lässt sie nicht John seinen Samen schicken! Ich will meinen 'Schwiegersohn' persönlich kennen!

Klingt unfreiwillig komisch.

Das verstehe ich jetzt nicht. Ist doch ein gelungener Satz?

Überbevölkerung, ein enges Zeitfenster, um Kinder in die Welt zu setzen, virtuelle Partnerschaften etc. Das sind alles Mosaiksteine, die du dir geborgt hast, um eine neues Fenster zu machen, das nicht richtig zusammenpassen will...

Ich habe wirklich gegrübelt über deine Bemerkung und ich kann schliesslich nur sagen: we agree to disagree. Für mich behält meine Story eine komplette und zusammenpassende Welt. Was vielleicht in die Hose gegangen ist, ist mein Unvermögen, diese Welt gut zu schildern.



niemand redet solche Sätze:


QUOTE
Glaube mir, in dieser Weltmit seinen 17 Milliarden Menschen ist es nicht sehr einfach, einen Sitzplatz zu reservieren"


Wirklich nicht? Ich finde diesen Satz sehr natürlich. Ich rede solche Sätze ... jedenfalls gegen vor langer Zeit gestorbenen Leuten an ihren Gräbern.

Auch fand ich dieser Satz treffend, um in Dialog gleichzeitig zu zeigen, weshalb sie schon jetzt gehen muss und dass die Welt überbevölkert ist.

Dialog statt Handlung? Nun, du schreibst:


Du versuchst, durch einen mehr oder minder funktionalen Dialog die Welt und die Gesellschaft zu beschreiben - das wirkt aufgesetzt und sperrig

und

Das musst du schon geschickter anstellen, am besten durch HANDLUNG!!!

Rowlf nennt dies:

mehr Ambiente und Ausarbeitung


Eigentlich bin ich vom "Konzept der Handlung" (show don't tell) überzeugt. Sehr oft schreibe ich auch so. Es geht aber auch anders. Man kann Handlung auch in Dialog widerspiegeln. Es gibt Kurzgeschichten, in welchen dies sehr wohl klappt. Ich habe absichtlich (!) versucht, die Handlung in den Dialog zu bringen.
Ich wundere mich nun: Habe ich einfach versagt und soll ich nun diesen Stil mehr üben oder soll ich rückkehren zur guten alten Handlung? Oder könnte es vielleicht sein, dass wir alle so auf die Handlungsstilregel fixiert sind, dass wir gar nicht mehr sehen, dass es auch anders geht?

t. sebesta schreibt:

Ich liebe diesen Versuch schon desshalb, weil er das beinhaltet, was mir sehr, sehr sehr oft in der SF fehlt. Die Verbindung zum wirklichen Leben.

Danke für das Kompliment, Thomas. Ja, auch wenn ich machmal in Verführung gerate, etwas Marktgerechtes zu schreiben, gebe meistens meine Erzählungen einen Inhalt, meine Ansichten oder Vorstellungen mit.

#7 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:01

Menschen, die sich in die Kabine drängeln oder so... "Beeilung, ich will auch meine Tante Friede besuchen!"

Ach ja, dieses "Eindrängeln" gefällt mir. Passt gut zu meiner übervölkerten Welt und damit gibt es einen weiteren Grund, weshalb Suzanne früh gehen muss. Der Satz über das Sitzplatzreservieren könnte somit wegfallen. Nur sollte die Pointe nicht vorverlegt werden - aber das kriege ich schon noch hin. Bei Gelegenheit werde ich mit allen Vorschlägen ein bissel rumspielen und mal schauen, was rauskommt.

#8 Frank

Frank

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:14

Eigentlich bin ich vom "Konzept der Handlung" (show don't tell) überzeugt. Sehr oft schreibe ich auch so. Es geht aber auch anders. Man kann Handlung auch in Dialog widerspiegeln. Es gibt Kurzgeschichten, in welchen dies sehr wohl klappt. Ich habe absichtlich (!) versucht, die Handlung in den Dialog zu bringen.

Schon klar, aber es wirkt halt aufgesetzt. Ich zeige dir mal einen funktionalen Dialog von mir, der auch nicht funktioniert hat. Er stammt aus einer frühen Version von "Byte the Vampire" (habe ich für den Cyberpunk-Contest geschrieben). Damit wollte ich Pocorns Zuhälter beschreiben, der in einer mittlerweile gestrichenen Szene aufgetaucht ist:

Nebel aus Chemikalien und Dampf steigen von den Bordsteinen auf. An einer Hauswand strahlt Liebesreklame, fast sakral in hellen, purpurnen Tönen. Mädchen stehen davor und warten auf Kundschaft, jedes mit einer Tätowierung am Bein - Klapperschlangen, Mambas und Vipern. "Was für ne miese Nacht", raunt eine dickere Hure, deren Brüste bei jedem Wort schaukeln. "Mir steckt heute keiner was rein." Sie schaut zu einer Nische und winkt. "Hey, Popcorn, laß es! Bei dem Regen kannst du deine Ritter vergessen!" "Ich mach noch zwei Stunden!", ruft Popcorn zurück. "Kennst doch Que, wenn ich mit weniger als 200 aufkreuze, wird der paranoid!" "Wo ist der Rest, du Dreckstück? Wo hast du die Kohle versteckt?", zischt eine Asiatin in einem olivgrünen Plastikkleid. "Der totale Kontrollfreak." "Ist er." Popcorn betastet einen blauen Fleck auf der Schulter. "Aber du weißt, was passiert." Neue Dampfwolken wehen herüber und verhüllen die Sicht, nur Silhouetten, rot und weiß. "Ja, der hat schnell den Taser parat!", schallt eine Stimme von den Wänden zurück. "Wenn wir nicht - hey, da steht irgendwer!"

Und hier die ursprüngliche Szene dazu:

Die gefiederte Schlange, ein Bordell für alle Preisklassen, edel bis schnell. Quetzalcoatl führt seinen Laden mit paranoider Härte, hastig reißt er eine der Mamba-Türen auf und marschiert zu Popcorn ins Zimmer. Sie liegt auf dem Bett und raucht; der letzte Freier ist gerade gegangen. "Wo hast du die Kohle versteckt?!", schreit der Bordellbesitzer sie an. "Soll ich den Taser rausholen?!" "Da liegt es", seufzt Popcorn, müde auf einen Plastiktisch zeigend. "Nur 300 Mäuse?" Er greift nach dem Geld. "Und wo ist der Rest?" "Echt, Que, dein Kontrollzwang bringt dich noch um!" "Halt's Maul", brüllt er zur Antwort und zieht den Taser aus der Tasche. "Von dir laß ich mich nicht verarschen!" Blaue Blitze knistern auf den Metallstäben, als Quetzalcoatl den seitlichen Auslöser drückt und die Schockwaffe vorstreckt. "Wo willst du's diesmal hinhaben?!" "Ist das Mädchen frei?", krächzt eine kehlige Stimme hinter ihm. Quetzalcoatl wirbelt herum und läßt langsam den Taser sinken. "Klar, frisch gewaschen." "Dann laß uns allein", fordert der Mann mit den langen, silbernen Haaren; Raven.

Verständlicher? Über sowas reden diese (meine) Huren nicht, die kuschen und halten die Klappe.
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#9 Jueps

Jueps

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:16

Hi Henk,
vorab zu...

Da sehe ich wieder, dass ich doch noch nicht gut genug bin. [...] Es bringt allerdings schon was Kurzgeschichten in einer Fremdsprache zu schreiben, denn schon mit deinen wenigen Korrekturen sehe ich gleich, wo meine heutigen Schwächen liegen.

Quark - dein Deutsch ist (fast) makellos - nur an ein, zwei Formulierungen erkennt man noch, dass du kein Muttersprachler bist.

.. John, diesen Philippiner von Manila, im Virtualnet.

Mit "aus Manila" wäre es noch eleganter ;) Am besten fände ich es aber, wenn du einfach schreibst: "John, diesen Jungen aus Manila". Das klingt natürlich und bringt alle nötigen Informationen.

Damit es weniger hart tönt? Wie wäre es mit "no sound" ? Oder mit einem Sprachmix: "sound weg" oder "sound abschalten, bitte" ?

Bitte nicht! Dann lieber "no voice"! Das klingt nämlich (i) melodischer und (ii) wäre es wohl die logische Schlussfolgerung, wenn die Kabine englisch zu bedienen wäre.
Aber beachte mal: Diese Kabine ist eine öffentliche Dienstleistung. Jemand hat sie doch errichtet, um Geld zu verdienen, oder? Dieser Jemand kann sich - schon rein wirtschaftlich - nicht darauf verlassen, dass jeder deutsche Kunde die andere Sprache beherrscht. Das ist einfach nicht logisch. Eine alte Oma will per Holokabine ihren verstorbenen Mann im alten Wohnzimmer besuchen. Muss sie jetzt extra "nou wois" oder "Änta se ruhm" lernen, um dies zu tun und schließlich dafür zu bezahlen? Ist das Windows von übermorgen englisch?
Ich glaube nicht.

Ich überlege mir jetzt, ob ich nicht "Seine Stimme" schreiben soll

Nein, denn es ist nicht wirklich seine Stimme.

Also MUSS ich das Grab beschreiben, aber weil es eine virtuelle Umgebung ist, habe ich nur limitierte Handlungsmöglichkeiten.
Weiss jemand, wie ich es besser (weniger schwülstig) machen kann? Vorschläge?

Ich fand es gut, wie du es gemacht hast. Ich würde es so lassen [Ich persönlich finde auch "welches" in Ordnung.]

Das verstehe ich jetzt nicht. Ist doch ein gelungener Satz?

Und noch einmal versuche ich als Amateur dem Profi Frank zu widersprechen :)
Klar ist Handlung meist fesselnder, aber die Grundgeschichte ist hier: Suzanne in der Kabine. Würden sich jetzt wieder Fremde in diese und damit in die Geschichte drängeln, wird der Fokus vom Wesentlichen Inhalt abgelenkt.
Mir gefällt der Satz wie er ist. Suzanne sieht auf das Grab, und lächelt: "Du weißt ja, wie schwer es heutzutage ist..." Nichts zu beanstanden.

Wahrscheinlich hat Frank hier recht, aber meine Meinung steht. ;)

Bearbeitet von Jueps, 16 Mai 2005 - 18:24.

»Ich bin nicht besonders helle, und es dauert ein bißchen, bis ich etwas kapiere. Aber wenn du mir Zeit läßt, dann werde ich lernen, dich besser zu verstehen als irgend jemand sonst auf der Welt.«


#10 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 16 Mai 2005 - 18:24

"Über sowas reden meine Huren nicht, die kuschen und halten die Klappe."Uff, dies ist mit Abstand der beste Satz, je in diesem Forum geschrieben. Mit diesem Wissen gehe ich nun in die Stadt, ein Bierchen trinken.

#11 rockmysoul67

rockmysoul67

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Geschrieben 21 Mai 2005 - 11:47

Ich habe inzwischen entdeckt, dass es ein neues Genre gibt, die solche kürzesten Kurzgeschichten "Flash Fiction" oder "Flash Stories" nennt. Das Prinzip ist eine komplette Erzählung (nicht nur eine Idee oder ein Gefühl) mit 100 bis 1000 Worten zu schreiben. Diese Stories scheinen nicht nur populär zu sein, sondern auch aus einer Notwendigkeit hervor gekommen zu sein. Das Internet bietet auf einer Webseite nur "Platz" für eine Seite, wenn man nicht bis in aller Ewigkeit scrollen oder linken möchte. Macht Sinn, finde ich ...Jetzt, wo ich einen theoretischen Hintergrund gefunden habe, fühle ich mich gestärkt in der Richtigkeit meiner Kürzestgeschichtchen ... äh Flashstories, meine ich. (Ich habe noch mehrere.) In Zukunft werde ich bewusster schauen, welche Länge zu welcher Kurzgeschichte am besten passt. "Das Grab" lasse ich wahrscheinlich kurz, werde aber ein paar Kleinigkeiten ausbessern.

#12 Frank

Frank

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Geschrieben 22 Mai 2005 - 12:21

Soweit ich weiß, heißen die Dinger "Drabbles." Aber denk dran: Je kürzer die Story bei einer guten Idee, desto unbefriedigter wird der Leser zurückgelassen. (Alles schon zig fach ausprobiert :P). Und: Die Stories blieben in der Regel nicht hängen...Grüße

Bearbeitet von Frank, 22 Mai 2005 - 12:22.

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#13 Sandnix

Sandnix

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Geschrieben 12 Juli 2005 - 07:01

Hi Hab die Geschichte schon vor ner ganzen Weile gelesen und ich weiß noch, dass die Idee mir zwar zusagte, aber alles etwas zu kurz war und etwas an Atmosphäre fehlte. Ansonsten wurde ja schon fast alles gesagt von meinen Vorrednern :rolleyes: Nur ein Wort noch zu den "Flashstories": Ich gehe bei Büchern manchmal auch nach der Seitenzahl, nicht nur nach dem Cover. Aus den Regalen nehme ich eher dicke Bücher als die dünnen Minis, da ich gerne in Büchern versinke und bei so nem kleinen Teil hab ich keinen halben Tag was davon :D Bei Kurzgeschichten ist das sicher noch schlimmer. In den Kurzgeschichtensammlungen (man verzeihe mir mein Halbwissen, aber sind das Antalogien?) die ich bisher gelesen habe, zählten die längeren KGs eindeutig zu den besseren, gleiches gilt für die Geschichten, die ich hier und auf kurzgeschichten.de schon gelesen habe. Man kann bei einer längeren Story viel schöner "versinken" und hat einen bleibenderen Eindruck. Ausnahme ist hier ganz eindeutig das Werk "Proteus" von Frank/Dante (falls du dort mal vorbeischaust, im S-F Bereich bei den neueren Stories), was wohl für dich interessant wäre wenn du es kurz magst ;) Gruß und wenn du Zeit und Lust hast: Ich hab "Der Flüchtling" überarbeitet http://www.scifinet....tyle_emoticons/default/cool.png


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