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Tod im Briefkasten


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8 Antworten in diesem Thema

#1 Valerie J. Long

Valerie J. Long

    Passionaut

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Geschrieben 15 Februar 2013 - 10:12

Vorbemerkung: Die Inspiration zu diesem Fortsetzungsroman verdanke ich einer verlorengegangenen Büchersendung. Die erste Folge entstand spontan als Antwort in jenem Faden. Da es zumindest einen Interessenten für die Fortsetzung gab, habe ich den Faden fortgesponnen - nur jetzt separat. Hier noch einmal der (schon bekannte) Anfang.

@Mods: wenn es eine passendere Rubrik gibt, verschiebt diesen Faden gern weiter.

Tod im Briefkasten

1


Missmutig betrachtete ich den Briefkasten für mein Apartment. Schon wieder hatte der Postbote versucht, einen viel zu dicken Umschlag durch den schmalen Schlitz zu quetschen, und nun durfte ich versuchen, diesen irgendwie herausgezerrt zu bekommen. Wie oft hatte ich schon darum gebeten, solche Sendungen doch lieber beim Nachbarn abzugeben?
Oder war wieder einmal eine Aushilfe unterwegs?
So oder so: Hier bleiben konnte der Umschlag nicht. Also packte ich ihn von zwei Seiten und zerrte.
Er gab nach, ich hörte ein Reißen, und dann hielt ich den Rest des braunen Papiers in der Hand, während etwas Schweres zu Boden polterte.
Ich sah hinab. Vor meinen Füßen lag ein kleines Tonbandgerät, in Bläschenfolie eingewickelt. Wer verschickt denn so was? dachte ich und drehte den Umschlag um. Meine Adresse, gedruckt auf einen Aufkleber, aber kein Absender.
Ein antiquiertes Gerät und ein anonymer Umschlag ohne sonstigen Inhalt -- das wird ja immer mysteriöser, dachte ich. Dann hob ich das Folienpäckchen auf. Nach einem kurzen Blick in meinen ansonsten leeren Briefkasten wandte ich mich zur Treppe.

Meine Handtasche flog in die Ecke, ich kickte die Slipper von meinen Füßen, dann eilte ich in die Küche. Zuerst kam der gewohnte Druck auf den Schalter meines Kaffeeautomaten, dann holte ich eine Schere hervor und schnitt die Folie auf.
Auf dem Tonbandgerät klebte ein kleiner gelber Zettel:
V.
Ein Knopf war mit einem roten Lackpunkt markiert. Leute, den Startknopf finde ich auch noch selbst, sagte ich mir, dann ließ ich das Band loslaufen.
"Guten Morgen, Frau Long", sagte eine Männerstimme. "Ihr Ziel, sollten Sie diesen Auftrag annehmen, heißt Jonathan Smithson. Herr Smithson wird heute Abend mit dem letzten Flug aus Paris eintreffen und die Nacht im Sheraton am Flughafen verbringen, bevor er am nächsten Tag nach Dubai weiterreist. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass er dort niemals eintrifft und keine Gelegenheit mehr hat, mit jemandem zu sprechen. Alle übrigen Details überlassen wir Ihren kundigen Händen."
Das klang wie ein Mordauftrag -- aber wieso ich? Das Band war an mich gerichtet, keine Frage, aber Mord? Wer beauftragte denn eine Schriftstellerin? Und was sollte der Satz mit den kundigen Händen?
"Sollten Sie bei der Erfüllung Ihres Auftrags entdeckt werden, müssten wir jede Verbindung zu Ihnen leugnen. Sie sind auf sich allein gestellt. Dieses Band wird sich in fünf Sekunden selbst zerstören. Viel Glück, Frau Long."
Ein leises Zischen und ein kleines weißes Rauchwölkchen zeugten vom Erfolg der angekündigten Maßnahme. Ich starrte auf das antiquierte Gerät in meiner Hand. Was passierte hier gerade?

2


Die Wärme des Kaffeebechers in meinen Händen tat gut. Doch hatte ich vergeblich gehofft, dass der aromatische Duft mich auf andere Gedanken bringen würde. Immer wieder wanderte mein Blick zu dem jetzt nutzlosen Tonbandgerät.
Wer war der Absender? Warum ich? Warum ein Mordauftrag? Warum hatte man diese Methode der Benachrichtigung gewählt, die mich sicher nicht zufällig an eine alte Fernsehserie erinnern sollte? War allein dies schon ein Hinweis?
Lag vielleicht eine Verwechslung vor? Aber wie viele Personen mit meinem Namen gab es in Wiesbaden und Umgebung schon?
Konnte das Ziel meines Auftrags mir mehr Aufschluss geben? Wer war dieser Jonathan Smithson? Was wusste Herr Smithson, das nicht weitererzählt werden durfte? Und wieso glaubte mein unbekannter Auftraggeber, dass dieser Name mit der sehr knappen Angabe zu Flug und Hotel mir reichen würde, diesen Mann zu identifizieren?
Was sollte ich jetzt tun?
Natürlich konnte ich die Nachricht einfach ignorieren. Vielleicht war es ja einfach nur ein schlechter Scherz, auch wenn ich dies nicht lustig fand. Oder es war kein Scherz, sondern ein geplantes Verbrechen, und Herr Smithson hatte Glück, dass ich eben keine Berufskillerin war.
Oder war es doch eine Geheimdienstmaßnahme, die gut begründet war? Was, wenn Herr Smithson ein Verbrecher war? Dann war es immer noch Aufgabe der Polizei, sich um ihn zu kümmern.
Nur war es nicht strafbar, mit einem Kopf voller Geheimnisse von Paris über Frankfurt nach Kairo zu fliegen. Wenn überhaupt, war erst die Weitergabe von Geheimnissen strafbar, aber erst, nachdem sie erfolgt war – und dann wäre es zu spät.
Überhaupt, die Polizei. Sollte ich mich nicht dorthin wenden? Nur womit? Das Band war zerstört. Der Mordauftrag existierte nur noch in meinem Kopf, ich hatte also keine Beweise. Man würde mir womöglich nur eine blühende Fantasie vorwerfen. War das der Grund für die Fernsehserienmethode?
Zu wenig Input. Ich stellte meinen Kaffee ab und zückte mein Smartphone. Was wusste das Internet denn über einen Herrn Jonathan Smithson?
Der Mann hatte sogar einen eigenen Wiki-Eintrag. Physiker, Science-Fiction-Autor, geboren 1929, gestorben 1983. Erschossen nach der Ankunft am Frankfurter Flughafen während einer Reise von Paris nach Kairo.

#2 Gen. Bully

Gen. Bully

    Perrynaut

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Geschrieben 15 Februar 2013 - 17:55

Eingefügtes Bild
"Es gibt 5 Arten der Lüge: die gewöhnliche Lüge, den Wetterbericht, die Statistik, die diplomatische Note und das amtliche Kommuniqué" George Bernhard Shaw
"Bazinga!"

#3 Schlomo

Schlomo

    Temponaut

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Geschrieben 15 Februar 2013 - 17:57

Genial! Da kommt sofort Spannung auf! MEHR!!!!

Schalom,

Schlomo

#no13

  • (Buch) gerade am lesen:Unitall 24: Der Flug der SPACE QUEEN
  • (Buch) als nächstes geplant:Ren Dhark 46: Geheimsache Schweres Wasser
  • • (Buch) Neuerwerbung: RD46 und U24
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#4 Trurl

Trurl

    Phanto-Lemchen

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Geschrieben 15 Februar 2013 - 18:38

Mme Cobra übernehmen sie! Eingefügtes Bild Eingefügtes Bild

LG Trurl
»Schau dir diese Welt nur richtig an, wie durchsiebt mit riesigen, klaffenden Löchern sie ist, wie voll von Nichts, einem Nichts, das die gähnenden Abgründe zwischen den Sternen ausfüllt; wie alles um uns herum mit diesem Nichts gepolstert ist, das finster hinter jedem Stück Materie lauert.«

Wie die Welt noch einmal davonkam, aus Stanislaw Lem Kyberiade
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  • • (Buch) Neuerwerbung: Ramez Naam - Crux, Joe R. Lansdale - Blutiges Echo
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#5 howdy10

howdy10

    Illuminaut

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Geschrieben 16 Februar 2013 - 14:52

Super Eingefügtes Bild
Aber: Es geschieht weil es geschah? Eingefügtes Bild
Ein Fan-Fiction-Projekt, das einen Blick wert ist:
Eingefügtes Bild
Mehr auf:
http://www.scifinet....on-neo-pra-neo/
http://www.scifinet....nische-formate/

#6 Valerie J. Long

Valerie J. Long

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Geschrieben 16 Februar 2013 - 17:26

Ich arbeite dran Eingefügtes Bild

#7 †  a3kHH

†  a3kHH

    Applicant for Minion status in the Evil League of Evil

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Geschrieben 17 Februar 2013 - 09:19

*VJL-Romane vorziehen*

#8 Valerie J. Long

Valerie J. Long

    Passionaut

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Geschrieben 18 Februar 2013 - 19:06

3


Für einen Moment gestattete ich mir Erleichterung, lehnte mich zurück und trank einen Schluck Kaffee. Der Mann war seit dreißig Jahren tot, also brauchte ich mir keine Gedanken mehr über den ominösen Mordauftrag zu machen. Wenn ich eines nicht hatte, dann Zeitdruck.
Halt.
Die Frage, wer mir den Auftrag geschickt hatte, war noch ungeklärt – ebenso ungeklärt wie der Tod des Herrn Smithson, wenn ich dem Wiki-Eintrag glauben durfte. Vom Täter hatte man damals keine Spur gefunden. Der Tod meines Autorenkollegen war unaufgeklärt geblieben.
Wollte vielleicht jemand meine Neugier wecken? Das zwar dem Unbekannten zweifellos gelungen. Warum war der Autor erschossen worden, und warum gerade in meiner Nähe?
Ha, klar – er war natürlich erschossen worden, weil er sein Wissen in Kairo nicht weitergeben sollte. Welches Wissen?
Smithson hatte zwei Science-Fiction-Bücher geschrieben: Unscharf und Untot. Keines der beiden war als E-Buch verfügbar, und laut mehrerer Anbieter war auch die Druckversion vergriffen. Sie wurden nicht einmal gebraucht angeboten. Wie sah es denn mit einer englischsprachigen Ausgabe aus? Fehlanzeige. Oder in Französisch?
Mein Französisch reichte gerade aus, um zu verstehen, dass auch dieses Buch nicht lieferbar war – aber hier gab es wenigstens einen Klappentext.
Für Unscharf nahm dieser Bezug auf Heisenberg – von diesem hatte ich schon gehört – und beschrieb irgendetwas von der Wahrscheinlichkeit, einen bestimmten Gegenstand zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort anzutreffen – oder woanders. Was, wenn dieser Gegenstand eine Bombe war?
Untot war die Fortsetzung und spann den Faden weiter. Wie sah es denn aus, wenn man die gleichen physikalischen Effekte auf Menschen anwendete?
Er hatte also über Teleportation fabuliert. Wie sah es mit seinen wissenschaftlichen Werken aus?
Der Titel seiner Diplomarbeit lautete: Wahrscheinlichkeitsrechnung und Lokalisierung von Leptonen. Das klang weit weniger spannend als der Klappentext seiner Bücher.
Promoviert hatte er über das Thema: Auflösung der Robertsonschen Verallgemeinerung der Heisenbergschen Unschärferelation nach t, und deren Korollare.
Aus dem Jahr 1981 gab es noch einen letzten Forschungsbericht: Wahrscheinlichkeitsrechnung und Lokalisierung von Leptonen wiederaufgegriffen – chronoskopischer Korollar.
Leptonen waren eine Klasse von Elementarteilchen und keine Außerirdischen, soviel wusste ich. Trotzdem – hätte der Kerl nicht Maler oder Sänger sein können? Warum musste es ausgerechnet ein Teilchenphysiker sein?
Mein Kaffee war kalt geworden.

Bearbeitet von Valerie J. Long, 18 Februar 2013 - 19:08.


#9 Valerie J. Long

Valerie J. Long

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Geschrieben 20 Februar 2013 - 07:43

4

Zum dritten Mal an diesem Abend musste ich ein Gähnen unterdrücken. Wie konnte jemand, der derart trockenes und einschläferndes Zeug schrieb, erfolgreicher Science-Fiction-Autor werden?
Vielleicht waren seine Romane ja besser – nur wäre ich an diese nicht mehr so schnell herangekommen. Online verfügbar waren nur seine formelüberladenen Forschungsberichte, und die schienen mir eher bewusst abschreckend formuliert. Das schien mir nicht ganz der richtige Weg zu sein, in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu punkten.
Zu meinem großen Glück hatten seine wissenschaftlichen Mitarbeiter, ebenso wie einige Forscherkollegen, diesen Ansatz nicht. Sie hatten sich nicht nur die Mühe gemacht, seine Arbeiten zu lesen, zu verstehen und zu zitieren – übrigens unter korrekter Quellenangabe – sondern hatten die grundlegenden Aussagen auch noch einmal mit eigenen Worten und damit verständlicher formuliert.
Aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation konnte man für ein einzelnes Elementarteilchen nur Position oder Impuls genau bestimmen. Die Aussage war allgemeiner gefasst, aber dies war der Aspekt, den Smithson in seiner Arbeit hervorhob. Für die ungenaue Bestimmung des jeweils unscharfen Merkmals hatte er sich jedoch zusätzlich Gedanken über statistische Methoden gemacht und diese in aller Breite ausgewalzt.
Spätere Kommentare interpretierten seinen Ansatz dahingehend, dass man nicht nur mit zunehmender Zahl von Messungen eine genauere Bestimmung von Position und Impuls vornehmen konnte, sondern dass - bei weitgehendem Ausschluss von Messmöglichkeiten – ein Elementarteilchen theoretisch auch eine unwahrscheinliche Position oder einen unwahrscheinlichen Impuls annehmen könnte.
„Zur Hölle damit!“ entfuhr es mir, und ich schnippte die Quelle beiseite. Ich fühlte plötzlich das dringende Bedürfnis, Baals Garde niederzumetzeln – zumal die Flasche Hochheimer Hölle Spätlese trocken längst geleert war.
Bevor ich meinem Drang nachgeben und den Tablet-Computer gegen mein altes Eisen tauschen konnte, fiel mein Blick auf ein paar Zeilen in einer anderen Studienarbeit.
Wenn die – zugegeben unwahrscheinliche – Möglichkeit der Beobachtung zurückliegender oder zukünftiger Ereignisse anhand einer Improbabilitätschronoskopie tatsächlich bestünde, müsste daraus sowie aus den Ausführungen in Smithsons Diplomarbeit nicht zwingend folgen, dass auch eine Bewegung entlang der Zeitachse möglich wird, also eine Improbabilitätschronomotion?
Abgesehen von der Grausamkeit dieser Bandwurmbegriffe – schrieb der Mann da über Zeitreisen?


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