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Was ist gute SF?


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100 Antworten in diesem Thema

#61 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 22 März 2004 - 15:34

..Übrigens: Irgendeine willkürliche "Königsklasse der SF" anhand von vorkommenden Objekten zu definieren halte ich für wenig hilfreich -- schon deshalb, weil diesem Begriff die Aura von besonderer Meisterschaft anhaftet, die in diesem Fall nicht gerechtfertigt ist...

Bitte nicht auf die "Königsklasse" fixieren. Dies war nur dazu gedacht, beispielhaft darzulegen, dass es eine (sagen wir mal) Grundassoziation bei vielen gibt. Es war nicht gedacht als grundsätzliches Merkmal. Krimi wird größtenteils verstanden als Geschichte in der ein Mord passiert und dann der Täter ermittelt wird. Fragt man so Otto Normalverbraucher nach SF, so wird die Antwort zum überwiegendeteil lauten: Raumschiff, Alien, Roboter. Das sind sozusagen die Klischees. Meine Intention dazu war, das es für den Überbegriff SF (beinhaltet alle Spielwiesen des Genres wie auch immer man die Granzen ziehen mag) schwer ist eine Gesamtbeurteilung zu erstellen und zu sagen das ist gute SF. Man wird sich leichter tun, die einzelnen Untergenres zu definieren, weil hier die Grenzen wesentlich enger liegen. Gute SF-Zeitreise = ...... gute SF-Spaceopera = ...... und dann könnte man aus der Beurteilung schließen, wenn eines der Untergenres gut bedient wird, so ist es gute SF. Ist die Geschichte keinem Untergenre zuzuordnen, so kann man beurteilen: Es ist keine SF im klassischen Sinne, aber es ist gute Literatur im Umfeld der SF. Wenn man klare Beurteilungen treffen möchte, so muß man klare Grenzen setzen. Und werden diese Grenzen nicht nicht erreicht, so muß man den Mut haben zu sagen: keine SF - mit dem u.U. notwendigen Zusatz aber fast. Es ist meines Erachtens der Fehler des Genres, dass eben nicht der Mut aufgebracht wird eine klare Definition zu setzen (diese kann ja von Zeit zu Zeit - aber nicht alle 14 Tage überarbeitet werden) um sich klar abzugrenzen. Andere Genres haben (oder achten) diese Grenzen und sind damit in der Lage auch besser nachvollziehbare Qualitätsprodukte zu erzeugen. Es dürfte nicht zugelassen werden, dass jeder x-beliebige, nur weil man (wer auch immer) sich davon erhofft es besser an den Mann zu bringen, behaupten kann, das ist SF. Die Genregemeinde muß sagen, ja das ist SF und nein das ist nicht mehr SF. Dazu wäre es aber notwendig, eine Kritikkultur aufzubauen und zu fördern, die als oberste Instanz anerkannt wird. Dies alles ist allerdings rein hypothetisch und wäre nur dazu geeignet für den harten Kern der SF-Gemeinde ihr Haus sauberzuhalten. Für den Otto Normalleser würde sowas ohne belang sein - er ließt was ihm gefällt und wenn er SF dazu sagt dann ist es auch SF (für ihn).

Thomas Sebesta/Neunkirchen/Austria

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#62 dyke

dyke

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Geschrieben 22 März 2004 - 16:05

@tichy

Dadurch geht die ursprüngliche Frage nach "objektiven" Qualitätsmerkmalen nämlich nicht weg. Du hast sicher recht, dass nicht jeder genau dieselbe Definition zugrunde legt, aber wir sind nahe genug beinander, dass wir sinnvoll diskutieren können.

Ich will hier nicht bremsen, eher es vermeiden. Wenn Qualitätsmerkmale für diese Diskussion definiert werden, sind sie die subjektive Basis dieser Diskussion, aber damit nicht allgemeingültig. Jeder der Mitdiskutieren will kann sich darauf einstellen. Ohne solche eine subjektive Festlegung drohen solche Diskussionen immer wieder an den Anfang zurückzukehren und das fände ich schade. Ist meiner Meinung ein Punkt, an dem bei sf-Fan die Diskussion in ping-pong umschlug und versandete. Eine live-Diskussion ist schließlich etwas anderes als ein Essay in die Welt zu setzen und der Dinge zu harren die da kommen. Nur ein Vorschlg. LG Dyke

#63 tichy

tichy

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Geschrieben 22 März 2004 - 16:13

Hallo dyke,nur kurz: Ich hatte eher den Eindruck, dass es genau diese Definitions-Nebendisskussionen waren, die bei sf-fan.de zum Pingpong geführt haben. Ich bin auch ein Freund von guten Definitionen, aber manchmal lenken sie mehr ab als sie helfen. Daher mein Unkenruf.-- tichy
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#64 molosovsky

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Geschrieben 22 März 2004 - 21:41

Hallo Alle Leute.

Mir macht dieser Thread immer bessere Laune. Ich will in diesem Moment erstmal von davon ausgehen, daß Begriffe wie Objektiv und Qualität von Betrachtungs- und Gebrauchsweise abhängen.

Wunderbar von dyke die Wörtbucheinträge von Qualität. Danke! †¦ hätte sonst ich bald gebracht.

Will ich mich - wie bisher - also bemühen, Begriffe pragmatisch (anwendungs-, handlungs-, sachbezogen; sachlich, auf Tatsachen beruhend) zu verwenden. Zum Beispiel, daß ich durch Gedankenmodelle versuche darzulegen, wie etwas ungefähr fuktioniert, und nicht um ein Problem zu ersinnen, das in der Praxis gar nicht beobachtbar ist.

Gut ist auch zu klären, welche Art Leser man tendenziell ist:
†¢ ein semantischer: Unterhaltungs- & Entspannungsleser / Passiv / Läßt sich berieseln / Erfährt Programmierung reflexionslos;
†¢ oder ein ästhetischer/semiotischer: Liebhaber von Meta-Ebenen-Deutfreude / Aktiv / Springt aus dem System / Beobachtet Programmierung).

Programmierung verwende ich hier als Gegenteil von interaktiver Kommunikation. Es ist kein Zufall, daß es Computer- als auch Fernseh-Programm heißt. Der Austausch zwischen Sender und Empfänger ist überwiegend einseitig. Guter Aufsatz dazu: Douglas Rushkoff »Zwangsausübung und Gegenmaßnahmen - Der Informationsrüstungswettlauf« in dem Buch _Information.Macht.Krieg_ (Ars Electronica 1998, Springer, Wien, New York.)

Ich bin wohl ein ästhetischer Leser, und ich habe bisher nur ganz ganz selten Probleme mit Personen erlebt, die das Gegenteil sind †¦ Kaum jemand ist eben das wahrhaftige Ideal eines Bauchmenschen oder Kopffüßlers und nur wenige wollen diesbezüglich unerschütterliche Extremisten sein.

Eine Bezeichnung wie SF dient heute ohne Zweifel überwiegend der Kunden-Orientierung, denn wir leben in einer vornehmlich konsumorientierten Zivilisation. Der (ich deute) Sarkasmus von Aldiss (Sf ist, was im Regal steht) enthält eben auch einigen Pragmatismus. Hat man aber als Leser einmal damit begonnen, den Garten zu betreten, dessen Wege sich verzweigen, wird es schwerer, die Grellheiten und Fehler des Begriffsgebahrens der merkantilen Sphäre zu ertragen. - Wir können uns trösten: auch in anderen Zeiten mit anderen Umständen und anderen Lesern herrschte Begriffswirrwarr.

Desweiteren läßt sich bis zu einer gewissen Klarheit nachvollziehen oder bestimmen, ob ein fiktives Werk a) ein aufrichtig unternommener eigenständiger Versuch der Schilderung einer Zukunftsvision ist; oder ob b) der Fundus solcher Werke geplündert wurde. - Wie aber will man Aufrichtigkeit messen? Nachdem ich nicht erst seit der Zusammenfassung (oder Gelesenhaben) von Ecos »Mögliche Wälder«-Vortrag glaube, daß Lesen sehr viel mit Vertrauen zu tun hat, finde ich diese Frage aber ungeheuer spannend.

Sooo †¦ und weil ich langsam mal Urlaub vom exakten, folgerichtigen Denken nötig habe, will ich nun noch ein Bonbon reichen. Die wirklich putzigen und originellen Grundtypen der Phantastik nach Darko Suvins (in »Die dunkle Seite der Wirklichkeit«, Hrg. Rottensteiner, suhrkamp 1987):
1. Literatur der erkenntnisbezogenen Verfremdung (Science-Fiction);
2. Literatur der erkenntnisverhindernden Verfremdung (Weird Fiction, gothic novel, Horror- und Ghost-Story);
3. die zerebrale Phantastik (vom Typ Borges, Kafka, Roussel);
4. satirische Phantastik (vom Typ Gogol, Bulgakow); und
5. Literatur der erkenntnisvernachlässigen Verfremdung (Fantasy).

Klingt wahnsinnig wichtig und souverän eingedost. Ich beginne aber zu knurren, wenn ich daran denke, daß ein Roman wie »Frankenstein«, nur weil er voll in der Tradition der gothic novel steht, wohl unter erkenntnisverhindernde Verfremdung abgelegt würde. Trotzdem: zerebrale Phantastik klingt selbst schon so fantastique, daß ich irgendwann mal genauer wissen will, was Drako da umeinanderdefiniert.

übrigens Ralph:
Habe nachgeschaut, vom wem der Edelkitsch-Anwurf gegen Eco kam. Gruselig (schüttel)

Ich gönne mir nach den Sachtexten jetzt mal ne Prise Prosa von Gisbert Haefs »Alexander 1-Hellas« †¦ ganz wenig phantastische Elemente, deutlich erkennbar als dramaturgische Hilfe eingesetzt. Damit also keine Phantastik, auch wenn viele historische Romane ein phantastisches Ambiente (vor allem Fantasy, aber auch Horror) aufkommen lassen.

Gute Nacht für heute
molosovsky

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#65 Thomas Sebesta

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Geschrieben 22 März 2004 - 23:17

Um ein Werk einer Beurteilung zu unterziehen, sollte man eine Dreiteilung der Betrachtung vornehmen.
1. Die handwerkliche Komponente
2. Die intellektuelle Leistung des Autors
3. Die Art und Weise der Interpretation des Werkes

Zuerst sollten wir vielleicht die meines Erachtens leichtere Kategorie einer Definition zuführen und uns dann den schwereren Teilen zuwenden.

Nehmen wir dazu zuerst die Wolfenbütteler Akademie-Texte, Band 3, ISBN 3-929622-03-3 zur Hand, und sehen was Klaus N. Frick und Olaf Kutzmutz als Herausgeber und Andreas Gruber als faktisch Vortragender zu dem Thema "Kiss off und Struktur eines SF-Romanes - Grundlagen und Techniken" (Auszugsweise) meinen:

Opener mit Knalleffekt
Der (SF)Roman darf mit keiner langen Erklärung beginnen...Der Beginn eines Romanes muss zupacken...die Story steigt direkt in die Handlung ein, alles andere wird weiter hinten im Roman geschildert....
Den Plot entwickeln
Nach dem Opener beginnt sich die Handlung ab dem Plot Point eins zu entwickeln...Wir lassen den Leser in ... Unwissenheit schmoren, zwingen ihn zum Weiterlesen, währen wir die Handlung langsam aufbauen....Die Kunst, den Leser mit Informationen zu versorgen, ohne das er es merkt, heißt Exposition...so dass der Leser in die Handlung gezogen wird...
...der Spannungsbogen der Geschichte darf niemals durchhängen, er reicht vom Anfang bis zum Ende, dazwischen müssen kleinere Spannungsbögen die Handlung vorantreiben...die einzelnen Kapitel mit einem Cliffhanger ab(zu)schließen...
...Raffinierte Expositionen und spannende Cliffhanger alleine reichen jedoch nicht aus. Der Protagonist braucht persönliches Interesse, um das zu tun, was er tut. Der Grundkonflikt muss ihm an die Nieren gehen...ansonst wirken seine Handlungen plump, und der Leser nimmt ihm nicht ab, was er tut....
Platzieren und Ernten
...Wollen wir für die Handlung wichtige Personen, Gegenstände oder Überlegungen verwenden...müssen sie unauffällig [vorbereitet werden]...
Der emotionale Wendepunkt
In der Mitte des Romas ändert sich die Situation dramatisch...Langsam beginnt der Protagonist, aber auch der Leser zu ahnen, worum es geht. Lose Enden fügen sich zu einer Handlung, die der Story einen neuen Blickwinkel gibt.
Die dunkelste Stunde
Im letzten Drittel des Roman darf nichts mehr zufällig wirken...Die Handlung muss von den eingeführten Details logisch ableitbar sein...Der Plot Point Zwei fasst noch einmal die schrecklichste aller Lagen zusammen...Wir demonstrieren dem Leser die dunkelste Stunde unseres Helden...
Showdown
Am Schluss wird das Ruder gerade noch herumgerissen. Der Protagonist trifft auf den Antagonisten, vielleicht zum ersten Mal, aber bestimmt zum letzten Mal....Der Konflikt ... wird an dieser Stelle gelöst
Kiss off
Am Schluss muss das Gefühl da sein, dass die Geschichte zu Ende erzählt wurde, nichts offen geblieben ist...

Soweit die (gekürzte und verstümmelte, aber im wesentlichen vollständige) Anleitung für angehende SF-Schriftsteller als Grundlage für gute SF-Romane.

Im Grunde nichts anderes lehrt James N. Frey, Dozent für kreatives Schreiben in den USA, in seinem Buch "Wien man einen verdammt guten Roman schreibt" für "klassische" Romane. Soweit dürfte sich die SF-Literatur von der klassischen also nicht unterscheiden.

Klingt das obige nach einem guten SF-Roman? Nach einem Reißer (Aktionroman) vielleicht schon, aber auch tiefergründig angelegte Romane als Actionromane sind im wesentlichen nach dem gleichen Muster gestrickt. Vielleicht gefinkelter angelegt, aber mit den selben Elementen.

Dies sind also handwerkliche Elemente, die ein guter SF-Roman/Geschichte jedenfalls enthalten muss? Fehlt noch was um zumindest die handwerklichen Grundlagen zu einem guten SF-Roman zu erfüllen?

Hier sind auch noch die hoffentlich noch anwesenden Autoren gefordert!


Fürs Erste
Thomas

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#66 Thomas Sebesta

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Geschrieben 23 März 2004 - 17:20

In der Zwischenzeit sind mir bei der Betrachtung einiger aufgestellter Kriterien Zweifel gekommen, die ihr vielleicht ausräumen könnt:

Die aus der Gegenwart extrapolierte Welt der Zukunft sollte möglichst langsam zur Lachnummer vergammeln, wenn sie ernsthaft gemeint ist

bzw. folgend unter Kriterien bisher - Schlüssigkeit

Realistische Extrapolation; zutreffende Prognosen


Damit habe ich ein bisschen Schwierigkeiten, da die Beurteilung eines Werkes doch nur im Zusammenhang seiner Entstehung, in seinem Zeithorizont, gesehen werden kann. Speziell bei neuen Werken ist doch auch noch nicht abzuschätzen, wann beurteilt werden kann ob dieses Kriterium zutrifft.

Würde ich dieses Kriterium anwenden, so droht entweder die Beurteilung falsch zu sein oder es könnte passieren, das ein Werk 20 Jahre als Spitzen-SF bewertet werden müßte und im 21 Jahr als unzutreffend seinen Spitzenrang abgesprochen bekommt, weil die postulierten Veränderungen so nicht eingetreten sind.

Das Kriterium kann meiner Meinung nach nur lauten:

die zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare technische, soziologische und anthropologische Extrapolation unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes


weiter,

Versuche die Versöhnung/Harmonisierung von Technik und Mensch zu unterstützen

kann meines Erachtens kein Kriterium für gute SF sein, da das Kriterium den Handlungsfreiraum des Autors übermäßig einschränkt.
Eine bitterböse Geschichte über die Unvereinbarkeit von Technik und Mensch wäre per se dann keine gute SF


und fürs erste zuletzt,

Literarische Qualität kann Alterungsverfall der Zuzkunftsvision aufwiegen

Dieses vorläufige Kriterium geht in Leere, weil hier der Hund in den Schwanz beißt. Bei der Beurteilung literarischer Qualität wird das noch nicht gefällte Urteil benutzt um die Qualität zu steigern?

so long
Thomas

die Bearbeitung betraf die Verlängerung des Textes

Bearbeitet von nekropole, 23 März 2004 - 17:35.

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#67 molosovsky

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Geschrieben 25 März 2004 - 01:09

Hallo zusammen.

Dieser Beitrag wird kein Zuckerschlecken, denn ich mach weiter Urlaub vom klaren Denken.

Zur Erinnerung aber vorweg: ich lese alles mögliche, liebe die Phantastik aber besonders. Im Lauf der Jahre schlug mein Herz da mal heftiger für Horror , später mehr für Fantasy, dann wiederum für das was man durchaus abfällig Feine-Leute-Phantastik nennen kann, dann wieder mehr für kaputt-dreckige Delirien wie sie W.S. Burroughs darreicht usw. Wo ich inzwischen bin, kann man in dem »Wir stellen uns vor«-Thread nachgucken. -Dies vorweg, weil ich, angeregt durch unsere Diskussion hier, inzwischen in einem Teig aus massiven Zweifeln angekommen bin, sprich: ich halte das aller allermeiste, was uns seit einigen Zeiten als SF, Fantasy und Co angeboten wird, für Schund, oder bestenfalls unterhaltsame Abenteurliteratur, die für gezähmte Tiere und energieüberschüssige Heranwachsende angemessen ist.

zu Thomas (nekropole): Natürlich lassen sich alle Kriterien bezweifeln und dann wiederlegen †¦ wenn sie grob falsch sind gleich, mit Verzögerung erst, wenn sie besser durchdacht sind und der Komplexität und Unbeherrschbarkeit der Welt einen gewissen Tribut zollen. Es gibt Dinge im Leben die wir kontrollieren können, und solche, wo wir das nicht können und damit zu leben lernen müssen. Wir können uns antreiben aufmerksam und umsichtig zu sein, wir können uns Meinungen bilden und sie ausdrücken, wir können aber längerfristig nichts gegen die Relativierung unserer Meinungen unternehmen.

Es ist mir wichtig an dieser Stelle festzuhalten, daß ich wenig Lust zum Rechthaben verspüre. Sollte ich zu Verbissen sein ist das reiner Reflex, gebt mir dann Bescheid und ich erinnere mich an den größeren Spaß des Erfahrungensammelns und Meinungsaustausches.

Alle bisher aufgestellten Kriterien sind relativ - aber ich würde mich hüten dies zu vereinfachen auf ein »†¦ist letztendlich Geschmackssache.«
Denn
Wenn alle Entscheidungen lediglich unbedeutende Geschmackssache wären, warum entfremden sich Menschen deswegen voneinander, oder werden füreinander zu Monstren?

»Hey liebe Westkulturlemuren! Wir lieben den Tod und ihr das Leben †¦ das mag vielleicht nur eine Geschmackssache sein, aber was solls, wir fangen schon mal an für unseren Geschmack herumzumassakern.«

†¢ die zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare technische, soziologische und anthropologische Extrapolation unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes.

Kann man so stehenlassen.
Meckern könnte man über die Wörtchen »technisch, soziolgisch, anthropologisch« - warum nicht: »kulinarisch, therapeutisch und hygienisch«. Damit meine ich: was extrapoliert wird, läßt sich schwer eingrenzen. Die Art der Weiterspinnerei einer Idee/Betrachtungsweise ist es was imho zählt. Fragen wie: »Was wäre wenn X sich heftig weiterentwickelt«, oder »†¦wenn Y eintrifft« usw sind es, von denen Zukunftsgeschichten sich aufmachen. Und X und Y kann für mehr stehen als Technik und Wissenschaft. Jemand könnte überwiegend aus dem Bereich der Vergangenheit und Religion seine Inspiration für Geschichten über Menschen gewinnen, seine Ideen aber für so abstrus halten, daß er sie mit einigen Requisiten ausgestattet lieber (und leichter) in eine Zukunftsgeschichte verpackt, damit sie nicht so monströs wirken und damit die Leser ihm eher als Autor vertrauen (mögliche Beschreibung von P. K. Dick).

Grob kann man nun aber zwei Dinge als Zukunft annehmen:
†¢ Menschliche Zivilisation entwickelt sich (mehr oder weniger stetig) weiter {Ziel/Wunsch einsetzten}: Zeitmaschinen, Raumschiffe, Weltraumlift, Unterseemetropolen, Dimensionsreisen, Mutation†¦; oder eben
†¢ Menschliche Zivilisation dümpelt weiter vor sich hin, entwickelt sich zurück, oder löscht sich vielleicht sogar aus: wenig Auswahl, halt Untergangsgeschichten, post-apokalyptische Szenarios, BBC-Doku a la »Die Zukunft ist wild«.

Kurz: können wir uns im weiteren Verlauf der Geschichte behaupten oder nicht, passen wir uns an das Universum an während wir es kleckerlweis erforschen, oder sterben wir irgendwann aus (Roter Riese Uhr tickt)?

Hinter dieser Frage tut sich der Abgrund auf, aus dem die Lovecraft-Götter lauern (oder die Vallonen ihre Philanthropie hinter rätselhaften Aussagen verbergen). - Sicher beantworten kann zumindest ich diese Fragestellung nicht, ich kann aber sagen: ich hoffe nicht auf zweiteres, obwohl ich mehr daran glaube (bröh)

Es gibt eine mir unangenehme Art von Menschenfixiertheit, die mir einzureden versucht, daß wir uns zur besten aller Welten entwickelt haben und sich unsere Zivilisation auch weiterhin zum Beseeren auskristallisiert wird (go boldy, my children). - Das mag sich ja für jemanden wie Leibnitz in seinem Gottesbeweis so dargestellt haben, ein Voltaire hat dies aber mit seinem »Candide« schwer bezweifelt und reour gegeben. - Ohne Templer, Freimaurer oder sonstige Dunkelmänner heranzuziehen, möchte ich vage zum Ausdruck bringen, daß es ein ideologisches Ringen gibt, und nicht nur ich alleine habe den Eindruck, daß die Phantastik mit all ihren Abstufungen ein beliebtes und bedrängtes Schlachtfeld ist.

»Wir werden es schaffen, ins All, und dort neue Abenteuer erleben†¦» - Dem möchte ich mit Pückler antworten: »Nichts ist so neu, wie das, was in Vergessenheit geriet.«

Womit sollen wir es denn schaffen? Mit der Technik, diesem zweigesichtigen Bastard aus Leiter und Köder? Mit der derzeitigen Mannschaftsaufstellung erscheint mri das zweifelhaft, egal wie toll die Technik sein mag. Malen wir uns lieber bezaubernde Bilder von geselligen und harmonischen Generationsschiffen auf, mit denen wir das Tannhäuser Tor passieren, und denken wir nicht an das Schwinden unserer Existenzbegünstigungen.

Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit: es kommt anders. Klingt erst mal gut und blöd zugleich. Was ich damit meine, ist, daß Phantastik für mich schnell zusammenfällt, wenn sie zwar bunt und phantasievoll wirkt, hinter all der Kuriosa sich aber nur eine simple Gutenachtgeschichte verbirgt, a la »Mit Treue und Mut und einem Zauberschwert schafft es jeder Gedemütigte sich am Unhold zu rächen« (diese Gußform der Fantasy mag ich beispielsweise überhaupt nicht).

Kurz: indem wir über die Zukunft reden und wie wir glauben, daß sie sich entwickeln könnte, reden wir über das Hier und Jetzt und unsere moralische Haltung dazu. Ich persönlich bin das, was man einen aufmerksamen Zeitungsleser nennt und mir ist ab und zu der Irrwitz bewußt, was es eigentlich bedeutet seine Zeit mit Diskussionen wie dieser hier zu vergeuden, statt sich um echte Probleme zu kümmern.

Deshalb kann ich nur fragen: soll Phantastik trösten und beruhigen, soll sie warnen und aufrütteln †¦ ich weiß es auch nicht, habe aber den Eindruck, daß sich in der Phantastik viele Autoren bequem für eine dieser beiden Aufgaben entschieden haben.

Verzeiht, daß ich so harte Dinge hinknall und Euch jetzt nur meinen neusten Fang für die Sammlung Aphorismen zur Phantastik als Kiss Off anbieten kann.

»The function of the imagination is not to make strange things settled, so much as to make settled things strange.«  Gilbert Keith Chesterton*
{Es ist nicht die  Funktion der Vorstellungskraft Vertrauen für ungewohnte Dinge zu schaffen, als vielmehr gewohnte Dinge fremdartig zu machen.«

Schöne Träume
molosovsky

* Leider habe ich keine Ahnung, in welchem Kontext Chesterton (Autor des wundervollen Romanes Der Mann der Donnerstag war) dies sagte oder schrieb. Ãœbersetzung deshalb recht frei.

Bearbeitung: einige Sätze klarer formuliert.

Bearbeitet von molosovsky, 25 März 2004 - 12:53.

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#68 Thomas Sebesta

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Geschrieben 25 März 2004 - 17:26

...Natürlich lassen sich alle Kriterien bezweifeln und dann wiederlegen †¦ wenn sie grob falsch sind gleich, mit Verzögerung erst, wenn sie besser durchdacht sind und der Komplexität und Unbeherrschbarkeit der Welt einen gewissen Tribut zollen...

Bitte mich nicht falsch verstehen, ich glaube, dass wir durchaus eine gewisse Seelenverwandtschaft aufweisen. Wenn die Diskussion wirklich zu einem gewissen Ergebnis führen sollt (sollten wir daraus nichts mit nehmen können, wäre sie tatsächlich vergeudet), so sollte das Bemühen vorhanden sein sich konkreten Kriterien anzunähern.
Wie bereits angeführt, halte ich dieses Forum für eines der führenden im deutschen Sprachraum. Daraus leite ich ab, dass es eine gewisse Verpflichtung hat in der Frage der Beurteilung seines Spezialthemas auch ein Wort mitzureden. Ich denke man sollte dies nicht alles Leuten überlassen, die im Himmel der Wissenschaftlichkeit, fern ab der Basis, ihren Studien nachgehen. Man sollte mit ihnen maschieren aber auch aufzeigen, dass es u.U. divergierende Meinungen gibt.
Ich halte das Unterfangen auch desshalb für positiv, da mit Kriterien hier im Board auch dann die Rezis formal besser werden könnten. Ich würde zwar nicht so weit gehen und jeden mit erhobenem Zeigenfinger zur Einhaltung solcher Kriterien ermahnen, aber wenn diese hier anerkannt sind, werden Sie möglicherweise schon aus Gründen der besseren Diskussion als Leitlinie gelten. Damit kann man sich aber dann auf einem einigermaßen sicheren Boden bewegen auf dem die Notwendigkeit immer wiederkehrender Grundsatzdiskussionen entfällt.

Darum

†¢ die zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare technische, soziologische und anthropologische Extrapolation unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes.

ich verstehe deinen Einwand und teile ihn jetzt und würde anregen die Worte "technische, soziologische uns anthropologische" zu streichen und einen Gegenwartsbezug einzubringen wir folgt

†¢ die zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare Extrapolation der Gegenwart unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes.

Damit gibt es keine Einschränkung im Gegenstand der Extrpolation aber eine Einschränkung im Ansatz des Zeitraumes als Startwert. Dies desshalb, weil ich der Meinung bin, dass Erzählungen, welche eine Änderung der Vergangenheit als Grundlage nehmen nicht in den Bereich der SF fallen sondern der Phantastik allgemein, auch wenn der Stoff sich dazu in einem SF-Umfeld bewegt.

Um es gleich vorwegzunehmen: Eine Zeitreisegeschichte, die eine Reise in die Vergangenheit postuliert in der Veränderungen vorgenommen werden fällt dann unter SF wenn der Stratpunkt der Geschichte in der Gegenwart oder Zukunft liegt.

Könnten wir uns darauf einigen, hätten wir einen ersten Schritt getan und könnten uns weiterbewegen.

Zur besten aller Welten:
Die SF ist, wie die Literatur im allgemeinen, doch ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn man die Geschichte der SF betrachtet, so kann man doch realtiv genau zeitbedingte Strömungen feststellen.
Ich denka da an die Zeit wo sich der Kalte Krieg und die atomare Bedrohung sehr stark im Genre niederschluß, wo die Technikgläubigkeit die herrlichsten Auswüchse zeitigte und als der Comupter die Seiten der Romane eroberte - das alles nur als Beispiel.
Manchmal verzerrt der Spiegel ein bisschen in die Zukunft und manchmal ein bisschen in die Vergangenheit. Die SF hat nur das Glück, wesentlich aktiver an der Gestaltung der Zukunft mitwirken zu können.

Hier kommen wir zum Reden darüber.

Ich halte es nicht vergeudet, wenn man über die Zukunft redet. Auf diese Weise trägt die Phantasik dazu bei, das schöpferische Potential wesentlich besser auszuschöpfen.

Ein alter Grundsatz lautet: "Nur was man schon gehört, gesehen oder gefühlt hat, kann man auch anwenden." Dazu tragen solche Diskussionen bei. Nur wenn man sich gedanklich ausgiebig mit einem Thema beschäftigt, ist man in der Lage Lösung zu finden.
Natürlich kann man sich blindlings in das Geschehen stürzen und tun. Aber damit wird selten mehr getan als ein bestehender Notstand gelindert, Lösungen werden erdacht nicht erarbeitet.

Phantastik soll in erster Linie weder beruhigen, trösten, warnen oder aufrütteln, sie soll helfen ein möglichst großes Becken mit möglichst vielen Möglichkeiten zu füllen aus dem geschöpft werden kann und sie soll die geistige Bewegleichkeit erhalten möglichst früh die entstehenden Probleme zu orten.

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#69 molosovsky

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Geschrieben 25 März 2004 - 22:28

Hallo zusammen.

Ästhetisch empfindene Organismen, K.I.s und Thread-Kammeraden, ich sage nur: HURRAH! (aber ohne Trompete)

GUTE SCIENCE FICTION †¦ ist eine zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare narrative (erzählende) Extrapolation der Gegenwart, unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes.

Mit der Ergänzung um narrativ ist diese Definition von guter SF kompletto, glaub ich †¦ Jupp, das erscheint mir ein ganz guter Ausgangspunkt. Sind genug Fremdworte drinn, damit das auch Akademiker verstehen.

zu Thomas (nekropole): (Ich würde jetzt gern anstoßen. Gibt es in Deiner Umgebung nicht diesen Weiß-Rotwein-Misch namens Ohulder, der den Magen ausläßt und direkt birnt? Wenn jetzt dessen Saison wäre†¦ mjam)

Danke für die Gelduld mit der Zweischneidigkeit meiner wechselnden Haltung. Es war mir (denke ich) wichtig, einmal aus persönlicher Sicht heraus auf ein moralisches Element des Kunstgenusses allgemein, und der SF im besonderen aufmerksam zu machen.

Ich frage mich, ob in den Tagen der gestern eröffneten Leipziger Buchmesse viel zum Lesen dieses Threads sein wird †¦ es gibt ja scifiboard-Treffen und es ist viel los.

Ich für meinen Teil habe das Gefühl, daß wir an einer ersten wichtigen Zwischenmarke sind. Die vorgeschlagene Dreiteilung der Beurteilung erscheint mir fit genug, daß wir von dort aus weitermachen.

1. Die handwerkliche Komponente

Ich verstehe: Intentio Operis - (Intentio nun immer krass vereinfacht umschrieben:) den Text betrachten als ob es weder Autor noch Leser gäbe. Welchen Ideal-Leser postuliert/verlangt der Text? - (denkt an das Beispiel des Anfangs von »Krieg und Frieden«, langer Dialog in Französisch; Beispiel SF: »Dalgreen« von Delany, Beispiel Fantasy: Ricardo Pinto und sein »Steinkreis des Chamäleons« ist nichts für schwache Nerven, wenn es um körperliche Gewalt geht.)

2. Die intellektuelle Leistung des Autors

Ich verstehe: Intentio Auctoris - was für einer ist der/die Autor(in), was wollte sie, was prägte ihn, welche Gedankenmusik hat er entsprechend im Sinn und was davon konnte er in eine Form bringen, welchen Modell-Leser hatte er dabei im Sinn?

3. Die Art und Weise der Interpretation des Werkes

Ich verstehe: Intentio Lectoris - Was will der Leser, was hat er mit einem Text angestellt? Gibt es (und wenn ja welche) Differenzen zwischen Modell- und Ideal-Leser (was der Text verlangt und der Autor sich als Zielpublikum vorstellte, ist nicht notwendig eins).


Und: bei Schreibhandwerk (egal ob Wolfenbütteler Akademie, Stein, Kruse oder Co) werd ich über den ein oder anderen Punkt zum sekkieren anfangen müssen. Aber erst nach Leipzig. (Den Kruse les ich grad).

Feddich für heut.
molosovsky

(Ich fände es schön, wenn weiterhin Einteilungen der Literatur und Phantastik gesammelt, zusammenzufaßt und bei scifiboard aufgereiht würden †¦ schlage dafür aber eine Auslagerung vor, damit hier die Arbeit am »möglichst objektive« Bewertungskriterienaufstellen etwas übersichtlicher bleibt. Den neuen Thread dafür kann ich anlegen, wenn ich erst mal weiß wie das geht. Hat aber Zeit.)

Bearbeitet von molosovsky, 25 März 2004 - 22:32.

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#70 Thomas Sebesta

Thomas Sebesta

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Geschrieben 28 März 2004 - 21:03

Gibt es in Deiner Umgebung nicht diesen Weiß-Rotwein-Misch namens Ohulder, der den Magen ausläßt und direkt birnt? Wenn jetzt dessen Saison wäre†¦ mjam

Ich sehe schon du bist ein kleiner Feinspitz mit Ortskenntnissen - aber im Sinne des Erfolges dieses Threads würde ich Quellwasser vorziehen. Mit dem Uhudler bin ich schon zum Mond geflogen und wieder zurück - nur die Landung war etwas schmerzhaft.

1. Die handwerkliche Komponente

Ich verstehe: Intentio Operis - (Intentio nun immer krass vereinfacht umschrieben:) den Text betrachten als ob es weder Autor noch Leser gäbe. Welchen Ideal-Leser postuliert/verlangt der Text? - (denkt an das Beispiel des Anfangs von »Krieg und Frieden«, langer Dialog in Französisch; Beispiel SF: »Dalgreen« von Delany, Beispiel Fantasy: Ricardo Pinto und sein »Steinkreis des Chamäleons« ist nichts für schwache Nerven, wenn es um körperliche Gewalt geht.) Ich bin mir nicht sicher, dass wir darunter dasselbe verstehen. Ich meine damit, dass solche Dinge wie das vorhandensein einer verfolgten und nachgewiesenen Prämisse, die Entwicklung der Figuren - also die klassische Beurteilung eines Romanes im Mainstream: Fiktionstyp, Erzählform, Erzählperspektive, Blickwinkel, Stilhaltung, Eröffnung, Figuren, Handlungsaufbau, Spannung, Schauplatz, auffällige Kunstmittel? Gruß Thomas

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#71 molosovsky

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Geschrieben 29 März 2004 - 13:22

Hallo Thomas,

zu Intentio Operis bzw. handwerliche Beurteilung eines Textes:
Deine Auffassung (Fiktionstyp, Erzählform†¦) ist für mich schon okey. Als dilletierender Amateur-Semiotiker wollte ich aber auf die tieferen Feinheiten dieser Ebene hinweisen, letztendlich ein Verweis auf Tatsachen wie: Beurteilungskriterien heute sind andere als vor 20, 80, oder 150 Jahren (und in Europa andere als in Indien).

Du hast uns weiter oben zum Beispiel informiert, was als »objektiver« Plan für den Aufbau einer guten Geschichte gelten könnte, woran man sich orientieren kann, wenn es heißt, einen Text handwerklich zu bewerten.

Die sich auf den Plot konzentrierende Strategie läßt sich zurückverfolgen auf Bemühungen z.B. C.G. Jungs und Joseph Campells (Die Masken Gottes; Der Heros in tausend Gestalten) , aus der Sphäre der Religionen und Mythen grundlegende Elemente narrativer Gebilde zu extrahieren. Campell gehört zum Erstsemester-Stoff von Drehbuch- und Kreatives Schreiben-Schulen in den USA, die Comic-Welt ist größtenteils ein einziges Illustrationsfeld für die Theorien von den Archetypen, der Reise des »ewigen Helden« usw. Allein schon durch seinen umfassenden Einfluß und die große Polularität bietet diese Tradition Angriffsflächen für Kritik. Die letzte große Anwendung dieser Tradition ist ja die MATRIX-Theorie, und hier haben ja viele den »Schwachsinn« der veranstaltet wurde, nicht mehr akzeptiert (ich persönlich mag die Trio sehr, um einiges mehr als alle bisherigen Star Wars Filme. Oh, jetzt kann ich mir womöglich was anhören.)

Letztendlich aber stimme ich bei all meinen Zweifeln gegenüber Rezepten für »den Bestseller« oder Strickzeug für einen »ordentlichen Plot« folgender Aussage der »Wie schreibe ich einen Roman«-Ratgeber zu: es gibt Regeln des Erzählens und die Qualität eines Buches zeichnet sich aus, durch die geschickte Anwendung dieser Regeln. Interessanter gestaltet sich eine Lektüre, wenn ein Autor die Regeln kennt, und weiß, wann er sie wie und warum brechen kann.

- Zu Beginn mitten in die Handlung springen und den Leser gleich greifbare Spannung zu geben, ist somit einfach nur ein sichererer Weg den Leser neugierig weiterlesen zu lassen, als lagnsam und athmosphärisch zu beginnen. (Theoretisch reicht es den Reiz zum Weiterlesen in der letzten Zeile einer jeden rechten Seite zu platzieren und einen Mikro-Spannungsbogen von der ersten Zeile einer jeden linken Seite zu spannen.)
- Es ist leichter den Leser mit einem Plot zu begeistern, als sich auf Sprachrhythmus und Gedankenmelodie zu verlassen. Grob verglichen ist gegenständliche Malerei ja immer noch populärer als abstrakte.

Gegen diese zwei »Regeln« verstößt zum Beispiel Mervyn Peake (Gormenghast) recht heftig, und liefert damit freilich Grund für kritische Reaktionen (Schwurbelkram, zerfasert, ziellos†¦), und teilt seine Leserschaft rigieder auf. Das zeigt nun ganz gut, daß der Ideal-Leser, den Peake voraussetzt, eine kleinere Gruppe ist, als z.B. die Gruppe der Ideal-Leser eines Stephen Kings.

Lange Rede kurzer Sinn: bleiben wir für meinen Geschmack bei den drei Seiten, die bei einer Geschichte zu beachten sind.
- Form (handwerkliche Komponente)
- Inhalt (intellektuelle Leistung)
- Komplexität (der möglichen Interpretationen; Spannungen der Gleichzeitigkeit mehrerer Interpretations-Ebenen usw. bis hin zu den offen ausgesprochenen »persönlichen« (= subjektiven) Qualitäten eines Buches für diesen einen Lesers. Siehe mein Beispiel von meinem Bekannten, der alle SF mit explodierenden Außerirdischen schon mal Klasse findet, egal wie platt und trivial. Er ist sich ja dieser Marotte oder Eigenheit bewußt und weißt auf die subjektive Qualität dieses Kriterums hin.)

Grüße
Alwo

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#72 Thomas Sebesta

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Geschrieben 29 März 2004 - 14:02

...Lange Rede kurzer Sinn: bleiben wir für meinen Geschmack bei den drei Seiten, die bei einer Geschichte zu beachten sind.
- Form (handwerkliche Komponente)
- Inhalt (intellektuelle Leistung)
- Komplexität (der möglichen Interpretationen; Spannungen der Gleichzeitigkeit mehrerer Interpretations-Ebenen usw. bis hin zu den offen ausgesprochenen »persönlichen« (= subjektiven) Qualitäten eines Buches für diesen einen Lesers...

Top, kürzen wir den Sinn und längen wir die Rede - so solls sein.

Aber, noch ein Einwurf.
unter Hinweis auf den Tread mit Fragen an M. Iwoleit,
siehe http://www.addicted2...view=getnewpost, frage ich nun nochmal bei dir nach.

Iwoleit schreibt in "Die Geschichte der Short Science Fiction":
...Sehen wir darüber hinweg, dass Neuhaus offenbar immer noch meint, es geht in der SF um Zukunfstentwürfe und nicht eher um Modell- und Alternativdenken..."

sodaß nach dieser Ansicht unser erster Fixpunkt

"GUTE SCIENCE FICTION †¦ ist eine zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare narrative (erzählende) Extrapolation der Gegenwart, unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes."

anscheinend noch zu kurz greift. Was mir nach einiger Gehirnzermarterung durchaus einleuchtet, wobei ich allerdings noch nicht klar darüber bin, ob dies sowohl auch oder auch außschließlich gemeint ist. Außerdem fehlen mir dazu noch einige Beispiele um es auch wirklich gedanklich greifen zu können.

Verzeih meine Hartnäckigkeit, aber ich nütze hier die Chance den Weg vom verbrauchenden Konsumenten zum begreifenden Konsumenten zu beschreiten, in der Hoffnung andere Beginner haben auch etwas von diesem Ausflug in die Tiefen des Genres.


Gruß
Thomas

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#73 Thomas Sebesta

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Geschrieben 02 April 2004 - 11:57

zu dyke: Danke für den Hinweis auf das Lexikon. Das Ausklammern von SF und Fantasy aus der Phantastik wie Zondergeld es nach Deinem Bericht macht, erscheint mir in der Tat mehr als kurios. - Stellt er da so einen Mülleimer hin auf dem Kulturindustrie (Kusch ins Eck, du Trivialliteratur du) steht und schmeißt dort so ungefähr alles hinein, was seit ca. 100 Jahren die Vorstellung der Bevölkerung kolonisiert? †¦ muß ich mir unbedingt anschaun, diesen Zondergeld.

Es erschein nicht mehr so kurios, wenn man im Vorwort des bibliographischen Lexikon der pahntastischen Literatur ließt, dass es drei wichtige Nachschlagwerke gibt.

1. das bibliographische Lexikon des Corian-Verlages
2. Reclams Science Fiction Führer
3. das Lexikon der phantastischen Literatur von Zondergeld

Allen ist es eigen, dass versucht wird eine fast unüberschaubare Flut von Informationen zu erfassen.

Ich denke, es wird wohl ein Versuch gewesen sein, diese Flut etwas einzugrenzen

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#74 Gast_Frank W. Haubold_*

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Geschrieben 02 April 2004 - 18:55

Auch auf die Gefahr hin, einmal mehr ausgebuht zu werden: :angry: Ich halte die Diskussionen über "gute SF" für nicht besonders sinnvoll. Das Problem liegt bereits in der schwammigen Definition von SF, denn wenn man den Begriff eng faßt, gehören weder Bradbury noch Ballard oder Cordwainer Smith zu den Genre-Autoren (im übrigen ist auch die Zugehörigkeit der in "Hyperion" beschriebenen Ereignisse zur Untermenge der "realitätsnahen Zukunftsentwürfe" äußerst fraglich).Eine Definition wie"GUTE SCIENCE FICTION … ist eine zum Zeitpunkt der Entstehung realistisch nachvollziehbare narrative (erzählende) Extrapolation der Gegenwart, unter Berücksichtigung des wissenschaftlich vertretbaren Spielraumes."erscheint mit gerade angesichts der (für mich unbestreitbaren) Tatsache, daß die besten unter dem Etikett "SF" erschienenen Werke eben nicht der genannten Anforderung entsprechen, als entbehrlich.Nähme man diese Definition tatsächlich ernst, blieben fast ausschließlich literarisch wertlose Langweiler von Heinlein über Asimov bis Greg Bear dem Genre erhalten, während alles andere der heiligen Hallen "normgerechter" SF verwiesen würde.Wie wäre es, wenn sich die Definitionsfetischisten zu einem Gremium ähnlich den Normungsausschüssen der Industrie zusammenfinden würden, mit dem Ziel, alle erscheinende SF gemäß DIN ISO 9000 ff. zu zertifizieren, um so eventuelle Abweichler nachhaltig zu disziplinieren? Ein gutes Stück ist man ja schon auf diesem Weg vorangekommen, wenn ich mir einige Diskussionen in diesem Forum anschaue ...Offensichtlich hält ein nicht geringer Teil der Diskutierenden Phantasie (nicht "Fantasy") für etwas Schädliches, da ihr Einfluß die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit eines Druckerzeugnisses (von Literatur sollte man in diesem Zusammenhang besser nicht sprechen) beeinträchtigen könnte.Um nicht sofort wegen mangelnder Ehrerbietung gegenüber den Gralshütern der "Hard-SF" (wahrscheinlich soll die Bezeichnung darauf hindeuten, daß es hart sein kann, die entsprechenden Werke zu bis zum Ende durchzulesen) des Forums verwiesen zu werden, hier meine Definition von "guter SF":Wenn ein SF-Text auch von Menschen, deren Literaturkonsum nicht auf bestimmte Genres beschränkt ist, mit Interesse und Gewinn gelesen werden kann, dann handelt es sich in der Tat um "gute SF", alles andere spricht für eine verzerrte Wahrnehmung, die von Außenstehenden zu Recht belächelt wird.GrußFWH

#75 Ronni

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Geschrieben 02 April 2004 - 19:53

Auch auf die Gefahr hin, einmal mehr ausgebuht zu werden:  ;)

von mir wirst Du nicht ausgebuht, ich gebe Dir nämlich vollkommen recht. Die geführte Diskussion habe ich allerdings sehr amüsiert verfolgt, da sie im Fandom ein lange Tradition hat und gleich nach "was ist SF" kommt, im Internet aber etwas in Vergessenheit geraten ist. Ein brauchbares Ergebnis gab es nie, wird es nie geben und ist flüssiger als Wasser. Deshalb meine Definition von guter SF: "Gute SF ist das, was ich gut finde!" :angry: Gruß Ronni
Die Schlauheit des Fuchses basiert zu 90% auf der Dummheit der Hühner.

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#76 Thomas Sebesta

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Geschrieben 02 April 2004 - 20:57

...Wie wäre es, wenn sich die Definitionsfetischisten zu einem Gremium ähnlich den Normungsausschüssen der Industrie zusammenfinden würden, mit dem Ziel, alle erscheinende SF gemäß DIN ISO 9000 ff. zu zertifizieren, um so eventuelle Abweichler nachhaltig zu disziplinieren? Ein gutes Stück ist man ja schon auf diesem Weg vorangekommen, wenn ich mir einige Diskussionen in diesem Forum anschaue ...

gute Idee - bis auf das disziplinieren, denn schließlich will ja keiner einen Autor ändern. Die Frage ist nur, ist das geschaffene SF oder nicht. Zugegeben eine akademische Frage, aber wenn es Spaß macht darüber zu diskutieren? Man muß es ja nicht tierisch ernst nehmen. Der Versuch einer FRage auf den Grund zu gehen ist doch keine schlechte Sache? Ich kenne viele Foren, gute und bemühte, und in jedem kommt irgendwann die Frage "Was ist SF" in den verschiedensten Varianten zur Sprache. Das halte ich für immens wichtig. Wobei ich das Ergebnis als nebensächlich ansehe. Viel wichtiger finde ich, dass so "nebenbei" sehr viele Informationen geliefert werden, die einem SF-Interessierten, der versteht, auch neben dem Thema zu lesen, viel geben können. Wenn die Diskussion sachlich und nach bestem Wissenstand geführt wird. Ich sehe da Informationen für beginnende SF-Freunde, die ihm in dieser Form sonst nie serviert werden würden. Zum Einen weil es für die Kenner nicht der Rede wert ist darüber zu reden, zum Zweiten weil es dem Einsteiger nicht in den Sinn kommen würde danach zu forschen. Diese Fragen holen die Spezialisten aus abgehobenen Sphären zurück, weil sie verständlich argumentieren müssen und spornen die Beginner an sich nicht nur dem Konsum hinzugeben, sondern auch wirklich in die Materie einzudringen. Im Idealfall.

...Wenn ein SF-Text auch von Menschen, deren Literaturkonsum nicht auf bestimmte Genres beschränkt ist, mit Interesse und Gewinn gelesen werden kann, dann handelt es sich in der Tat um "gute SF", alles andere spricht für eine verzerrte Wahrnehmung, die von Außenstehenden zu Recht belächelt wird...

dem stimme ich vollinhaltlich zu, nur geht es am Thema vorbei, weil es voraussetzt, dass bereits ein SF-Text vorliegt, was ja nicht sein muß. Wenn du meinst, dass Bradbury, Ballard oder Cordwainer Smith ins SF-Genre gehören und dort neben Heinlein, Asimov und Greg Bear stehen, dann wäre es interessant wie du das alles in eine begründete Beschreibung gießt. Mehr wäre nicht gefragt. Wenn du das für sinnlos hältst, ja dann lass es.

...Offensichtlich hält ein nicht geringer Teil der Diskutierenden Phantasie (nicht "Fantasy") für etwas Schädliches, da ihr Einfluß die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit ... beeinträchtigen könnte.

Schädlich..? Nein, aber die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit kann sie schon beeinträchtigen.

...daß die besten unter dem Etikett "SF" erschienenen Werke eben nicht der genannten Anforderung entsprechen...

eben - unter dem Etikett. Sollte aber SF ein Etikett sein unter dem man alles veröffentlicht, das anderswo nicht reinpasst? Wo liegen die Grenzen?

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#77 Gast_Frank W. Haubold_*

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Geschrieben 02 April 2004 - 21:47

Nekropole schrieb:

Wenn du meinst, dass Bradbury, Ballard oder Cordwainer Smith ins SF-Genre gehören und dort neben Heinlein, Asimov und Greg Bear stehen, dann wäre es interessant wie du das alles in eine begründete Beschreibung gießt. Mehr wäre nicht gefragt.

Die Aufgabe ist schwierig bis unlösbar, weil unter dem Etikett "SF" viele Texte veröffentlicht werden, die bei enger Auslegung des Begriffs eigentlich der Phantastik (nicht Fantasy) zuzuordnen wären. Nun haben aber die meisten Verlage keine phantastische Reihe, folglich stopft man die Publikationen in eine der Schubladen "SF", "Fantasy", "Thriller" oder bei bekannteren Namen (Dick, Vonnegut) in die allgemeine Reihe. Bradbury, Ballard, Smith und viele andere sind im Grunde Phantastik-Autoren, deren Werke wegen des äußeren oder zeitlichen Umfelds (fremde Planeten, Raumschiffe, mehr oder weniger ferne Zukunft) der Handlung in den SF-Reihen gelandet sind. Mit Wissenschaft haben diese Texte fast nichts am Hut, was aus meiner Sicht kein Nachteil ist. Ich weiß auch nicht, für wen es wichtig sein soll, daß ein Buch oder ein Autor nun unbedingt einem bestimmten Subgenre zugeordnet wird. Warum beläßt man es nicht einfach bei dem Begriff "Phantastik"? Eine sichere Abgrenzung der Subgenres ist im Grunde unmöglich, da selbst plausibel klingende Einschränkungen (keine übernatürlichen oder mystischen Kräfte, Hexen, Magiere etc.) schon bei einer ganz simplen VR- oder Cyberspace-Story ihren Sinn verlieren (warum sollten im Cyberspace keine Entitäten mit übernatürlichen Fähigkeiten auftreten können, und woher sollte ein Protagonist wissen, daß das Ganze nicht real ist?). Es gibt da eine sehr treffende Geschichte in Lems "Sterntagebüchern", in der ein Forscher künstliche Gehirne erschaffen hat, deren vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Leben auf Magnetrollen gespeichert ist. Keine dieser Entitäten dürfte jemals in der Lage sein, die Wahrheit über sich zu erkennen, was sofort zu der Frage führt, ob die von uns wahrgenommene "Realität" überhaupt existiert. Würden WIR es bemerken, wenn wir nur die Träume einer für uns nicht begreifbaren Intelligenz wären? Unter diesem Gesichtspunkt entbehrt die Diskussion um "wissenschaftlich vertretbaren Spielräume" nicht einer gewissen Komik. Gruß FWH

Bearbeitet von Tiresias, 02 April 2004 - 21:49.


#78 molosovsky

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Geschrieben 03 April 2004 - 08:56

Hallo alle zusammen,

vielen Dank Thomas (nekropole) für das Einrichten des Threads, in dem die Subgenre-Unterteilungen und Literatur-Klassifizierungen gesammelt werden können!
Vielen Dank an Tiresias und Ronni für die Erinnerung daran, warum dieser Thread hier (imho) sehr sinnvoll ist - und mein Kompliment wiederum an Thomas für seine Verteidigung.

zu Tiresias: Ausgebuht wird von mir niemand, nur auf seine Fehler aufmerksam gemacht. Eigentlich widerstrebt es mir, auf Deinen Zwischenruf einzugehen, denn die anfängliche Frage von Trurl lautet »Was ist gute SF« und nicht »Lohnt sich die Diskussion darüber, was gute SF sei«. Wer am Ende von Seite 5 wieder lustig die Literaturgattungsbezeichnung (Literaturrezeption und Auseinandersetzung) und Verkaufsbäbbelchen (Verlagsgebahren, Buchhandelspraxis) durcheinanderbringt, hat nicht aufgepaßt :-)
D'accord kann ich aber mit Deiner letzten Aussage gehen, wenn Du sehr richtig sagst, daß ein guter SF-Text vorliegt, wenn er auch von genre-fremden Leser mit Gewinn und Interesse gelesen werden kann. - Das ist natürlich wissenschaftlich nicht exakt festmachen, aber Literaturwissenschaft ist ja auch keine exakte Wissenschaft, ehr so eine Art Spezialphantastik für Geschmacksfragen.

zu Ronni: »Gute SF ist, was ich gut finde!«, ist natürlich eine sehr lustige Definition, denn laut dieser Definition, wäre z.B (für Dich) Rotkäppchen SF, wenn Du dieses Märchen gut findest. - Und glaube mir, wenn Du mal damit beginnen solltest Dich zu bemühen, Deine einzelnen Geschmacksurteile im Zusammenhang zu sehen, bist Du genauso wie wir hier dazu gezwungen Dich Schritt für Schritt durch Begriffe zu definieren und die Konsequenzen Deiner Urteile zu bedenken. - Ich glaube, daß ästhetische Fragen (Kunstgenuß) ein gutes Übungsfeld sind, sich der implizierten Folgerungen eigener Geschmacksurteile klar zu werden. Zur Erinnerung, hier meine entsprechende Provokation dazu:

Alle bisher aufgestellten Kriterien sind relativ - aber ich würde mich hüten dies zu vereinfachen auf ein »†¦ist letztendlich Geschmackssache.«
Denn
Wenn alle Entscheidungen lediglich unbedeutende Geschmackssache wären, warum entfremden sich Menschen deswegen voneinander, oder werden füreinander zu Monstren?
»Hey liebe Westkulturlemuren! Wir lieben den Tod und ihr das Leben †¦ das mag vielleicht nur eine Geschmackssache sein, aber was solls, wir fangen schon mal an für unseren Geschmack herumzumassakern.«

Doch Zurück zum Haupt-Thema.
zu Thomas: Es ist natürlich müßig, sich mit den Differenzen anderer zu Beschäftigen. Ich gebe in der von Dir zitierten Sache†¦

Iwoleit schreibt in "Die Geschichte der Short Science Fiction":
"...Sehen wir darüber hinweg, dass Neuhaus offenbar immer noch meint, es geht in der SF um Zukunfstentwürfe und nicht eher um Modell- und Alternativdenken..."

†¦Iwoleit recht (und das nicht erst seit kurzen †¦ siehe meine Überzeugung, daß Phantastik die höchste - aber auch schwerste und heikelste - Literaturgattung ist). Auch habe ich ja bereits erwähnt, daß in dem Begriff Science Fiction nirgendwo future vorkommt. Die Ideen und Begriffsgeschichte der SF steht aber in einem engen Zusammenhang mit den Hoffnungen und Ängsten bezüglich Technik der jeweiligen Zeit. Ich habe versucht dem zu entsprechen, als ich bei unserer Frickelei an der Grunddefinition bewußt nur von »Extrapolation der Gegenwart« sprach †¦ also keine Forderung von mir jedenfalls, daß SF-Geschichten sich in der Zukunft zuzutragen haben, oder daß SF plötzlich zu einem Märchen umklappt, weil die magische Jahreszahl der Fiktion erreicht/überholt wurde (1984, Escape from New York, 2001-Odysse im Weltraum). Das wäre ja nun totaler Schmarrn.

Im Gegenteil möchte ich behaupten, daß Science Fiction eine eigentlich obligatorische Indegrienz einer jeden Narration (ob E oder U) sein muß, die sich dem Zeitalter der Moderne widmet †¦ grob gesagt, ab der Epoche, in der die Religion von der Wissenschaft abgelößt wurde. - Ist ist kein Zufall, daß die Grundbedingungen der Phantastik wie wir sie heute kennen und betreiben von der Aufklärung geliefert wurden. Und vergessen wir nicht, daß die »möglichen Welten« in denen z.B die Geschichten der SF angesiedelt sind auf einen Gottesbeweis von Leibnitz zurückgehen. (Und nebenbei: das von Tiresias gebrachte Beispiel der künstlichen Hirne bei Lem , läßt sich auf Modelle von Descartes zurückführen †¦ die selben Gedankenbilder, die auch wesentliche Inspiration der Matrix-Trio lieferten).

So, und weil klein molosovsky sich vorgenommen hat, nicht immer so lange Beiträge zu schreiben, will ich schließen. Zuvor aber einen Ausblick, was ich nächstens noch ergänzen will:
- über den Begriff Bestseller und speziell Qualitätsbestseller werde ich wieder von Eco Geschriebenes zusammenfassen.
- zu den Handwerklichkeiten: was versteht man darunter?

Wenn dies die beste aller Welten ist, wie könnte dann der Rest aussehen? - Voltaire »Candide«.

Grüße
molosovsky

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#79 Robert Kerber

Robert Kerber

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Geschrieben 03 April 2004 - 09:42

OK, Jungs, jetzt raus mit der Wahrheit - das hier ist eine gut getarnte Folge von "Beavis and Butthead", oder?Oder???Robert Kerber
"Trau keinem Buch über 300 Seiten."

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#80 Ronni

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Geschrieben 03 April 2004 - 10:52

zu Ronni: »Gute SF ist, was ich gut finde!«, ist natürlich eine sehr lustige Definition, denn laut dieser Definition, wäre z.B (für Dich) Rotkäppchen SF, wenn Du dieses Märchen gut findest.

ja, genau so ist es.

Und glaube mir, wenn Du mal damit beginnen solltest Dich zu bemühen, Deine einzelnen Geschmacksurteile im Zusammenhang zu sehen, bist Du genauso wie wir hier dazu gezwungen Dich Schritt für Schritt durch Begriffe zu definieren und die Konsequenzen Deiner Urteile zu bedenken.

wieso sollte ich dazu gezwungen sein? Meine Literaturauswahl und Einordnung erfolgt nur zu dem Zweck, für mich unterhaltsame Texte zu finden. Irgendwelche Definitionen steigern nicht den Unterhaltungswert, sind also Zeitverschwendung, Genre-Grenzen würden mich von einigen der unterhaltsamsten Romane abhalten.

Ich glaube, daß ästhetische Fragen (Kunstgenuß) ein gutes Übungsfeld sind, sich der implizierten Folgerungen eigener Geschmacksurteile klar zu werden.

mag stimmen, ich sehe aber keinen Vorteil darin, über die implizierten Folgerungen meiner Geschmacksurteile im Klaren zu sein.

Zur Erinnerung, hier meine entsprechende Provokation dazu:

Alle bisher aufgestellten Kriterien sind relativ - aber ich würde mich hüten dies zu vereinfachen auf ein »†¦ist letztendlich Geschmackssache.«
Denn
Wenn alle Entscheidungen lediglich unbedeutende Geschmackssache wären, warum entfremden sich Menschen deswegen voneinander, oder werden füreinander zu Monstren?

weil sie einen Knall haben? Oder genauer, weil sie intolerante Quatschköpfe sind, die sich selber für so wichtig halten, daß sie die Welt missionieren müssen.

Gruß Ronni
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#81 molosovsky

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Geschrieben 03 April 2004 - 11:34

Hallo Ronni und alle.

Die interessante Frage an Dich in diesem Stadium ist nun:
Nach welchen Informationen und der Art diese Information auszuwerten orientierst Du Dich bei der Auswahl Deiner Unterhaltungslektüre?

Ich kann verstehen, daß man sich nicht stören lassen will beim unbeschwerten Konsum, durch die moralische Ebene die allen ästhetischen Urteilen/Wertungen eigen ist. Das Ignorieren dieser Zusammenhänge ist aber in sich eine (un)bewußte Entscheidung, und damit moralische Aussage.

weil sie einen Knall haben? Oder genauer, weil sie intolerante Quatschköpfe sind, die sich selber für so wichtig halten, daß sie die Welt missionieren müssen.

Du lebst in einer beneidenswert einfachen Welt. Glückwunsch.
Der Vorteil die implizierten Folgerungen seiner Geschmacksurteile zu kennen ist übrigens, sich selbst als bewußt entscheidendes moralisches Wesen wahrzunehmen. Im Grunde auch die Anstrengung gegen Fremdbestimmung anzustemmen. Jemand der beispielsweise eine Minderheitenmeinung vertritt, wird sich in der Argumentation und Behauptung seiner selbst leichter tun, wenn er weiß, auf welche Art das Begriffsgerüst seiner Gegner und sein eigenes gebaut ist. Die größeren Gemeinschaften die sich ein Begriffsgerüst teilen nennt man Ideologien, Religionen usw. - Konflikte ließen sich effizienter angehen und entdröseln, wiederum durch Kenntnis der Natur dieser Gerüste. Alles Wissen (auch das harte Faktenwissen) ist letztendlich an irgendeinem dieser großen Begriffsgerüste festgemacht, und so läuft alles Wissen und alle Geschmacksentscheiderei auf eine Sache hinaus: den Glauben. Und in einer markantilisierten Konsumwelt nennt man die Hostie das Produkt, und den Altar Kasse. Bei den sich gegen die Moderne Welt auflehnenden Quatschköpfen ist das Glaubensmodell natürlich nochn älteres Kaliber.
Grüße
molosovsky

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#82 Ronni

Ronni

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Geschrieben 03 April 2004 - 12:37

Nach welchen Informationen und der Art diese Information auszuwerten orientierst Du Dich bei der Auswahl Deiner Unterhaltungslektüre?

nach dem üblichen Mix aus zwei Dutzend Informationsquellen, aus denen sich irgendwann mal ein Bild ergibt.

Ich kann verstehen, daß man sich nicht stören lassen will beim unbeschwerten Konsum, durch die moralische Ebene die allen ästhetischen Urteilen/Wertungen eigen ist. Das Ignorieren dieser Zusammenhänge ist aber in sich eine (un)bewußte Entscheidung, und damit moralische Aussage.

ich ignoriere nicht die Moralische Ebene, sondern laß mir nur nicht vorschreiben, was denn die richtige moralische Ebene ist.

Du lebst in einer beneidenswert einfachen Welt. Glückwunsch.

die Welt ist einfach, sie wird nur von besagten Quatschköpfen kompliziert gemacht. Das ist so wie ein Wollknäuel, daß auf den ersten Blick sehr verworren aussieht, im Endeffekt aber nur aus einigen wenigen Fäden besteht. Zugegeben, weil seit Hunderten von Jahren jeder versucht, daß Knäuel nach seinen Vorstellungen zu formen, ist es inzwischen sehr durcheinander.

Der Vorteil die implizierten Folgerungen seiner Geschmacksurteile zu kennen ist übrigens, sich selbst als bewußt entscheidendes moralisches Wesen wahrzunehmen.

Es ist Dir unbenommen, daß Du Deinen Geschmack wahrnimmst. Um mich als bewußt entscheidendes moralisches Wesen wahrzunehmen, muß ich andere Leute nicht mit meinem Geschmack belästigen.

Im Grunde auch die Anstrengung gegen Fremdbestimmung anzustemmen.

Dabei ist es hilfreich, den Geschmack anderer zu Kenntnis zu nehmen, ansonsten aber im Hinterkopf zu behalten, daß dieser auf deren Weltbild aufbaut.

Jemand der beispielsweise eine Minderheitenmeinung vertritt, wird sich in der Argumentation und Behauptung seiner selbst leichter tun, wenn er weiß, auf welche Art das Begriffsgerüst seiner Gegner und sein eigenes gebaut ist.  Die größeren Gemeinschaften die sich ein Begriffsgerüst teilen nennt man Ideologien, Religionen usw. - Konflikte ließen sich effizienter angehen und entdröseln, wiederum durch Kenntnis der Natur dieser Gerüste. Alles Wissen (auch das harte Faktenwissen) ist letztendlich an irgendeinem dieser großen Begriffsgerüste festgemacht, und so läuft alles Wissen und alle Geschmacksentscheiderei auf eine Sache hinaus: den Glauben.

genau, und Glauben sollte bitteschön jeder für sich und seinen missionarischen Eifer zuhause lassen.

Gruß Ronni
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#83 eRDe7

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Geschrieben 03 April 2004 - 14:25

Glauben sollte bitteschön jeder für sich und seinen missionarischen Eifer zuhause lassen.

Aber vorstellen darf man seinen Glauben doch, oder?

Bradbury, Ballard, Smith und viele andere sind im Grunde Phantastik-Autoren, deren Werke wegen des äußeren oder zeitlichen Umfelds (fremde Planeten, Raumschiffe, mehr oder weniger ferne Zukunft) der Handlung in den SF-Reihen gelandet sind. Mit Wissenschaft haben diese Texte fast nichts am Hut, was aus meiner Sicht kein Nachteil ist.

Da stimme ich weitestgehend zu, wobei ich bei Ballard schon Wissenschaft finde, allerdings eher Medizin und Psychologie - muß wohl an seinem Studium gelegen haben. Nur eben kaum Technik, was leider häufig mit Wissenschaft gleichgesetzt wird. Alwo, ich bin gespannt auf Deine weiteren Eco-Zusammenfassungen. Ich frage mich übrigens gerade selber, wie ich auswähle. Da habe ich mir nun vorgenommen, Ballard chronologisch zu lesen. Die ersten 10 Geschichten oder so waren alle nett, haben mich aber kaum umgehauen oder beeindruckt, wie ein paar spätere. Wieso fand ich sie dennoch interessant? Ich glaube eine gewisse Verwandtheit zu dem zu sehen, was ich in meinen Geschichten versuche. Er scheint mir nur am Ende immer zu scheitern, während seine Sprache doch ziemlich gelungen ist. Abgesehen von der Geschichte NOW: ZERO waren alle für mich gute SF, wenn auch nicht grandios. Warum? Weil anhand von SF-Motiven menschliche Belange dargestellt und analysiert wurden. Nun kann man hier aber wieder vorwerfen, Ballard würde (ähnlich wie Pynchon und Vonnegut und von mir aus Will Self) Phantastische Elemente nur benutzen, um etwas darzustellen. Ja, das ist gerade das, was es für mich spannend macht. Ob es dann noch SF oder dergleichen ist, weiß ich nicht, aber ich mags. Aber das hatten wir schon in anderer Form vor einigen Seiten... Grüße, Ralph

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#84 Ronni

Ronni

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Geschrieben 03 April 2004 - 14:32

Aber vorstellen darf man seinen Glauben doch, oder?

ja, natürlich. Man darf seinen Glauben vorstellen, ihn diskutieren, ihn auch verteidigen. Nur eins darf man nicht: alle für bekloppt halten, die einen anderen Glauben haben. Gruß Ronni
Die Schlauheit des Fuchses basiert zu 90% auf der Dummheit der Hühner.

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#85 eRDe7

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Geschrieben 03 April 2004 - 15:00

Man darf seinen Glauben vorstellen, ihn diskutieren, ihn auch verteidigen. Nur eins darf man nicht: alle für bekloppt halten, die einen anderen Glauben haben.

Na ja, auch das darf man, man muss / sollte es nur nicht sagen... :angry: Beste Grüße, Ralph

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#86 molosovsky

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Geschrieben 03 April 2004 - 16:56

Hallo alle.

Ich will mal mein bisheriges Zeug zusammenfassen.

Muß man SF oder Phantastik und normale Literatur gesondert Bewerten? - Ich denke eigentlich nicht. Aber ich habe bisher versucht recht genau darzulegen, welche Fiktions-Stufen es gibt, und wieviele man nehmen muß, um bei dem anzukommen, was man Phantastik nennt. Zur Übersicht eine grobe Wiederholung, dannach wende ich mich den Bestsellern zu. Kann aber bis Montag dauern, denn dieses Wochenende bin ich weg.

- A: die echte Wirkliche Welt. Frei nach Wittgenstein: »Alles was der Fall ist.« Wahrnehmung, Interpretation, Bezeichnung, Symbole, Sprache und Schrift ergeben dann:
- B: die Kulturelle Enzyklopädie = Gesamtheit aller Aussagen der menschlichen Kultursphäre über die Welt von Tageschau, Ägyptischen Totenbuch bis zur Antwort eines Freundes, ob der neue Stephenson sich lohnt. - Innerhalb der Kulturellen Enzyklopädie gibt es ein Gebiet, das den Fiktionsvertrag voraussetzt, um es sinnvoll betreten zu können: der Bereich der ausgedachten Geschichten, Erzählungen (Narration). Dort kann man unterscheiden:
- C: kleine narrative Welten: die fiktive Welt ist begrenzt, schildert einen Teilbereich der Wirklichen Welt (z.B. Brunetti-Krimis). Realistische Literatur.
- D: unbegrenzte narrative Welten: die fiktive Welt fügt der Wirklichen Welt etwas hinzu (z.B. Magie, Überlichtgeschwindigkeit, Vampire), oder verändert sie, oder tauscht sie gegen eine andere Welt. Phantastische Literatur.

Jetzt beginnen erst die allseits besungenen Grenzkriege darum, wo (von mir aus) Gothic Novel aufhört und SF beginnt (--> Frankenstein), ob die Fantasy von Tolikien als SF-Teilgebiet gelten kann (Linguistik ist eine Wissenschaft), ja was überhaupt welche Abgrenzungen taugen, oder auch nicht. (Lovecraft ist kein SF- sondern ein trivialer Schauergeschichtenautor †¦ ach nee). Nocheinmal die Eco-Vierteilung von D, diesmal mit knackigeren Namen:

- Die anderen Welten: Allotopie - Grundlage ist unsere Welt, zu der etwas Übernatürlich hinzugefügt wird (Dracula, Guilliver, Kafka, Toy Story); oder eine ganz eigene neue Welt wird kreiert (Mittelerde, Gormenghast, Willow). Es können sich auch mehrere Welten überschneiden oder nebeneinander liegen (Harry Potter, Phantasien, Hellraiser). - Unter Verwertung der Spannungen im Verhältnis von Objektiv (die allgemeine Kulturelle Enzyklopädie) und Subjektiv (die individuelle Kulturelle Enzyklopädie) lassen sich völlig nichtphantastische Geschichten auf eine phantastisch anmutende Weise erzählen (Literarisch: American Psycho, Lemprier's Wörterbuch; Filmbeispiele: Fear and Loathing in Las Vegas, Fisher King, Fight Club).
- Die utopischen Welten: Utopie - Schildert die Welt wie sie sein sollte (oder eben nicht: Dysopie). Strenggenommen also die moralischste und ideologischste Textgattunng der Phantastik. Schön beobachten lassen sich ideologische Abdrücke in den SF-Texten der heftigsten Zeiten des Kalten Krieges (oder speziell: im McCarthy-Amerika). - Eine meiner Lieblingsphantastiksphären sind zum Beispeil die Wirklichkeiten der Cartoon-Fiktionen, von Tex Avery bis Roger Rabbitt. Literarisch ganz schwer zu treffen (Douglas Adams, Terry Pratchett, Matthew Thomas).
- Die alternativen Welten: Uchronie - Hier nimmt die fiktive Welt irgendwo in der Historie eine Abzweigung von der tatsächlichen Wirklichkeit. Das kann ein greiser Inkognito-Hitler im Südamerikanischen Exil bei Bukowski sein, oder das tatsächliche Auftreten von Vigilanten wie in Watchmen. - Uchronie und Allotopie werden bereits seit längerem auch gerne vermischt (Anno Dracula-Reihe, Man In Black-Filme, Lord Darcy-Geschichten), die Steampunk-Welle von Difference Engine bis League of Extraodinary Gentlemen spielt sich in diesem Schnittgebiet ab.
- Die zukünftigen Welten: Metaopie & Metachronie - Hier wird aus der Gegenwart (sag ich mal) mit möglichst den wissenschaftlichen Folgerungsmethoden gleichkommenden Mitteln eine Zukunftswirklichkeit entwickelt, in der eine Geschichte spielt. Krass gesagt:
- ist man fauler und führt lediglich die (anglo-amerikanische) Tradition der Gothic Novel oder der Romance fort, spricht man allgemein von Science-Fiction. Star Wars und Star Treck sind hier soweit ganz gut aufgehoben. Star Wars aber beinhaltet aber dermaßen viel Magie und Mystik, daß es auch mit Allotopie (eben SF-Märchen »A long time ago in a galaxy far far away«) richtig bezeichnet wäre. GROSSER FEHLER: dies ist per se keine Wertung. Die triviale (kommt von franz. »Dreiwege-Eck« wo oft Anschlagbretter waren mit jedermann zugänglichen Nachrichten) Abenteuer- und Schmachtliteratur mag zwar in den Augen der Proffessores keinen hohen Rang einnehmen, wenn sie aber gut ist (klassisch bei Verne oder Doyle, modern bei King oder Clancy), dann ist sie das vor allem, weil sie die Bedürfnisse der semantischen Leser (denen es um die Story geht; fängt Ahab den Wal? usw) voll bedienen.
- erhebt man den Anspruch, möglichst innig auf die wissenschaftliche Sphäre abgestimmt zu sein beim Extrapolieren der Zukunft, muß man einiges an Recherche des gegenwärtigen Erkenntnis/Möglichkeitsfeldes absolvieren. Kurz: die Fraktion der Hard-SF. - Beachtenswert hierbei: realistische Literatur ist durchaus in der Lage, große Brocken verschiedenster Wissenschaften inhaltlich und stilistisch zu verarbeiten, und kann dabei obwohl in der wrklichen Welt angesiedelt ein phantastisches Flair entwickeln (Schwarzlicht-Terrarium und Endstufe von Kunkel, Einstein's Dreams von Lightman).

Der Grundunterschied zwischen realistischer und phantastischer Literatur besteht lediglich in der Offenheit des Fiktionsvertrages. Lautet er für
- realistisch: Erzählt mir Erdachtes (Gelogenes), was wirklich geschehen sein könnte und ich tu so, als ob ich Dir glaube; entsprechend für
- phantastisch: Erzähl mir Erdachtes wie es Dir beliebt und ich tu so, als ob ich Dir glaube.
Es ist wohl nicht überzogen zu vermuten, daß jenes intimere oder weitreichendere Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Leser in der Phantastik einerseits Begeisterung hervorruft, wie es andere Leserschaften gibt, die dem allesmöglichem Spiel mißtrauen. Geschmacks-Edikt von Marcel Reich-Ranicki (ohngefähr ausm Gedächtnis): »Traumszenen sind immer heikel und ich habe sie nie wirklich gemocht †¦ der Autor kann da alles mit einem anstellen und ist nur schwer überprüfbar«, so der in seiner Jugend Hoffmann und Tieck Verschlingende. - Hier gibt andererseits ein Kritiker nur offen zu, weshalb sich vielleicht der ganze Stand mit Phantastik so schwer tut:
sie ist schwerer einzuschätzen, weil ungleich komplexer und vehementer im Ausleben imaginativ narrativer Freiheiten.

Wenn ich meine Leseeindrücke bei Phantastik rekapituliere, versuch ich ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Verhältnis ist zwischen der Geschichte (was Flaches mit Äktschn †¦ Facette der Conditio Humana) und dem phantastischem Aufwand (ein Kobold der unsichtbar werden kann †¦ ganze Zivilisationen fremder Galaxien) der nötig war sie zu erzählen. Das sagt noch gar nix über die Stilistik, die ich gesondert betrachte.

Profan entlasse ich mich nun zum Wäscheaufhängen.
Tot allen Fanatikern
Grüßt
molosovsky (General a.D. der Nonkonformistenarmee)

P.S.: Ich mach je gerne den Beavis, wenns beliebt. Bare Ass on TV †¦ harharhar

Bearbeitet von molosovsky, 03 April 2004 - 16:59.

MOLOSOVSKY IST DERZEIT IN DIESEM FORUM NICHT AKTIV: STAND 13. JANUAR 2013.

Ich weiß es im Moment schlicht nicht besser.

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#87 molosovsky

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Geschrieben 07 April 2004 - 21:40

Hallo alle miteinander.

Sorry, daß es länger dauerte. Ausnüchtern von Feier fraß Stunden.

Warum halte ich die folgenden Gedanken über sogenannte Bestseller, speziell die Qualitätsbestseller, für beachtenswert, bei der Abzirkelung der Frage »Was ist gute SF«?

Zum einen, weil Unklarheiten über Evaluierung von Qualität hoffentlich ausgeräumt werden können (kurzfristig, langfristig);
andererseits, weil gerade die Aufmerksamkeit des Akademischen für die Ausnahmeerscheinung der (literarisch) anspruchsvollen Massenerfolge zeigt, daß sich etwas tut in Sachen Literaturkritik. Anknüpgungspunkte sind da.

Außerdem geht es hier auch um mögliche EIgenschaften von SF-Texten, die sowohl eingefleischte Genre-Fans als auch unbedarfte Normalos zu bezaubern weiß.

Die zusammengefassten Texte stammen wieder von Umberto Eco:
Zum ersten der Streichholzbrief »Was ist ein Bestseller?« (l'espresso, 1994) zu finden in »Sämtliche Glossen und Parodien« (Hanser 2002, Seite 575);
Zum zweiten ein Auszug (über Qualitätsbestseller) aus »Intertextuelle Ironie und mehrdimensionale Lektüre« (Vortrag, 1999) zu finden in »Die Bücher und das Paradies« (Hanser, 2003, Seite 215 ff)

Meine Anmerkungen wieder in {eckigen} Klammern.
Abkürzung für Qualitätsbestseller = QB.
--------------------
BEGINN ECO - TEXT EINS: über Bestseller
Bestseller ist problematischer Begriff, weil a) eine rein kommerzielle Kateogorie, schmeißt sehr unterschiedliche Werke in einem Topf (z.B.: Bibel, Pinocchio und Barbara Cartland); und b) darunter vier verschiedene Dinge verstanden werden.

A) »best sold books«: Bücher die sich eine Zeit lang größter Beliebheit erfreuen (z.B. Onkel Toms Hütte, Johanna Schopenhauer, Ritterromane);
B) »longseller«: Die immergrünen Bücher, die nicht 100 mal in den großen Stadtbuchhandlungen, sondern übers Jahr jeden Tag in den kleinen Umlandbuchhandlungen verkauft werden. Werden von den Auswertungen nicht erfaßt. (z.B. Bibel, Der Kleine Prinz, Siddharta) - {Also umschauen, was und wie Verkauf ausgewertet wird. Wie aussagekräftig ist die amazon-Verkaufsrangliste? Wo bekommt man Jahres, Decaden und Milleniumsverkaufslisten her oder internationale Vergleiche? Im Börsenblatt des Buchhandels findet sich zumindest eine Verkaufsrangliste verschiedenster Länder.}
C) »best selling books«: Bücher mit enormen Erfolg bei Erscheinen, der aber nicht notwendigerweise lang anhält. - {Siehe Remitenten-Ramsch-Läden; Dieter Bohlen, Stefan Effenberg, Martin Walser oder Judith Hermann wurden bei mir ums Eck bereits nach wenigen Wochen wieder zum halben Preis als Mängelexemplar verscherbelt.} - Weil Verlage (oder Konzerne) und Buchhandel damit gut gut verdienen, werden†¦
D) »best to sell books«: †¦generiert, extrich für den Massenverkauf entworfene Bücher. Rezept: ein bischen Sex, ein bischen Geld, ein bischen Verbrechen, ein bischen Leben der höheren Kreise, oder auch †¦ eine gut beschriebene Erektion pro Kapitel; †¦ eine gut kalkulierte Mischung aus Tod und Grauen - Solche Bücher zwecks Geldverdienen gab es und gibt es zu allen Zeiten, manche haben wegen ihrer mythologischen Qualitäten überlebt (Alexandre Dumas).

Man darf nicht vergessen, daß Dante, Ariost (»Der Rasende Roland«), Manzoni (»Die Verlobten«) zu ihrer Zeit sich gut verkauften. Immerhin: wohl alle Schriftsteller wollen ein gutes Buch produzieren und (dennoch) von möglichst vielen Menschen gelesen werden (Ausnahme: provozierende Verweigerungs-Avantgarde, --> Arno Schmidt, W. S. Burroughs). Eco dann wörtlich:»Ein gutes Buch schreiben zu wollen ist aber etwas anderes als einen Best-to-sell-Roman mit einer Erektion pro Kapitel zu schreiben.«

Über eine Untersuchung Gian Ferrettis von 1994 über QB (z.B. Italo Calvino »Wenn ein Reisender in einer Winternacht«). QB verkaufen sich gut, »ohne mit Ingredienzen zu operieren, die dem Leser per se gefallen müßten.«. QB erlauben Lektüre für naiven Leser auf einer ersten Ebene, und für gebildetere Leser auf stufenweise weiteren Ebenen (Zikkurat-Bücher). Prinzip bekannt von Bibel oder jüdischer Hermeneutik: neben dem Wortsinn noch mehere andere Sinne {z.B. in der Bibel: wörtlich, geistlich, historisch, allegorisch}.

In den letzten Jahren wurden immer mehr Bücher nach diesem Stufenmodell geschrieben, was gut funktioniert z.B. bei Science-Fiction (William Gibson) oder Avantgarde (Thomas Pynchon). Solche Werke streben nach einem mehrschichtigen erzählerischen Selbstbewußtsein, wie es historische Longseller unabsichtlich schon immer taten †¦ oder ausdrücklich absichtlich, wie Dante mit seiner »Göttlichen Komödie«

ECO - TEXT ZWEI: spezieller zu Qualitätsbestseller
QB ist Buch, das vielen gefällt, obwohl es einen gewissen künstlerischen Anspruch hat, sowie »Leser mit Problemen und Verfahrensweisen konfrontiert, die früher allein das Kennzeichen der Elitekunst waren.«
Man beachte die möglichen Betrachtungsweisen:
1. Ist ein QB angelegt auf Popularität und nutzt aber auch anspruchsvolle Textstrategien; oder
2. ist QB ein anspruchsvoller Roman, der mysteriöserweise populär geworden ist.
- Nimmt man 1. an, dann fragt man nach einer Strukturanalyse des Werkes. - {Siehe Schreibschulen-Rezepte, Märchen von Blockbuster-Drehbuch-Software};
- Geht man von 2. aus, unternimmt man ehr Rezeptionssoziologie, beobachtet Veränderungen in den Neigungen des Lesepublikums. Man unterschätze nicht: a) Kategorie der naiven Leser die gesättigt sind und Reiz von Anspruchsvollerem entdeckt; b) viele Leser heben Techniken der modernen Literatur absorbiert. Eco dazu wörtlich: »Es handelt sich {beim QB} also keineswegs um außergewöhnliche Phänomene, sondern um solche, die in der Geschichte der Kunst und der Literatur nicht selten vorkommen, auch wenn sie sich von Epoche zu Epoche anders erklären lassen.«

{An dieser Stelle nun gleich eine straffe Übersicht zum postmodernen Erzählens und der Techniken der literarischen Moderne, die in QB eben auch massentauglich Anwendung finden. Ich folge darin dem Anfang des zweiten Eco-Textes.}

Postmodernes Erzählen:
A) Selbstbezüglichkeit: Metanarritivität - Eigentlich ein alter Hut, bekannt seit Homers »Singe mir, Muse†¦« (Beginn der Odysse). a) Text reflektiert seine eigene Wesensart, oder b) Stimme des Autors der sich Gedanken macht über das macht, was er erzählt, und womöglich den Leser auffordert, diese Gedanken zu teilen.

B) Selbstbezüglichkeit / Dialogismus: Texte »sprechen« miteinander - Offenkundig beim Zitatismus (z.B. Popsong-Titel als Kapitelüberschriften). Auch schon alter Hut (Dante zitiert Troubadur Arnaut Daniel). Eco dazu: »Leser, die nicht imstande sind, diese Form des intertextuellen Zitats zu erkennen †¦ sind vom Verständnis ausgeschlossen.«

C) Doppelcodierung: Mischung von hohen und populären Elementen {Melodiebögen von Henry Purcell bei den Beatles; Grundmuster des Helden-Weges wie bei Joseph Campell als Grundmuster eines Filmes.} Viele literarische Werke werden von breitem Publikum akzeptiert, weil sie einen wiedererkennbaren Plot mit spannender Handlung bieten, obwohl gelehrte Anspielungen und anspruchsvolle Stilmittel verwendet werden.

Anspruchsvolle Stilmittel (siehe oben --> Kennzeichen der Elitekunst):
- innerer Monolog {James Joyce, Virginia Wolfe}
- Metanarratives Spiel {T.S. Eliot »The Waste Land«}
- Vielzahl der Stimmen bis zur Einmischung {mir fällt kein markantes Beispiel ein; hat jemand von Euch Vorschläge?}
- Aufbrechen der Zeitlichen Folge {bin heute blanko, wieder kein knackiges Beispiel in meinem Hirn}
- rascher Wechsel der Stilregister {Mervyn Peake, Alban Nicolai Herbst}
- Vermischen von Erzählebenen {erste und dritte Person; freie indirekte und erlebte Rede}.

{Nun ist es interessant, sich selbst zu beobachten, welche der folgenen Leserhaltungen man bezüglich der Doppelcodierung hat.}

1. Man mag die Vermengung von hohen und niederen Ebenen nicht; setzt voraus, daß man die Mischung als solche erkennt.
2. Man fühlt sich wohl mit dem Wechsel von Schwierigkeiten/Entgegenkommen, Herausforderung/Einladung, feinem Humor/Brachialkomik usw.
3. Man betrachtet Text als liebenswürdige Einladung, genießt Werk ohne die Wechsel zu bemerken (= man kennt den Bezugsrahmen nicht).
ECO ENDE
--------------------

Ganz schlimm wäre es nun, dies alles gleich irre zu ideologisieren, nur weil Begriffe wie Elite, nieder, hoch, anspruchsvoll usw. gebraucht werden. - Trotzdem könnte man frei die reine Unterhaltung mittels Spannung und Plot mit dem Schauen eines Snooker-Turniers vergleichen, den postmodernen facettenreichen und stilpanoptischen Roman mit einer guten Folge des Philosophischen Quartetts (eigene Liebslingssportarten/Talksendungen einsetzten).

Ich hoffe ein wenig zu Diensten gewesen zu sein, mit diesem Ausflug.
Grüße
molosovsky/alwo

Bearbeitung: Schweren Fehler korrigiert (siehe folgenden Sullivan-Beitrag) und eine Klammer geschlossen.

Bearbeitet von molosovsky, 08 April 2004 - 11:36.

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#88 Sullivan

Sullivan

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Geschrieben 08 April 2004 - 08:26

Hallo molosovsky,zu "BEGINN ECO - TEXT EINS:"Punkt A und C heißen beide "best sold books", allerdings mit unterschiedlichen Erklärungen. Ist das richtig?Ansonsten eine schöne kompakte Zusammenfassung. Jetzt könnte man mal ein paar SF/Fantasy Bestseller auf die Kriterien abklopfen, oder?Sullivan

#89 Helmuth W. Mommers

Helmuth W. Mommers

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Geschrieben 08 April 2004 - 09:48

Bradbury, Ballard, Smith und viele andere sind im Grunde Phantastik-Autoren, deren Werke wegen des äußeren oder zeitlichen Umfelds (fremde Planeten, Raumschiffe, mehr oder weniger ferne Zukunft) der Handlung in den SF-Reihen gelandet sind. Mit Wissenschaft haben diese Texte fast nichts am Hut, was aus meiner Sicht kein Nachteil ist.

Da stimme ich weitestgehend zu, wobei ich bei Ballard schon Wissenschaft finde, allerdings eher Medizin und Psychologie - muß wohl an seinem Studium gelegen haben. Nur eben kaum Technik, was leider häufig mit Wissenschaft gleichgesetzt wird.

Klammern wir uns doch nicht immer an das Wort Science in Science Fiction, im Sinne von Wissenschaft und (vor allem) Technik. Das hat man schon in den 40er-Jahren nicht mehr so wichtig genommen, erst recht nicht ab den 50ern. Was soll´s!

Längst, seit vielen Dekaden, geht es um Speculative Fiction unter dem Logo "Science Fiction": Auf logischer Basis, egal wie verrückt die Prämisse, auf Grundlage der bekannten Naturgesetze und wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aber freilich darf wild drauf los spekuliert werden...

Natürlich sind die meisten Ballards und C. Smiths und auch sehr viele Bradburys SF. Gewisse aber, zweifellos, reine Fantasy.

Und SF - und Fantasy - und Mystery - und teils HORROR - und was der Spielarten noch mehr sind, gehören alle zum Oberbegriff Phantastik.

Um darauf zurückzukommen: Was also ist gute SF?

Wenn wir uns nun über Begriffe halbwegs einigen können...

#90 eRDe7

eRDe7

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Geschrieben 08 April 2004 - 09:49

Aufbrechen der Zeitlichen Folge {bin heute blanko, wieder kein knackiges Beispiel in meinem Hirn}

Mein Lieblingsroman: DER VERFÜHRER von Jan Kjaerstad (und dessen 2. Teil DER EROBERER). Die Erzählung von Jonas Wergelands Leben folgt nicht einer kausalen zeitlichen Ordnung, sondern springt nach Auftreten bestimmter Symbole in der Geschichte herum. Teilweise wirkt dabei das Symbol sogar "rückewärts" in die Vergangenheit. Ansonsten könnte man vielleicht Cortázars RAYUELA nehmen, einen Roman, den man entweder von Kapitel 1 bis 56 lesen kann - oder aber nach einem anderen Muster, das im Vorwort angegeben ist und mit Kapitel 73 beginnt. Extremer noch: B. S. Johnson. Jetzt bin ich mir mit dem Titel nicht sicher, ich glaube: DIE UNGLÜCKSRABEN. Das Buch wird in Form von Karteikarten geliefert, damit sich jeder nach eigenem Geschmack den Roman zusammenstellen kann. Da ist die zeitliche Folge absolut aufgebrochen. Danke Alwo, das hat mein Begriffswirrwar der Email an Dich ein wenig aufgelöst. :) Gruß, Ralph

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