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Exploitation SF


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312 Antworten in diesem Thema

#61 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 00:15

Ich nehme an, du meinst z. B. auch die derzeit rollende Welle der Zombiesierung (oder Verwerwolfung) von
Klassikern der (Unterhaltungs-)Literatur, was ursprünglich mal eine originelle Idee war und jetzt bis zum Erbrechen
ausgeweidet wird.


Daran habe ich anfangs gar nicht gedacht, aber stimmt. Alle von Dir genannten Phänomene gehören sicher in
diesen Bereich.

Die SF-Publizistik leidet schön seit langem darunter, daß kaum noch Trilogien mit weniger als fünf Bänden erscheinen.

#62 eRDe7

eRDe7

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 00:22

Eigentlich wollte ich mich ja raushalten, weil mir diese Diskussion ein wenig sinnlos erscheint: am Ende schütteln sich hoffentlich alle metaphorisch die Hände und sagen Dinge wie: Jeder soll schreiben/lesen, was ihm gefällt ... Und die Verlage das verlegen, was sie meinen verlegen zu wollen/müssen.

Aber eine Behauptung von Michael ist mir ein wenig aufgestoßen:
Die Sache, dass sich Joyce Carol Oates, Roth, Houellebecq usw. sehr gut verkaufen würden, was dagegen spräche, dass die Masse "nur Schund" lesen möchte ...

Erst einmal: Oates verkauft sich von den dreien mit Abstand am schlechtesten - und verglichen mit Autoren wie Schätzing könnte man sagen, sie verkauft sich überhaupt nicht (in Deutschland) ...

Houellebecq verkauft sich, zumindest wenn ein neues Buch kommt, meiner Meinung nach in erster Linie, weil die Menschen einen Skandal erwarten, bzw. weil das Erscheinen seiner Bücher meistens von irgendeinem Skandal begleitet werden. Desweiteren erhoffen sich die meisten Welthass und Sex in den Büchern zu finden, das hat weniger mit seiner literarischen Qualität zu tun, denke ich.

Roth - das ist ein anderes Phänomen. Komischerweise höre ich dauernd von Leuten, die seine Bücher kaufen, genervte Kommentare, wenn sie reingelesen haben. Möglicherweise kaufen sie ihn aus so einer Art "Pflichtbewusstsein", weil er dauernd im Feuilleton besprochen wird?

Jedenfalls verglichen mit Schätzing, Brown und dergleichen verkauft sich auch Roth ziemlich erbärmlich.
Um den Unterschied deutlicher zu machen: Erscheint ein neuer Roth, liegen bei uns in der Buchhandlung 70 Exemplare in der Gegend herum und verkaufen sich über die Monate langsam weg.
Erscheint ein neuer Schätzing kommt mindestens eine Palette mit 500 Exemplaren - und die reicht bei weitem nicht so lange wie die 70 Exemplare von Roth (oder die 5 Exemplare von Oates).

Nebenbei bemerkt: Ich finde es nicht sonderlich schlimm, wenn Autoren schreiben, um Geld zu verdienen und sich deshalb anbiedern. Ich muss sie ja nicht lesen.
Dass Verlage wirtschaftlich denken, mag für einige Autoren bedauerlich sein, aber nicht zu ändern. Autoren, die da mitmachen, obwohl es gegen ihre Ansichten verstößt, sind selber "schuld". Aber die müssen selbst wissen, was sie tun.

Ich habe z.B., ohne den Autor zu konsultieren, in
einem Essay über Ballard, glaube ich, recht gut wiederkehrende Bilder und Motive auf einzelne Lebens-
stationen zurückführen können. Das war mühsam, aber machbar, weil die Zusammenhänge in seinen
Interviews und Selbstaussagen aufzufinden waren.


Hm, dann hättest Du es aber zum Beispiel bei Leo Perutz (zumindest zu dessen Lebzeiten) extrem schwer gehabt, da er auf einer strikten Trennung von Leben und Werk bestand.


Mann, bin ich müde.
Gute Nacht,
Ralph

R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)

R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)

 


#63 Gast_Frank W. Haubold_*

Gast_Frank W. Haubold_*
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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 06:34

Houellebecq verkauft sich, zumindest wenn ein neues Buch kommt, meiner Meinung nach in erster Linie, weil die Menschen einen Skandal erwarten, bzw. weil das Erscheinen seiner Bücher meistens von irgendeinem Skandal begleitet werden. Desweiteren erhoffen sich die meisten Welthass und Sex in den Büchern zu finden, das hat weniger mit seiner literarischen Qualität zu tun, denke ich.


Dem muß ich widersprechen. Houellebecq mag ein Sonderling und Provokateur sein, aber es gibt m. E. kein Buch, daß das Dilemma unserer (westlichen) Zivilisation so gnadenlos und doch mitfühlend offenlegt wie z. B. "Elementarteilchen". Das mit "Welthass" oder "Sex" abzuqualifizieren, erscheint mir dann doch ein wenig oberflächlich, wobei ich die Motive der breiten Leserschaft natürlich auch nicht kenne. Der Vorwurf mangelnder literarischer Qualität ignoriert, daß H. auch ein anerkannter Lyriker ist und durchaus mit der Sprache umgehen kann. Insgesamt erscheint mir Deine Einschätzung als akademisch in der Richtung, daß nur gut sein kann, was auch ernsthaft und ohne Provokation daherkommt.

Akademisch erscheint mir auch (in Teilen) die Eingangsdiskussion, denn natürlich läßt jeder Autor ganz automatisch Dinge in seine Werke einfließen, die er im Laufe seines Lebens gelesen hat. Es dürfte schwierig bis unmöglich sein, einen SF-Roman zu schreiben, der nicht auf bereits behandelte Themen zurückgreift.

Anders verhält es sich bei Retorten-Thrillern von Schlage eines "Schwarmes", die konkret auf die Bedürfnisse einer breiten Leserschicht angelegt sind, und geschickt die Erwartungen z. B. zumeist grün wählender Mülltrenner und Delphin-Freunde bedienen, garniert mit einem leichten Touch Antiamerikanismus, um auch die 68er und Alt-Hippies sowie den akademischen Nachwuchs zufriedenzustellen. Hier sehe ich im Gegensatz zu Andreas nicht die Spur einer Idee oder gar einer Vision, denn was hier extrem pseudowissenschaftlich als vermeintliche Aufklärung daherkommt, ist m. E.. knallhartes Kalkül, von der Seitenschinderei, die heutzutage wohl en vogue ist, ganz abgesehen. Ich habe das Buch allerdings nicht bis zu Ende gelesen; vielleicht enthält es doch ungeahnte Qualitäten, die mir deshalb entgangen sind ...

Da ist mir dann ein ehrlicher Militarist wie John Ringo dann doch noch lieber, der gar nicht erst vorgibt, die Welt retten zu wollen, was die hierzulande obwaltende Öko-Heuchelei (Müll in 10 Sorten trennen, aber als Vielflieger Dutzende Tonnen Flugbenzin zu verbrennen helfen) ohnehin nicht bewirken wird. Und Michel Houellebecq sowieso, der selbsternannte "Moralisten" gewiß als ebenso lächerlich empfindet wie ich.

#64 Naut

Naut

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 07:19

Das mit "Welthass" oder "Sex" abzuqualifizieren, erscheint mir dann doch ein wenig oberflächlich, wobei ich die Motive der breiten Leserschaft natürlich auch nicht kenne. Der Vorwurf mangelnder literarischer Qualität ignoriert, daß H. auch ein anerkannter Lyriker ist und durchaus mit der Sprache umgehen kann. Insgesamt erscheint mir Deine Einschätzung als akademisch in der Richtung, daß nur gut sein kann, was auch ernsthaft und ohne Provokation daherkommt.

Da hast Du Ralph missverstanden, Frank. Ihm ging es darum zu erklären, was der Massengeschmack in H. sieht, nicht was evtl. tatsächlich darin ist. Nach Ralph ist es gut möglich, dass H. ein ganz hervorragender Literat ist, allein, das große Publikum sieht in ihm nur den misanthropischen Provokateur.

Anders verhält es sich bei Retorten-Thrillern von Schlage eines "Schwarmes", [...] Ich habe das Buch allerdings nicht bis zu Ende gelesen; vielleicht enthält es doch ungeahnte Qualitäten, die mir deshalb entgangen sind ...

Da kann ich Dich beruhigen: Die Qualitäten, die das Buch zu Beginn durchaus aufweist, nämlich die lebendige Szenerie, verflüchtigt sich zum Schluss spurlos. Alles löst sich in einen zähen Hollywood-Quark auf.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#65 Gast_Michael Iwoleit_*

Gast_Michael Iwoleit_*
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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 08:33

Dem muß ich widersprechen. Houellebecq mag ein Sonderling und Provokateur sein, aber es gibt m. E. kein Buch, daß das Dilemma unserer (westlichen) Zivilisation so gnadenlos und doch mitfühlend offenlegt wie z. B. "Elementarteilchen". Das mit "Welthass" oder "Sex" abzuqualifizieren, erscheint mir dann doch ein wenig oberflächlich, wobei ich die Motive der breiten Leserschaft natürlich auch nicht kenne.


Ich glaube, hier liegt wirklich ein Mißverständnis vor. Frank kann ich versichern, daß Ralph sich viel zu
gut mit der aktuellen Literatur auskennt, um selbst unverdauten Klischees anzuhängen.

Houellebecq wird sicher nicht das letzte Opfer eines in Presse und Werbung immer wieder gern geübten
und immer wieder gleich dämlichen Spekulierens mit dem Skandal zu sein. Wen interessieren schon die
eigentlichen Motivationen des Autors, wenn sich irgendwo im Buch ein paar schlüpfrige Stellen finden
lassen?

Ich sehe hier ein weiteres Beispiel für die von mir an anderer Stelle beklagte Geschichtsblindheit, vor
allem im kulturellen Bereich. Das eigentlich Absurde an den von Frank immer wieder gern genannten
"Feuchtgebieten" besteht ja nicht darin, daß ein dummes Mädchen ihre Leser mit allerlei Unappetitlichkeiten
zuschleimt, sondern daß diesem dummen Mädchen überhaupt jemand zuhört. Es gibt praktisch keinen
Skandal und keinen Tabubruch, der in der Kunst/Literatur des 20sten Jahrhunderts nicht spätestens bis
zu den Vierzigerjahren abgehakt worden ist. Wer heute noch meint, einen einigermaßen gebildeten und
intelligenten Menschen durch Skandale schocken zu hocken, ist ungefähr so weit hinter der Zeit zurück
wie jemand, der sich in einer Fußgängerzone die Kleider vom Leib reißt und auf die Existenz seiner
Geschlechtsteile hinweist. Den Dösis mag das spektakulär und mutig erscheinen - für alle anderen hält
sich der Erkenntnisgewinn in engen Grenzen.

Gruß
MKI

#66 Henrik Fisch

Henrik Fisch

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 09:31

Wer heute noch meint, einen einigermaßen gebildeten und intelligenten Menschen durch Skandale schocken zu hocken, ist ungefähr so weit hinter der Zeit zurück wie jemand, der sich in einer Fußgängerzone die Kleider vom Leib reißt und auf die Existenz seiner Geschlechtsteile hinweist. Den Dösis mag das spektakulär und mutig erscheinen - für alle anderen hält sich der Erkenntnisgewinn in engen Grenzen.

Tja, mit Blick auf die verkaufte Auflage der Bild-Zeitung und eben jenes „Feuchtgebiete“-Werkes - letzteres habe ich übrigens auch gekauft - ist man dann überrascht, wie sehr sich die Zahlen auf die „Dösis“ und auf „alle anderen“ verteilt. Mir stellt sich in dem Zusammenhang in letzter Zeit verstärkt die Frage, ob es nicht schlicht und einfach schöner wäre, zu den „Dösis“ zu gehören. Aber das ist ein anderes Thema.

Womit ich gerne noch einmal die Frage stelle, wozu diese Diskussion hier in diesem Thread eigentlich geführt wird. Erzähl doch mal, was Du eigentlich mit diesem Thread erreichen willst. Ich kratze mich die ganze Zeit am Kopf und komme nicht so richtig dahinter.

... und frage mich, ob ich nun zu den „Dösis“ oder zu „allen anderen“ gehöre.

Bis dennen,
Henrik
Gerade fertig gelesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Himmelsjäger"
Gerade am Lesen
Gregory Benford, Larry Niven, "Sternenflüge"
Gerade gesehen
Serie "Mad Men"

#67 Gast_Frank Böhmert_*

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 09:53

Ich sehe hier ein weiteres Beispiel für die von mir an anderer Stelle beklagte Geschichtsblindheit, vor
allem im kulturellen Bereich. Das eigentlich Absurde an den von Frank immer wieder gern genannten
"Feuchtgebieten" besteht ja nicht darin, daß ein dummes Mädchen ihre Leser mit allerlei Unappetitlichkeiten
zuschleimt, sondern daß diesem dummen Mädchen überhaupt jemand zuhört. Es gibt praktisch keinen
Skandal und keinen Tabubruch, der in der Kunst/Literatur des 20sten Jahrhunderts nicht spätestens bis
zu den Vierzigerjahren abgehakt worden ist.

Das hängt, so ungern ich das sage, aber vielleicht auch einfach damit ab, dass wir älter geworden sind, Kollege.

Ich habe als junger Mann meinen Bukowski und meinen William Burroughs gelesen; das waren meine größten persönlich erlebten literarischen Tabubrecher. Später, weit in meinen Dreißigern, kamen dann Vorläufer wie Bataille und de Sade hinzu. Da locken mich jetzt als, ähem, "noch rüstiger Mann von 48 Jahren" (Marchwitza) Leute wie Charlotte Roche nicht. Wäre ich heute zwanzig, täten sie das vielleicht. Denn Bukowski und Burroughs wären dann doch Eltern-, ach was, Großelterngeneration und damit gähn!


-----

P.S. Deinen Verschreiber "schocken zu hocken" finde ich übrigens klasse. Das hat die Wucht von "Schwerter zu Pflugscharen".

Bearbeitet von Frank Böhmert, 12 Oktober 2010 - 09:54.


#68 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:09

In Deinen Büchern sehe ich die Exploitation-Tendenz immer stärker ausgeprägt in den Romanen Eine Billion Dollar, Der
Nobelpreis, Ausgebrannt
. Aber dazu später mehr.


Ich harre gespannt.

#69 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:13

Etwas ganz anderes ist ein Autor, der immer nur auf fahrende Züge aufspringt, die er nicht in Gang
gebracht hat. Nach dem Motto: "Tolle Idee. Kein Wunder, daß alle darüber reden. Sollte ich auch mal
machen, dann reden vielleicht alle über mich."*

* Nicht daß ich Dir das unterstellen wollte, Andreas.


Tatsächlich wird für meinen Geschmack eh schon viel zu viel über mich geredet und viel zu wenig über das, was ich schreibe. Eigentlich kenne ich ernsthafte Auseinandersetzungen mit meinen Büchern nur aus Begegnungen mit Lesern hier in Frankreich. Und da verstehe ich nur die Hälfte von dem, was gesagt wird, und kann in meinen Antworten nur ein Viertel von dem rüberbringen, was ich ausdrücken möchte ... :(

#70 Jakob

Jakob

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:27

Dem muß ich widersprechen. Houellebecq mag ein Sonderling und Provokateur sein, aber es gibt m. E. kein Buch, daß das Dilemma unserer (westlichen) Zivilisation so gnadenlos und doch mitfühlend offenlegt wie z. B. "Elementarteilchen". Das mit "Welthass" oder "Sex" abzuqualifizieren, erscheint mir dann doch ein wenig oberflächlich, wobei ich die Motive der breiten Leserschaft natürlich auch nicht kenne. Der Vorwurf mangelnder literarischer Qualität ignoriert, daß H. auch ein anerkannter Lyriker ist und durchaus mit der Sprache umgehen kann. Insgesamt erscheint mir Deine Einschätzung als akademisch in der Richtung, daß nur gut sein kann, was auch ernsthaft und ohne Provokation daherkommt.

Akademisch erscheint mir auch (in Teilen) die Eingangsdiskussion, denn natürlich läßt jeder Autor ganz automatisch Dinge in seine Werke einfließen, die er im Laufe seines Lebens gelesen hat. Es dürfte schwierig bis unmöglich sein, einen SF-Roman zu schreiben, der nicht auf bereits behandelte Themen zurückgreift.

Anders verhält es sich bei Retorten-Thrillern von Schlage eines "Schwarmes", die konkret auf die Bedürfnisse einer breiten Leserschicht angelegt sind, und geschickt die Erwartungen z. B. zumeist grün wählender Mülltrenner und Delphin-Freunde bedienen, garniert mit einem leichten Touch Antiamerikanismus, um auch die 68er und Alt-Hippies sowie den akademischen Nachwuchs zufriedenzustellen. Hier sehe ich im Gegensatz zu Andreas nicht die Spur einer Idee oder gar einer Vision, denn was hier extrem pseudowissenschaftlich als vermeintliche Aufklärung daherkommt, ist m. E.. knallhartes Kalkül, von der Seitenschinderei, die heutzutage wohl en vogue ist, ganz abgesehen. Ich habe das Buch allerdings nicht bis zu Ende gelesen; vielleicht enthält es doch ungeahnte Qualitäten, die mir deshalb entgangen sind ...

Da ist mir dann ein ehrlicher Militarist wie John Ringo dann doch noch lieber, der gar nicht erst vorgibt, die Welt retten zu wollen, was die hierzulande obwaltende Öko-Heuchelei (Müll in 10 Sorten trennen, aber als Vielflieger Dutzende Tonnen Flugbenzin zu verbrennen helfen) ohnehin nicht bewirken wird. Und Michel Houellebecq sowieso, der selbsternannte "Moralisten" gewiß als ebenso lächerlich empfindet wie ich.


Irgendwas stimmt hier nicht: Ein Beitrag von Frank Haubold, den ich mit 3 Ausrufezeichen unterschreiben möchte.
Die Welt steht Kopf.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

R. Scott Bakker

"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama

Verlag das Beben
Otherland-Buchhandlung
Schlotzen & Kloben
Blog
  • (Buch) gerade am lesen:Zachary Jernigan, No Return/James Tiptree Jr., Zu einem Preis
  • (Buch) als nächstes geplant:Samuel R. Delany, Dunkle Reflexionen/Thomas Ziegler, Sardor - Der Flieger des Kaisers
  • • (Buch) Neuerwerbung: Julie Phillips, James Tiptree Jr. (Biographie)
  • • (Film) gerade gesehen: Oblivion
  • • (Film) als nächstes geplant: Star Trek Into Darkness
  • • (Film) Neuerwerbung: American Horror Story (Serie)

#71 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:28

Noch ein Gedanke, der mir gekommen ist: Könnte sich hinter der "Exploitations"-Debatte nicht schlicht und einfach der E-versus-U-Literatur-Konflikt verbergen?

Ja, ich weiß, allgemeiner Auffassung nach ist die Unterscheidung in E und U Quatsch. Ich bin allerdings nicht dieser Auffassung, meiner Meinung nach ist das eine sinnvolle und sogar einigermaßen trennscharfe Unterteilung. Und zwar ist das Kriterium schlicht, worauf ein Roman (oder allgemeiner: ein Werk) abzielt. Ein Roman der U-Literatur zielt auf einen Leser, will diesen fesseln, unterhalten, belehren, von redlicher Arbeit abhalten, faszinieren, träumen lassen, was auch immer - jedenfalls: ihm oder ihr ein möglichst unvergessliches Leseerlebnis bereiten. Ein Roman der E-Literatur dagegen zielt darauf ab, die Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks zu erweitern - er ist ein Experiment, dem ein Leser beiwohnen darf, wenn er dies möchte; ob er dabei seinen Spaß hat, muss er selber wissen.

Und was das Verhältnis von E zu U angeht, findet durchaus etwas statt, das man als "Exploitation" bezeichnen könnte, wenn man will, was ich aber eigentlich lieber einen "Lernprozess" nenne würde: Die Ausdrucksweisen und Techniken nämlich, die die E-Literaten erarbeiten und die "funktionieren", werden nach und nach von den U-Literaten übernommen. Die einen entwickeln die Werkzeuge, die anderen benutzen sie nur.

(Deswegen stehen den E-Literaten die ganzen Preise, das Lob im Feuilleton und der Platz im Harenberg zu, als Ausgleich für die Millionen, die die U-Literaten derweil scheffeln. :( )

#72 MoiN

MoiN

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:37

Ja, ich weiß, allgemeiner Auffassung nach ist die Unterscheidung in E und U Quatsch. Ich bin allerdings nicht dieser Auffassung, meiner Meinung nach ist das eine sinnvolle und sogar einigermaßen trennscharfe Unterteilung.


Diese Unterscheidung gibt es seit jeher schon im Musikbereich - mit ähnlichen Formen der Honorierung (U=Knete,E=Ansehen). :(

Wobei da aber häufig die Grenzlinien variieren (was natürlich auch für den Buchmarkt gilt). ;)

πάντα ῥεῖ

 

Büchermarkt ...druckfrisch...dlr lit  ...Verena ... Dana ...swrwi ...brwi ..   .A I N


#73 Gerd

Gerd

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:37

Womit ich gerne noch einmal die Frage stelle, wozu diese Diskussion hier in diesem Thread eigentlich geführt wird. Erzähl doch mal, was Du eigentlich mit diesem Thread erreichen willst. Ich kratze mich die ganze Zeit am Kopf und komme nicht so richtig dahinter.


Ach komm, Henrik, also das ist doch ganz leicht zu merken. Und er hat ja sein Ziel erreicht, der Michael ... :(


Um aber Houellebecq, den sich vielleicht am konsequentesten selbst inszenierenden derzeit schreibenden Autor, als "Opfer" der Presse zu bezeichnen, dazu braucht man allerdings diese ganz bestimmte Sicht der Dinge, wie sie eben ein Michael K. Iwoleit hat.
Sudden moroseness. One hop too far.

#74 Oliver

Oliver

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:40

Danke für den Start dieses sehr spannenden Threads, Michael, der schon eine Vielzahl hochinteressanter Antworten hervor gebracht hat. Aus diesem Grund bitte ich um Nachsicht für jetzt recht viele Quotes, ich versuche, mich kurz zu fassen:

Die Vertreter des Exploitation-Genres waren künstlerische Zweit- und Resteverwerter. Sie haben
keine eigenen thematischen Innovationen gesetzt, sondern sich an vorhandene Erfolge, Themen
und Diskussionen angehängt, seien es Sex, Crime, oberflächliche Exotismen oder was auch immer.

Ich würde die Aussagen in Deinem Ausgangsposting gerne modifizieren und differenzieren wollen. Modifizieren insofern, auch anhand Deiner Beispiele, dass es für mich schon einen Unterschied macht, welche "Spähren" ein Autor anspricht: Natürlich sind fast alle Themen immer schon "da" gewesen, sie aber im Rahmen eines populären Bestsellers größeren Kreisen zur Diskussion zu stellen, halte ich schon für eine originäre Tat und keine Nachahmung, die insbesondere dann nicht verwerflich ist, wenn der Autor famos zu unterhalten weiß. Sicher gab es Gender-Debatten und Dino-Dauerbrenner schon vor Crichton, meine im wahrsten Sinne des Wortes durchwachten Nächte mit "Disclosure" und "Jurassic Park" würde ich aber nicht missen wollen. In der Breite hat sich Crichton eben nicht 'dran' gehängt, sondern das Thema in breitere Kreise überführt. Ähnliches gilt für Andreas Eschbach: Wenn er einen alten Topos wie die Zeitreise so verpackt wie im "Jesus Video" - da kann ich nichts Kritikwürdiges empfinden. Ein Zeitreiseroman mit einem so befriedigenden Ende (gerade, weil es so ambivalent ist), das soll ihm erstmal jemand nachmachen.

Und, Andreas, Du solltest die Titulierung als "deutscher Michael Crichton" ruhig als Ehre empfinden. Zum einen kommt so niemand mehr auf die Idee, Dich immer noch als 'Shooting Star' :P zu bezeichnen und zum anderen trifft die Titulierung Deine Romane zwar nicht genau, aber zumindest so ungefähr.

Und Differenzieren würde ich gern solche Autoren wie eben gennant zu wirklichen Resteverwerten, also die wirklichen Schattengewächse: Das sind für mich Autoren, die sich dann DARAN noch dran hängen, wie die diversen Dan Brown-, Tom Clancy und auch Stephen King-Epigonen der letzten Jahrzehnte die entweder bewusst epigonal schrieben, oder von den Verlagen so verkauft wurden (wofür sie dann natürlich nur zum Teil etwas konnten). Das ist jetzt etwas willkürlich in einen Topf geworfen, aber zwischen einem Michael Crichton, der gekonnt populäre Themen besetzt und einem John Saul, der einfach Kings Erfolgsrezepte kopiert, liegen schon noch Welten. Für den Deutschen Markt könnte man die ganzen Autoren nennen, die sich jetzt noch an den Fantasy-Völker-Romane-Trend anhängen, weil es sich eben gut verkauft. DA treffen Deine Vorwürfe (geistige Unbeweglichkeit usw.) dann alle zu.

Hin und wieder mal was Außergewöhnliches, na gut. Aber bei 90 % meiner Lektüre hätte ich gerne immer wieder nur das, von dem ich genau weiß, dass es mir zu lesen Spaß macht. Und das soll auch bitte fleißig weiter geschrieben werden.

Bis vor einige Zeit habe ich sehr ähnlich gedacht, aber je älter ich werde, desto mehr ermüden und langweilen mich solche Wiederholungen. Du würdest als Analogie vermutlich verwenden, dass Literatur da vergleichbar ist mit Sex oder Schnitzel mit Pommes (bzw. in Deinem speziellen Fall: gut gewürzte Grashalme), also dass etwas Schönes auch immer wieder Spaß macht. Ich würde im Gegensatz dazu immer mehr zur Analogie mit dem mehrfach aufgebrühten Teebeutel greifen: Man weiß, dass der Tee schmeckt, aber jedes Mal wird es etwas fader und labbriger. Der Spaß an dieser spezifischen Form von sich wiederholender Schönheit nimmt kontinuierlich ab, für mich. Etwas Außergewöhnliches zu lesen hat für mich also (da müssen wir mal ehrlich sein, oder, das spielt bei vielen durchaus eine Rolle!) immer weniger etwas mit "Abgrenzen von der Masse" zu tun (auch dieses Forum ist voll mit Postings mit "Mainstream"-Schelten...), sondern mit Notwehr, weil mich vieles sonst anödet. Und um S.T. Joshis Begriff des 'negativen Elitismus' zu benutzen, bevor Du wieder mit dem Schnösel-Argument kommst, Dirk: Gewisse Arten von Bestsellerfutter lese ich nach wie vor für mein Leben gerne und werde mir das auch nicht nehmen lassen (Eschbach, Clancy, Grisham - Crichton geht ja leider nicht mehr, seufz), aber es wird zumindest bei mir weniger. Und einfach weniger lesen möchte ich gar nicht. Da kann ich mich Michael anschließen: Ich möchte auch immer mehr davon lesen, wo ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Allerdings muss man natürlich rechtzeitig die Reißleine ziehen, wenn das, was da ankommt, Mist ist. Du wirst jetzt sagen, Dirk, dieses Mist-Risiko umgehst Du durch Deine Lesestrategie ein wenig. Das ist dann halt eine Frage unterschiedlicher Abwägungsentscheidungen.

Die Welt und die Kulturen sind enger zusammengerückt. Heute schadet ein eingeschränkter bildungsbürgerlicher/eurozentrischer Blickwinkel nur. Will sagen, die Schüler sollten nicht nur etwas über
Klassiker sondern auch über Genreliteratur lernen, sie sollten nicht nur europäische oder amerikanische Topnotches lesen,
sondern auch asiatische oder afrikanische Literatur, damit sie kulturell etwas mehr auf die Welt vorbereitet sind, mit der
sie es heutzutage unweigerlich zu tun bekommen werden.

Ich weiß, alles sehr utopisch

Alles richtig, aber alles wirklich sehr utopisch. Vielleicht müssen wir uns in Europa einfach auf eine eurozentrischen Standpunkt konzentrieren, denn ein Schuljahr ist kurz und wenn man von einem Lehrer auch noch erwartet, neben den europäischen Klassikern auch noch Weltliteratur wie das indische Mahabharata oder die chinesischen Klassiker von Luo Guanzhong parat zu haben, das dürfte Lehrer, Schüler und Unterrichtspläne schlicht überfordern. Es muss nun wirklich nicht immer Goethe und Schiller (oder, je nach politischer Einstellung des Lehrers: Heinrich Böll und Gudrun Pausewang) sein, aber irgendwo muss man ja mal anfangen - und dann ist die Schulzeit auch schon wieder vorbei.

Ich würde darunter aber auch die "Abschöpfer" zählen, die vom Erbe und der Orginalität eines anderen Autoren schöpfen, bis alles kaputt geschrieben ist, was noch an Würde da war. Frank Herberts Dune ist so ein Beispiel, wo aus jedem Bierdeckel, den Herbert angeblich mal bekritzelt hat, eine Trilogie hervorgebläht wird

Das wäre für mich nochmal eine andere Kategorie als die, die ich oben meinte. Diese Autoren sind für mich nicht gedankenfaul, sondern, sagen wir es mal ganz vorsichtig, "geschäftstüchtig". Dass sie im Zweifel einen zuschanden gerittenen Gaul noch zu Tode reiten, wenn der sich schon nicht mehr bewegt, steht auf einem anderen Blatt. Dies wäre einen eigenen Thread wert, dem ich dann wohl den Titel "Literatur-/Autorenfranchising" geben würde - kein neues Thema (sowas gibt es seit Jahrzehnten, siehe V.C. Andrews etc.), aber eines, was definitiv die letzten Jahre mehr geworden ist (Zimmer Bradley, Ludlum, Robert Jordan). Weil sich Autoren nicht mehr einfach vom Schnitter verbieten lassen, nach ihrem Tode weiter "Neues" zu publizieren - bzw., genauer, publizieren zu lassen. Danke übrigens für die lobende Erwähnung meines Blogs, Lucardus. :(

DPP und Jugendbuchpreis? Wir werden es bei der Diskussion für 2011 mal andenken.

Erst einmal: Oates verkauft sich von den dreien mit Abstand am schlechtesten - und verglichen mit Autoren wie Schätzing könnte man sagen, sie verkauft sich überhaupt nicht (in Deutschland) ...

Houellebecq verkauft sich, zumindest wenn ein neues Buch kommt, meiner Meinung nach in erster Linie, weil die Menschen einen Skandal erwarten, bzw. weil das Erscheinen seiner Bücher meistens von irgendeinem Skandal begleitet werden. Desweiteren erhoffen sich die meisten Welthass und Sex in den Büchern zu finden, das hat weniger mit seiner literarischen Qualität zu tun, denke ich.

Roth - das ist ein anderes Phänomen. Komischerweise höre ich dauernd von Leuten, die seine Bücher kaufen, genervte Kommentare, wenn sie reingelesen haben. Möglicherweise kaufen sie ihn aus so einer Art "Pflichtbewusstsein", weil er dauernd im Feuilleton besprochen wird?Nebenbei bemerkt: Ich finde es nicht sonderlich schlimm, wenn Autoren schreiben, um Geld zu verdienen und sich deshalb anbiedern. Ich muss sie ja nicht lesen.
Dass Verlage wirtschaftlich denken, mag für einige Autoren bedauerlich sein, aber nicht zu ändern. Autoren, die da mitmachen, obwohl es gegen ihre Ansichten verstößt, sind selber "schuld". Aber die müssen selbst wissen, was sie tun.

..und wir müssen es nicht kaufen. Yep. Zu Deinen Ansichten oben kann ich Dir eigentlich nur beipflichten. Joyce Carol Oates habe ich selbst für mich erst vor einiger Zeit entdeckt und lese nur die Originale, weil ihre deutschen Verlage ihren gigantischen Output, der jährlich stark anwächst, nach meiner Beobachtung nur sporadisch publizieren. Dass trotzdem eine Menge Titel von ihr auf Deutsch erhältlich sind, sagt da nicht viel, weil es noch viel mehr Bücher von ihr gibt, die nicht übersetzt wurden oder werden. Und wenn, dann nicht so schnell. Ein untrüglicher Indikator für nur mäßige Verkaufszahlen. Bei Houellebecq glaube ich auch an das "Skandal-Argument" und genervt sein bei Roth kann ich aus eigener Erfahrung etwas bestätigen, wobei ich seine alten Klassiker nicht kenne, seinen neuen "The Humbling" aber zum Beispiel tatsächlich nervig fand.

Anders verhält es sich bei Retorten-Thrillern von Schlage eines "Schwarmes", die konkret auf die Bedürfnisse einer breiten Leserschicht angelegt sind, und geschickt die Erwartungen z. B. zumeist grün wählender Mülltrenner und Delphin-Freunde bedienen, garniert mit einem leichten Touch Antiamerikanismus, um auch die 68er und Alt-Hippies sowie den akademischen Nachwuchs zufriedenzustellen. Hier sehe ich im Gegensatz zu Andreas nicht die Spur einer Idee oder gar einer Vision, denn was hier extrem pseudowissenschaftlich als vermeintliche Aufklärung daherkommt, ist m. E.. knallhartes Kalkül, von der Seitenschinderei, die heutzutage wohl en vogue ist, ganz abgesehen. Ich habe das Buch allerdings nicht bis zu Ende gelesen; vielleicht enthält es doch ungeahnte Qualitäten, die mir deshalb entgangen sind ...

:lol: Danke, Frank, für die grandiose "Schwarm"-Zusammenfassung und Deutung. Du hast mit allem Recht, Frank ich habe das nur selten so schön deutlich und amüsant gelesen und sehr gegrinst. Ich würde das aber nicht als Kritik am Roman ummünzen wollen, denn auch das von Dir beschriebene Publikum möchte halt seine Bionade-Blockbuster und auch wenn man Schätzing Kalkül untersellt, es ist immerhin handwerklich gekonntes Kalkül. Von der Seitenschinderei und dem wirklich schwachen Finale abgesehen, habe ich den "Schwarm" mit großem Vergüngen gelesen, obwohl ich nicht zu dem von Dir korrekt identifizieren Zielpublikums Schätzings gehöre und mit Bionade (oder Indianern und Delphinen) weder als politische Geisteshaltung, noch geschmacklich etwas anfangen kann und Müll nur trenne, weil ich mir sonst schwersten häuslichen Ärger zuziehen würde. ;) Du siehst, man kann Schätzings Romane sogar dann unterhaltsam finden.

Ich sehe hier ein weiteres Beispiel für die von mir an anderer Stelle beklagte Geschichtsblindheit, vor
allem im kulturellen Bereich. Das eigentlich Absurde an den von Frank immer wieder gern genannten
"Feuchtgebieten" besteht ja nicht darin, daß ein dummes Mädchen ihre Leser mit allerlei Unappetitlichkeiten
zuschleimt, sondern daß diesem dummen Mädchen überhaupt jemand zuhört. Es gibt praktisch keinen
Skandal und keinen Tabubruch, der in der Kunst/Literatur des 20sten Jahrhunderts nicht spätestens bis
zu den Vierzigerjahren abgehakt worden ist. Wer heute noch meint, einen einigermaßen gebildeten und
intelligenten Menschen durch Skandale schocken zu hocken, ist ungefähr so weit hinter der Zeit zurück

Das ist zwar richtig, ich glaube aber, Du übersiehst da was. Jede Generation möchte ihre eigenen Skandale haben und natürlich betritt das 'dumme Mädchen' keine Gebiete, die nicht vorher schon von den von Frank erwähnten beiden Herren Bukowski und Burroughs abgegrast wurden. Da kann man Burroughs noch so viel neu auflegen und er sich mit um Reifen gewickelte Hämorriden (yuck!) noch so antrengen - es ist halt alte Literatur. ;) Sagte Frank ja auch.

Tja, mit Blick auf die verkaufte Auflage der Bild-Zeitung und eben jenes „Feuchtgebiete“-Werkes - letzteres habe ich übrigens auch gekauft - ist man dann überrascht, wie sehr sich die Zahlen auf die „Dösis“ und auf „alle anderen“ verteilt. Mir stellt sich in dem Zusammenhang in letzter Zeit verstärkt die Frage, ob es nicht schlicht und einfach schöner wäre, zu den „Dösis“ zu gehören. Aber das ist ein anderes Thema.

Womit ich gerne noch einmal die Frage stelle, wozu diese Diskussion hier in diesem Thread eigentlich geführt wird. Erzähl doch mal, was Du eigentlich mit diesem Thread erreichen willst. Ich kratze mich die ganze Zeit am Kopf und komme nicht so richtig dahinter.

Ein spannender anregender Thread reicht Dir nicht als Raison d'être? Mir persönlich auf jeden Fall schon. Und ob Du zu den "Dösis" gehören willst Henrik, hängt wohl ganz davon ab, wie Du das von Dir gebrauchte Wort "schön" definierst. ;)


Sorry für die Länge. Aber dann dürft ihr halt auch nicht einfach so viel schreiben. :rolleyes: ;) :D

Bearbeitet von Oliver, 12 Oktober 2010 - 10:47.

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#75 eRDe7

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 10:57

Dem muß ich widersprechen. Houellebecq mag ein Sonderling und Provokateur sein, aber es gibt m. E. kein Buch, daß das Dilemma unserer (westlichen) Zivilisation so gnadenlos und doch mitfühlend offenlegt wie z. B. "Elementarteilchen". Das mit "Welthass" oder "Sex" abzuqualifizieren, erscheint mir dann doch ein wenig oberflächlich, wobei ich die Motive der breiten Leserschaft natürlich auch nicht kenne. Der Vorwurf mangelnder literarischer Qualität ignoriert, daß H. auch ein anerkannter Lyriker ist und durchaus mit der Sprache umgehen kann. Insgesamt erscheint mir Deine Einschätzung als akademisch in der Richtung, daß nur gut sein kann, was auch ernsthaft und ohne Provokation daherkommt.

Da habe ich mich wohl undeutoich ausgedrückt: Ich "liebe" ELEMENTARTEILCHEN. Ich meinte damit nicht, dass Houellebecq ein schlechter Autor ist, sondern dass der Grund, dass er sich verkauft nicht seine Qualitäten sind, sondern die Erwartungshaltung bei der "Masse" (oh, gefährliches Wort).
Diese Erwartungshaltung hat nichts mit seiner Qualität zu tun.

Wie Naut so schön gesagt hat.

daß Ralph sich viel zu gut mit der aktuellen Literatur auskennt, um selbst unverdauten Klischees anzuhängen.


Danke, Michael. Aber ehrlich gesagt: Natürlich habe ich auch "unverdaute Klischees", weshalb ich extrem vielen Autoren nicht einmal eine Chance gebe ... Irgendwie muss man ja filtern ...

Zu den "Feuchtgebieten" muss ich sagen, dass ich mindestens einen nicht unbekannten Menschen kenne, der sich extrem mit Literatur beschäftigt und das Buch geradezu liebt ...
Ich habe es nicht gelesen, kann es nicht beurteilen.
Aber dass Skandale und Tabubrüche nach wie vor funktionieren, zeigen Autoren etc. dich immer wieder. Denn:

Den Dösis mag das spektakulär und mutig erscheinen - für alle anderen hält
sich der Erkenntnisgewinn in engen Grenzen.

Der "Markt" oder sagen wir, die Leserschaft, besteht aus 90% solcher, wie Du sie nennst, "Dösis" (würde ich dazu nie sagen).

R. C. Doege: Ende der Nacht. Erzählungen (2010)

R. C. Doege: YUME. Träumen in Tokio (2020)

 


#76 Lomax

Lomax

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 11:10

Was ich meine, ist doch eigentlich etwas ganz Alltägliches, das jeder aus seinem Leben kennt. Nehmen
wir an, Du hast eine lebenslange Leidenschaft, sagen wir Schachspielen. Nehmen wir an, Deine Opa
hat's Dir einst beigebracht und Dir das erste Brett geschenkt. Du hast Dich im Laufe des Lebens immer
wieder damit beschäftigt, und schließlich hat es auch im Schreiben Spuren hinterlassen. Solang sich ein
Autor nicht versteckt wie Thomas Pynchon, wird man solche persönliche Züge aus seiner Biographie
heraus erklären können. Ohne zu spekulieren.

Das will ich gar nicht bestreiten. Es hat ja auch seinen Grund, dass Heerscharen von Germanisten ganz gerne in der Vita von Autoren graben - Hintergrundinformationen auf dem Gebiet können dann durchaus das persönliche Verständnis des konkreten Werkes befördern ... auch wenn im Einzelfall der Erkenntnisbeginn mitunter Illusion bleiben mag, weil es halt doch auf Psychologisieren hinausläuft und keine wirklich solide literaturwissenschaftliche Arbeit mit textlicher Grundlage ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Wichtiger in dem Kontext ist, dass so eine Autorenvita halt nur dazu taugt, um das Verständnis des einzelnen Werkes zu befördern, aber nicht als Grundlage für eine Kategorienbildung, die auch Ansätze zur Textqualität liefert.

Das wird sehr schnell deutlich, wenn man sich die Konsequenzen ansieht, die so ein Ansatz hat. Denn es würde bedeuten, dass die Qualität eines literarischen Werkes nicht vom Werk selbst abhängt, sondern davon, was man zufällig über den Autor weiß - das wird auch nicht dadurch besser, dass man zufällig von einzelnen Autoren mal mehr wissen kann.
Und es würde bedeuten, dass man die Qualität eines Textes verbessern kann, indem man sich als Autor hinstellt und ein paar werthaltige Anekdoten über seine tiefschürfenden Gedanken beim Schreiben des Werkes anstellt. Das widerspräche dann allem, was ich je über Textqualität gelernt habe - denn im Gegenteil ist es eher ein Beleg für schlechte Textqualität, wenn das Werk nicht alleine stehen kann sondern immer den Autor braucht, der daneben steht und eine Gebrauchsanweisung liefert.
Das halte ich dann schon mal für sehr stichhaltige Gegenproben, die zeigen, dass es eben nicht funktioniert, wenn man "Exploitation" als qualitätstragendes Merkmal von Literatur etablieren möchte und dann festlegen will, dass dieses Merkmal sich letztlich nur in Kenntnis der Autorenintention, nicht am Werk selbst festmachen lässt.

Ganz abgesehen von dem unangenehmen Nebeneffekt, dass so ein Ansatz letztlich doch dazu verleitet, mal eben kurzschlussartig nur vom Werk auf die Intention des Autors rückzuschließen und die Mutmaßungen dann für ernstzunehmende Aussagen über das Werk zu halten. Bei allem, was man durch ernsthafte Beschäftigung über die Autorenvita erfahren kann - ich denke jeder Autor hat oft genug erfahren, dass solche Kurzschlüsse von Werk auf Autor ganz alltäglich sind, nahe liegen und darum im Alltag einfach häufiger vorkommen als die fundierte Auseinandersetzung mit dem Werkhintergrund. Und dass die dabei getroffenen Aussagen meist wirklich ziemlich dämliche Spekulationen sind, über die man sich manchmal amüsieren, manchmal ärgern kann, zu denen man aber auch nicht noch ermuntern sollte, indem man dem Leser suggeriert, er müsste sich immer auch erst zurechtlegen, was der Autor sich beim schreiben gedacht hat, um das Werk richtig einzuordnen.
Das liefe dann wirklich dem Anspruch zuwider, wertige Literatur zu ermitteln, weil der Ansatz dann gerade den klassischen und meistbeklagten Denkfehler des hier im Thread so gerne zitierten "Literaturdösis" zum gültigen Kriterium adelt. Zugespitzt gesagt: Der Ansatz, dass die Qualität eines Textes an der Autorenintention hängt, entspringt genau der Sphäre einer geistig verarmten Literaturbetrachtung, von der sich die qualitative Besetzung eines "Exploitation-Begriffes" eigentlich abgrenzen möchte.

... und frage mich, ob ich nun zu den „Dösis“ oder zu „allen anderen“ gehöre.

Ich denke mal, da kannst du dich recht frei und unbefangen positionieren ;)
Ich erinnere mich gut genug an mein Germanistikstudium und an meine Erfahrungen im Kleinstädtischen Literaturbetrieb, um feststellen zu können, dass ich unter den Lesern, die allgemein als "wertig" eingestufte Literatur konsumieren, auch nicht mehr Leute gefunden habe, die ich als intelligent und gebildet einstufen würde, verglichen mit den Konsumenten einfacher Unterhaltung (oder "Exploitation" - denn dadurch, dass "Exploitation" im Eingangsposting so weit und schwammig definiert und zur Abgrenzung von hochwertiger Literatur benutzt wurde, sind wir de Facto tatsächlich schlichtweg in der üblichen U/E-Diskussion). Da ergeben sich die literarischen Vorlieben oft eher durch das soziale Umfeld und dadurch, was man bildungsmäßig gerne wäre, als dadurch, dass man selbst einen besseren Literaturgeschmack hätte. In einem Kontext, der literarische Bildung hauptsächlich durch Kenntnis des richtigen Werk- und Autorenkanons festmacht, kann das auch recht gut funktionieren, wenn man nur dabei bleibt, liest, was so empfohlen wird, dazu eine Meinung vertritt, die man selbst irgendwo gelesen hat - da muss man nicht selbst viel verstehen oder in der Lage sein, literarische Qualität abseits grober Marker auch allein zu erkennen, wenn man sie in unvertrautem Kontext sieht.
Die "Diboos" da draußen - also die Leute, die durchaus wissen, was sie tun, aber trotzdem lieber Unterhaltung lesen als Anspruch - sind da durchaus zahlreich und vermutlich erheblich zahlreicher als die ebenso reflektierten Leser unter den Käufern anspruchsvoller Literatur. Was einfach an der Größe des Marktes liegt.
Wenn also die "Dösis" in beiden Lesergruppen in der Mehrheit sind, ist es eigentlich auch ziemlich egal, wo man sich positioniert, und es hat vermutlich mehr mit Neigung und Selbstbewusstsein zu tun als mit Qualitätsansprüchen.
Das eigentlich bemerkenswerte ist die Tatsache, dass die gehaltvolle Literatur die Mehrheit der Mitläufer braucht, um überhaupt lebensfähig zu sein. Das gelegentliche "Skandalbuch", eine breite Erwähnung gehypter Titel im Feuilleton, der in genug intellektuell-sein-wollenden Lesern den recht unreflektierten Impuls erweckt, das Ding kaufen "zu müssen" - das ist in dem Marktsegment letztlich die lebensnotwendige Blutspende, die es Verlagen und Autoren überhaupt erlaubt, weiterhin zu überleben und das Kulturgut zu pflegen. Nur mit den interessierten Lesern, die von sich aus qualitätsbewusst lesen, die gute Literatur auch selbst erkennen und aktiv suchen, damit könnte auch die gehobene Literatur nicht überleben.
Der Übergang von Kultur zu Kommerz, vom goutierendem Leser zum marketinggeführten Konsumenten ist damit durchaus fließend und kein spezielles Merkmal von Massen-, Unterhaltungs- oder eben "Exploitation"-Literatur. Dementsprechend ist die Diskussion auch mal wieder eine sehr theoretische. Selbst wenn man einen Kern an "Exploitation"-Literatur umreißen könnte - alle damit verbundenen Aussagen zu Wertigkeit, Leseransprache, Marktgestaltung sind im Zweifel viel zu komplex, als dass sie sich mit diesem Phänomen verbinden ließen und am Ende geeignet wären, einen insgesamt "besseren" und "schlechteren" Teil des Literaturmarktes abzugrenzen.

Könnte sich hinter der "Exploitations"-Debatte nicht schlicht und einfach der E-versus-U-Literatur-Konflikt verbergen?
...
Und was das Verhältnis von E zu U angeht, findet durchaus etwas statt, das man als "Exploitation" bezeichnen könnte, wenn man will, was ich aber eigentlich lieber einen "Lernprozess" nenne würde: Die Ausdrucksweisen und Techniken nämlich, die die E-Literaten erarbeiten und die "funktionieren", werden nach und nach von den U-Literaten übernommen. Die einen entwickeln die Werkzeuge, die anderen benutzen sie nur.

Dass es hier um U/E geht, war am Anfang absehbar und spätestens dann in der Debatte realisiert, als man bei den "Gedanken der Autoren" angelangt war. Diese Vagheit und das Gefühl, eine altbekannte Debatte mal wieder aufgewärmt zu sehen, war eigentlich mein Grund, gar nicht erst einsteigen zu wollen. Jetzt hab ich mich doch festgequatscht :(.
Wie auch immer, noch dazu: Die Vorstellung, dass bewährte Elemente der Literatur allmählich in die Unterhaltung einsickern, der E-Lit als Experimentierwiese, den halte ich mittlerweile auch schon wieder für veraltet. Zumindest aus der deutschen Hochliteratur der letzten 30 Jahre sind mir keine Elemente bekannt, die es noch in die Unterhaltungsliteratur geschafft hätten. Da habe ich das Gefühl, hat sich inzwischen ein Bedeutungswandel vollzogen vom Trendsetter zum getriebenen - dass die deutsche Hochliteratur sich inzwischen vor allem durch die Abgrenzung vom Massenmarkt definiert.
Und eine defensive Haltung ist nie geeignet, um Innovationskraft zu entwickeln.
Dass mit der "Exploitation" funktioniert trotzdem in gewisser Hinsicht, weil ich die Sachlage im angelsächsischen Raum doch anders einschätze. Dort, und in schwächerem Maße auch anderswo im Ausland, sind tatsächlich noch Einflüsse erkennbar, die von der ernsthaften Literatur kommen und eine "leichtere" Zweitverwertung erfahren. Aber insgesamt sehe ich das angesprochene Modell durchaus in Frage gestellt und habe das Gefühl, dass da zunehmend Abschottung und Abgrenzung anstelle einer Bereicherung tritt.
Es lohnt sich also durchaus, das aus meiner Schulzeit bekannte Modell zu hinterfragen und sich zu überlegen, inwieweit da tatsächlich noch "Werkzeuge" entwickelt und anderswo genutzt werden - und inwiefern das auch nur noch ein Idealbild aus alten, glücklicheren Tagen ist ... :rolleyes:
"Modern Economics differs mainly from old Political Economy in having produced no Adam Smith. The old 'Political Economy' made certain generalisations, and they were mostly wrong; new Economics evades generalisations, and seems to lack the intellectual power to make them." (H.G. Wells: Modern Utopia)

#77 fictionality

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 12:51

Dass es hier um U/E geht, war am Anfang absehbar und spätestens dann in der Debatte realisiert, als man bei den "Gedanken der Autoren" angelangt war.


Also ich finde, die U/E-Debatte hat mit diesem Thema nur wenig zu tun. Es geht ganz einfach darum, wer heutzutage noch fähig/willens ist, eigene kreative Leistungen zu vollbringen statt sich an ein gesellschaftlich relevantes Thema wie Ölpest oder Rinderwahn anzuhängen. Eine Ausnahme bilden IMHO die Dinosaurier, denn noch immer ist nicht vollends geklärt, warum sie jetzt eigentlich ausstarben. Da ist viel Spielraum für Ideen. Dementsprechend war Jurassic Park meiner Meinung nach keine Exploitation.

#78 lapismont

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 13:07

Also ich finde, die U/E-Debatte hat mit diesem Thema nur wenig zu tun. Es geht ganz einfach darum, wer heutzutage noch fähig/willens ist, eigene kreative Leistungen zu vollbringen statt sich an ein gesellschaftlich relevantes Thema wie Ölpest oder Rinderwahn anzuhängen. Eine Ausnahme bilden IMHO die Dinosaurier, denn noch immer ist nicht vollends geklärt, warum sie jetzt eigentlich ausstarben. Da ist viel Spielraum für Ideen. Dementsprechend war Jurassic Park meiner Meinung nach keine Exploitation.


Da sind wir dann wieder beim Auftrag. Der tolle Autor ruft zur Rettung der Welt auf. Wallraffs Enkel ...
Dabei muss man das gar nicht mit bemühter Ethik überzuckern. In PR gab es auch schon Umweltsünden als Thema und selbst Diboo kommt um einen Öko-Nebensatz in den Kaiserkriegern nicht herum.
Was bringt der ganze hehre Anspruch, wenn es dann nur die drei bereits Aufgeklärten lesen?

Exploit heißt ja auch, etwas auszunutzen, dass so gar nicht gedacht war. Selbst darin ist Kreativität zu finden. So wie Tarantino filmisch daraus schöpft, gab und gibt es das doch auch in der Literatur. Vor hundert Jahren hätte MKI als Beispiel vielleicht Verne oder Karl May genannt.
Überlicht und Beamen wird von Elfen verhindert.
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#79 Morn

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 13:23

Es geht ganz einfach darum, wer heutzutage noch fähig/willens ist, eigene kreative Leistungen zu vollbringen statt sich an ein gesellschaftlich relevantes Thema wie Ölpest oder Rinderwahn anzuhängen.


Ist das Schreiben eines Buches nicht an sich schon eine kreative Leistung (jedenfalls solange man nicht abschreibt)?

#80 Beverly

Beverly

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 14:23

Noch ein Gedanke, der mir gekommen ist: Könnte sich hinter der "Exploitations"-Debatte nicht schlicht und einfach der E-versus-U-Literatur-Konflikt verbergen? )


Es geht weder um U vs. E-Literatur noch um "Exploiters", sondern um heimlichen oder auch offenen Frust am Literaturbetrieb unserer Tage.

#81 Gast_Dirk_*

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 15:05

Meine reine Lesermeinung zu diesem Thema

Ich kann für mich nur sagen, dass ich immer die Bücher schreibe, die mir fehlen. Und in der Regel fehlen sie mir, weil es sie nicht gibt, oder jedenfalls nicht so, wie ich sie gerne hätte.


Und dafür von mir als Stammleser ein dickes Danke :D Denn diese Bücher würden mir sonst auch fehlen ;)
Okay, den "Nobelpreis" nehmen wir da mal raus (der war so gar nicht nach meinem Gusto ;) ), aber sonst ... ein neuer Eschbach?
Habenwollen!!
:)
Bin ich jemals enttäuscht worden?
Bis auf ein einziges Mal noch nie.
Herz, was willste mehr?

Spaß beiseite, gerade die (neualten) Themen waren es, die mich zum Beispiel auch zum "Schwarm" und "Limit" haben greifen lassen. Dito "Collector". Leider waren die Umsetzungen nicht mein Fall, aber so ist das eben.
Ein Buch ist eben ein wenig wie eine Wundertüte.
Man weiß nie was einen erwartet.
Und ich finde das gut so.
Ob eine Idee nun brandaktuell und vollkommen neu ist, oder ausgenudelt und mit ZZ-Top Gesichtsbehaarung daherkommt, ist mir egal. Ich möchte das mal mit einer ordentlichen Portion Gulasch vergleichen.
Gewürfeltes Fleisch, scharf angebraten in dunkler Soße.
Nix neues auf dem Teller.
Aber der Geschmack (die Umsetzung) ist für mich das wichtige.
Wenn es ordentlich auf der (Lese)Zunge brennt, oder mich mit süßem Nachgeschmack zum Nachschlag verführt, ist für mich persönlich alles in Butter ;)

In dem Sinne dürfen sich für mich, einen geistig einfach strukturierten Leser mit Hunger nach Zerstreuung, die Autoren gerne gegenseitig exploiten was das Zeug hält, Hauptsache das, was auf den Tisch kommt schmeckt mir.

Was die leidige Debatte "E" und "U"-Literatur betrifft ... ich kenne beides. Aber auch her trifft wieder der Gulaschvergleich.
Jeden Tag Gulasch wäre sogar mir zuviel.
Aber jeden Tag nur Miniportionen Kaviar ist auch nicht das Wahre.
Und wie oft leben die "E"-Experimente eigentlich vom exploiten?
Wie oft ist da kaum was von sprachlichen Experimenten zu lesen, als vielmehr von einer umpfigzten, jammervollen Nabelbeschau des Autoren, der seine Protas vorschickt, um mir als Leser das Leben zu erklären?
Nach meiner Leseerfahrung leider genauso oft, wie der billigen U-Literatur das Leichenschänden vorgeworfen wird.
Nach zwei oder drei Dystopien Marke Aldous Huxley & Co. mag ich einfach kein Schwarz in Schwarz mehr sehen, sondern möchte es in Pal-Color und Dolby-Digital 5.0 in meinem Kopfkino krachen sehen (und hören)

Mein Fazit:
Egal oder große Literatur oder "billige" Unterhaltung, in Sachen Ausschlachten nehmen sich beide Parteien nicht viel.
Die eine macht es dank einer elitären Lobby nur mit Messer, Gabel und abgespreizten Kaiserfinger, während der gemeine Pöbel gerne mit beiden Händen ins angreichtete Brunchbuffet greift ;)
Beide haben ihre Berechtigung.
Beide sollte man kosten und in ausgewogener Abwechslung und Dosis zu sich nehmen, weil man sonst entweder verblödelt oder versuhrkampt ;)

Liebe (und geschmacklich unausgebildete) Grüße

Dirk :)

Bearbeitet von Dirk, 12 Oktober 2010 - 15:18.


#82 Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 15:21

Es geht ganz einfach darum, wer heutzutage noch fähig/willens ist, eigene kreative Leistungen zu vollbringen statt sich an ein gesellschaftlich relevantes Thema wie Ölpest oder Rinderwahn anzuhängen.


Inwiefern soll das ein Gegensatz sein??

Gerade wenn Du vorhast, ein Thema aufzugreifen, das schon durch sämtliche Medien gehetzt wurde, bist Du gut beraten, Deine Kreativität auf Hochtouren zu schalten, um etwas daraus zu machen, das irgendwen noch interessiert.

#83 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 15:28

Die Vorstellung, dass bewährte Elemente der Literatur allmählich in die Unterhaltung einsickern, der E-Lit als Experimentierwiese, den halte ich mittlerweile auch schon wieder für veraltet. Zumindest aus der deutschen Hochliteratur der letzten 30 Jahre sind mir keine Elemente bekannt, die es noch in die Unterhaltungsliteratur geschafft hätten.


Einer meiner letzten heroischen Versuche, mich in Sachen Literaturwissenschaft ein wenig zu entdummen, war die Lektüre von Schlaffers "Kurzer Geschichte der deutschen Literatur", und ich vermute mal, er würde sagen, dass da einfach nicht wirklich viel los war mit deutscher Hochliteratur in den letzten 30 Jahren. (Nobelpreis für Herta Müller??? Hallo? Jemand zu Hause?)

#84 Andreas Eschbach

Andreas Eschbach

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 15:30

Und warum sehe ich eigentlich meinen Avatar nicht??? :D

#85 Nibor

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 15:44

Und warum sehe ich eigentlich meinen Avatar nicht??? :D

Deshalb?

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#86 Jakob

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 16:13

Ich lese jetzt durch drei Threads brav mit und bin immer noch etwas unschlüssig, wie ich mich äußern soll, obwohl mich das alles brennend interessiert. Einerseits kann ich Michael Iwoleits Eingangsstatement insofern nachvollziehen, dass ich tatsächlich bei der individuellen Lektüre mache zwischen Autoren, die aprachlich oder inhaltlich eine in meinen Augen originäre Leistung vollbringen und solche, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie sich ins von andern gemachte Bett legen und dabei dann auch noch die Matratze so lange breitwalzen, biss sie nur noch einen Zentimeter dick ist. Etwas, das bei mir einen deutlichen Wiedererkennungseffekt auslöst, interessiert mich meistens nicht mehr besonders - selbst hervorragende Autoren wie China Mieville habe ich oft nach drei bis vier Büchern über, obwohl sie nicht an Qualität verlieren. Den Auslösenden Roman "Collector" habe ich keine drei Seiten lang durchgehalten, einfach weil jeder zweite Satz höchst abgeschmackt war und keiner etwas vorangebracht hat. Andererseits: Sobald es um die Frage geht, was denn das "Gute" ist, im Sinne des Originellen, sprachlich Hochwertigen, ästhetisch Radikalen, Herausfordernden - dann wird es eben schwer, bei zeitgenössischen AutorInnen gültige Aussagen zu treffen. Ich finde Frank Böhmerts Stories sprachlich und inhaltlich herausragend, Frank findet Thor Kunkel klasse, ich finde Thor Kunkel total abgeschmackt und dumpf. Frank Haubold ist für mich solide, andere finden ihn großartig. Von Dietmar Dath liebe ich jeden einzelnen Satz, von Gero Reimann vor allem ein Buch (das jetzt wirklich bald erscheinen wird!). Und ganz abseits der Fantastik finde ich das in Literaturkreisen hochgelobte "Juja" von Nino Haratischwili sprachlich und mehr noch inhaltlich sehr gut, an meine Lieblingsautoren aus dem Fantastikumfeld reicht es aber in beiden Belangen nicht heran. In jedem Fall gehen die Einschätzungen bei zeitgenössischen AutorInnen, die sich abseits des Markt-Mainstreams bewegen (also entweder ganz am Rande des Buchmarktgeschehens stehen oder aber aufnahme in die "Hochliteratur" gefunden haben wie Dath oder Haratischwili), doch deutlich stärker auseinander als bei älteren Klassikern. Und das liegt m.E. nicht nur daran, dass auf Dauer eben nur die wirklich guten Werke bestand hätten, sondern auch daran, dass Lesen und Schreiben heute trotz aller gegenteiligen Behauptungen viel weiter verbreitetere Praktiken sind als jemals zuvor, und dass es viel mehr sprachliche Subkulturen gibt. Damit gibt es auch viel mehr oft gar nicht so offenkundige Sprachbarrieren, und was für den einen ästhetisch radikal ist, ist für den anderen Effekthascherei oder blanker Unsinn. Das führt dann dazu, dass ich sage, dass die Dath-Hasser ihn nur nicht verstehen, während die Dath-Hasser sagen, das sei doch alles aufgeblasener inhaltsleerer postmoderner Scheiß. Irgendwo werden diese Barrieren dann unüberwindlich. Von daher wünsche ich mir eigentlich nicht mehr "gute" Bücher, sondern mehr "außergewöhnliche" Bücher, gerne auch (subjektiv empfundenen) Mist wie von Thor Kunkel, denn für jeden Kunkel, den ein Verlag bringt, gibt es auch einen Böhmert oder Dath. Und für jedes Jesus-Video gibt es einen Haarteppichknüpfer. Dafür kann man sich durchaus sinnvoll einsetzen: Im Prinzip für eine Verlagskultur, die nicht von Angst beherrscht wird. Im Moment gewinnt man eben den Eindruck, dass Publikumsverlage einfach alles abkanzeln, was potentiell verkaufshemmende Elemente beinhalten könnte - was sprachlich gewagt ist, oder - in der "Literatur" - ein bisschen phantastisch und dabei nicht ostentativ genug metaphorisch. Schöner wäre es, wenn die Verlage gere solche Bücher fördern, in der Hoffnung, dass unter 10 kommerziellen Flops ein Underground-Erfolg ist, der sich auszahlt. Irgendwo kommen die Pynchons, die alles dürfen, ja schließlich her. Es hat aber eben wenig Sinn, "gute" Bücher zu fordern und dabei Listen von Autoren zu machen, die zu Unrecht ignoriert werden, denn garantiert wird einer kommen und behaupten, dass genau dieser Autor zu Recht ignoriert wird. Bzw. zu Unrecht Aufmerksamkeit erhält. Stattdessen braucht es einfach mehr Platz für Bücher, die nicht auf Nummer Sicher gehen.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

R. Scott Bakker

"We have failed to uphold Brannigan's Law. However I did make it with a hot alien babe. And in the end, is that not what man has dreamt of since first he looked up at the stars?" - Zapp Brannigan in Futurama

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#87 Uschi Zietsch

Uschi Zietsch

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 16:53

Meine reine Lesermeinung zu diesem Thema

Mein Fazit:
Egal oder große Literatur oder "billige" Unterhaltung, in Sachen Ausschlachten nehmen sich beide Parteien nicht viel.
Die eine macht es dank einer elitären Lobby nur mit Messer, Gabel und abgespreizten Kaiserfinger, während der gemeine Pöbel gerne mit beiden Händen ins angreichtete Brunchbuffet greift :)
Beide haben ihre Berechtigung.
Beide sollte man kosten und in ausgewogener Abwechslung und Dosis zu sich nehmen, weil man sonst entweder verblödelt oder versuhrkampt :)

Liebe (und geschmacklich unausgebildete) Grüße

Dirk :D

Lieber Dirk, auch dein vorher geschriebenes, was ich rausgelöscht habe, spricht mir als Leser aus der Seele. Und du bringst es auf den Punkt.

Und nein, ich kann mit verkopfter Sprachengestelztheit nichts anfangen, die ich nämlich nicht für kreativ oder experimentell, sondern für unfähig halte, sich so auszudrücken, dass der andere versteht, was gemeint ist. Hinter Hochgeschraubtem steckt oft nur dünne Luft, und zwar was den Inhalt betrifft. Wie Dirk schon sagte, der Autor fuchtelt mir mit dem Zeigefinger vor der Nase herum, um mir mitzuteilen, wie garstig die Welt ist oder wie sie funktioniert oder wie ich sie zu sehen habe. Inhaltlich lassen sich diese Bücher oft mit drei Worten zusammenfassen: Jemand ist unglücklich. Ich habe gerade bei den für ihren ach so hochgeistigen Stil gelobten Autoren meistens drei Mühen: Erstens, jeden Satz zweimal lesen zu müssen, um ihn zu kapieren, zweitens, nicht darüber einzuschlafen, drittens, die Geschichte in all dem Wortgeballer, den Bildgewaltheiten und Symbolismen zu finden. (Und hiermit ist es raus: Ich kann mit Lyrik null und nix anfangen.)
Natürlich gibt es tolle Bücher, die keine leichte Kost sind, und zwar in stilistischer wie inhaltlicher Hinsicht; ein Beispiel, das mir da auf Anhieb einfällt, ist "Stadt der Blinden". Und da versteht man die Sätze auch noch, weil der Ausdruck auf ein Minimum heruntergeschraubt wurde, man kann der Geschichte folgen ... Aber sowas will ich bitte nicht jeden Tag lesen, und ich will auch nicht jeden Tag Stilexperimente. Ich bin da wie die meisten Leser mehr schlichteren Gemüts und will unterhalten werden. Ich will, dass der Autor für mich schreibt und nicht für sich. Wenn er was mitzuteilen hat, dann bitte mir und nicht sich.
Exploitation oder wie man das bezeichnen mag ist mir völlig schnuppe. Jede Idee ist schon mal dagewesen, und zwar wirklich jede. Aber nicht jede Geschichte dazu. Mir kommt es auf die originelle Verpackung und das Sprachgefühl an. Ein schöner Ausdruck muss nicht kompliziert sein oder mit Bildern überfrachtet.

Als Autor bin ich auch mehr schlichteren Gemüts, ich will unterhalten und gern gelesen werden, und zwar jetzt, und nicht erst, wenn ich tot bin und dann endlich den Zeitgeschmack getroffen habe. Das Rad kann und will ich nicht neu erfinden, und ich sehe auch keinerlei Veranlassung dazu.

Die Literatur ist immer ein Spiegel ihrer Zeit, und entsprechend angepasst ist auch der stilistische Ausdruck. Wenn ich so anschaue, was ich an Aktuellem im Buchregal habe, kann ich nicht erkennen, dass irgendwo ein "Niedergang der Schreib-Kultur" zu erkennen wäre. Es gibt durchaus schöne Sachen durch alle Genres.

#88 Jakob

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 17:07

Sorry, Uschi, aber in dieser Verallgemeinerung ist das doch nun wirklich ebensolcher Blödsinn wie die in Bausch- und Bogenverdammung von Schundliteratur. Ehrlich gesagt kommt einem doch die "Gebrauchsliteratur" sehr viel öfter mit dem nervigen Moralzeigefinger (Harry Potter wurde mir dadurch schnell verleidet). Oft in Form von moralisch überintegeren Hauptfiguren. Da lobe ich mir doch ein paar Dathsche verrücktheiten oder einen missgelaunten Gero Reimann. Da haust du selbstgebastelte Pappkameraden um.
"If the ideology you read is invisible to you, it usually means that it’s your ideology, by and large."

R. Scott Bakker

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#89 Gast_Dirk_*

Gast_Dirk_*
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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 17:30

Sorry, Uschi, aber in dieser Verallgemeinerung ist das doch nun wirklich ebensolcher Blödsinn wie die in Bausch- und Bogenverdammung von Schundliteratur. Ehrlich gesagt kommt einem doch die "Gebrauchsliteratur" sehr viel öfter mit dem nervigen Moralzeigefinger (Harry Potter wurde mir dadurch schnell verleidet). Oft in Form von moralisch überintegeren Hauptfiguren. Da lobe ich mir doch ein paar Dathsche verrücktheiten oder einen missgelaunten Gero Reimann. Da haust du selbstgebastelte Pappkameraden um.


Da möchte ich dir widersprechen, Jakob.
Die "Gebrauchsliteratur" kommt mit Klischees und Überzeichnungen daher, die in die Story passen (sollen), um sie voranzutreiben, sie bunter zu machen und Orientierungspunkte zu bieten. Der erhobene Zeigefinger, den du da anmahnst, ist eine ganz normale Reaktion der Figuren, innerhalb des Kontexts, in dem sie gesetzt wurden.
Shakespeare hat meiner Meinung nach ebensowenig die Welt verändern oder belehren wollen, wie Frau Rowling.
Die hatten auch nur die Mohrrübe des nächsten Brötchens vor der Nase, für dass sie Geld benötigten.

Das was ich da kopfschüttelnd und übespitzt an der E-Literatur bemängele (und wo Uschi mir zustimmt), ist das von vorneherein aufgepappte (und nach meinem Gefühl oftmals verlogene) Etikett des besser Wissens, des Erklären müssens oder kurz gesagt, des moralischen und literarischen Anspruchs.
"Sehet her, ihr niederes Gewürms ohne Bildung und Geschmack. Ich verbreite einen göttlichen Hauch von (hier das passende Threma einsetzen). Lest, erstarrt und erblasst vor Ehrfurcht." ;)
Wenn ich das schon vorher auf mein Werk pappen muss, sozusagen als Erklärung zum Verständnis des Textes, dann kann es nach meinem Gefühl nicht sehr weit her sein, mit der sprachlichen Gewandheit oder den Fähigkeiten zu einem gelungenen Experiment.

Ich bemängele also, das "hohe Literatur" sich noch oftmals vor der Veröffentlichung auf das hohe Roß setzt.
Egal in welchem Genre.
Das ist verlogen, denn wer nur gelesen werden will, ohne dafür Geld, Groupies und Preise einzuheimsen, der kann auch in Internetforen oder in selbsgedruckten Zeitschriften seine Worte unters Volk bringen.
Aber das ist ja unter der Würde eines M.R.R., so etwas auch nur in seinem unmittelbaren Dunstkreis wahrzunehmen ;)

Wenn aber eine Geschichte, die im Sinne des Verfassers eigentlich nur der Unterhaltung dienen sollte, plötzlich den Geschmack auf mehr hinterlässt (mehr von diesem Thema, mehr Gedanken darüber etc.) dann hat dieses Werk für mich auch den Anspruch auf hohe Literatur.
Und leider entdecken diese Perlen dann die Kritiker für sich, ziehen den Verfasser auf die Spitze ihres Elfenbeinturms, wo ihn dann der "normale" Leser nicht mehr sieht. Und wenn, dann ist das Vorurteil "was der Ranicki liest ist sowieso Sch*** und unverständliches, schweres Zeug" schnell zur Hand.
Ich gestehe offen und ehrlich, dass ir ein Verriss von M.R.R. tausendmal lieber wäre, als eine Lobeshymne aus seinem Munde :D
"Von M.R.R. verachtet, vernichtet und für alle Zeiten aus dem Turm der Eingeweihten verbannt! Jetzt wissen Sie was Sie da haben."
DAS wäre ein Ettiket, mit dem ich mehr als gut leben könnte :)

Shakespaere hat es zum Beispiel mit seinen urmenschlichen Themen geschafft, und ist unsterblich geworden.
Nur glaube ich kaum, dass ihn das damals gejuckt hat.

LG

Dirk (der um jegliche, von Literaturkritikern umworbene Literatur größere Bogen Schlägt, als Tuledo Escoban Urbanio Frederico Elacante Ludovico um eine Kirche. Und der schreibt echte Bestseller via Ghostwriter wie Arturo Pérez-Reverte. :) )

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Geschrieben 12 Oktober 2010 - 17:47

Sorry, Uschi, aber in dieser Verallgemeinerung ist das doch nun wirklich ebensolcher Blödsinn wie die in Bausch- und Bogenverdammung von Schundliteratur. Ehrlich gesagt kommt einem doch die "Gebrauchsliteratur" sehr viel öfter mit dem nervigen Moralzeigefinger (Harry Potter wurde mir dadurch schnell verleidet). Oft in Form von moralisch überintegeren Hauptfiguren. Da lobe ich mir doch ein paar Dathsche verrücktheiten oder einen missgelaunten Gero Reimann. Da haust du selbstgebastelte Pappkameraden um.


Sorry, Jakob, aber diesen Einwand finde ich in Anbetracht dessen, was du selbst kurz vorher geschrieben hast, ein bisschen merkwürdig.

Im Moment gewinnt man eben den Eindruck, dass Publikumsverlage einfach alles abkanzeln, was potentiell verkaufshemmende Elemente beinhalten könnte - was sprachlich gewagt ist, oder - in der "Literatur" - ein bisschen phantastisch und dabei nicht ostentativ genug metaphorisch. Schöner wäre es, wenn die Verlage gere solche Bücher fördern, in der Hoffnung, dass unter 10 kommerziellen Flops ein Underground-Erfolg ist, der sich auszahlt. Irgendwo kommen die Pynchons, die alles dürfen, ja schließlich her.


Das ist doch genauso verallgemeinernd wie das, was Uschi geschrieben hat - oder leben wir in unterschiedlichen Paralleluniversen? In meinem Universum wurde und wird bei Bastei-Lübbe mit schöner Regelmäßigkeit der von dir geschätzte China Miéville veröffentlicht, ist bei Piper vor nicht allzu langer Zeit Nick Harkaways "Die gelöschte Welt" erschienen, hat Heyne mit "Vellum" des ebenfalls von dir geschätzten Hal Duncan oder R. Scott Bakkers "Der Krieg der Propheten" Bücher mit "potentiell vekaufshemmenden Elementen" im Programm, ist bei Manhattan Neal Stephensons "Anathem" erschienen oder bei Blanvalet Steve Cockaynes "Die Glückssucher" (Letzterer wird den hiesigen Schnarchnasen nicht viel sagen, aber eine Trilogie, der Farah Mendlesohn in ihrem "Rhetorics of Fantasy" fast ein ganzes Unterkapitel widmet, könnte ja vielleicht ein bisschen mehr als einfach nur exploitativ sein :D). Und das sind jetzt nur die Titel, die mir ohne lange nachzudenken auf die Schnelle einfallen.

Entweder wir einigen uns darauf, dass wir alle gelegentlich pauschalisieren (wie es nebenbei bemerkt der Threaderöffner andauernd tut), oder wir arbeiten nur noch mit durch harte Fakten gestützten Aussagen. Dann wäre dieser Thread aber ganz schnell noch viel obsoleter als er es eigentlich sowieso schon ist.
Sudden moroseness. One hop too far.


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