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Wie schreibt man einen überzeugenden SF-Schurken?

Schreiben Science-Fiction

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16 Antworten in diesem Thema

#1 Oscar

Oscar

    Nanonaut

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Geschrieben 19 Dezember 2019 - 13:56

Ich arbeite derzeit an ein paar Tipps & Tricks rund ums Schreiben, wenn ihr so wollt. Diesen Teil wollte ich mal unverbindlich zur Kritik auswerfen. Hoffe, es ist am richtigen Ort.

 

WIE SCHREIBT MAN EINEN ÜBERZEUGENDEN SF-SCHURKEN?

 

Der Schurke ist das alles entscheidende Gegenstück zum Helden. Er schafft die Bedrohung,  erzeugt die Spannung und bündelt die Energie der Protagonisten. Wenn der Bösewicht nicht überzeugt, trägt die Geschichte nicht. Doch wie kreiert man einen Science-Fiction Schurken, der all das schafft?

 

EIN SCHURKE SOLLTE UNBERECHENBAR SEIN

Als sich der Terminator vor den erschöpften Augen von Kyle Reese und Sarah Connor skelettiert aus den brennenden Überresten eines Benzinlasters erhebt und einfach weitergeht, klappten 1984 die Kinnladen von hunderttausenden von Kinogängern runter. Das kam unerwartet.

Der Satz: "Ich bin dein Vater" wurde weltberühmt, als Darth Vader ihn Luke Skywalker im Kampf entgegenwarf.  Er stellte die Story nochmals ganz auf den Kopf und gab der Geschichte einen unverzichtbaren Twist.

In dem Moment als Thanos seine geliebte Tochter opfert, als er trotz der vereinten Macht der Marvel-Helden mit dem Finger schnippt und die Population im Universum halbiert, veränderte sich alles. Plötzlich waren die Helden so stark dezimiert, dass sie praktisch hätten aufgeben können.  Doch das taten sie nicht und wir wollten alle wissen, wie es weitergeht.

Ein Schurke, der Unberechenbar ist, kitzelt die Nerven des Publikums und lässt sie dranbleiben. Er sorgt für Twists und Turns und macht den Plot interessant. Da wir nicht voraussehen können, was er als nächstes tut respektiere oder fürchten wir ihn -  genau das braucht ein guter Schurke.

 

EIN SCHURKE SOLLTE EINE MENSCHLICHE SEITE HABEN

Thanos will die Bevölkerung im Universum reduzieren, weil er es vor einer fatalen Überpopulation bewahren möchte. Zudem liebt er seine Adoptivtochter innig, obwohl sie ihn verraten hat.

Anakin Skywalker war einst ein talentierter Jedi und die Hoffnung der Galaxie. Obwohl er vom rechten Pfad ankommt, wendet er sich zuletzt gegen die Dunkle Seite und rettet seinen Sohn.

Während der Terminator im ersten Teil das Paradebeispiel für einen kalten, unmenschlichen Killer darstellt, entwickelt er im zweiten Teil eine menschliche Seite. Er beschützt John, versucht seinen Humor und seine Mimik den Menschen anzupassen und wird ein echter Freund, soweit dass das Publikum traurig wird, als er gehen muss. James Cameron und William Wisher spielten beim Schreiben bewusst mit der Vermenschlichung des zuvor eiskalten Killers und gewannen zahlreiche Auszeichnungen für das Drehbuch.

Nur wenn der Schurke auch eine menschliche Seite zeigt, können wir uns auf ihn einlassen und erinnern uns noch lange an ihn. Nur wenn der Schurke eine menschliche Seite hat, kann uns ein kleiner Teil von uns mit ihm identifizieren.

 

DIE MOTIVATION DES SCHURKEN SOLLTE NACHVOLLZIEHBAR SEIN

Aus Anakin Skywalkers Perspektive hatten die Jedi Schuld am Tod seiner Frau. Obi-Wan hat ihn verraten und verstümmelt zum Sterben zurückgelassen. Nach seiner Wiedergeburt als Darth Vader schliesst er sich dem Imperium an, um die Jedi niederzuschlagen. Dafür kämpft er - und hunderttausende von Vader-Fans auf der ganzen Welt stehen auf seiner Seite.

Thanos ist eine überaus Komplexe Figur. Je nach Film- oder Comic-Vorlage will er die Bewohner des Universums vor der Selbstvernichtung bewahren oder verliebt sich in den Tod. Im ersteren Fall sind seine Beweggründe Schlüssig, er tut Schlimmes um Schlimmeres zu verhindern.

Die Motivation des Terminators vermischt sich mit seinem Hintergrund: Eine Maschine geschaffen, um Sarah Conner zu töten. Interessanter ist hier die Motivation von Agent Smith aus "Matrix". Ebenfalls eine Maschine, hat sein Hass auf die Menschen fast philosophische Natur - er hält sie für einen Virus und sieht es als Aufgabe sie in Schach zu halten.

Ein Protagonist braucht triftige Gründe und eine aussagekräftige Hintergrundgeschichte, um sein Handeln zu rechtfertigen - bei einem gut geschriebenen Schurken sollte dies nicht anders sein. Schurken, die aus nachvollziehbaren Gründen handeln, sind glaubwürdig und lassen das Publikum leichter in die Geschichte eintauchen.

 

Dies sind die ersten drei Eigenschaften, die ihr beim Schreiben eines Schurken unbedingt im Auge behalten solltet. Welche Eigenschaften sollte ein grossartig geschriebener Schurke eurer Meinung auch noch haben?

 


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#2 Powerschnute

Powerschnute

    Giganaut

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Geschrieben 19 Dezember 2019 - 14:30

Hm, sehr schwierig. Ein Antagonist muss ja nicht zwingend ein Schurke sein, zumindest kommt es sehr auf die Perspektive an. Nehmen wir die Rebellen in StarWars....Leben wir in einer Demokratie ist der Akt der Rebellen Terrorismus. Leben wir in einer Diktatur, ist es Freiheitskampf. 

 

Wenn ich mir Hamiltons Commonwealth Saga anschaue, dann gibt es einen übergroßen Feind als Bedrohung für die Menschheit, der einfach aufgrund seiner eigenen Natur für alles Leben im Weltall eine Bedrohung darstellt. Parallel dazu haben wir aber noch Johannson, der als Verschwörungstheoretiker verschrien ist mit seinem Starflyer-Wahn, nur um am Ende Recht zu behalten. Und dann haben wir noch eine irre Psychopathin, die einfach nur gern mordet, aber eigentlich auf der richtigen Seite kämpft...zumindest für eine gewisse Zeit. 

 

Ich mag komplexe Figuren. Ich mag es, wenn Figuren nicht grundsätzlich gut oder schlecht sind. Ich mag es, wenn Figuren ambivalente Gefühle beim Leser verursachen...man sie einerseits ja total gern mag, andererseits sie totale Arschlöcher sind. 

 

Was ich übrigens so gar nicht leiden kann, ist wenn Figuren aufgrund eines emotionalen Auslösers durchdrehen a la 'Meine Frau wurde ermordet. Ich muss jetzt alles und jeden niederschießen gehen.' 

 

Und ich liebe es, wenn es Figuren gibt, die ein bisschen Normalität leben. Krimiserien, in denen die Cops eine funktionierende Ehe haben und ein intaktes Familienleben? Keine abgehalfterten Trinker sind. Oder Polizistinnen, die kein traumatisches Erlebnis in ihrer Kindheit hatten usw. 


Bearbeitet von Powerschnute, 19 Dezember 2019 - 14:33.


#3 ShockWaveRider

ShockWaveRider

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Geschrieben 19 Dezember 2019 - 16:01

 

WIE SCHREIBT MAN EINEN ÜBERZEUGENDEN SF-SCHURKEN?

 

Antwort: EINEN ÜBERZEUGENDEN SF-SCHURKEN

 

War doch gar nicht so schwer...

 

Gruß

Ralf,

geht ja schon raus


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#4 Ming der Grausame

Ming der Grausame

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Geschrieben 19 Dezember 2019 - 18:27

Ein überzeugender Science-Fiction-Schurke ist überhaupt kein Schurke. Er ist schlicht ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und so erst das Böse schafft... Eingefügtes Bild
„Weisen Sie Mittelmäßigkeit wie eine Seuche zurück, verbannen Sie sie aus ihrem Leben.“

Buck Rogers

#The World from the nefarious Ming the Merciless
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#5 Selma die Sterbliche

Selma die Sterbliche

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Geschrieben 20 Dezember 2019 - 14:54

Ein Schurke (ob in SF, Fantasy oder Mainstream) sollte immer der/die sein, an dem Held oder Heldin reifen und sich so entwickeln.


Nieder mit den Gleichmachern. Sie wollen uns durch Langeweile mürbe kriegen. Es lebe die Vielfalt, denn Gegensätze ziehen sich an!  jottfuchs.de

 

 


#6 Dyrnberg

Dyrnberg

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Geschrieben 20 Dezember 2019 - 16:06

Was bedeutet Schurke in diesem Kontext?

 

Reden wir über simple Schwarz-Weiß-Storys. Hier die Guten, da die Bösen. Wie bei Stars Wars oder Herr der Ringe. Oder reden wir über differenziertere Dinge, man denke an "Breaking Bad", wo der Schurke quasi die Hauptfigur ist. Und man "dennoch" mitfiebert, ihn aber doch nicht ganz und gar gut finden kann?

 

Das wären für mich zwei unterschiedliche Typen von Schurken, die ganz unterschiedlich zu beschreiben sind, oder? Bei Sauron nervt es mich, wenn man ihn psychologisch durchleutet und mir als Lesenden erklärt, er hätte in Kindheitstrauma durchlebt und sei deswegen so böse. Bei Walter White - Hauptfigur von Breaking Bad - ist es hingegen dringend notwendig, zu erklären, warum er tut, was er tut.

 

Fußnote: Das hat mich bei den Hannibal Lecter Romanen so gestört. In den ersten ist Lecter quasi eine Naturgewalt des "Bösen". Er ist, wie er ist. Und das ist das Faszinierende daran. Aber dann hat der Autor leider versucht, ihn psychologisch zu erläutern. Und ab dann war die Faszination für mich verloren.



#7 T. Lagemann

T. Lagemann

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Geschrieben 20 Dezember 2019 - 16:59

Hallo zusammen,

 

im Krimi gibt es einen ganzen Haufen echt sympathischer Schurken. Parker, Burke, Wyatt, Crissa Stone.

 

Wer also mal lesen Bücher über nette (naja ... ;-) )Schurken lesen möchte, kaufe sich mal durch obige Namen. Die Grundmuster, denke ich, unterscheiden sich nicht von denen, nach denen sympathische SF-Schurken gestrickt werden können.

 

In Christopher Ruocchios "Das Imperium der Stille" kann man übrigens einem schurkischen Helden beim Werden zuschauen.

 

Viele Grüße

Tobias


"Wir sind jetzt alle Verräter."
"Ha!", machte die alte Dame. "Nur wenn wir verlieren."

(James Corey, Calibans Krieg)

"Sentences are stumbling blocks to language."

(Jack Kerouac in einem Interview mit der New York Post, 1959)

"Na gut, dann nicht, dann bin ich eben raus
Ich unterschreib' hier nichts, was ich nicht glaub'
Na gut, dann nicht, nicht um jeden Preis
Ich gehöre nicht dazu, das ist alles was ich weiß"

(Madsen, Strophe 1 des Songs "Na gut dann nicht")
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#8 Oscar

Oscar

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Geschrieben 21 Dezember 2019 - 09:45

Ein überzeugender Science-Fiction-Schurke ist überhaupt kein Schurke. Er ist schlicht ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und so erst das Böse schafft... Eingefügtes Bild

 

Nun, das habe ich unter dem dritten Punkt differenziert aufzuzeigen versucht - der Leser sollte die Motivation des Schurkens nachvollziehen können.

 

Was bedeutet Schurke in diesem Kontext?

 

Reden wir über simple Schwarz-Weiß-Storys. Hier die Guten, da die Bösen. Wie bei Stars Wars oder Herr der Ringe. Oder reden wir über differenziertere Dinge, man denke an "Breaking Bad", wo der Schurke quasi die Hauptfigur ist. Und man "dennoch" mitfiebert, ihn aber doch nicht ganz und gar gut finden kann?

 

Das wären für mich zwei unterschiedliche Typen von Schurken, die ganz unterschiedlich zu beschreiben sind, oder? Bei Sauron nervt es mich, wenn man ihn psychologisch durchleutet und mir als Lesenden erklärt, er hätte in Kindheitstrauma durchlebt und sei deswegen so böse. Bei Walter White - Hauptfigur von Breaking Bad - ist es hingegen dringend notwendig, zu erklären, warum er tut, was er tut.

 

Fußnote: Das hat mich bei den Hannibal Lecter Romanen so gestört. In den ersten ist Lecter quasi eine Naturgewalt des "Bösen". Er ist, wie er ist. Und das ist das Faszinierende daran. Aber dann hat der Autor leider versucht, ihn psychologisch zu erläutern. Und ab dann war die Faszination für mich verloren.

 

Meiner Meinung nach, hast du hier ein paar entscheidende Punkte aufgegriffen. Sollte ein Schurke nicht eben immer eine Entwicklung und Hintergrundgeschichte haben, so wie Walter White. Der Rest ist "Lazy Writing".

 

Beim letzten Punkt muss ich widersprechen. Wenn man Lecters Kindheitsgeschichte kennt, bis zum erzwungenen verspeisen seiner kleinen Schwester, kann man ihn besser fassen, denke ich.

 

Grüsse,

Oscar


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#9 Naut

Naut

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Geschrieben 21 Dezember 2019 - 11:35

Ich denke, Dyrnberg ist da auf einen wichtigen Punkt gestoßen: Es gibt zwei Kategorien von Antagonisten. 1: Die Naturgewalt als Antagonist. Ihr Motiv ist stets undurchsichtig, mystisch, unbegreiflich. Beispiele: Der Wal Moby Dick, die weiße Welle in White Squall, aber eben auch der ursprüngliche Hannibal Lecter, Alien im ersten Alien, die Systeme, denen sich Kafkas K. gegenüber sieht, Darth Vader in der ursprünglichen Trilogie. 2: Der menschliche Antagonist. Seine Motive sollten nachvollziehbar, insofern tragisch sein. Gefahr: Trivialisierung des Antagonisten, so etwa Anakin Skywalker, Aliens in Prometheus, usw.
Liest gerade: Atwood - Die Zeuginnen

#10 Frederic Brake

Frederic Brake

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Geschrieben 21 Dezember 2019 - 12:26

Ich denke, Dyrnberg ist da auf einen wichtigen Punkt gestoßen: Es gibt zwei Kategorien von Antagonisten. 1: Die Naturgewalt als Antagonist. Ihr Motiv ist stets undurchsichtig, mystisch, unbegreiflich. Beispiele: Der Wal Moby Dick, die weiße Welle in White Squall, aber eben auch der ursprüngliche Hannibal Lecter, Alien im ersten Alien, die Systeme, denen sich Kafkas K. gegenüber sieht, Darth Vader in der ursprünglichen Trilogie. 2: Der menschliche Antagonist. Seine Motive sollten nachvollziehbar, insofern tragisch sein. Gefahr: Trivialisierung des Antagonisten, so etwa Anakin Skywalker, Aliens in Prometheus, usw.

In erster Linie sollte der Antagonist glaubhaft sein, authentisch. Genauso wie der Protagonist. Gelingt das, kann er auch ambivalent sein wie Annekin oder z.B. Leon - der Profi.
I was lying in my bed the other night and looked up to the stars and thought:
who the hell took my roof and ceiling?

#11 T. Lagemann

T. Lagemann

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Geschrieben 21 Dezember 2019 - 13:00

Hallo zusammen,

 

ich mag Schurken, die aufgrund ihrer psychologischen Disposition gar nicht anders können als fies, böse und gemein zu sein. Mit anderen: Ich mag Psychopathen. Denn ihre Vorgehensweise ist unabhängig von dem Grad der Brutalität, mit der sie agieren, von einer Logik geprägt, gegen die es die "Guten" echt schwer haben. Ein effizient und letztlich gefühllos wirkender Schurke hat für mich auch den großen Vorteil, dass seiner Handlungen stets überraschend scheinen. Das kann der doch jetzt nicht machen, denkt man. Aber er kann es. Und weil er es kann, macht er es. Und er kann noch viel, viel mehr.

 

Mir gefallen auch die Schurken, die langsam zu Schurken werden, indem sich ihre moralischen Grenzen in einem Wechselspiel zwischen den einst idealistischen Zielen und den sich ergebenden Möglichkeiten mehr und mehr verschieben, bis sie nur noch fast "böse" sind. Ein gutes Beispiel für diesen Typus ist in Don Winslows "Corruption" in "Malone" zu finden.

 

Etwas weniger krass fällt der Wandel von le Carres toller Figur George Smiley aus. Natürlich ist er als Agent ohnehin schon jemand, der auf der Grenze zwischen Held und Schurke tanzt, aber in "Agent in eigener Sache" hat er sich so in seinem Beruf verloren, dass er die sehr unfeinen Methoden seines Erzfeindes Karla eben den zur Strecke bringt, wobei Karla zum verhängnis wird, dass er das für Smiley typische Mitgefühl gezeigt hat.

 

Winslows Art Keller ist auch so eine Figur, wenn auch hier die Verhaltensänderung weniger auf psychologischer Ebene greifbar wird, als durch die selbst ausgeführten Taten. Im Kampf gegen die mexikanische Drogenmafia handelt Keller mehr und mehr mit eben der Brutalität, die der Drogenmafia zu eigen ist.

 

In der SF fallen mir keine Beispiele für solche "Schurken" ein.

 

Viele Grüße

Tobias


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#12 Ming der Grausame

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Geschrieben 21 Dezember 2019 - 14:20

Ein überzeugender Science-Fiction-Schurke ist überhaupt kein Schurke. Er ist schlicht ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und so erst das Böse schafft... Eingefügtes Bild

Nun, das habe ich unter dem dritten Punkt differenziert aufzuzeigen versucht - der Leser sollte die Motivation des Schurkens nachvollziehen können.

Nachvollziehbarkeit wird überbewertet. Seine Motiven sollten weitgehend stringent und in sich konsistent sein. Und die Gesamtheit der Beweggründe bzw. Einflüsse, die zu einer Entscheidung bzw. Handlung führten, sollten soweit wie möglich dargelegt werden. Ob ein andere es nachvollziehen kann, steht nämlich außerhalb deiner Macht... Eingefügtes Bild
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#13 Selma die Sterbliche

Selma die Sterbliche

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Geschrieben 22 Dezember 2019 - 11:17

 

In Christopher Ruocchios "Das Imperium der Stille" kann man übrigens einem schurkischen Helden beim Werden zuschauen.

 

Viele Grüße

Tobias

 

Das ist ein Klassebuch! Ich erwarte fiebernd die Fortsetzung!


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#14 Narrania

Narrania

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Geschrieben 26 Oktober 2020 - 02:00

Hallo zusammen,

 

ich mag Schurken, die aufgrund ihrer psychologischen Disposition gar nicht anders können als fies, böse und gemein zu sein. Mit anderen: Ich mag Psychopathen. Denn ihre Vorgehensweise ist unabhängig von dem Grad der Brutalität, mit der sie agieren, von einer Logik geprägt, gegen die es die "Guten" echt schwer haben. Ein effizient und letztlich gefühllos wirkender Schurke hat für mich auch den großen Vorteil, dass seiner Handlungen stets überraschend scheinen. Das kann der doch jetzt nicht machen, denkt man. Aber er kann es. Und weil er es kann, macht er es. Und er kann noch viel, viel mehr.

 

ich mag Psychopathen gar nicht, denn sie sind für mich böse, egal wie die Motivation ist.

Die Frage ist hier, geht es um einen Schurken oder einen Antagonisten. Die Natur ist  kein Schurke und ein Psychopath ist mit Schurke sehr untertrieben genannt.

Ich finde es am schönsten, wenn der Schurke gar keiner ist, wenn er nur auf anderer kultureller Basis steht und sein  Handeln in seiner Gesellschaft durchaus moralisch ist. Gerade in der SF kann man da viel machen, weil Alien nun mal andere Wesen sind in einer anderen Gesellschaft. Mein Lieblingsbeispiel ist Horta. Eindeutig Böse sind mir zu langweilig. Und ich liebe den Film "Enemy Mine"



#15 T. Lagemann

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Geschrieben 26 Oktober 2020 - 10:05

Hallo zusammen,

 

in der Doku -> https://www.arte.tv/...A/stephen-king/

geht es auch um Schurken. Ab  7:55 erzählt King über den Beginn seines Interesse an "total double zero" (wie er es nennt).

 

Zu meinem "mögen" von Psychopathen. In Geschichten ist ihnen nur beizukommen, wenn man sich auf ihre Logik einlässt. Aber wer denkt freiwillig wie ein Psychopath? Das ist eine Grenzüberschreitung sondersgleichen. John le Carre hat dieses Einlassen auf die Logik des Gegners bei seiner Figur George Smiley durchdekliniert. In "Agent in eigener Sache" agiert Smiley schließlich so unmenschlich wie sein Gegner Karla. Im Kampf gegen Schurken vom Typ Soziopath können die "Guten" einen Tick tiefer gehend beschrieben werden. Das ist dann die Stelle, an der sich für mich gute von sehr gute SF zu unterscheiden beginnt. Mir sind konsequent ausgeleuchtete Protagonisten wichtig. Ungefähr an der Stelle hat mich "Der Wüstenplanet" genervt. Vladimir Harkonnen las sich wie das Abziehbild eines Bösen - schon rein äußerlich abstoßend, agierte er permament auf so durchsichtige Weise abstoßend, dass er (für mich) lediglich die Karikatur eines Schurken war. Wegen dem Abziehbildhaftem seiner Schurken ödet mich übrigens Ken Follett an - den dritten Roman habe ich weggelegt, als sich darin die plakative Schurkendarstellung aus den zwei zuvor gelesenen Romanen wiederholte.

 

Ist zwar keine SF, aber mit Jack Reacher hat Lee Child eine Figur erschaffen, die "gut" ist, aber böse handelt. Reacher lässt sich in seinen Handlungen nicht durch moralische Bedenken ausbremsen. Was getan werden muss, muss getan werden. Als (Ex-)Soldat hat(te) er Befehle zu befolgen. Im Ruhestand hilft er den Schwachen, weil er es so gelernt hat. Sein eigenes Wohlergehen ist ihm dabei naxchrangig. Auf King umgerechnet ist er wohl eine "half double zero" Figur.

 

Zu Narranias Verweis auf die anderen moralischen Wertvorstellungen: In der Uthred-Saga (Bernhard Cornwell) gibt es mit Uthred einen "Guten", der nach den moralischen Wertvorstellungen und der Logik seiner Zeit handelt. Er hat Gefangene gemacht? Und er hat Kämpfer, die im Umgang mit Schwert und Speer noch etwas Übung brauchen? Tja, dann ... Nach heutigen Maßstäben wäre er ein Kriegsverbrecher.

 

Viele Grüße

Tobias


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#16 Selma die Sterbliche

Selma die Sterbliche

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Geschrieben 27 Oktober 2020 - 15:57

Liebe Autorenkollegen - in allen Ehren, doch vielleicht denkt ihr auch zu kompliziert. Nicht jeder Psycho wird zum Mörder, doch generell ist der Typus recht verbreitet. Ich habe gleich drei davon in unmittelbarer Verwandtschaft, das hilft sehr, das Böse zu verstehen. Was also hätte Onkel X. getan - schlimm, doch er wurde nie erwischt, denn die Familie schützt die Ihren. Insofern schöpfe ich stets aus dem Vollen!


Bearbeitet von Selma die Sterbliche, 27 Oktober 2020 - 15:58.

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#17 yiyippeeyippeeyay

yiyippeeyippeeyay

    Interstellargestein

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Geschrieben 31 Oktober 2020 - 17:54

Hi - ich bin kein Autorenkollege; hier spricht also der LESER! q:D Ich tendiere ein wenig zu Nauts 1. Typus als einzigen SF-Schurken, der mich wirklich interessiert. Menschliche SF-Schurken sind wahrscheinlich am besten, wenn sie besonders unethisch (wie Ozymandias in den WATCHMEN) oder besonders ignorant (u.a. "the path to hell is paved with good intentions") über Folgen ihres Tuns vorgehen. Ansonsten sind es ja eher maximal "gleichrangige" zum/zur HeldIn (wie Holmes' Moriarty).

 

Den 1. Nicht-Schurken-Typus au Naut/Dyrnberg würde ich noch etwas verfeinern wollen, da ja gerade die Phantastik kaum Grenzen setzt (!) im Gegensatz zu Krimis/Thrillern:

  • Der/Das Unerklärliche, d. wahllos/unberechenbar agiert - wie in Lems Klassikern Solaris & D. Unbesiegbare... ProtagonistInnen, und die Leserschaft, geht am Ende ratlos von dannen.
  • Der um Größenordnungen Mächtigere, den Menschen eigentlich (anfangs zumindest) kaum interessieren - wie die Schatten bei BABYLON 5.
  • Die uns mutierende/umbringende andere Lebensform, die das ungewollt (wie in Crichtons Andromeda) oder mit völlig anderer Ethik gewollt tut (wie die Aliens in Arrival, oder das Phoenix-Wesen bei den papiernen X-Men), oder eben eine bisher wirklich unbekannte Naturgewalt ist (Virus mit Sondereigenschaften, anyone?).
  • Die weiter-evolvierte terrane (scheinbare) Gefahr - gerade fällt mir außer einigen X-Mutanten nur dieses Schwammwesen ein, das in Aldiss' Hothouse (dt. Titel fällt mir gerade nicht ein) sich auf Tiere mit Hirn (also auch Menschen) fallen lässt.
  • Eine Idee (in Neusprech: ein Meme) die sich ausbreitet, und eine Vielzahl Menschen "schurkenhaft" agieren lässt (Qanon, anyone?).

Bearbeitet von yiyippeeyippeeyay, 31 Oktober 2020 - 18:00.

/KB

Yay! Fantasy-Dialog Ende Januar...
Prof.: Dies sind die Bedingungen meiner Vormundschaft. (schiebt 2 Seiten über den Tisch) [..]

Junge: (schockiert, aber er nickt)

Prof.: Sehr gut... Noch eine Sache. Es fällt auf, dass du noch keinen Namen hast. Du benötigst einen.

Junge: Ich habe einen! -...

Prof.: Nein, das genügt nicht. Kein Engländer kann das aussprechen. Hatte Fräulein Slate dir einen gegeben?

Junge: ... Robin.

Prof.: Und einen Nachnamen. [..]

Junge: Einen [anderen] Nachnamen... aussuchen?

Prof.: Englische Leute erfinden sich namentlich ständig neu.

(Studierter Brite in besten Jahren, vs. dem Jungen, den er vor kurzem vorm Verenden in einem chinesischen Slum rettete, grob übersetzt aus Babel, im Harper-Voyager-Verlag, S. 11, by Kuang)




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