Die unendliche Geschichte
(BRD 1984)
Schon allein der Titel des Films erweist sich als passend, denn die inzwischen fast ein Jahr andauernden Maßnahmen gegen das verflixte Virus erweisen sich mehr und mehr als eine unendliche Geschichte. Allerdings ist ja die Rettung nah, der Impfstoff ist da, der Heilige Gral, na gut, so gut wie, und Millionen von Menschen zu impfen ist nur ein kleineres logistisches Problem, und natürlich wird auch die Wirkung dieses Zaubertranks phänomenal sein.
Was wäre das denn sonst für eine grauenhaft schlechte Geschichte?
Ja, die Macht von Geschichten.
In dem Film (und mehr noch im Roman) ist es der Junge Bastian, der ihrem Zauber verfällt. Er liest ein Buch und folgt dem Krieger Atreju auf seiner Mission, im Auftrag der kindlichen Kaiserin das Land Phantasien vor dem Nichts zu retten. Es ist eine bunte, magische Geschichte voller Fabelwesen und Abenteuer, so faszinierend, dass Bastian schließlich vollkommen in die Geschichte eintaucht und diese Geschichte lebt. Er selbst ist es schließlich, der auf diese Weise Phantasien retten wird.
Was braucht nun eine Geschichte, um eine solche Macht zu entfalten?
Da haben wir Anfang des letzten Jahres zum Beispiel dieses neue Virus, das sich rasend schnell über den Globus verbreitet. Es ist etwas letaler als die Grippe, aber unfassbar viel ansteckender. Also ist damit zur rechnen, dass es deutlich mehr Menschen als üblich infizieren wird. Die Kapazität des Gesundheitswesens könnte deutlich überschritten werden und auch die Todeszahlen könnten in erschreckende Höhen schnellen.
Ein kalter, erfahrener Pragmatiker würde jetzt sagen, in dem jetzigen Stadium der Verbreitung ist es illusorisch, die Verbreitung des Virus zu stoppen, insbesondere, wenn es dermaßen ansteckend ist, und wenn es Menschen verbreiten, die gar nicht merken, dass sie infektiös sind. Es wird einen Großteil der Bevölkerung befallen und was man jetzt versuchen kann, ist, durch Maßnahmen vor allem zum Schutz von besonders anfälligen Bevölkerungsgruppen eine Überlastung des Gesundheitssystems möglichst zu verhindern. Mit ein bisschen Glück stehen in nicht allzu langer Zeit Impfstoffe bereit, die diese Bemühungen effektiv unterstützen können.
Der übliche, hemdsärmelige Weg halt.
Macht als Geschichte aber nicht viel her. Menschen werden sterben. In einer guten Geschichte müssen die aber gerettet werden können.
Viel Hoffnung machen einem da die Virologen nicht. Die Studie des Imperial College zum Beispiel hat nicht wirklich ein Happy End. Sie zeigt zwar, wie beeindruckend viele Menschen durch rigorose Maßnahmen gerettet werden könnten, aber am rechten Rand der Grafik, der selten im Fernsehen auftaucht, kommt es zu dem Punkt, an dem die Maßnahmen nicht mehr aufrecht erhalten werden können und die Infektionszahlen in die Höhe schießen. (Schließlich wurde so gut wie niemand immunisiert.) Und das heißt, die Pandemie bricht genau dann mit voller Wucht über die Gesellschaft herein, wenn alle sozialen und wirtschaftlichen Systeme durch die Maßnahmen dagegen am Boden liegen. Halleluja.
Aber wenn wir schneller sind als dieser drohende Zusammenbruch? Ist doch alles immer nur eine Frage des Geldes. Wenn wir unfassbar viel Geld in die Hand nehmen und die Zulassungsbestimmungen für neue Medikamente so lax auslegen, wie wir gerade noch können, ohne rot zu werden? Diese Impfstoffe müssten eine Wirksamkeit gegen Viren haben, wie man sie nie zuvor beobachtet hat, und sie müssten gleichzeitig so schnell entwickelt werden, wie das auch zuvor noch niemals jemand geschafft hat. Wäre es wirklich schlau, davon auszugehen, dass bei dieser Sache auf keinen Fall irgendwelche Probleme auftreten, was ebenfalls ein Novum in der Menschheitsgeschichte wäre? Würde das ein vernünftiger Mensch tun, insbesondere, wenn man sich den rechten Teil in der Graphik ansieht, also die mit den explodierenden Infektionszahlen bei einer zusammenbrechenden Gesellschaft, die mit dem Super-GAU, der eintreten wird, wenn die Sache schiefgeht?
Nicht wirklich. Also doch auf Realismus umschalten?
Nicht so schnell! Was, wenn wir die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme gar nicht zerstören würden? Wenn wir das Virus einfach in Grund und Boden tanzen könnten?
Tanzen? Eine Art Regentanz, oder was?
Tomas Pueyo, der geborene Geschichtenerzähler, hat seinen furiosen Auftritt. Ausgestattet mit all der Weisheit, die er durch das Ansehen von Star Wars-Filmen gesammelt hat, tritt er auf den Plan, um die Welt davon zu überzeugen, das dies möglich ist. „The hammer and the dance“, ein Artikel, veröffentlicht in einer völlig freien Internetplattform, verspricht ein Wunderrezept gegen das Virus: Wir hauen einmal mit dem Hammer drauf und wenn die Infektionszahlen dann ganz niedrig sind, dann tanzen wir, bis der Impfstoff da ist. Wie das mit dem Tanzen genau läuft, da bleibt er vage, denn natürlich weiß niemand, welche Lockerung welchen quantitativen Effekt hat, oder wie gut man Infektionen wird nachverfolgen können, aber all diese lästigen Details verschwinden hinter dem schönen Wort: Tanzen.
Und damit tritt er offene Türen ein. Was eben noch unmöglich schien, geradezu nach einem Kamikaze-Plan aussah, klingt jetzt so einfach. Dermaßen einfach, dass jeder, der die Durchführbarkeit bezweifelt, oder darauf hinweist, dass dieses elfengleiche Tanzen eher einem Elefanten entspricht, der durch einen Porzellanladen torkelt, einfach ein schlechter, grausamer Mensch sein muss. Der will doch tatsächlich Menschen sterben lassen. Bestenfalls ist er ein Dummkopf, der diesen meisterhaften Plan einfach mental nicht fassen kann. Ach Quatsch, der leugnet einfach die Existenz dieses Virus, denn sonst würde er ja sehen, dass es nur diese eine Alternative gibt, und die müssen wir verfolgen, koste es, was es wolle.
Wirklich beeindruckend, diese Macht von Geschichten.
Allerdings hatte es Bastian im Film leicht. Er musste, um Phantasien wieder aufzubauen, einfach nur seine Phantasie spielen lassen.
Andere Geschichten müssen sich gerade in der Realität beweisen.
Möge die Macht mit uns sein.