Zum Inhalt wechseln


Foto
- - - - -

Vernor Vinge - Tatja Grimm's World


  • Bitte melde dich an um zu Antworten
Eine Antwort in diesem Thema

#1 Armin

Armin

    Entheetonaut

  • Mitglieder
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 12.951 Beiträge
  • Geschlecht:männlich
  • Wohnort:Rauenberg

Geschrieben 13 September 2010 - 16:20

In der Diskussion um einen möglichen offenen Lesezirkel zu Werken von Vernor Vinge (in zwei Tagen, am 15. September, beginnt hier die Leserunde zu The Peace War/Der Friedenskrieg) hatte ich angekündigt, dass ich, wenn schon, denn schon, dann vorher auch noch seine älteren Romane lesen möchte. Gesagt, getan, Tatja Grimm's World und The Witling, sind gelesen. Da sonst niemand Interesse bekundet hat (außer Stefan9, der aber wohl nur die deutsche Fassung von The Witling lesen will), verzichte ich auf den Spaß eines Solo-Lesezirkels und tue meine Meinung erst einmal hier im Romane-Forum kund, beginnend mit Tatja Grimm's World, weil's am einfachsten ist, in Form einer Rezension, die sich gleich im nächsten Posting anschließen wird - ich habe mich bemüht, Spoiler zu vermeiden.

The Witling sollte in ähnlicher Form in den nächsten Tagen folgen.

#2 Armin

Armin

    Entheetonaut

  • Mitglieder
  • PIPPIPPIPPIPPIP
  • 12.951 Beiträge
  • Geschlecht:männlich
  • Wohnort:Rauenberg

Geschrieben 13 September 2010 - 16:22

Vernor Vinge Tatja Grimm†™s World Pan Books, 1990 (ursprünglich 1987 bei Baen Books erschienen; erweiterte Fassung des Buchs „Grimm†™s World“, Berkley Books, 1969) „Grimm†™s World“ ist der Debüt-Roman von Vernor Vinge, dem späteren vierfachen Hugo-Gewinner. Das Buch ist 1969 erstmals erschienen, als Vinge, im Hauptberuf Mathematiker und Informatiker, gerade mal eine Handvoll Science-Fiction-Kurzgeschichten veröffentlicht hatte. Eine dieser Geschichten, „Grimm†™s Story“, in der 1968 von Damon Knight herausgegebenen Anthologie „Orbit 4“ enthalten, hatte der Autor zunächst um eine weitere, etwas längere Episode ergänzt und zum Roman ausgebaut. In der mir vorliegenden Ausgabe von Pan Books von 1990 (ein Nachdruck der 1987 bei Baen erschienenen neuen Fassung) macht „Grimm†™s Story“ als Mittelteil („The Impostor Queen“ betitelt) die Seiten 69 bis 146 aus, gefolgt von dem 1969 hinzugefügten Teil „The Feral Child“ (Seite 147 bis 277). Doch damit nicht genug: 1986 hat Vernor Vinge die Erzählung „The Barbarian Princess“ in der September-Ausgabe des Magazins Analog veröffentlicht, die nun unter demselben Titel Seite 1 bis 68 der erweiterten Fassung seines Debüt-Romans bildet. Zu diesem Zeitpunkt war Vinge, nach der Veröffentlichung seiner für den Cyberpunk wichtigen Novelle „True Names“ (1981, „Wahre Namen“) und der beiden Hugo-nominierten Romane „The Peace War“ (1984, „Der Friedenskrieg“) und „Marooned in Realtime“ (1986, „Gestrandet in der Realzeit“), als Autor schon deutlich anerkannter als in den späten sechziger Jahren - und, das lässt sich im direkten Vergleich der drei Episoden des Romans gut feststellen, auch stilistisch deutlich gereifter. Ins Deutsche wurde sein Debüt trotz seiner späteren Erfolge dennoch bislang nicht (vollständig) übersetzt, immerhin zwei der drei Teile liegen allerdings vor: In „Collection 6“ (Fischer Orbit 12, 1972), einer deutschen Teil-Ausgabe der Knight-Anthologie „Orbit 4“, ist die ursprüngliche „Grimm†™s Story“ als „Grimms Story“ erschienen; außerdem ist „Die Barbarenprinzessin“ (in der leicht vom Roman abweichenden Analog-Fassung) in der Vinge-Story-Sammlung „Die Tiefen der Zeit“ (Heyne, 2006) enthalten. „Tatja Grimm†™s World“ ist ein an Metallen armer Planet, dessen Bewohner auf verschiedenen prä-technologischen Zivilisationsstufen leben. Ein großes Schiff, praktisch ein schwimmendes Verlagshaus samt Druckerei, die „Tarulle Barge“ genannt, ist auf dem Weg zu den Osterlais-Inseln, um dort Werbung für das Magazin „Fantasie“ zu machen. Das erscheint seit über siebenhundert Jahren im Tarulle-Verlag, der seither über die Meere von Tu schippert und eine Ortschaft nach der anderen mit seinen Publikationen beliefert. Zu den im Magazin immer wiederkehrenden Abenteuern zählen die Geschichten um Prinzessin Hrala, deren Erlebnisse (augenzwinkernd als „nonstop illogical action with lots of blood and sex“ beschrieben, Seite 5) bei der Leserschaft höchst beliebt sind. Coronadas Ascuasenya, die Assistentin von Herausgeber Rey Guille, hat nun die Idee, bevor man auf den Osterlais-Inseln Neuland betritt, eine leibhaftige Hrala zu engagieren, um das Magazin dort noch besser bewerben zu können. Die gerade zufällig aufgetauchte Barbarin Tatja Grimm scheint vor allem aus optischen Gründen eine hervorragende Wahl zu sein - doch während Rey Guille sie anfangs noch für geistig zurückgeblieben hält, verblüfft Tatja in ihrer neuen Rolle rasch alle: Sie lernt erstaunlich schnell, und sie ist vor allem extrem ehrgeizig. Der Weg, der sie von ihrem Barbarenstamm auf Steinzeitniveau in das vergleichsweise zivilisierte Ambiente des Tarulle-Schiffs, das in dieser Welt als eine Art Kulturträger betrachtet wird, geführt hat, ist mit diesem ersten Schritt noch längst nicht zu Ende. Auf die Beschäftigung als Hrala-Darstellerin folgt ein wichtiger Posten innerhalb des Verlags, und auch dann hat Tatja Grimm noch viel weitreichendere Träume, die sie sich verwirklichen möchte. Dabei geht sie skrupellos vor, um nicht nur die Herrscherin des mächtigsten Reiches ihrer Welt zu werden, sondern schließlich sogar nach den Sternen zu greifen. Der Schauplatz des Romans und seine Themen haben wenig mit denen späterer Vinge-Werke zu tun. In der Welt von Tatja Grimm schwingt immer ein Hauch von Fantasy mit, und das obwohl Magie außen vor bleibt. Als „Hard SF“ wird man das Buch aber nur schwerlich klassifizieren können; es ist ein abenteuerlicher Planetenroman, der vor allem durch seine Hauptperson lebendig wird. Das atemberaubende Tempo, in dem sich Tatja Grimm entwickelt, macht den Leser allerdings an einigen Stellen ebenso ratlos, wie es die anderen Figuren der Geschichte an ihrer Seite schnell sind. „A visitor from the stars?“ (Seite 66), fragt Cor Ascuasenya schon früh und meint das eigentlich als Scherz. „Ruling this world doesn†™t interest me, except for one thing: I†™ve never found anyone I can talk to, anyone who can understand the things I often want to say“ (Seite 145), sagt Tatja Grimm später selbst über sich und verdeutlich damit ihre Außenseiter- (und Ausnahme-) Stellung, die sie isoliert, aber auch antreibt. Die Geschichte, die sich um Tatjas Entwicklung dreht, ist vor allem im ersten und gleichzeitig neusten Teil sehr vergnüglich. Launige Seitenhiebe auf die Science-Fiction-Verlagswelt (natürlich darf man das „Fantasie“-Magazin, das seit siebenhundert Jahren erscheint, genau so verstehen), eine lebendige Sprache, nicht allzu oberflächlich gezeichnete Charaktere und eine flotte Handlung machen Lust auf mehr. Das legt sich in den Teilen zwei und drei allerdings deutlich. Hier merkt man den Episoden die noch recht geringe Schreiberfahrung des Vernor Vinge in den späten sechzigen Jahren an: Mitunter wird es etwas zu turbulent, die Logik bleibt immer mal wieder auf der Strecke und auch in Sachen Stil und Sprache ist das gerade im direkten Vergleich zur ersten Episode schon ein Klassenunterschied. Insofern ist es schade, dass der Autor die erweiterte Ausgabe seines Debüt-Romans nicht noch ein wenig konsequenter angehen wollte: indem er nämlich beispielsweise auch die beiden älteren Teile überarbeitet hat. Das hätte dem Buch sicher mehr als gut getan. In der jetzigen Form wirkt es so leider eher etwas lieblos und wie ein Schnellschuss, um den Roman nach den erfolgreichen Büchern „The Peace War“ und „Marooned in Realtime“ rasch erneut auf den Markt bringen und verkaufen zu können. Vinges spätere Entwicklung zum - vor allem für „A Fire Upon the Deep“ (1992, „Ein Feuer auf der Tiefe“) und „A Deepness in the Sky“ (1999, „Eine Tiefe am Himmel“) - gefeierten und gleich viermal mit dem Hugo ausgezeichneten Autor ist hier noch nicht abzusehen.

Bearbeitet von Armin, 14 September 2010 - 08:07.



Besucher die dieses Thema lesen: 0

Mitglieder: 0, Gäste: 0, unsichtbare Mitglieder: 0