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Vernor Vinge - The Witling


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5 Antworten in diesem Thema

#1 Armin

Armin

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Geschrieben 14 September 2010 - 22:34

Wie schon im Thread zu Tatja Grimm's World geäußert (der sich hier findet), habe ich im Vorfeld des offenen Lesezirkels zu Werken von Vernor Vinge (gleich beginnt hier die Leserunde zu The Peace War/Der Friedenskrieg) angekündigt, dass ich vorher auch noch seine älteren Romane lesen möchte. Nach Tatja Grimm's World gibt es nun hier meine Meinung zu The Witling, wieder in Form einer kurzen Rezension, die sich gleich im nächsten Posting anschließen wird - ich habe mich bemüht, Spoiler zu vermeiden, falls doch noch jemand das Buch lesen möchte, das in diesem Fall (im Gegensatz zu Grimm's World) auch in einer deutschen Übersetzung (Der Besserwisser) vorliegt.

#2 Armin

Armin

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Geschrieben 14 September 2010 - 22:36

Vernor Vinge The Witling Tor Books, 2006 (ursprünglich 1976 bei DAW Books erschienen; mit Illustrationen von Doug Beekman aus dem Jahr 1986) Mit der deutschen Übersetzung ist das ja immer so eine Sache - hier fängt es schon beim Titel an. Ein „Witling“ ist in Vernor Vinges zweitem Roman nicht etwa jemand, der über besonders viel Verstand, Scharfsinn oder Esprit („wit“) verfügt. Die Eingeborenen des Planeten Giri, die Azhiri, bezeichnen damit vielmehr jeden, dem es an einem bestimmten, unter ihnen ziemlich weit verbreiteten Talent fehlt: Ein „Witling“ ist ein Azhiri, der nicht über die Fähigkeit der Teleportation verfügt. Ihn nun ausgerechnet als titelgebenden „Besserwisser“ zu übersetzen, wirft nicht unbedingt ein gutes Licht auf die deutsche Ausgabe des Romans, die 1984 bei Bastei-Lübbe (als SF-Action 21174) erschienen ist. Das Original stammt von 1976, die mir vorliegende Tor-Ausgabe aus dem Jahr 2006 ist mit Innenillustrationen (von Doug Beekman, dessen Bilder mir allgemein eher Fantasy-lastig zu sein scheinen und mir persönlich im speziellen Fall für diesen Roman eine ganze Ecke zu kitschig sind) und einem großzügigen Schriftbild auf 221 Seiten „aufgebläht“ - ein angenehm überschaubarer Roman, wie das früher in der Science Fiction noch üblich war, der ohne unnötige Schnörkel auf den Punkt kommt (das ist ausdrücklich als Pluspunkt fürs Buch gemeint). Aber auch ein für Vernor Vinge, wie schon sein Debüt „Grimm†™s World“ (1969), vergleichsweise untypisches Buch. Themen späterer Romane und Erzählungen wie künstliche Intelligenz und technologische Singularität lassen sich hier nicht einmal erahnen. Einzig der ganz große Hintergrund (die beiden Menschen, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen, stammen von einem Planeten namens Novamerika, der wegen der lediglich unterlichtschnellen Raumfahrt, mit der sich die Menschheit im Universum ausbreitet, keinerlei Kontakt zu anderen Welten hat) erinnert an „A Deepness in the Sky“ (1999, „Eine Tiefe am Himmel“). Der Archäologe Ajão Bjault und die Pilotin Yoninne Leg-Wot sind auf Giri gelandet, um die Welt zu erkunden. Das sieht zunächst nach einer Routine-Mission aus, entwickelt sich aber dann doch ganz anders, nachdem die beiden Menschen von den Eingeborenen entdeckt, angegriffen und gefangen genommen werden. Jetzt wird ihnen auch die Bedeutung verschiedener Wörter deutlich, die vorher unübersetzbar schienen: „reng“ bezeichnet die Fähigkeit der Teleportation, also die Gabe, den eigenen Körper mittels Geisteskraft an einen anderen Ort zu versetzen. Damit haben die Menschen, die von der Kolonialwelt Novamerika nach Giri gekommen sind, nicht gerechnet, sodass sie trotz ihrer technologischen Überlegenheit relativ leicht von den Azhiri überwältigt und eingekerkert werden. Gleichzeitig taucht aber Kronprinz Pelio-nge-Shzheru auf, ältester Sohn des Herrschers über das Königreich des Sommers („Summerkingdom“) und damit Thronfolger, über dessen Existenz sein Vater aber alles andere als glücklich ist: Denn Pelio ist ein „witling“, ihm fehlt die Gabe der Teleportation, was ihn zu einer sehr ambivalenten Figur macht: Einerseits ist er der erste Anwärter auf den Thron, andererseits muss er damit leben, ob seiner „Behinderung“ belächelt und teilweise nicht für voll genommen zu werden - dazu kommt noch die Einsicht, dass es relativ leicht sein würde, ihn zu beseitigen. Pelio ist zunächst die Rettung für die beiden Menschen: Er findet Yoninne, die er Ioninna nennt, sehr attraktiv und fühlt sich zu ihr hingezogen. Obwohl die Azhiri menschenähnlich sind, geht das Yoninne bei ihrem Volk ganz anders - dort gilt sie eher als äußerlich wenig attraktiv. Das Interesse des Kronprinzen bewahrt sie und den Archäologen Bjault vor einem schnellen Tod, bringt sie aber gleichzeitig auch in Schwierigkeiten, geraten die beiden Menschen - die eigentlich nur so schnell wie möglich wieder nach Hause wollen - doch bald zwischen die verschiedenen Gruppierungen (natürlich gibt es auch das Königreich des Winters und auch eine Gilde, die in der Gabe der Teleportation besonders versiert ist), die auf Giri um die Macht ringen. Wie schon Vinges erster Roman „Grimm†™s World“ hat auch „The Witling“ ein Setting, dem man aus heutiger Sicht einen ordentlichen Fantasy-Anstrich bescheinigen würde (durch die kitschigen Illustrationen wird dieser Eindruck noch unterstrichen). Für den Science-Fiction-Abenteuerroman der siebziger Jahre (und auch aus der Zeit davor) ist das allerdings nicht gar so untypisch - man denke beispielsweise an Marion Zimmer Bradleys „Darkover“-Romane (1958 bis 1989), an die man sich bei der Lektüre des „Witling“ unweigerlich erinnert fühlt. Vinge gibt sich auch sehr viel Mühe, dem Science-Fiction-Anspruch Genüge zu tun: Zwar kann er die, gerade in einer Zivilisation, die über nur sehr wenig Technologie verfügt, fast schon magisch anmutende Fähigkeit der Teleportation nicht erklären, andererseits gibt er diesem Standard-Topos der SF genügend Einschränkungen mit (bei denen ihn zwischenzeitlich leider auch die Logik ein wenig im Stich lässt), um die Azhiri nicht zu allmächtig zu gestalten. Das gibt der Handlung genügend Raum zur Entfaltung, sodass das Geschehen eigentlich immer spannend bleibt. Die Figuren sind dagegen wenig originell gezeichnet: Einzig Kronprinz Pelio sticht aus dem üblichen Einerlei hervor, wenngleich sein Interesse für Yoninne auch nur mäßig schlüssig motiviert erscheint. Das tut der flüssig erzählten Geschichte allerdings nicht allzu viel Abbruch: Die ist sicher kein Highlight der Science Fiction, schon eher ein gutes Beispiel für die „typische“ Abenteuer-SF der siebziger (und sicher auch sechziger Jahre), damit aber trotzdem auch heute noch eine recht flotte, angenehme Lektüre, der man einen gewissen Charme bescheinigen darf. Unterhaltsam, wenn auch harmlos, könnte man als Fazit ziehen. Im Vergleich zu seinem Debüt hat sich Vernor Vinge hier allerdings deutlich gesteigert und einen wesentlich gelungeneren, weil auch in sich geschlosseneren Roman vorgelegt.

#3 hawaklar

hawaklar

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Geschrieben 15 September 2010 - 15:20

So wie ich Deine Rezension verstanden habe, handelt es sich um einen relativ einfach strukturierten Text. Bietet sich der Roman evtl. dazu an, von einem Frischling im Original gelesen zu werden. Meine Englischkenntnisse beziehen sich auf Schulenglisch (das ist auch schon wieder über 30 Jahre her), rudimentäres Computerenglisch (aus der guten alten DOS-Zeit, als man fast nur englische Programme bekam), PC-Rollenspiele (ich habe mich durch die komplette Wizardry-Reihe gekämpft) und Schachbuchenglisch (welches sich durch Diagramme und Notation weitgehend selbst erklärt).

Mein letzter Versuch mit englischen Originalromanen ist ziemlich kläglich gescheitert. Da ja nach Enders Schatten und dem Aus der SF-Sparte bei Festa nicht mit weiteren Übersetzungen zu rechnen war habe ich mich an Shadow of the Hegemon versucht. Da musste ich aber viel zu viel nachschlagen, so dass die Lektüre in Arbeit ausartete und ich abgebrochen habe.

Wenn es The Witling als ebook gibt, dann würde ich mir dieses zulegen und auf meinem selbst verordneten Weihnachtsgeschenk (einem ebook-Reader) lesen. Da gibt es welche mit aufgespieltem Englisch-Deutsch-Wörterbuch. Ich denke mit ein wenig Übung an leichteren Texten könnte ich mich irgendwann doch einmal an Shadow ... wagen.

"Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders
wäre, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut
werden soll." Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799)

"Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen,
Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer."
(Antoine de Saint-Exupéry)


#4 Armin

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Geschrieben 15 September 2010 - 20:24

Der Text ist recht einfach strukturiert, richtig, und ich würde die Sprache und das Vokabular auch nicht als sonderlich anspruchsvoll bezeichnen - ob deine Englischkenntnisse dann ausreichen, um wirklich Spaß am Buch zu haben, kann ich natürlich schwer beurteilen. Deshalb der Vorschlag: Wirf doch nach der Lektüre von Der Friedenskrieg mal einen Blick in die Novelle The Ungoverned, die zwischen dem Friedenskrieg und Gestrandet in der Realzeit spielt. The Ungoverned ist in kompletter Länge (und völlig legal) hier zu finden. Das gibt dir dann sicher einen guten Einblick in Vinges Sprache - The Witling ist, soweit ich das nach einem kurzen Blick feststellen kann, auf einem vergleichbaren Niveau.

Bearbeitet von Armin, 15 September 2010 - 20:25.


#5 hawaklar

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Geschrieben 15 September 2010 - 20:35

Danke für die Auskunft.

"Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders
wäre, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut
werden soll." Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799)

"Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen,
Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen,
sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer."
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#6 Stefan9

Stefan9

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Geschrieben 27 September 2010 - 17:31

Sorry, ich bin spät dran, möchte es aber dennoch nicht versäumen, meine Eindrücke zu Vernor Vinge´s Zweitlingswerk wieder zu geben.


Der Besserwisser von Vernor Vinge erschien 1984 im Bastei Lübbe Verlag erst und einmalig in Deutschland. Das Original „The Wittling“ erblickte bereits 1975 das Licht der Welt. Vernor´s frühe Bibliographie ist ja schon von Armin gezeichnet worden; es reicht zu wissen, dass“ der Besserwisser“ der zweite Scifi Einzelroman Vinge´s ist. Zunächst fällt das putzige Cover auf, das dem der Basteiausgabe sehr ähnlich ist, siehe Link//Quelle, von der auch das Bild ist:

http://www.isfdb.org...n/title.cgi?821

Eingefügtes Bild

„Science was a toy of the children
- or the mentally crippled†




So prangt es auf der Originalausgabe. Dem angelsächsischen Publikum musste man wohl auf diese Weise eine Art Prämisse mit auf den Weg geben. Die Inhaltsangabe auf dem Buchrücken der Bastei Ausgabe klärt auf, das der 1944 geb. Mathematikprofessor Vernor Steffen Vinge, insbesondere durch seine mathematisch exakte Darstellungsweise, zuweilen bizarrer Sachverhalte schon in frühen Kurzgeschichten auf sich aufmerksam gemacht hat. Ein mutiges Statement von Bastei zu dieser Zeit . Ich übersetz das mal so:
“ Vorsicht Leute, da ist SF in dem Buch drin, nicht das nachher Klagen kommen“. Oder wurde gerade dadurch seinerzeit der Kaufreiz ausgelöst?

Zur Story:
Zwei Planetengestrandete müssen zur Errettung ihrer selbst die Planetenrückseite erreichen.
Dummerweise sind sie ihrer eigenen Technik so gut wie beraubt und die lokale Planetenpopulation pfeift auf Flug und Eisenbahnverkehr zugunsten alternativer Psi- Teleportationsbecken. Denn Technik ist bei den Girianern verpönt und nur etwas für Kinder und „Besserwisser“ bzw. mentale Krüppel. Die Geschichte verlangt es nun aber, das ausgerechnet der Erbkaiser, seines Zeichens Erstgeborener, mit dem Mal des Besserwissers, sprich ohne mentale Fähigkeiten zur Welt kam. Und ausgerechnet der trifft nun auf die Planetengestrandeten, die gleichfalls als mental verkrüppelt gelten. So findet sich eine Schicksalsgemeinschaft die versucht, ihr Heil durch Erreichen einer Relaisstation auf der Planetenrückseite zu finden.

Nun, ein paar technologische Erläuterungen zur variablen Aufschlaggeschwindigkeit bei Längen oder Breitengrad verändernder Wegstrecke mit Hilfe der Teleportation sind ganz witzig. Oder die Ausmaße des Kaiserpalastes, in dem der Südseitenbalkon mal eben 150Meilen südlich des Äquators liegt, während der Empfang beispielsweise 150 Meilen nördlich davon liegt (geschuldet den zeitverlustfreien Teleportationsfähigkeiten der Giri). Ich erwähne noch rasch, dass auf Türen in Räumen ebenfalls verzichtet werden kann. Man teleportiert sich in den Raum, sofern Talent vorhanden ist.
Ansonsten serviert Vinge einen leidlich spannenden Abenteuerroman, der ein wenig ans golden Age der SF erinnert. Erst zum Ende zeigen sich Ansätze, die erklären, warum der Roman überhaupt ein SF Setting benötigt. Ein paar soziale Anspielungen - die Protagonisten sind Farbige und der Erbprinz ist in den Augen seiner Mitwelt ein Ausgestoßener - runden den Roman ab. Und der zaunpfahl schwingende Fingerzeig auf gewinnbringende Symbiose trotz aller Andersartigkeit der Novamerikaner und Girianer fehlt schließlich auch nicht.

Fazit:
Hmmm, ich für mich glaube kaum, das der Roman heute einen Verlag/Publikum gefunden hätte. Zu dünn die Story, ein kaum sichtbarer roter Faden, der die Geschichte trägt, ein viel zu ernsthaft und geradlinig erzählter Plot. Oder ist die 25 Jahre alte Sprache die Ursache dafür, dass kein Feeling aufkommen wollte?
Oder liegt es an mir selbst, dem der Sense of Wonder nach vielen Jahren der SF verloren gegangen ist? Nö, es reicht nicht zum „nur schmökern“, das preisgekrönte erzählerische Talent ist beim Wittling noch nicht zu erkennen. Was jedem angehenden Autoren Mut machen sollte. Hier gilt offenbar, bis auf wenige Ausnahmen, wie überall im Leben:
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.



Grüsse

Stefan

------ ......ob Herr Rossi je das Glück gefunden hat?....------

 

In motivationstheoretischer Interpretation aus Managementsicht ist Hans im Glück ein „eigennütziger Hedomat und unlustmeidender Glücksökonom“. ---Rolf Wunderer

 

Niemand hat das Recht auf ein konstantes Klima. Auch Grönländer haben ein historisches Recht auf Ackerbau. Daran sollten unsere Weltenlenker denken, wenn sie sich daran machen, die globale Temperatur mit Hilfe des CO2 neu einzustellen. 

 

"Wir können nicht alle mit einem Mac Book und einem Chai Latte in Berlin in einem Coworking Space sitzen und die zehnte Dating App erfinden". Marco Scheel 3:50 min

https://www.youtube....h?v=3mnB5Q5Hay4

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